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draußen regnet es...
Draußen regnet es...mal wieder...
Der Himmel sieht aus, als hätte jemand eine graue, triefnasse Decke über die Dächer der Fachwerkhäuser gespannt.
Die Stadttauben sitzen aufgeplustert und beleidigt unter den kurzen Dachvorsprüngen und lehnen selbst das für sie so charakteristische Gurren angesichts dieses ungemütlichen Wetters ab.
Die Frau am offenen Fenster sitzt auch nur da und schaut gedankenverloren den kleinen Wasserbächen zu, wie sie sich in den Regenrinnen sammeln und vergnügt glucksend die Rohre hinab stürzen.
Das Geräusch vom sanften Aufklatschen der dicken Regentropfen auf dem Kopfsteinpflaster hat urplötzlich und in filmreifer Bildqualität die Erinnerung an das Zeltlager in ihrem Kopf aufflammen lassen.
„Warte...“ sagt die Frau zu der Erinnerung.
„Warte....wie alt war ich wohl da?“
Es war auch so ein verregneter Sommer gewesen...damals...
Es fällt ihr nicht ein, wie alt sie nun war...
Nur der Junge, an den kann sie sich plötzlich überdeutlich erinnern.
Einen Lockenkopf hatte der, unglaublich wuschelig und weich, wie eigens dazu gemacht, um mit den Fingern durchzufahren.
Und an das Loch im Pulli.
Direkt unter dem Schulterblatt.
Ein breites, glückliches Lächeln breitet sich auf dem Gesicht der Frau aus.
Genau...dieses Loch im Pulli...
Geneckt hat sie ihn wegen des Lochs...Ob er nichts anderes anzuziehen habe...
Zur Disco, die die Leiter des Zeltlagers aus lauter Verzweiflung über das nicht endende Regenwetter jeden Abend im großen Gemeinschaftszelt veranstaltet haben.
Der Junge gehörte nicht zu den „Stadtkindern“, die jeden Sommer auf dem Wiesengrundstück neben seinem Dorf zelteten.
„Einheimische“ haben die Städtler sie ein wenig verächtich genannt.
Eingeborene, Kuh-Bauer oder Hinterwäldler waren die weniger schmeichelhaften Bezeichnungen für die kleine Clique aus dem Dorf, die jeden Abend pünktlich zur Disco sich auf dem Zeltgelände einfand.
Und doch ließen die Mädchen aus der Stadt die Jungs aus dem Jungenzelt stehen, um mit eben diesen Hinterwädlern zu tanzen.
Der Lockenkopf war begehrt als Tanzpartner. Sehr begehrt.
Er hatte so eine Art, einen anzusehen, als sei für ihn niemand mehr existent, nur die jeweilige Tanzpartnerin.
Ein tiefer Seufzer lässt die Brust der Frau ganz eng werden.
An seinen Namen kann sie sich auch nicht mehr erinnern, aber an seinen Mund...
Voller, schön geschwungener Mund mit weichen, nachgiebigen Lippen.
Und an seinen Blick unter den Wimpern, schelmisch, frech und irgendwie beunruhigend.
Zwei Abende hatte er nur mit ihr getanzt, hatte nur für sie Augen gehabt.
Ganze zwei Abende voller Glückseligkeit für sie, für sie ganz allein.
Erst viel später, als sie schon längst wieder zu Hause waren, hat ihr ihre Freundin erzählt, dass er viel mehr wollte, als die paar Küsse, die sie ihm zu geben bereit war.
Und dass ihm das Mädchen, das drei Schlafsäcke weiter links von ihr schlief, eben dieses gab.
Draußen bricht die Sonne durch und knallt mit voller Wucht auf die nassen Pflastersteine, lässt sie dampfen.
Die Tauben erheben sich, jetzt wieder besänftigt, in die Luft und halten Ausschau nach den Brotkrummen, die die Touristen, trotz des ausdrücklichen Verbotes seitens der Stadtverwaltung, für die Tauben auf dem Marktplatz ausstreuen.
Die Frau am Fenster seufzt noch einmal tief auf und widmet sich nun doch dem auszufüllenden Formular auf ihrem Bildschirm.