Egmont
Egmont – Drama von Johann Wolfgang von Goethe über einen niederländischen Freiheitskämpfer im spanisch besetzten Brüssel, der tragisch scheitert.
Zum Geflügelten Wort wurde das „Himmelhoch jauchzend, zu(m) Tode betrübt“ aus Klärchens Lied im Dritten Aufzug:
Freudvoll und leidvoll, gedankenvoll sein;
Hangen und bangen in schwebender Pein;
Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt;
Glücklich allein ist die Seele, die liebt.
Quelle: Wikipedia
„Mathilde, Ihre Bouillon mit Eierstich ist mal wieder vorzüglich“, lobte Elsbeth von Hohenfels ihre Hauswirtschafterin und tunkte den silbernen Löffel mit dem Familienwappen in die Suppe. Mathilde deutete einen Knicks an und errötete. „Egmont, Dir schmeckt es doch sicher auch wie immer, wenn Mathilde gekocht hat?“ wandte sie sich an ihren Sohn. Egmont schaute kaum auf, während er sich einen Löffel Suppe in den Mund schob und heftig nickte. „Bist du der deutschen Sprache nicht mehr mächtig?“ rügte seine Mutter und zog die Damastserviette an ihrem Kragen über der altroséfarbenen Rüschenbluse zurecht.
„Doch, doch, natürlich, excéllent“, betonte Egmont gedankenverloren mit französischer Intonation.
„Was ist dir? Gibt es etwas, was ich über deine Studien wissen müsste? Die Doktorarbeit kommt doch gut voran?“ Egmont legte den Löffel auf dem Teller ab. Er gab sich geschlagen. Seiner Mutter konnte er einfach nichts verbergen. Sie würde keine Ruhe geben, bevor er ihr nicht alles offenbart hätte. Eigentlich wollte er mit seiner Neuigkeit bis nach dem Mahl warten. „Doch, doch, natürlich, Mutter, alles läuft hervorragend an der Universität. Das ist es nicht...“. Er holte tief Luft, und schon hakte seine Mutter ein. „Aber was ist es denn? Hast du denn Geld verloren an der Börse? Ich habe dir immer gesagt, dass es zu riskant ist, sein Geld dort anzulegen. Dein Vater – Gott hab’ ihn selig - hätte das auch nicht gut geheißen, du weißt, er setzte ganz auf sichere Anlagen, wie Reichsschatzbriefe. Aber du hast noch nie auf den Rat deiner armen Eltern gehört- du musstest ja das erfolgversprechende Jurastudium aufgeben, um nun schon seit zwanzig Jahren katholische Theologie, Philosophie und Romanistik zu studieren. Eine brotlose Kunst, solange du nicht vorhast, Priester zu werden.
Aber das predige ich dir ja schon seit zig Jahren, du hörst nicht auf mich. Immer hast du deinen eigenen Kopf!“ Sie seufzte und wandte sich an Mathilde: „Sie können jetzt abräumen und den nächsten Gang auftragen“. „Sehr wohl, Madame“, erwiderte diese, knickste, räumte den Tisch ab und verschwand mit den Tellern und der Suppenterrine durch die großen Flügeltüren in Richtung Küche.
Prüfend betrachtete Elsbeth ihren Sohn – in seinen vollen, dunklen Locken waren an den Schläfen bereits einige graue Strähnen sichtbar, und er hatte dunkle Ränder unter den Augen, in seinem sonst blassen, edlen Gesicht mit griechischem Profil und schmalen Lippen. „Ganz der Vater“, dachte sie seufzend, „der vor zehn Jahren viel zu früh von uns gegangen ist. Ein verdienter Staatssekretär in Kaiser Wilhelms Diensten.“
„Mutter, ich muss dir etwas Wichtiges mitteilen“, fasste Egmont all seinen Mut zusammen.
„Ich habe dir doch schon einmal erzählt von meiner begabten Kollegin Clara beim Verlag, wo ich nebenbei schreibe“. Seine Mutter hob spitz eine Augenbraue an. „Ich weiß sowieso nicht, was du bei einem solchen Kommunistenblatt zu schreiben hast, auch wenn du dort ein wenig Geld mit Übersetzungen verdienst. Ich glaube nicht, dass sich das positiv auf deine Karriere auswirken wird.“ „MUTTER!“ rief Egmont ungeduldig und mit einer Vehemenz aus, die seine Wangen rot färbte. „Kannst nicht EINmal akzeptieren, dass ich etwas bewegen möchte in der Welt, dass ich andere Ansichten habe als du und Vater? Meiner Ansicht nach ist dieser Nationalismus und die Reaktion der Untergang unseres Vaterlandes!“ „Du brauchst nicht laut zu werden, mein Sohn, das ist in unserem Hause nicht gewünscht“, wies ihn Elsbeth mit eisiger Stimme zurecht. „Willst du dich jetzt etwa auch noch für die Kommunisten, diese Vaterlandsverräter, stark machen?“ Egmont warf wütend seine Serviette auf den Tisch und stieß beim heftigen Aufspringen das Weinglas um. Blutrot färbte sich die weiße Leinentischdecke. „Egmont! Die gute Tischdecke von deiner Großmutter! Kannst du nicht aufpassen?“ Tränen füllten nun ihre Augen und sie zerknüllte aufgeregt ihre Serviette.
In diesem Augenblick betrat Mathilde den Speisesaal. Erschreckt klammerte sie sich an die Bratenplatte, als sie die weinende Frau von Hohenfels, den hektisch umherlaufenden Egmont und den Weinfleck auf dem Tischtuch sah. „So – so- soll ich das Tischtuch wechseln?“ stotterte sie unbeholfen. „Später, Mathilde, später“, murmelte Frau von Hohenfels. „Tragen Sie ruhig erst das Essen auf, er wird ja sonst ganz kalt, der gute Rehrücken“. Egmont lachte verächtlich auf. „Wie kannst du bei dieser Situation an kaltes Reh denken?“ stieß er hervor. „Contenance, mein Sohn, Contenance,!“ wies ihn seine Mutter zurecht. Mathilde kehrte zurück und trug zögernd die Beilagen und die Soße auf. Schweigend legten sich Mutter und Sohn das Essen auf und schweigend verspeisten sie die ersten Bissen. „Mathilde, Sie können in die Küche gehen, wir rufen Sie dann, wenn wir etwas brauchen. Und schließen Sie die Tür, bitte“, Elsbeths Stimme zitterte weinerlich.
Egmont legte das Besteck neben dem Teller ab. „Mutter, ich will nicht mehr hier auf Schloss Hohenfels mit dir leben. Ich ziehe mit Clara zusammen. Wir lieben uns.“ So, jetzt war es heraus. Seine Mutter fing an zu husten – sie hatte sich an einem Stück Braten verschluckt, lief dunkelviolett an und rang nach Luft. Egmont, bestürzt über die Wirkung seiner Mitteilung, rannte zu ihr hinüber und klopfte ihr auf die Schultern. Schließlich bekam sie wieder Luft und stieß ihren Sohn weg. „Lass das, Egmont, du drischt ja auf mich ein, als sei ich ein Pferd!“ Mit Schweißperlen auf der Stirn setzte er sich wieder auf seinen Platz. Seine Mutter nahm einen großen Schluck aus dem Wasserglas. „Was soll das heißen – zusammen leben? Habt ihr euch heimlich verlobt? Aus was für einer Familie stammt sie? Wie alt ist sie? War sie nicht schon einmal verheiratet? Ich habe so etwas gehört, dass sie mit einem russischen Bolschewiken eine Liaison hatte? Ist das wahr?“ Egmont schluckte. Er hatte Angst, vor der erneuten Reaktion seiner Mutter. „Clara ist 41 Jahre alt, und hat aus ihrer legalen Ehe mit einem verdienten russischen Revolutionär zwei Söhne. Ich werde sie mit großziehen. Und nein, wir haben nicht vor zu heiraten. Wir legen nicht viel Wert auf diese bürgerlichen Traditionen.“ Elsbeth wurde kreidebleich, griff sich an die Brust, seufzte leise auf – und fiel vom Stuhl. Wie ein gefällter Baum kippte sie zur Seite. Egmont stürzte zu ihr – „Mutter! Mutter! HILFE! Mathilde! Rufen Sie den Arzt! Schnell!“ Ihm verschwamm alles– im Nebel sah er seine Zukunft mit Clara verschwinden, dann wurde ihm schwarz vor Augen, er sank neben seiner Mutter nieder.