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Eigentlich egal

Seniors
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19.05.2008
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Eigentlich egal

Wieder einer dieser Tage, an denen ganz Halle stinkt. Sogar Marie riecht heute nicht gut. Weil sie mit der Bahn fährt. Durch diese Stadt. An diesem Tag. Ich will, dass sie sich diese Stadt und diesen Tag abduscht und sie sagt, Das geht nicht. Dann küsst sie mich. Es schmeckt okay.

Wie kann eine Stadt nur so stinken?, frage ich mich und tauche mit meiner Nase in ihr Haar. Vielleicht ist Halle die einzige Stadt, in der man schmutzige Gedanken riechen kann. Und ich mag die Vorstellung, dass sie stinkt, weil sie schmutzig denkt.

Für einen Ich-Erzähler kenne ich mich eigentlich zu wenig, aber wenn ich schreibe, sie küsst David, klingt das so, als küsse sie einen anderen. Und das tut sie nicht. Sie küsst mich. Sie schläft mit mir und neben mir und neben mir mit mir ein und mit mir neben mir wacht sie wieder auf. Auch wenn es Davids Bett ist, in dem wir liegen.

Ich schau ihr in die Augen und frage, ob ich ein Foto von ihr machen darf.
Soll ich die Beine spreizen?
Nein. Ich will nur dein Auge photographieren. Nichts sonst. Auch nicht das ganze Auge. Nur den Punkt, in dem ich dich sehe, wenn ich dich anschaue. Nur den. Und sie sagt, dass man den so wenig photographieren kann wie schmutzige Gedanken. Ich versuche es trotzdem.

Irgendwann wird ihr das Geblitze zu blöd. Vielleicht hat sie auch nur Angst, blind zu werden. Jedenfalls schlüpft sie aus der Decke und geht zum Fenster, nackt und ein bisschen so, als versuche sie meine Blicke abzuschütteln. Kurz bevor sie die Vorhänge aufziehen, das Fenster öffnen und sich hinaus lehnen wird, schaut sie zu mir, weil sie weiß, dass mich allein die Möglichkeit, dass ein Nachbar sie so sehen könnte, eifersüchtig macht. Dann öffnet sie das Fenster und lehnt sich hinaus und ich sehe, wie ihr eine Gänsehaut entgegen fliegt. Als sie sich umdreht, sind da zwei erhärtete Brustwarzen und ein enttäuschter Smiley: Heute stinkt es gar nicht.

Sie verschwindet im Bad und ich höre sie singen, mit ihrer fürchterlichen Stimme. Ich habe ihr einmal gesagt, dass ich ihr dabei gern zusehen würde. Wobei?, wollte sie wissen. Naja, wie du unter der Dusche singst. Und sie meinte, Mach doch! Aber als ich dann so auf dem Teppich vor der Dusche saß, mir verirrte Tropfen ins Gesicht spritzten, ihre kratzige und nasige Stimme von überall her ins Ohr hallte und sie sich meine Fingerabdrücke und Küsse abduschte, fand ich das komisch. Soll sie ohne mich in der Dusche singen. Ich schau mir die Fotos an und sehe sie, aber getroffen habe ich sie nicht.

Nur ihre Lippen, die lächeln und küssen und lieben. Schmolllippen, die keine sind, weil sie nicht schmollt, nie. Auch nicht, wenn ich ihr sage, dass sie stinkt. Sonst riecht sie ja gut, verdammt gut und ich glaube, wenn jemand sagt, zwei Menschen passen gut zusammen, meint er damit, dass einer mag wie der andere riecht und umgekehrt. Und dass die Lippen aufeinander passen. Und die Gefühle.

Warum hast du ein Handtuch um?
Nur so.
Du rennst nie mit Handtuch durch die Wohnung.
Nie, außer heute.
Sag schon: Warum?
Kann ein Duschgel ablaufen?
In den Abfluss?
Nein, du Idiot. Gibt es bei Duschgels ein Mindesthaltbarkeitsdatum oder so?
Bestimmt. Warum?
Naja, ich glaube, meines war abgelaufen.
So selten duschst du doch auch nicht, oder?
Ich meine es ernst! Ich hab jetzt voll die hässlichen Flecken auf der Brust.
Ich lache und ich weiß, dass ich nicht lachen sollte, und ich überlege schon, mit dem Lachen aufzuhören, aber da fängt sie auch an zu lachen und wir lachen beide.
Lass mal sehen! Und sie lacht weiter.
Die willst du gar nicht sehen!
Natürlich will ich die sehen!
Nein, willst du nicht!
Doch!
Nein!
Hey, und wenn du überall hässliche Flecken hättest, würde ich dich sehen wollen. Ja, ich würde dich sogar lieben, wenn du ein hässlicher Fleck wärst.
Das glaube ich dir nicht.
Schmeiß das Handtuch in die Ecke, komm her und ich küss dir die hässlichen Flecken weg!
Und wenn ich sie behalten will?
Küsse ich einen weiten Bogen um sie.

Sie schüttelt den Kopf und setzt sich zu mir aufs Bett, immer noch ins Handtuch gewickelt. Sie schaut an die Wand, als stünde dort was über hässliche Flecken, wie man sie loswird oder so. Sie sieht dabei so unverschämt hübsch aus, so ungeschminkt und unverfälscht. Ihr Haar tropft und an ihrem Ohrläppchen klebt etwas Salbe, weil sie gestern irgendwo mit ihrem Ohrring hängen geblieben ist und sich das entzündet hat. Es ist schwer, ihr nicht zu sagen, wie schön sie ist. Aber ich weiß, dass sie solche Komplimente nicht mag. Als wir uns das erste Mal gesehen haben, auf einer Geburtstagsfeier von einem Freund und sie noch seine Freundin war, habe ich ihr, als er mit seiner Wodkaflasche da saß, aber schon in einer anderen Welt, gesagt, wie schön sie sei. Und sie meinte nur: Danke, aber was kann ich dafür, wie ich aussehe oder nicht? Wenn jemand wissen will, warum ich mich in Marie verliebt habe, denke ich an diesen Satz.

Wetten, du würdest mich nicht lieben, wenn ich hässlich wäre. Wenn ich drei Brüste hätte. Oder die Nase von deiner Oma. Du könntest mich unmöglich lieben, wenn ich Haare auf der Brust hätte, wenn sich die so kringeln und meine hässlichen Flecken durchschimmern, ein bisschen nur, gerade so, dass man weiß, dass sie da sind. Wie könntest du mir Ich liebe dich sagen, wenn du weißt, dass ich keine Zähne mehr habe und lisple und stottre und spucke dabei.

Ich ziehe sie an ihrem Handtuch zu mir ins Bett und packe sie aus wie ein unschön eingewickeltes Geschenk. Als ich die Flecken auf ihrer Brust sehe, muss ich schlucken. Die sehen aus wie eine Mischung aus Schimmel, Rotz und Hackfleisch, nur härter. Ich schlucke noch einmal und küsse ihre Brust, dann sage ich, den Blick fest in ihrem: Ich liebe dich, egal, wie viele Brüste oder Zähne du hast. Und wie hässlich deine Flecken sind. Ich küsse sie und sage: Außerdem wären drei Brüste auch nicht schlecht.

Das sind Komplimente, die sie mag. Albern irgendwie, aber schön auch. Dann fischt sie das Handtuch unter dem Bett hervor und ich habe keine Ahnung, wie das Handtuch unters Bett gekommen ist oder sie das wissen kann. Sie legt es mir übers Gesicht und taucht unter die Decke und ich spüre ihre Lippen, die keine Schmolllippen sind.

*

Als ich aufwache, frage ich mich, wann ich eingeschlafen war und ob. Und wo Marie ist.

Durch das Fenster weht kalte, dunkle Luft. Ich schlüpfe in meine Jogginghose, schließe das Fenster und stolpre durch die Wohnung. Überall liegt schmutzige Wäsche, sogar auf dem Kühlschrank, den wir gestern leer gekocht haben. Die Erinnerung an das dreigängige Menü zur Feier ihrer bestandenen Abschlussklausur quillt aus der Spüle. Ein Post-It klebt am Wasserhahn: Bin bei Klara. Kannst ja abspülen. Bevor ich darüber nachdenken kann, fangen meine Hände an, die Essensreste von den Tellern zu kratzen. Ich schließe meine Augen, lasse heißes Wasser über meine Handflächen fließen, und Gedanken. An Marie, wie sie diesen frechen Zettel schreibt, mit dem gleichen Kugelschreiber, auf dem sie bei ihrer Prüfung gekaut hat. Ich habe sie gefragt, ob ihre Stifte auch später, wenn sie Rechtsanwältin ist, pink sein werden und sie hat gesagt, Solange sie schwarz schreiben, ist das doch egal, oder?

Ich könnte mir ein Bier aus dem Kühlschrank nehmen, mich vor den Fernseher setzen und Fußball gucken. Ich könnte den Konjunktiv ins Klo schmeißen und runterspülen, aber David hat kein Bier im Kühlschrank stehen, keinen Fernseher im Wohnzimmer und Fußball mag er auch nicht, schon als Kind nicht. Ich lege mich auf die Couch und träume. Im Kalender steht nichts von Stress.

Bleib heute bei Klara.

Als am nächsten Morgen der Wecker klingelt, stört es mich nicht, dass Marie nicht neben mir liegt. Oft muss sie früher weg als ich und ich wache alleine auf. Was mir fehlt, ist die warme Stelle im Bett, die weiche Erinnerung an sie.

*

David, kann es sein, dass du heute irgendwo anders bist?
Ich bin hier. Das siehst du doch!
Aber ich höre es nicht.

Mirko ist vierzehn Jahre alt, klüger als er alt ist und einer meiner Schüler, denen ich nachmittags Klavierunterricht gebe. Ich unterrichte ihn seit einem Jahr und habe Angst, dass er in ein paar Monaten besser spielt als ich. Du weißt schon, dass du ein Klavier nicht mit an den Strand nehmen kannst, habe ich damals gesagt und ihm angeboten, Gitarrespielen zu lernen. Da hat er gemeint, dass man eine Gitarre zwar an den Strand nehmen, aber keine Gitarre der Welt den Strand ins Zimmer holen kann. Denkst du an deine schöne Freundin? Weil ich nicht gleich antworte, beginnt er ein Stück zu spielen, das ich nie zuvor gehört habe. Er spielt es nicht laut und nicht leise. Er spielt es in Dur, schafft es aber, dass es sich wie Moll anhört; es macht das Ohr ein bisschen traurig, trotzdem klingt es glücklich und irgendwie kommt es mir bekannt vor. Ich möchte ihn unterbrechen und fragen, was er da spielt, aber ich höre es mir bis zum Ende an. Dann sagt Mirko: Das habe ich gefühlt, als ich deine Freundin das erste Mal gesehen habe.

Als ich mich von Mirko verabschiede, will seine Mutter wissen, ob es vorangehe. Ich sage ihr, dass sie ihren Sohnemann mal fragen solle, wie ein Lehrer seinem Schüler etwas beibringen kann, was er selbst nicht beherrscht.

Kommst du gar nicht mehr zurück?
Doch.
Und wann?
Weiß ich noch nicht.

Fragezeichen krabbeln wie Spinnen über die Wand. Ich rufe Klara an. Sie drückt mich weg. Ich schreibe Marie. Sie antwortet nicht mehr. Dann trinke ich. Das verwandelt die Spinnen aber auch nicht in Antworten. Also rufe ich Jonas an. Der war mit mir auf der Musikhochschule und als wir die hinter uns hatten, saß er Samstag Abend immer noch in meiner Wohnung. Jetzt soll er mich zu Klara fahren. Eine halbe Stunde später steige ich in sein Auto, aus dem laute Musik dringt. Ich sage, er soll sie leiser machen. Er stellt sie ab.
Stress mit Marie?
Weiß nicht.
Willst du drüber reden?

Er schaut mich an. Ich schaue ihn an. Keiner sagt etwas und nachdem wir fünf Minuten so durch die Stadt fahren, wünsche ich mir laute Musik. Musikhören ist nicht Schweigen.

Soll ich warten?
Nein.

Ohne Danke schlage ich die Tür zu.

David klingelt. Er wartet und liest die Namen auf dem Klingelbrett. Ein Vibrieren öffnet die Haustür. Er rennt in den zweiten Stock, wo Klara im Türrahmen steht. Heute trägt sie kein Mädchenblumenkleid, sondern Jogginghose und ein Shirt, das einem verrät, dass sie keinen BH anhat. Wie Frau Ernst sieht sie nicht aus, auch wenn sie sich Mühe gibt.
Was willst du?, fragt sie ohne Lippenstift.
Wo ist Marie?
Die will dich nicht sehen.
Aber warum? - Hab ich irgendetwas Falsches gesagt?
Klaras Achseln zucken.
Ist es, weil ich nach dem Sex eingeschlafen bin?

Das tust du doch immer!, höre ich Marie sagen. Ich schiebe Klara beiseite. Sie versucht, mich aufzuhalten. Mehr, weil sie muss, weniger, weil sie will. Ich gehe ins Wohnzimmer. Eine von Klaras komischen Freundinnen sitzt auf der Couch. Auf dem Kopf ein bisschen Haar. Wie Badeschaum, nur schwarz. Im Gesicht Pusteln, die ansteckend aussehen. Eine Art Fell auf ihren Lippen. Dicklich ist sie. Ihr Gesicht aber eingefallen, als wäre das meiste davon nach unten gerutscht oder verloren gegangen. Etwas in ihrem Auge kommt mir vertraut vor. Wo ist Marie?

Das ist Marie, du Arschloch!, sagt Klara, die hinter mir steht und ihrer Freundin dabei zusieht, wie sie sich in der Decke verkriecht und anfängt zu weinen. Und ich stehe auf Klaras Kuschelteppich, der sich wie nasser, weißer Sand anfühlt. Da bin ich. Am Strand. Mit Mirko, der Gitarre spielt.

Du hast gesagt, dass du mich auch lieben würdest, wenn ich ein hässlicher Fleck wäre. Das hast du gesagt.
Das war David.
Was?

Da flüchtet die, die Marie sein soll, ins Bad. Ich setze mich auf den Boden. Hätte mich Klara nicht am Arm gepackt, wäre ich wohl gefallen.
Und das ist wirklich Marie?
Klara nickt.

Ich lehne mich an die Badezimmertür und weiß, dass da mehr zwischen mir und Marie ist als ein Stück Holz. Kommst du da nie wieder raus?

Liebst du mich noch?

Ja. Keine Lüge. Nur eine schwer auszusprechende Wahrheit.

Wirst du mich küssen?

Wenn du dir vorher die Lippen rasierst.

Klaras tötende Blicke im Nacken, Maries holziges Schweigen im Ohr.

Klara?
Ja.
Hast du noch einen Rasierer?
Im zweiten Schub.
Links oder rechts?
Links.

Da ist nichts.
Dann rechts.

Ich stell mir vor, wie sie sich die Hässlichkeit wegrasiert. So etwas darfst du nicht denken, sagen mir Klaras Blicke. Klaras Blicke sollen die Fresse halten! Und Marie soll endlich aus dem Bad kommen! Nicht die hässliche. Meine schöne Marie, der es egal ist, dass sie schön ist.

Ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht. Ich sehe, wie sich die Türklinke senkt. Kannst du die Augen zumachen?, fragt Marie.
Warum?
Mach deine Scheißaugen einfach zu, okay!, sagt Klara und weil ich weder ihren Blicken noch ihrem Mund gehorche, stellt sie sich hinter mich und hält mir die Augen zu. Ich höre, wie Marie aus der Tür schlüpft und auf den Kuschelteppich tritt, wie das leise Rauschen näher kommt. Schüchterne Trippelschritte bis ihre Lippen meine berühren. Ich weiß nicht, ob das ein Kuss ist. Ich weiß nur, dass es Marie ist.

Als Klara die Hände von meinen Augen nimmt, bin ich mir da nicht mehr so sicher. Klara macht mich nervös. Klaras Wohnung macht mich nervös. Ich will allein sein, mit dieser Frau, die Marie ist, aber nicht aussieht wie Marie.

Soll ich euch fahren?
Nein. Wir nehmen die Bahn.

Klara schaut David und Marie hinterher, wie sie nebeneinander, aber nicht miteinander die Treppen hinab steigen. Die gute Freundin in ihr weint bei diesem Anblick. Die böse freut sich, dass sie jetzt schöner als Marie ist. Beide sagen: Tschüs!

Dieses Tschüs! hallt nach in meinen Ohren. Ich will es auch sagen. Zu Marie. Sie wegdrücken. Dann wegrennen, irgendwohin. Zu einer anderen Marie vielleicht. Wir stehen an der Haltestelle. Ein alter Mann kramt in einem Mülleimer. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck zieht er etwas heraus und steckt es in seine Hosentasche. Er kommt näher, mit einem Betteln auf den Lippen, aber als er Marie sieht, wendet er sich ab und verschwindet hinter einem Häuserblock.

Lass uns gehen, sagt Marie.
Warum? Die Bahn kommt in zwei Minuten.
Ich will aber nicht mit der Bahn fahren.
Warum?
Ich schaue in ihr Gesicht und sehe den Wunsch, sich zu verstecken. Unsichtbar zu sein. Für jeden. Auch für David. Und für mich. Und freilich wäre es leichter, Marie eine Tüte über den Kopf zu stülpen, am besten noch unter einen Regenschirm zu stecken, obwohl es gar nicht regnet, und sich durch die Hintergassen der Stadt nach Hause zu schleichen. Weil die Menschen nicht blind sind für Menschen, die anders aussehen. Im Gegenteil. Nur eine kleine Abweichung von der Norm, egal ob die Lippen zu voll sind, nach besseren Küssen ausschauen, oder jemandem ein Gesicht auf dem Gesicht klebt, das aus einem Alptraum gestolpert ist. Wie auf Maries Gesicht ein Gesicht klebt, das aus einem Alptraum gestolpert ist.

Willst du dich jetzt ewig verstecken? Ist das dein Plan?
Und Marie schaut nach unten, bohrt sich in Gedanken in den Asphalt. Begräbt sich selbst, still und beiläufig.
Schau mich an!
Beiläufig und still.
Marie! Schau mich an!
Und einen kurzen Moment gelingt es der schönen Marie schneller zu sein als der hässlichen und ich gucke in ein vertrautes Gesicht, in meine Marie, während die neue, hässliche Maske noch im Asphalt gräbt.
Schön sind nicht die, die schön aussehen, sondern schön sind. Das sagt niemand. Nicht David. Nicht Marie. Nicht ich. Das ist einfach da. Ein Flüstern vielleicht, das im Mülleimer liegt, weil jemand diesen Gedanken verworfen hat oder nicht gewagt hat, ihn auszusprechen.

Lass uns trotzdem gehen.
Okay, sage ich.

David nickt.
Die Wolken hängen wie traurige Gestalten vom Himmel. Marie sieht nur Kippen und Kaugummis. Und egal, in welchen Mündern die Kaugummis einmal waren oder welchen Geschmack oder welche Farbe sie hatten - irgendwann werden sie alle grau.
Ob die wie Bordstein schmecken?
Wer?
Ach. Egal.

Wir gehen nebeneinander, aber nicht miteinander. Sie lässt ihre linke Hand neben sich baumeln, berührt mich hin und wieder, beinah zufällig. Und ihre knochigen Finger schreien nicht Nimm meine Hand! Sie flüstern: Du kannst sie nehmen. Aber ich will nicht. Es wäre eine Lüge. Auch ohne Worte.

Die Jemands, die uns begegnen, lachen oder erschrecken oder lachen und erschrecken still. Nur ein kleines Mädchen verzieht beim Vorbeigehen ihr Gesicht, deutet auf Marie und sagt zu ihrer Mutter: Böser Storch, böser Storch! Und Marie bleibt stehen. Als stünde sie auf einer unsichtbaren Tretmine, die explodiert, sobald sie sich weiterbewegt. Das Mädchen macht eine Grimasse als wolle sie fauchen. Ich lege Marie meine Hand um die Taille, die nicht mehr straff und fest, sondern weich ist und meinem sanften Druck nachgibt. Zugleich möchte ich nach dem Mädchen greifen und ihren Kopf auf den Kaugummiasphalt drücken.
David? Bist du das?, fragt die Mutter des Mädchens und als ich der Stimme ins Gesicht schau, ist es Mirkos Tante.
Ja. Hallo. Den Namen hat sich David nicht gemerkt.
Entschuldigung, Anouschka hat das bestimmt nicht so gemeint!
Anouschka ist ja ein hässlicher Name.
Wie bitte?
Ach, nichts. Was machen Sie hier?
Ich wollte mit Anouschka (sie spricht den Namen dieses Mal leiser aus) Mirko besuchen. Und was machen Sie hier?
Spazieren.
Ist das ihre Freundin? Die schöne (sie spricht dieses Wort sehr leise aus, verschluckt es fast, zusammen mit einem Lachen) Freundin, von der Mirko so geschwärmt hat?
Die kleine Rotzgöre summt die Melodie von dem Stück, das Mirko letztens gespielt hat.
Exakt! Das ist meine schöne Freundin Marie. Und ich ziehe Marie zu mir. Spüre die Explosion. Wie sie innerlich zersplittert. Und die roten Tränen. Und das, Marie, ist jemand, der mich einen Scheißdreck interessiert. Ich verzichte auf die Reaktion meines Gegenübers, nehme Marie an der Hand, drehe mich um und gehe weiter. Als wir um die Ecke biegen, möchte ich Marie am liebsten meine Hand geben und wegrennen. Weit weg. Irgendwohin, wo es keine Wolken und keine Kaugummis gibt. Nur Mirkos Melodie.

Und was machen wir jetzt?, fragt Marie und rührt in dem Tee, den David ihr gekocht hat. Sie umklammert die Tasse mit beiden Händen. Aber das scheint sie nicht zu wärmen, sondern ihr die Wärme aus den Gliedern zu ziehen. Sie sitzt auf dem Bett und zittert und beißt sich auf die Zähne, weil sie nicht mit ihnen klappern will. Ihre blauen Wangen schreien nicht Kuschle mich! Sie flüstern: Du kannst mich kuscheln. Und ich setze mich zu ihr aufs Bett. Auf jene Stelle, auf der sie saß, als sie von den hässlichen Flecken auf der Brust erzählt hat. Und starre an die Wand. Als stünde dort etwas über plötzliche Hässlichkeit, wie man sie loswird oder so. Ihre Finger tasten nach meinen. Ich will sie wegziehen, aber David greift nach ihnen, umklammert sie und vertreibt die Kälte in ihnen und ich freue mich über das Lächeln in Maries traurigem Gesicht.

Ich rutsche etwas näher zu ihr.
Was hältst du davon, wenn wir morgen zu einem Arzt gehen?
Und der verschreibt mir dann eine Salbe und alles wird gut, oder was?
Vielleicht.
Schwachsinn!
Einen Versuch ist es doch wert. Schlimmstenfalls erwartet uns ein Achselzucken.
Oder die sperren mich weg.
Sag so was nicht.
Die Geschichte glaubt uns eh niemand. Die halten mich bestimmt für verrückt. Eine Irre, die nicht akzeptieren will, wie sie aussieht.
Lass es uns probieren. Wenn sie dich wegsperren, gehe ich mit.

Sie küsst mich. Mit roten Wangen. Danach habe ich ein Haar auf der Zunge.

Ist es okay, wenn ich heute auf der Couch schlafe?

Die Kerze am Frühstückstisch kann die Romantik, die vor kurzem noch in dieser Wohnung schwebte, nicht zurückholen. Immerhin riecht sie danach. Marie setzt sich und bläst sie aus. Blickt dem weißen Rauchfaden sehnsüchtig hinterher und sagt: Schade, dass du gestern nicht bei mir geschlafen hast. Ich will etwas sagen, aber da presst sie ihre Lippen auf meine. Guten Morgen!

Marie kaut noch auf ihrem Schokocroissant. Ich gehe ins Schlafzimmer und hole das Telefon, um einen Arzt anzurufen. Dass die Vorhänge noch zu sind und die Fenster geschlossen, fällt David nicht auf. Der greift nach dem Telefon und gibt eine der Nummern ein, die er gestern vor dem Schlafengehen aus einem Branchenbuch heraus geschrieben hat.

Was, kein Termin vor Juni?

Er gibt seine Nummer durch. Für den Fall, dass ein Termin frei wird. Mit einem Rückruf rechnet er allerdings nicht. Dieses Prozedere wiederholt sich mehrere Male. Nur der Monat verändert sich. Der frühste Termin wäre in vier Wochen. Aber auch den will David nicht haben. Ich schlage Marie vor, in die Notaufnahme zu fahren, aber da will sie nicht hin, weil ihre Schwester dort arbeitet. Ich will protestieren, aber da klingelt das Telefon.

Sie werden Mirko nicht länger unterrichten.
Okay. Ich tausche kurz die Sekretärin in einer Arztpraxis gegen Mirkos Mutter in viel zu langem Kleid. Sagen Sie ihm, dass ...
Das können Sie ihm selbst sagen. Ich schicke ihn noch einmal vorbei. Mit dem Geld für die letzte Stunde.
Ist recht.
Dann lege ich auf. Mit dem Gefühl, dass Mirkos Mutter ein bisschen schneller war.

Und?, fragt Marie.
Das war nur die Mutter eines Schülers.
Musst du heute noch weg?
Nein, ich habe allen abgesagt.
Wegen mir?
Auch.

Ich versuche mir einzureden, dass Marie gar nicht so schlimm aussieht. Dass sie gar nicht so hässlich und abstoßend ist. Aber dann sehe ich ein Bild von ihr, wie sie auf einem Pferd sitzt und in die Kamera grinst, und merke, dass ich mir selbst der größte Lügner bin. Ich setze mich neben Marie auf die Couch, umarme sie und gucke mit ihr zusammen eine Serie, in der es um hübsche Mädchen geht, die über Handtaschen, Lippenstifte und Schwänze reden. Ich stehe nur auf, um auf die Toilette zu gehen oder die DVDs zu wechseln. Die Sonnenstrahlen ziehen sich zurück. Am Ende geht es nur noch um Schwänze.

Als es an der Tür klingelt, wird Marie nervös. Sie will ins Schlafzimmer. Ich sage ihr, dass sie sitzen bleiben soll. Sitzen bleiben kann. Ich öffne Mirko die Tür. Er hat mir einen Geldschein und eine Träne mitgebracht. Ich wische ihm die Träne aus dem Gesicht und stecke ihm den Geldschein ins Hemd. Er lächelt und als Marie niest, lehnt er sich zur Seite, um an mir vorbei schauen zu können. Er sagt Hallo, Marie und lehnt sich wieder zurück und schaut mich an.

Ich werde dich vermissen, David.
Ich dich auch, Mirko.

Dann geht er wieder und mit ihm der einzige Schüler, den ich wirklich gern unterrichtet habe. Bevor er in den Aufzug steigen kann, eile ich ihm nach und frage, ob ich ihn etwas fragen dürfe. Natürlich. Alles. Und ich frage ihn, ob das Stück, das er gespielt hat, anders klingen würde. Jetzt, wo er Marie so gesehen hat. Der Aufzug öffnet sich. Mirko geht hinein und sagt, kurz bevor sich der Aufzug schließt: Nein.

Heute schlafe ich wieder auf der Couch. Aber Marie auch. Ich umarme sie. Oder David Marie. Oder ich eine andere Marie. Dann küsse ich ihr in den Nacken und denke, eigentlich egal.

 
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Hallo Markus!

Ich mag diese Geschichte. Vor allem, weil sie hervorragend geschrieben ist.

Wieder einer dieser Tage, an denen ganz Halle stinkt. Sogar Marie riecht heute nicht gut. Weil sie mit der Bahn fährt. Durch diese Stadt. An diesem Tag. Ich will, dass sie sich diese Stadt und diesen Tag abduscht und sie sagt, Das geht nicht. Dann küsst sie mich. Es schmeckt okay.
So: Der erste Absatz hat einen tollen Rythmus, er gefällt mir ganz ausgezeichnet.

Sie schläft mit mir und neben mir und neben mir mit mir ein und mit mir neben mir wacht sie wieder auf.
Für mein Auge ist das schwierig zu lesen, aber ich finde es auch irgendwie toll, dass du dich traust, so zu schreiben. Das ist wirklich selbstbewusst.

Kurz bevor sie die Vorhänge aufziehen, das Fenster öffnen und sich hinaus lehnen wird, schaut sie zu mir, weil sie weiß, dass mich allein die Möglichkeit, dass ein Nachbar sie so sehen könnte, eifersüchtig macht.
Find ich gut. Du meinst es ernst, M. Glass. Du meinst es ernst. Du willst dich auf Teufel komm raus weiterentwickeln. And you know what: Alter, du bist erst zwanzig.

Soll sie ohne mich in der Dusche singen. Ich schau mir die Fotos an und sehe sie, aber getroffen habe ich sie nicht
Ich sehe sie, aber getroffen habe ich sie nicht ... mmh ist schon gut, diese Idee. Aber: Ich glaube, es würde noch besser kommen, wenn du einfach schreiben würdest: Ich schaue mir die Fotos an, aber ich sehe sie nicht. Nein, eigentlich ist es auch toll, wie du das hier gemacht hast. War nur so ein Gedanke, weil ich beim Film Avatar immer so begeistert war von dem Satz: "Ich sehe dich." Der war echt sensationell in dem Zusammenhang damals.


Schmeiß das Handtuch in die Ecke, komm her und ich küss dir die hässlichen Flecken weg!
Und wenn ich sie behalten will?
Küsse ich einen weiten Bogen um sie
sehr schön.

Es gibt sehr viele gute Sätze in dem Text, und ganz besonders mag ich das Skurile, nennt man das kafkaesk? Ich glaube schon. Du machst deine Schritte in Siebenmeilenstiefeln momentan. Jeder Text ist besser als der vorherige. Aber: Keine Angst, das bleibt bestimmt nicht so. Es wird eine Zeit kommen, wo du denkst, dass es nicht weitergeht. Cool bleiben, abwarten. Und vor allem: Weitermachen. Du bist sehr jung und hast Talent und Spaß. Lass dir den nicht nehmen und versuch rugig immer mal was neues aus. Dabei kann man nur lernen.

Ich muss zugeben, dass ich die Geschichte nicht hundertprozentig verstanden habe, besser gesagt, ich glaube, es ist eine jener tollen Geschichten, die man nie ganz verstehen kann, weil es immer unterschiedliche Deutungsmöglichkeiten gibt. Mir fallen Filme ein: Butterfly Effect, shutter Island. So fühlt sich das für mich an. Man möchte es nochmal lesen, um einen winzigen Hinweis zu finden, der alles aufklärt, aber ich befürchte, den wird man nicht finden. Respekt für diese Leistung.

Liebe Grüße

Jan

 

Servus Markus,

nach den zahlreichen klugen, lobenden, tiefsinnigen, kunstfertig interpretierenden, eloquenten Kommentaren bleibt zu deiner Geschichte eigentlich kaum noch etwas zu sagen.
Deshalb will ich auch gar nicht erst versuchen, eine weitere Kritik hinzuzufügen, die ohnehin ausschließlich positiv wäre, und die, weil ja eh schon alles gesagt ist, im blödesten Fall höchstens bemüht originell klingen würde, sondern ich werde mich ein bisschen allgemeiner halten. (Auch auf die Gefahr hin, dass irgendjemand aufzeigt und „Halt die Klappe, offshore, offtopic!“ ruft.)

In den letzten Tagen stöberte ich nämlich ein wenig in deinen älteren Texten herum, ich wollte sozusagen deinem Weg nachspüren, wollte wissen, wie es ein Typ dermaßen grünschnabeligen Alters (du verzeihst) schaffte, eine schriftstellerische (sic) Entwicklung hinzulegen, die mir in ihrer Rasanz und Konsequenz wirklich beeindruckend scheint. Binnen kurzer Zeit (verdammt, du bist ehrlich erst zwanzig?) hast du erzähltechnisch, stilistisch, in Bezug auf Figurenentwicklung und -charakterisierung, also eigentlich in allen schreibhandwerklichen Belangen ein Niveau erreicht, das mich alten Esel buchstäblich die Ohren anlegen, bzw. die Pudelmütze tief über selbige ziehen lässt.
Schön langsam heißt es „warm anziehen“ für uns alte Männer.

Das wollte ich dir jetzt einfach einmal gesagt haben.
Respekt!

offshore

 
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Hallo Marcus,

(Chat-Insider):
Du warst doch hundert pro einer dieser Streber, die nach der Klassenarbeit immer rumgeheult haben, die war ja soooo schwer, das wird meine ganze Note versauen(!!!), und dann hattest eine glatte 1 und die halbe Klasse hat dich dafür gehasst. Oder? Gibts zu. :)

Also ich find die Geschichte fast schon genial. Für mich ist das auf jeden Fall das Beste, was du bisher geschrieben hast. Ich find das so schön, dieses Motiv war auch in "Mehr von dir" drin, diese Idee: ich liebe dich, weil du du bist, und nicht weil du schön bist, oder weil Sex mit dir Spaß macht. Ich will nicht nur Sex, ich will "Mehr von dir" und so. Und wo in deiner letzten Geschichte alles so fröhlich-bunt und süß und ohne Konflikt zugeht, verwandelt sich hier die Frau in ungeheures Ungeziefer. Und dann ziehst du das konsequent durch, und sprachlich ist es auch ein bisschen besser – also ich finds halt so super, wie du das Motiv umdrehst, man kann richtig sehen, wie diese oberverliebte Traumprinzenfigur, die wir von deiner letzten Story kennen, wie seine Welt hier auf den Kopf gestellt wird, und wie er dann im Laufe der Geschichte mit seinem Weltbild kämpfen muss, wie das an ihm nagt und auch an Marie. Das finde ich schon sehr stark gemacht. Und wie hart das dann auch für den Erzähler ist, so hart, dass er auf die dritte Person ausweichen muss, weil er das sonst gar nicht erträgt, so versteh ich das.

Also echt … ich hab, als ich endlich gechckt hab, was da passiert, ich fand das voll spannend, zu gucken, ob der Erzähler jetzt daran zerbricht oder nicht. Am Ende tuts er nicht, er hält an seinem Weltbild fest, das kann man so oder so sehen, vielleicht ist es auch zwingend so … weiß nicht … aber auf jeden Fall: Echt gut. Ich mag sowas. Die eigene Idee so auf die Probe zu stellen, die eigene Figur so krass herauszufordern, ich find das genial und mutig und wirklich sehr sehr gut, es müsste mehr Geschcihten von der Art geben, und das von der Entwicklung her, von einer Geschichte zur nächsten beobachten zu können, das ist schon sehr cool. Kompliment.

MfG,

JuJu

 
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Hey Markus,

ich sage gleich vorab, ich hab die Kommentare nur angelesen, ob gut oder schlecht und dann aufgehört, weil so viel gut. Da wollte ich mir nicht reinreden lassen und ich habe auch keine Antwort von Dir gelesen. Von daher, wenn jetzt was gesagt wird, was schon gesagt wurde, ja, dann lebe damit ;).

Tja, was ist, wenn aus dem Frosch nicht ein Prinz wird, sondern aus dem Prinzen ein Frosch? Gute Frage. Und hält die Liebe dann alle Schwüre, die man so macht, solange der Mensch der Mensch ist, in den man sich einst verliebte? Was ist, wenn jemand durch einen Brand entstellt, durch einen Unfall ein Bein weg etc., ist es dann immer noch der gleiche Mensch? Klar sagt die Vernunft. Aber ist es das selbe Leben? Wenn man zum "Außenseiter" wird, weil man nicht mehr der Norm entspricht, wieviel Fingerzeigen kann die "Liebe" ertragen. Eine wirklich schwierige Frage.

Das Spiel mit dem Ich-Erzähler und David, dass finde ich toll. Der Ich-Erzähler der ist wie alle so sind. Die Masse, das Klischee, unsere Kultur, unsere Wertmaßstäbe, was weiß ich. Und David, der anders ist. Kein Fernseher, kein Fussball, kein Bier. Das Individuelle in ihm. Für die beiden ein :thumbsup:.

Ja, starke Geschichte. Und da stecken so viele schöne Momente drin. Sprachlich, Beobachtungen, so viel menschliches. Also, ich mag die Geschichte sehr gern.

Wieder einer dieser Tage, an denen ganz Halle stinkt.

Schon da musste ich so lachen, weil ich gerade aus Halle komme.

Ich will, dass sie sich diese Stadt und diesen Tag abduscht und sie sagt, Das geht nicht. Dann küsst sie mich. Es schmeckt okay.

Sehr schön. Starker Einstieg übrigens. Also, der ganze erste Absatz.

Und ich mag die Vorstellung, dass sie stinkt, weil sie schmutzig denkt.

:)

Wenn ich jetzt so weitermache, zitiere ich am Ende die ganze Geschichte. Oh je.

Für einen Ich-Erzähler kenne ich mich eigentlich zu wenig, aber wenn ich schreibe, sie küsst David, klingt das so, als küsse sie einen anderen. Und das tut sie nicht. Sie küsst mich. Sie schläft mit mir und neben mir und neben mir mit mir ein und mit mir neben mir wacht sie wieder auf. Auch wenn es Davids Bett ist, in dem wir liegen.

Ach ...
Nee. Ich höre jetzt auf. Ich zitiere sonst wirklich den ganzen Text.

Na gut. Schönes Ende. Und auch so ein bisschen gut und hoffnungsfroh. Davis gewinnt, ich bin mir ganz sicher.

Beste Grüße Fliege

PS: Und was Deine Entwicklung betrifft, das Ding im Maskenball und ich hätte keine Chance gehabt ;).

 

Ich bin überwältigt!
Und eines möchte ich euch allen sagen: meine Entwicklung verdanke ich zu einem sehr großen Teil diesem Forum, euch, die ihr so fleißig kommentiert, gnadenlos, aber liebherzig Kritiken gegen meine Feder werft, so dass sie in die richtige Richtung schwenkt. Und es sind ja nicht nur die Kommentare unter meinen Geschichten. Ich habe viel Sekundärliteratur über das Schreiben gelesen, aber das waren Anleitungen. Hier auf Kurzgeschichten.de ist das anders. Ihr seid die besten Lehrer, weil ihr keine Lehrer sein wollt, weil ihr mit mehreren Köpfen lest und mit mehreren Mündern kommentiert.

DANKE! für eure Zeit,
Eure Worte,
Und überhaupt.

***

Du meinst es ernst, M. Glass. Du meinst es ernst. Du willst dich auf Teufel komm raus weiterentwickeln. And you know what: Alter, du bist erst zwanzig.

Lieber Jan,

dein Kommentar ist was gegen schlechte Stimmung, gegen traurige Smileys. Ich fühle mich wirklich geschmeichelt von deinen Zeilen.

Ich sehe sie, aber getroffen habe ich sie nicht ... mmh ist schon gut, diese Idee. Aber: Ich glaube, es würde noch besser kommen, wenn du einfach schreiben würdest: Ich schaue mir die Fotos an, aber ich sehe sie nicht. Nein, eigentlich ist es auch toll, wie du das hier gemacht hast. War nur so ein Gedanke, weil ich beim Film Avatar immer so begeistert war von dem Satz: "Ich sehe dich." Der war echt sensationell in dem Zusammenhang damals.
Ich finde gut, dass du mir diesen Gedanken geschrieben hast. Im Englischen heißt "I see" auch "Ich verstehe dich", in Avatar ist es glaube ich noch mehr, als würden sich zwei Seelen Hallo! sagen. Und tatsächlich würde dann "ich sehe sie nicht" "ich verstehe sie nicht, ich fühle sie nicht" heißen. Dabei fehlt ihre Seele nur auf dem Foto. Aber schön, dass du dabei an Avatar denken musstest. Hoffentlich war Marie in deiner Vorstellung nach der Verwandlung nicht eine Na'vi. =)

Es gibt sehr viele gute Sätze in dem Text, und ganz besonders mag ich das Skurile, nennt man das kafkaesk? Ich glaube schon.
Das freut mich unglaublich, weil das genau das ist, was ich aufs Papier bringen will: Schöne Sprache und surreale Momente.

Du machst deine Schritte in Siebenmeilenstiefeln momentan. Jeder Text ist besser als der vorherige. Aber: Keine Angst, das bleibt bestimmt nicht so.
"Keine Angst" ist gut gesagt. Das ist meine größte Angst. Das ich aus den Siebenmeilenstiefeln herauswachse. Aber deine ermutigenden Worte tun richtig gut, danke! Und wenn du sagst, ich hab Talent und man merkt, dass ich Spaß beim Schreiben habe - ich weiß gar nicht, ich klebe jetzt seit Tagen in Kurzgeschichten.de und kann gar nicht fassen, was über meine Geschichte und über mich geschrieben wird.

Lass dir den nicht nehmen und versuch ruhig immer mal was neues aus. Dabei kann man nur lernen.
Ich probiere tatsächlich viel aus, das Problem ist meistens, dass ich es nicht vollende, weil ich die Geschichte dann nicht so hinbekomme, wie sie in meinem Kopf, in meinem Herzen war.

Mir fallen Filme ein: Butterfly Effect, ...
Das ist wahrhaft ein genialer Film. Dass dich meine Geschichte daran denken lässt - ein großes Kompliment - wie dein ganzer Kommentar.
Lieber Jan, du schreibst, du hast die Geschichte nicht zu 100% verstanden. Da kannst du beruhigt sein. Man sagt ja, offenes Ende und so. Warum also nicht offene Anfänge, offene Enden und offene Handlungen? Die Wirkung, die dieses Phänomen bei dir erzeugt, dass du suchst, aber nicht findest, dass du nie weißt, ob du etwas übersehen hast, das ist einfach nur toll. Da finde ich es manchmal schade, dass man seine Texte nicht unbefangen lesen kann. Erst nach Jahren, wenn sie verstaubt sind und die Erinnerungen daran.

Nach deinem Kommentar sitze ich da mit einem Grinsen.

Herzlichen Dank noch einmal!

Liebe Grüße
mesu ... markus.

***

Und es geht weiter, krass!

nach den zahlreichen klugen, lobenden, tiefsinnigen, kunstfertig interpretierenden, eloquenten Kommentaren bleibt zu deiner Geschichte eigentlich kaum noch etwas zu sagen.*

Lieber offshore,

stimmt schon. Ich kann selbst nicht glauben, wie viele auf meine Geschichte reagieren, und vor allem: wie. Auch deine Kritik, die hier zwar nicht steht, aber "ohnehin ausschließlich positiv" wäre, hat mich sehr gefreut. Und die Klappe müssen nur Klaras Blicke halten, wie kommst du auf die Idee, dass dein Kommentar offtopic wäre? Solange du nicht über meine Pickel lästerst, ist alles im grünen Bereich. ;)

In den letzten Tagen stöberte ich nämlich ein wenig in deinen älteren Texten herum ...
Ohje, da hast du dich durch einiges durchquälen müssen. Ich lese mir auch ab und zu die alten Texte von mir durch und denke mir, was habe ich da bloß geschrieben und mir fallen tausend Dinge ein, die ich anders machen würde und dann stoße ich auf alte Kritiken, die ich jetzt - durch andere Augen - auch ganz anders lese und immer noch in neue Geschichten beachte. Es ist diese Mischung aus Kritik und Lob, die einen weiterbringt und die viele Zeit, die User hier in mich investiert haben, mit Scharfsinn und Herz auf meine Geschichten losgegangen sind. Was man nicht sieht, sind die vielen Geschichten (auch einen Roman), die ich anfange, aber nicht zu Ende schreibe. Durch Fallen lernt man Fliegen. Und gerade im Augenblick denke ich, dass diese Geschichte einfach Glück war.

(verdammt, du bist ehrlich erst zwanzig?)
Den Mädels im Club erzähle ich meistens etwas anderes, aber ja: Ich bin zwanzig.

Binnen kurzer Zeit (...) hast du erzähltechnisch, stilistisch, in Bezug auf Figurenentwicklung und -charakterisierung, also eigentlich in allen schreibhandwerklichen Belangen ein Niveau erreicht, das mich alten Esel buchstäblich die Ohren anlegen, bzw. die Pudelmütze tief über selbige ziehen lässt.
Das ist echt ein berührendes Kompliment. Vielen Dank!

Das wollte ich dir jetzt einfach einmal gesagt haben.
Und ich finde es schön, dass du das Risiko, als "Offtopic"-Stifter beschimpft zu werden, aufgenommen hast, um mich mit deinen Zeilen glücklich zu machen.

Liebe Grüße
markus.

***

Du warst doch hundert pro einer dieser Streber, die nach der Klassenarbeit immer rumgeheult haben, die war ja soooo schwer, das wird meine ganze Note versauen(!!!), und dann hattest eine glatte 1 und die halbe Klasse hat dich dafür gehasst. Oder? Gibts zu.

Hey JuJu,

stimmt - nicht deine Vermutung! Du warst mit im Chat als ich von dieser Geschichte sprach. Vielleicht habe ich deine Erwartungshaltung damit manipuliert und du findest den Text besser als er ist. Die Art Streber, die du beschrieben hast, kann ich eigentlich nicht ausstehen. Und was ich über die Geschichte gesagt habe, war nicht gelogen. Ich kann es immer noch nicht fassen, was hier passiert.

Also ich find die Geschichte fast schon genial. Für mich ist das auf jeden Fall das Beste, was du bisher geschrieben hast.
Kann eine Kritik besser anfangen? Dass du auch mit dem Wissen meiner letzten Geschichte "Mehr von dir" "Ich find das so schön, dieses Motiv war auch in "Mehr von dir" drin, diese Idee: ich liebe dich, weil du*du*bist, und nicht weil du schön bist, oder weil Sex mit dir Spaß macht." reinliest, freut mich. Auch wie du benennst, was sich verändert hat. Der Regenbogen hat Grautöne bekommen. Der Scheinkonflikt aus der alten Geschichte wird zu einem wahrhaft Identitäts herausfordernden Prozess. Dass dir das gefällt, du wirklich begeistert klingst und du findest, dass sich die Sprache verbessert hat, freut mich sehr.

Und wie hart das dann auch für den Erzähler ist, so hart, dass er auf die dritte Person ausweichen muss, weil er das sonst gar nicht erträgt, so versteh ich das.
Es ist echt wunderbar, welche Wirkung dieser David hat, den ich diesem Ich-Erzähler zwischen die Gedanken geschrieben habe. Deine Interpretation ist berechtigt. Ein Ausweichen, in eine neue Perspektive, weg, irgendwohin, Hauptsache nicht Ich.

Auch deine Abschiedsüberlegungen haben mich gefreut. (Verwende ich das Wort zu oft? Es ist so. Ich freue mich riesig!!!)

Herzlichen Dank und du darfst mich ruhig ein bisschen hassen, wegen der Chat-Sache. Immerhin hatte ich anfangs Fünfer im Phantasieaufsatz. ;)

Beste Grüße
markus.

***

Liebe Fliege,

was sehe ich denn da? Ein K-Büchlein neben meiner Geschichte. Tausend Dank für deine Empfehlung! Und deinen Kommentar. Du hast nichts wiederholt. Die Kernproblematik der Geschichte hast du passend formuliert, am schönsten fand ich das Bild "wie viel Fingerzeigen kann die "Liebe" ertragen. Die Frage hat mich schon oft beschäftigt und ich denke, sie beschäftigt jeden, wenn nicht bewusst, zumindest unterbewusst. Sehen die Leute mich, oder nur Markus? Da kommen wir auch gleich wieder zu dem Perspektivspiel, das niemand so gelesen hat wie du bisher. Es liest übrigens jeder sehr viel unterschiedliches in dieser Geschichte. Das finde ich echt toll.

Das Spiel mit dem Ich-Erzähler und David, dass finde ich toll. Der Ich-Erzähler der ist wie alle so sind. Die Masse, das Klischee, unsere Kultur, unsere Wertmaßstäbe, was weiß ich. Und David, der anders ist. Kein Fernseher, kein Fussball, kein Bier. Das Individuelle in ihm.
Das ist eine sehr interessante Sichtweise, die du da entdeckt hast. Ich frage mich gerade, ob du das wirklich beim ersten Lesen erkannt hast, weil das so oberflächlich nicht liegt. Sehr schöne Interpretation!

Wenn ich jetzt so weitermache, zitiere ich am Ende die ganze Geschichte. Oh je. Ach ...*
Nee. Ich höre jetzt auf. Ich zitiere sonst wirklich den ganzen Text.
Das habe ich echt mit einem Lächeln gelesen. Danke! Auch für die vielen Sätze, die du hervorgehoben hast.

Schönes Ende. Und auch so ein bisschen gut und hoffnungsfroh. David gewinnt, ich bin mir ganz sicher.
Es freut mich, dass dir dieses offene Ende gefallen hat. Aber für dich scheint es gar nicht so offen zu sein: David gewinnt. Auch wenn das sehr vieles heißen kann. Was will denn David überhaupt?

Und was Deine Entwicklung betrifft, das Ding im Maskenball und ich hätte keine Chance gehabt.
=)

Herzlichen Dank auch dir für deinen Kommentar!

***

Ich kann das echt nicht glauben.
Das Drehbuch ist echt ziemlich gut gerade.

DANKE!

 

Moin Markus,
ich habe die Kritiken nur überflogen und soweit ich sah, waren sie äußerst positiv. Im Prinzip kann ich mich da anschließen, aber einige kritische Anmerkungen möchte ich trotzdem loswerden.

Mir fehlte einwenig der Tiefgang. Nicht, weil die Geschichte ein seichtes Thema behandeln würde, mehr in den Personen, bzw. im Erzähler. Letztendlich soll er ja eine Entwicklung durchmachen, die ihm eine Chance bietet, weiter mit Marie zu leben, aber diese Entwicklung ist mir zu oberflächlich, mir fehlt das Innenleben des Protagonisten. Sicher, dein Wechsel zwischen David und ich ist ein geschickter Schachzug und hat mir gefallen, aber mal im Ernst, wenn jemand eine wunderschöne Freundin hat, die sich in ein paar Tagen (war mir nicht klar, wie lange der Prozess dauerte) in ein optisches Monster verwandelt, dann sage ich nicht nur zu ihr, sie soll doch ihre Lippen rasieren, damit ich sie küsse kann. Da verschwimmt für mich zu sehr das Surreale mit der wirklichen Welt und wirkt auf mich lächerlich. Warum muss Marie sich zu so einem Monster (vor dem ja sogar wildfremde Menschen davonlaufen) entwickeln und kann nicht „nur“ hässlich werden, oder dick, oder beide, oder was weiß ich. Wäre dann nicht die Auseinandersetzung des Ich-Erzählers mit seinen eigenen Gefühlen und die Reaktion der anderen (die Marie noch als schön kannten) leichter gefallen? So schwebst du von einem schrecklichen Ereignis zum nächsten und lässt dem Protagonisten kaum Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.

Jemanden innere Schönheit zu entdecken, zu lieben und alles Äußerliche nebensächlich zu finden, bedarf ja schon einer innigen Beziehung, einer Reife der Person, die nicht so einfach dahergeflogen kommt, weil man plötzlich die Erkenntnis hat.

Deinem Erzähler scheint mir der Mut zu fehlen, wegzulaufen, und er scheint sich moralisch verpflichtet zu fühlen, zu Marie zu halten. Aber dass die Liebe der beiden ausmacht erkenne ich nicht, da ist nur der Spruch von ihr (Marie), das sie nichts dafür kann, wie sie aussieht und der den Erzähler so beeindruckt hat. Der Rest ist Verliebtheit, die sicherlich viel mit dem Aussehen der Frau zu tun hat, so kommt es zumindest für mich rüber. Der Erzähler ist schon stolz auf seine schöne Freundin, registriert, wie andere sie sehen und von ihr schwärmen.

Gut, Mirko hat scheinbar als einziger die wahren „Qualitäten“ von Marie erkannt und ihr ein Lied geschrieben. Kann ich akzeptieren, aber was ihn so fasziniert an Marie, wird mir als Leser nicht klar. Das ist mir zu märchenhaft.

Du hast viele schöne und treffende Szenen in deiner Geschichte, aber wie gesagt, das haben vermutlich die anderen schon „abgearbeitet“.
Gerne gelesen!

Herzlichst Heiner

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber heiner,

da wirfst du mir einen harten Brocken hin, wenn du sagst, dir fehlt das Innenleben meines Protagonisten. Das Spiel der Erzählperspektive lässt dich unbefriedigt und was du vermisst, ist eine nachvollziehbare und spürbare Entwicklung des Erzählers. Berechtigerweise schreibst du, dass niemand, dessen Freundin sich derart verändert, nur sagen würde: Rasier dir deine Lippen! Ich hätte die Geschichte noch weiter schreiben können, wie das jetzt abläuft zwischen den beiden, wie sie ihren Alltag regeln, wann er aufhören wird, ihren Zustand ändern zu wollen, wenn da nur noch bloße Toleranz und vor allem Akzeptanz ist. Meine Geschichte endet mit den Worten "eigentlich egal" und das ist vielleicht erst der Anfang der Entwicklung, weil er noch nicht weiß, wohin er sich entwickeln soll - wenn meine Freundin ein paar Tage ausbleibt und ich sie als Monster wiederfinde, entscheide ich mich nicht zuerst, ich bin vor allem Durcheinander und Hab absolut keine Ahnung, was ich machen soll: dieses Gefühl wollte ich einfangen.

So schwebst du von einem schrecklichen Ereignis zum nächsten und lässt dem Protagonisten kaum Zeit, sich damit auseinanderzusetzen.
Auch in der Wirklichkeit wird man keine Zeit haben, sich damit auseinanderzusetzen. Das kommt erst später, denke ich.

Warum muss Marie sich zu so einem Monster (vor dem ja sogar wildfremde Menschen davonlaufen) entwickeln und kann nicht „nur“ hässlich werden, oder dick, oder beide, oder was weiß ich. Wäre dann nicht die Auseinandersetzung des Ich-Erzählers mit seinen eigenen Gefühlen und die Reaktion der anderen (die Marie noch als schön kannten) leichter gefallen?
Jeder sieht wohl in Marie etwas anderes. Jeder sieht sie anders. Und gewiss wäre ihm die Auseinandersetzung leichter gefallen, aber ich wollte ihn richtig herausfordern. Über einen Pickel oder eine Bauchschwarte kann man viel leichter hinwegsehen, aber wenn sich ein Mensch äußerlich "verwandelt" - wie schaut es dann aus?

Deinem Erzähler scheint mir der Mut zu fehlen, wegzulaufen, und er scheint sich moralisch verpflichtet zu fühlen, zu Marie zu halten. Aber dass die Liebe der beiden ausmacht erkenne ich nicht, da ist nur der Spruch von ihr (Marie), das sie nichts dafür kann, wie sie aussieht und der den Erzähler so beeindruckt hat.
Weglaufen ist zunächst menschlich, oder nicht? Dies nicht zu tun, kann er freilich aus moralischer Verpflichtung tun, aber da müsste er Sachen denken, wie "ich kann sie jetzt doch nicht alleine lassen", "das arme Ding", Mitleid oder die Angst, Stress mit ihren Eltern zu kriegen oder so. Aber das ist im alles scheißegal. Er ist immer noch stolz irgendwie, sie zu haben, er will mit ihr Bahn fahren, er stellt sie Mirkos Tante vor, usw... Schon zu Beginn, als er die Fotos von ihr macht, erkennt er, dass es mehr von ihr zu sehen gibt als ihr Äußeres. Als er sie küsst in Klaras Wohnung spürt er, dass sie es ist, obwohl es vielleicht nicht mehr ihre Lippen sind. Sicher mag er ihr Äußeres am Ende nicht mehr, aber an vielen Stellen ist da ein Drang zur Nähe und den hat man nicht, wenn man aus moralischen Aspekten bei jemanden bleibt.

Jemanden innere Schönheit zu entdecken, zu lieben und alles Äußerliche nebensächlich zu finden, bedarf ja schon einer innigen Beziehung, einer Reife der Person, die nicht so einfach dahergeflogen kommt
Ich glaube, was du vermisst, sind mehr Eigenheiten von Marie. Aber da ist wirklich die Frage, ob man einen Menschen liebt, weil er bestimmte Dinge tut, weil er gewisse Sachen mag, oder ob man einen Menschen mag, egal was er tut und welche Sachen er mag und vor allem egal, wie er aussieht. Und da hast du recht, die innige Beziehung wird nicht deutlich, aber wer weiß, vielleicht kennen sie sich erst seit ein paar Monaten und dann ist doch seine Reaktion mehr als gerechtfertig. Vielleicht hat er sich tatsächlich nur auf ihre äußere Schönheit konzentriert und merkt erst jetzt, als diese fort ist, dass er ihre innere Schönheit auch mag. Und wenn er nach ihrem Ausspruch "Danke, aber was kann ich dafür, wie ich aussehe oder nicht.", dass er sich deswegen in sie verliebt hat, weiß er, glaube ich, gar nicht, was er damit meint. Auch als er am Ende Mirko fragt - das zeugt von Unsicherheit.

Du hast viele schöne und treffende Szenen in deiner Geschichte, aber wie gesagt, das haben vermutlich die anderen schon „abgearbeitet“.
Gerne gelesen!
Das freut mich sehr zu hören!

Also: Du vermisst die Entwicklung des Erzählers und die Herausarbeitung der innigen Beziehung, auch worin die innere Schönheit von Marie besteht. Und beides wird in meiner Geschichte zu großen Teilen im Ungewissen gelassen, das liegt aber auch daran, dass meine Geschichte vor den Dingen passiert, die du vermisst. Es wäre eine andere Geschichte, wenn David die innere Schönheit von Marie von Anfang an erkannt hätte und benennen könnte. Und für eine Entwicklung bräuchte es eine Entscheidung und die kommt - wenn man so will - erst mit dem "eigentlich egal" und da endet meine Erzählung.

Und: Du hast schon recht, wenn du sagst, ich hab wenig von Maries innerer Schönheit geschrieben. Warum er sie liebt. Trotzdem liebt.

Vielen Dank jedenfalls für deine kritischen Anmerkungen. Die haben mich die ganze Geschichte noch einmal überdenken lassen.

Beste Grüße
markus.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Markus,

also mich hat es auch beeindruckt. Wenn man so von Entwicklung labert, kommt das ja immer so etwas gönnerhaft, von oben herab daher, aber Dein Stil, die Figurenzeichnung, die Textdichte, das hat sich alles schon gehörig gesteigert. Nicht nur das: Der Text ist nicht nur gemessen an Deinen früheren sehr gut, er ist auch einfach so, im Spektrum des Forums allgemein betrachtet sehr gut geschrieben.

Die Kommentare habe ich nur überflogen, gerade da wo Kommentar Kommentar kommentierte bin ich ausgestiegen, deshalb weiß ich nur, dass viel gelobt wurde und zurecht. Ob auch kritisiert wurde, was ich bei allem Lob zu kritisieren habe, weiß ich nicht. Ich mach einfach mal:

Thema find ich super. Ich hab letztens noch mal Dorian Gray gelesen, nee, ich geb's zu, ich hab nen Film gesehen. Der war aber gut. Und da dachte ich, wie zeitlos und immer wieder unverbraucht das Thema Schönheit (innen und aussen) doch ist. Wie zentral dem Menschsein und sowas. Das kann man so einfach verwursten wie im hässlichen Entlein oder einer Sitzung Tigerentenclub (oder was auch immer das zeitgenössische Äquivalent ist) und trotzdem verliert es sein Faszinationspotential nicht.
Du stellst in diesem Text ja eigentlich eine simple Frage, aber die ist eben zentral und Du tust es ernsthaft und, was mir wichtig ist, Du kommst durch Dein Feingefühl für die Figuren über rein abstraktes Gedankenspiel hinaus.


Ich will nur dein Auge photographieren. Nichts sonst. Auch nicht das ganze Auge. Nur den Punkt, in dem ich dich sehe, wenn ich dich anschaue. Nur den.
Hm ja, das hat mich etwas irritiert, weil da für mich was fehlte, obwohl ich denke, dass Du das wahrscheinlich nicht als Leerstelle gesetzt hast. Ich kann halt auch nicht aus meiner Haut, denn wenn ich sowas lese, lese ich da halt ein literarisches Motiv seit der Antike hinein: Dass man aus nächster Nähe im Auge des Geliebten nicht diesen, sondern das eigene Spiegelbild erkennt - eben auch im übertragenen Sinne. Und zu Deinem Text passt es ja auch, da hängt ja die Selbsterkenntnis des Erzählers auch an der Erkenntnis seiner Geliebten, nur dass das eben mit dem Blick in die Augen nicht getan ist. Wie gesagt, meine persönliche Assoziation, aber ich dachte, ich schreib's trotzdem mal auf.
Aber Dein Motiv, diese Unmöglichkeit das was die Geliebte ausmacht zu fassen und aufs Foto zu bannen, ist natürlich auch schön.

Es ist schwer, ihr nicht zu sagen, wie schön sie ist. Aber ich weiß, dass sie solche Komplimente nicht mag. Als wir uns das erste Mal gesehen haben, auf einer Geburtstagsfeier von einem Freund und sie noch seine Freundin war, habe ich ihr, als er mit seiner Wodkaflasche da saß, aber schon in einer anderen Welt, gesagt, wie schön sie sei. Und sie meinte nur: Danke, aber was kann ich dafür, wie ich aussehe oder nicht? Wenn jemand wissen will, warum ich mich in Marie verliebt habe, denke ich an diesen Satz.
Ja, das ist son bisschen... so die Arroganz der Schönen, die sich leisten können sich nicht um ihre Schönheit zu scheren, gerade weil sie sie haben. Das kommt oft so etwas kokett daher, deshalb goenne ich es Marie ein Fitzelchen, dass sie sich letztlich doch der Selbsterkenntnis stellen muss, dass ihr die eigene Schoenheit keineswegs wurscht ist. Man hat vielleicht als Normalmensch nur begrenzt Mitleid mit dem Problem, dass man vielleicht nur um der umwerfenden Schönheit Willen geliebt werden könnte, oder um der umwerfenden Schönheit Willen liebt. Aber so im Kleineren, nicht so Absoluten kann man es natürlich auch für sich relevant machen, weil Schönheit, die eigene und die anderer für jeden wichtig ist, auch wenn die viell. nicht so ausgeprägt ist. Das ist ja auch irgendwie die Pflicht der Literatur solche Problemkomplexe an etwas überzeichneten Beispielen herauszustellen.
Dass die feine Marie sowas prosaisch-anwendungsbezogenes wie Jura studieren soll, hat mich übrigens enttäuscht. Und der pinke Stift, nun ja, an dieser Stelle bin zumindest ich nicht mehr in sie verliebt. Aber das ist ja typabhängig.

Was mir natürlich sehr gefällt, ist das Phantastische der Verwandlung. Ich hätte die Geschichte ja in Seltsam eingestellt. Das ist eh meine Lieblingskategorie. Noch cooler hätte ich es gefunden, wenn die Verwandlung ein Prozess gewesen wäre, der immer noch weiter geht. Hab mal so ein komisches französisches Buch gelesen über eine Frau, die sich in eine Sau verwandelt und das hing auch mit Sex und Männern zusammen. Ganz schön krass, aber ich mochte diese ständigen körperlichen Veränderungen, die Betrachtungen des viehischen Körpers. Da könntest Du m.E. noch ne Schippe drauflegen, noch surrealer werden.

Die gute Freundin in ihr weint bei diesem Anblick. Die böse freut sich, dass sie jetzt schöner als Marie ist.
Ja, so ist das wohl.

Die Menschen werfen mit Blicken wie mit Steinen.
Das ist so mein einziger Stilkritikpunkt. Normalerweise triffst Du die Balance zwischen Gefühl und Kitsch gut. Aber hier wirds mir ein bisschen schwül.

Für einen Ich-Erzähler kenne ich mich eigentlich zu wenig, aber wenn ich schreibe, sie küsst David, klingt das so, als küsse sie einen anderen. Und das tut sie nicht. Sie küsst mich. Sie schläft mit mir und neben mir und neben mir mit mir ein und mit mir neben mir wacht sie wieder auf. Auch wenn es Davids Bett ist, in dem wir liegen.
Damit war ich so ein bisschen zwiegespalten. Ist natürlich hübsch und meta und so. Und es ja auch keine leere Pose sondern passt auch zum Text, zum Erzähler, der sich da tatsächlich erst selbst kennenlernen muss. Aber es ist halt schon auch sehr artifiziell und lenkt etwas vom Thema und vom Gefühl ab.

So und jetzt meine Hauptkritik:

Dann küsse ich ihr in den Nacken und denke, eigentlich egal.
Das ist mir zu umstandslos. Ich meine nicht, dass er nicht bei dieser Erkenntnis angelangen soll, dass es finster ausgehen sollte. Aber das geht mir alles zu glatt. Ein bisschen Ekel, ein bisschen Zweifel, dann okay. Das ist mir zu wenig Kampf. Das Problem, und es ist nunmal ein echt großes und fettes und existenzielles Problem, wird nicht gelöst, das geht wahrscheinlich auch gar nicht, sondern mit dem Lied des Jungen so romantisch-magisch überspielt. Und das ist mir nach dem sehr guten Einstieg mit seinen harten Fragen und krassen Bildern dann doch zu seicht. Du führst Deine Figuren an einen finsteren Abgrund, wo sie sich erst ein bisschen fürchten dürfen und dann lässt Du sie auf dem Rücken eines Einhorns auf einer Regenbogenbrücke darüber hinwegtraben. So einfach ist das aber nicht, wenn man das Problem mal ernst nimmt. Und eigentlich müsste die Geschichte da wo sie aufhört erst beginnen, als langer, schwerer Kampf, der wahrscheinlich ohne Sieger und eindeutiges Ergebnis enden müsste. Das waere wohl die ultimative Schreibaufgabe, aber hey, Du willst Dich ja sicherlich nicht auf Deinen Lorbeeren ausruhen ;)

So, hat mir aber trotzdem sehr gut gefallen.

lg,
fiz

 

„…: Die deutsche Angst ist eine Angst vor Veränderung. Hier ist so lange nichts passiert, dass die Menschen die statische Gesellschaft für das Maß aller Dinge halten.“ Hamed Abdel-Samad (und Henryk M. Broder) in: „Angst ist das deutsche Lebenselixier“ in der Zeit Nr. 11 vom 10.03.2011, S. 66

Wollen wir zahlen? / Gerne. / Wer zahlt? / Na du! / Ich? / … / Ist das so?[aus: Mehr von dir von M. Glass, September 2012]

daher,

lieber Markus,

hab ich Lauser das an sich volkstümelnde Experiment im Zwozeiler und auch seine Umkehrung mitsamt des Rollentauschs

„er liebt mich,
er liebt mich nicht
…“​

die eigentlich bei der Erkenntnis der zwoten Zeile heißen müsste

§er war verliebt,
er liebt mich nicht mehr!&​

diese Angst schwingt immer in Beziehungskisten mit, wobei im Falle der Verehelichung –
wir kriegen alle Wörter zu Horrorfällen hin!, bräucht’s keines besonderen Genres –
halt des Gezeitenwechsels bedürfte. Aber im Rahmen der tatkräftigen Frau von den Leiden, nunmehriger Schröder auch mal heißen kann

„sie war verliebt,
…§§​

Aber Deine Indian Summer Geschichte lebt hier weiter (ein Zyklus?), zeigt, dass Schwierigkeiten auch überwunden werden können; ich sag nicht „Probleme“, weil es ihn in einer stinkenden Halle, pardon, Gesellschaft ja auch erwischen kann – Da halt ich dann nix von Siggi Freud – so sehr ich ihn auch als Mythenbrecher und –erfinder verehre, wie bedeutsam seine Erkenntnisse auch sein mögen, und gehe lieber mit Jean Paul und Karl Kraus durch die ersten Erfahrungen der Kindheit und Jugend. Aber das es bei Marie und David (der biblische war nicht nur ein Kriegs-, sondern auch ein Weiberheld und Schreibtischtäter, alttestamentarisch mit den Namen Uri(j)a und Bathseba verbunden –
einen ähnlichen Namen eines Heerführers des großen Theoderich, dem Dietrich von Bern der Sage, hat Wolfram Herwig in seiner Gotengeschichte als potentielle Vorlage für die an sich fränkisch-burgundische Siegfridsage ausgemacht –)
wenn schon nicht bis zum Tode, aber immerhin allen Widrigkeiten zum Trotz gelingen wird, zeigt eine Szene zu Anfang:

Ich schau ihr in die Augen und frage, ob ich ein Foto von ihr machen darf.
Soll ich die Beine spreizen?
Nein. Ich will nur dein Auge photographieren. Nichts sonst. Auch nicht das ganze Auge. Nur den Punkt, in dem ich dich sehe, wenn ich dich anschaue. Nur den. Und sie sagt, dass man den so wenig photographieren kann wie schmutzige Gedanken. Ich versuche es trotzdem, …

Ich weiß nicht mehr, ob ich vor über 20 Jahren Magritte (dem ich’s als ersten zutraue) oder einem andern Surrealisten anno tobac nachahmte, ein Selbstporträt im Augapfel eines überdimensionierten Auges unterzubringen: das Auge als Instrument der Selbsterkenntnis –

wenn der Icherzähler in Maries Augen sieht, spiegelt sich in ihren Augäpfeln David als ein anderer und umgekehrt auch (vllt. wäre da sogar Novaks Problem zu lösen), sofern beide darauf achten. “Face to face“ –

ich wähl diesen Ausdruck, weil “face“ mehr als nur [An-]Gesicht bedeutet, sondern u. a. auch den Anschein und als Verb “to face“ auch ein „ins Auge sehen“-

berücksichtigt der Eine die Perspektive des Andern und beide beeinflussen sich (was ja selbst schon dann geschieht, wenn einer merkt, dass er beobachtet wird).

Wenn das menschliche Auge als „hoch entwickeltes Kameraauge mit einem Linsenapparat“ definiert werden kann, dann haben wir es hier mit einer Ansammlung von wenigstens sieben Linsen zu tun: zwei Paar Augen und die der Kamera, die freilich zum Ausgleich von Abbildungsfehlern noch weitere, eine uns unbekannte Zahl von Linsen enthalten wird. Da wird uns also ein Linsengericht vorgesetzt, das aber nichts alttestamentarisches an sich hat, da wird nichts um irgendeinen Preis verkauft, schon gar nicht wie im Alten Testament die Legalisierung (durch ordentlichen Tausch) eine Machtposition (des Erstgeborenenrechts und somit den Anspruch auf Erbschaft), hier wird verschenkt, bedingungslos und ohne Berechnung, am Anfang spielerisch, denn üblicherweise erfolgt face to face wie bei der teilnehmenden Beobachtung und selbst beim schlichten Interview: man will eigentlich neue Erkenntnisse über den/die Anderen erfahren und beeinflusst das Verhalten. In dem Falle, dass man zusammenhält. Und wenn jüngst angesprochen wird, dass David nur Angst hätte, davonzulaufen, setz ich die Funktion von Mitleid dagegen, das nichts anderes bedeutet als dass ich (egal ob ich nun David, Markus oder Friedel genannt würde) am gleichen Übel des andern teilhabe und somit die Last des andern mit ihm teile, und hätte er die Pest! Und weil die Stippvisite bei Wulfila interessant war -

Deine Ausschweifung ins Gotische fand ich interessant, überhaupt wie Zwischenmenschliches Zwischenbuchstabliches wird, sich die Wirklichkeit auf und in die Sprache drückt [# 6 vom 13.01.d. J.]

gleich noch eine interessante Entdeckung: die hatten fürs Herz als Eingeweide, Innerei (ich z. B. ess gerne Innereien, wiewohl andere sich davor ekeln) das Wort haírþra (þ ausgesprochen wie’s tie-aitsch, das th schleppten wir bis zum Ende des 19. Jh. sprachlich mit), fürs symbolische Herz aber mildiþa, in dem selbst für ungeübte Augen Milde zu erkennen ist und Mitleid zu ahnen.

Alles Erkennen - so wissen wir spätestens seit Nietzsche - ist ein Wiedererkennen. Und da ist die biblische Sprache deutlicher als es jede romantische Geschichte auswälzen könnte: was da oft in einem Satz gesagt wird (manchmal wirstu den Eindruck haben, dass so auch meine Geschichten wären) wie "und er erkannte sein Weib" wird heute absatzweise Ausgewälzt und letztlich in Paragraphen gekleidet, was Du aber auch ausgezeichnet löst. Etymologisch ist die Ehe ja mit dem Recht verwandt: sie ist Gesetz, kein Gebot.

Bleibt die Frage nach D. wie

Dahrendorf kenn ich leider nicht, liegt wohl an den Quoten.

Ralf Dahrendorf war vielleicht das letzte Genie im alten Sinne überhaupt, sicherlich aber ein Arbeitstier, ein deutsch-englischer Soziologe, dessen professorale Karriere 1958 begann mit den Höhepunkten als Direktor an der London School of Economics und des Rektors des St. Anthony’s College in Oxford, nebenbei war er als FDP-Mitglied (ohne den heutigen Flachköpfen nahe zu stehn) Staatssekretär im AA und Mitglied der Kommission der EG ( heute EU).

So viel oder wenig für heute vom

Friedel,
der noch'n schönes Wochenende wünscht!

 

Wow, wieder zwei Hammer-Kommentare! Vielen Dank euch, liebe fiz und lieber Friedel! Der eine fordert mich mehr als die andere (und umgekehrt) und so muss ich mich erst einmal an den Gedankenapparat anstöpseln, um euch angemessen antworten zu können.

Beste Grüße
markus.

 

Hallo M. Glass,

ich habe deine Geschichten gelesen, aber keine der nachfolgenden Kritiken. Brauche ich auch gar nicht, weil ich mir auch so sicher bin, dass dieser Text viele positive Kritiken ausgelöst haben wird, und natürlich auch seine Empfehlung völlig zu recht erhielt.

Das ist eine wirklich starke und beeindruckende Geschichte, von der Idee angefangen über die inhaltliche Umsetzung und die wirklich guten Formulierungen bis hin zu den interessanten Figurenzeichnungen, den durchdachten Dialogen und der geschickten Spielerei mit der Perspektive des Erzählers.

Du hast eine äußerst fantasievolle und kluge Metapher zum Thema Liebe und Schönheit/Aussehen verfasst. Ich habe mir z. B. oft überlegt, wie es auf der Welt zuginge, wenn alle Menschen blind wären, und wie wir unter solchen Umständen Schönheit definierten müssten. Dein Ansatz ist jedenfalls sehr spannend, und dir gelingt des Kunststück, das Märchenhafte der KG alltäglich erscheinen zu lassen, und das Alltägliche märchenhaft. Das funktioniert nur, wenn die Gewichtung stimmig ist, und das hast du mit deiner Geschichte wirklich erreicht.

Ja, ich bin wirklich beeindruckt von diesem Werk und kann dir dazu nur gratulieren!

Rick

 

Liebe fiz,

also mich hat es auch beeindruckt. Wenn man so von Entwicklung labert kommt das ja immer so etwas gönnerhaft, von oben herab daher, aber Dein Stil, die Figurenzeichnung, die Textdichte, das hat sich alles schon gehörig gesteigert. Nicht nur das: Der Text ist nicht nur gemessen an Deinen früheren sehr gut, er ist auch einfach so, im Spektrum des Forums allgemein betrachtet sehr gut geschrieben.
ich finde es nicht gönnerhaft, wenn ihr über meine Entwicklung sprecht. Wer sonst soll darüber sprechen? Ich? Niemand kann sich selbst beim Wachsen zusehen und es tut unheimlich gut, eine positive Entwicklung mitgeteilt zu bekommen. Vielleicht kommt dann bei der nächsten Geschichte, naja, nicht schlecht und so, aber mit deiner vorherigen Erzählung kann sie nicht mithalten - du hast dich verschlechtert. Den zweiten Aspekt den du ansprichst, schmeichelt mir sehr. Vielen Dank für dieses Lob!


Thema find ich super. (...) Und da dachte ich, wie zeitlos und immer wieder unverbraucht das Thema Schönheit doch ist.
Das freut mich. Da werden noch einige Texte dazu kommen, fürchte ich.

Du stellst in diesem Text ja eigentlich eine simple Frage, aber die ist eben zentral und Du tust es ernsthaft und, was mir wichtig ist, Du kommst durch Dein Feingefühl für die Figuren über rein abstraktes Gedankenspiel hinaus.
Danke, aber am Ende sagst du zwar, dass ich über das Gedankenspiel hinauskomme, aber es nicht zu Ende spiele. Und das stimmt.

Hm ja, das hat mich etwas irritiert, weil da für mich was fehlte, obwohl ich denke, dass Du das wahrscheinlich nicht als Leerstelle gesetzt hast. Ich kann halt auch nicht aus meiner Haut, denn wenn ich sowas lese, lese ich da halt ein literarisches Motiv seit der Antike hinein: Das man aus nächster Nähe im Auge des Geliebten nicht diesen sondern das eigene Spiegelbild erkennt - eben auch im übertragenen Sinne. Und zu Deinem Text passt es ja auch, da hängt ja die Selbsterkenntnis des Erzählers auch an der Erkenntnis seiner Geliebten, nur dass das eben mit dem Blick in die Augen nicht getan ist. Wie gesagt, meine persönliche Assoziation, aber ich dachte, ich schreib's trotzdem mal auf.
Aber Dein Motiv, diese Unmöglichkeit das was die Geliebte ausmacht zu fassen und aufs Foto zu bannen, ist natürlich auch schön.
Assoziationen sind immer gut. Schließlich weiß man nie, was man mit seinen Zeilen an Gedanken auslöst. Und so wie ich das lese, hast du meine Intention erkannt und findest sie auch schön, zusätzlich ist dir diese Szene auch Auseinandersetzung mit der eignen Identität. Trotzdem spiele ich mit den Gedanken, da noch etwas zu ergänzen. (Nachtrag: Friedel hat ganz richtig erkannt, dass zwischen Auge und Auge eine Kamera ist, die nicht ihn zeigen wird, sondern nur ihn als Beobachter und ihm so einen Einblick in sich, seine Seele, seine Emotionen, sein Ich, wohl verwehrt bleiben dürfte.)


Ja, das ist son bisschen... so die Arroganz der Schönen, die sich leisten können sich nicht um ihre Schönheit zu scheren, gerade weil sie sie haben.
Exakt und wie überall gilt: immer wollen, was man nicht hat. Unzufriedenheit und Undankbarkeit. Und das ist menschlich. Dieter Nuhr hat das auch letztens gesagt, wenn wir stets zufrieden und dankbar wären, würden wir noch vor der Höhle sitzen und uns den Bauch streicheln. "Danke, aber was kann ich dafür, wie ich aussehe oder nicht." (Eigentlich egal) und "Aber was bedeutete das schon, wie jemand hieß, oder nicht." (Mehr von dir) - damit will ich auch immer sagen, das das Drumherum, die Verpackung und die Benennung und alles eigentlich nicht so wichtig ist, wie der Mensch dahinter. Und es spricht hier nicht nur die Arroganz, sondern auch der Anspruch, dass sie mehr ist als dieses schöne Mädchen. Und auch, was ich mit Nora diskutiert habe: Schönheit ist kein Verdienst.

Dass die feine Marie sowas prosaisch-anwendungsbezogenes wie Jura studieren soll, hat mich übrigens enttäuscht. Und der pinke Stift, nun ja, an dieser Stelle bin zumindest ich nicht mehr in sie verliebt. Aber das ist ja typabhängig.
Da bist du die erste. Was hätte sie denn deiner Meinung nach studieren sollen? Kunst? Der Gedanke bei Jura war das Recht, die vom Menschen geschriebenen Gesetze und dass es viel mehr ungeschriebene als geschriebene gibt. Aber dies bleibt unerwähnt.

Was mir natürlich sehr gefällt, ist das Phantastische der Verwandlung. Ich hätte die Geschichte ja in Seltsam eingestellt. Das ist eh meine Lieblingskategorie.
Das freut mich, vor allem, weil ich von ein paar Freunden gesagt bekommen habe, dass das zu krass sei. Bernadette hat auch mit dem Gedanken gespielt, was passieren würde, stünde dieser Text in Seltsam. Ich glaube, der Überraschungseffekt wäre dann geringer. Man würde mit solch einer Entwicklung eher rechnen und dann weniger darüber nachdenken, ob Marie vielleicht gar nicht hässlich ist, sondern das nur eine Verschiebung der Wahrnehmung ist, man würde zu viel hinnehmen, ohne nach dem Faden der Realität zu tasten.

Noch cooler hätte ich es gefunden, wenn die Verwandlung ein Prozess gewesen wäre, der immer noch weiter geht.
Im Grunde ist es ein Prozess. Erst die Flecken auf der Brust, und weil sie am nächsten Morgen merkt, dass die Verwandlung weitergeht, flieht sie zu ihrer Freundin. So geschieht der Prozess im Hintergrund. Aber ich verstehe deine Anmerkung, auch das Beispiel mit dem Schwein. Wenn man sich immer wieder an immer wieder neue Dinge gewöhnen muss. Das wäre schon eine Herausforderung. Nur endet da meine Geschichte zu früh.

Das ist so mein einziger Stilkritikpunkt. Normalerweise triffst Du die Balance zwischen Gefühl und Kitsch gut. Aber hier wirds mir ein bisschen schwül.
"Sie werfen mit Blicken wie mit Steinen." - da sind wir schon zu zweit. Werde ich ändern. (Einziger Stilkritikpunkt: Juhu!!!)

Damit war ich so ein bisschen zwiegespalten. Ist natürlich hübsch und meta und so. Und es ja auch keine leere Pose sondern passt auch zum Text, zum Erzähler, der sich da tatsächlich erst selbst kennenlernen muss. Aber es ist halt schon auch sehr artifiziell und lenkt etwas vom Thema und vom Gefühl ab.
Dieses Problem hatte auch Novak, sie hat darin eine technische Spielerei gesehen. Und wenn man in einer Erzählung "Ich-Erzähler" sagt, lässt sich das wohl nicht vermeiden. Aber ich finde es absolut notwendig, vor allem, weil ich auch ein bisschen vom Thema ablenken will. Die Ich-David-Sache soll den Leser auch verwirren, die Ahnungs- und Ratlosigkeit des Ich-Erzählers einfangen.

So und jetzt meine Hauptkritik:
Ohje, jetzt kommt's ...

EIGENTLICH EGAL

Das ist mir zu wenig Kampf. Das Problem, und es ist nunmal ein echt großes und fettes und existenzielles Problem, wird nicht gelöst, das geht wahrscheinlich auch gar nicht, sondern mit dem Lied des Jungen so romantisch-magisch überspielt. (... ) Und eigentlich müsste die Geschichte da wo sie aufhört erst beginnen, als langer, schwerer Kampf, der wahrscheinlich ohne Sieger und eindeutiges Ergebnis enden müsste.
Du hast mit allem recht, was du sagst. Und das ist nicht schön zu lesen, weil es irgendwie diese Thematik ist, die den Kern dieser Erzählung ausmacht. Um ehrlich zu sein: ich habe meine Unfähigkeit, dieses Problem zu lösen, erkannt - bzw. ich habe tatsächlich einen Entwurf, der zeigt, wie es weitergeht. Die Geschichte hätte, da wo sie endet, auch erst anfangen können. (heiner hat das so ähnlich übrigens auch kritisiert.) Wie er sich zwischen Ekel und Akzeptanz positioniert, wann er aufhört, sie verändern zu wollen, wann sie beginnt, sich selbst zu mögen und ihr Spiegelbild, wie sie ein Pärchenbild aufhängen, mit ihrem neuen Gesicht. Aber im Grunde bleibt der Ich-Erzähler und David und sie wollen abwechselnd wegrennen und wieder zu Marie, sie küssen, sie lieben. Und darin liegt für mich auch die Lösung: nur ein "Märchenprinz" bleibt bei seiner Geliebten, wenn sie sich derartig verändert und das auch nicht frei von "Ambivalenzen".

Um es kurz und auch ein bisschen euphemistisch zu formulieren: Es hat dir missfallen, dass ich nicht weiter geschrieben habe. Und das ist doch auch etwas Schönes.

Ein fettes (und Stirn beschwitztes) Dankeschön! Für das "sehr gut gefallen" und die gute, weil verdammt richtige, Kritik.

Liebe Grüße
markus.

***

Lieber Friedel,

argh, Knoten!!! Deine Zeilen sind nichts für Minderjährige.

"Die deutsche Angst ist eine Angst vor Veränderung. Hier ist so lange nichts passiert, dass die Menschen die statische Gesellschaft für das Maß aller Dinge halten."
Da sprichst du ein großes Wort gelassen aus. Oder anders - nicht götik - gesagt: du hast da verdammt recht! Wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, aber auch immer wieder etwas Neues, das aber nicht anders, sondern nur besser ist. Wir wollen mehr, wir wollen viel davon, aber im Grunde wollen wir immer das Gleiche, nur nicht das, was wir schon haben, aber wenn es ganz anders ist, wenn wir uns da nicht auskennen, dann zieht die Neugier den Schwanz ein und steckt ihn nirgends rein.

Deine Indian Summer Geschichte lebt hier weiter (ein Zyklus?)
Nun ja, Gedanken, die im Kopfe kreisen, fließen auf Papier und wenn man die Blätter nebeneinander legt, kommt wohl zwangsläufig was Zyklisches dabei raus. Dieses Motiv wird in vielen Geschichte noch mit einfließen und in mindestens zwei auch als Hauptthema.

das Auge als Instrument der Selbsterkenntnis
den fiz-mirror =)

wenn der Icherzähler in Maries Augen sieht, spiegelt sich in ihren Augäpfeln David als ein anderer und umgekehrt auch (vllt. wäre da sogar Novaks Problem zu lösen), sofern beide darauf achten. “Face to face“
Und das ist dann alles mehr als spiegelverkehrt. Sehr interessanter Gedanke. Tief in mir (da wo Freuds Freud wohnt) schreit jemand: ja, hab ich an alles gedacht. Das Zwischenich hingegen bleibt bescheiden und freut sich auch, dass du an die englische Bedeutung denkst, obwohl ich Deutsch schreibe.

Da wird uns also ein Linsengericht vorgesetzt, das aber nichts alttestamentarisches an sich hat, da wird nichts um irgendeinen Preis verkauft, schon gar nicht wie im Alten Testament die Legalisierung (durch ordentlichen Tausch) eine Machtposition (des Erstgeborenenrechts und somit den Anspruch auf Erbschaft), hier wird verschenkt, bedingungslos und ohne Berechnung, am Anfang spielerisch, denn üblicherweise erfolgt face to face wie bei der teilnehmenden Beobachtung und selbst beim schlichten Interview.
Das finde ich gut. Das war auch so ein Gedanke bei fiz Anmerkung, das schreibe ich ihr auch nochmal in ihre Antwort, weil er ja nicht selbst in ihr Auge schaut, sondern da noch eine Kamera dazwischen ist. Danke für die Problemlösung!

mildiþa
Wobei ich der Meinung bin, dass Mitleid meistens im Kopf passiert, nicht im Herzen.

Alles Erkennen - so wissen wir spätestens seit Nietzsche - ist ein Wiedererkennen.
Exakt und zum Glück ist's dieses Wiedererkennen und nicht das Nichterkennen in Klaras Wohnung.

nebenbei war er als FDP-Mitglied (ohne den heutigen Flachköpfen nahe zu stehn)*
Schöner, auf das Wesentliche reduzierter und für den Generalspeicher vorportionierter, hätte man das nicht ausdrücken können.

Herzlichen Dank für deinen Kommentar, der - wie alle - beim Lesen Spaß macht, aber auch immer fleißig knotet, aber das Entknoten, mein Freund, hat mich schon den ein oder anderen nicht zu verachtenden Gedanken finden lassen.

Liebe Grüße
markus.

***

Hey Rick,

du weißt schon, dass mich solche Kommentare umhauen, oder? Weil's sich im Liegen nicht so gut schreibt, möchte ich auch gar nicht so viel zu deinem Kommentar sagen, außer dass er mich ausgesprochen gefreut hat. Naja, doch:

Das ist eine wirklich starke und beeindruckende Geschichte, von der Idee angefangen über die inhaltliche Umsetzung und die wirklich guten Formulierungen bis hin zu den interessanten Figurenzeichnungen, den durchdachten Dialogen und der geschickten Spielerei mit der Perspektive des Erzählers.
Da lobst du tatsächlich mit einem Satz meine ganze Geschichte und lässt nichts aus. Danke!

Du hast eine äußerst fantasievolle und kluge Metapher zum Thema Liebe und Schönheit/Aussehen verfasst.
=)

Ich habe mir z. B. oft überlegt, wie es auf der Welt zuginge, wenn alle Menschen blind wären, und wie wir unter solchen Umständen Schönheit definierten müssten.
Wie geil ist das denn bitte!!! Ich habe auch vor, eine Geschichte über Blinde zu schreiben, habe auch schon ein paar angefangen, und das finde ich das Faszinierende daran, ein Satz lautet: "Ich finde dich auch schön. Aber ich meine etwas anderes damit." Und es wäre wirklich die schönste Metapher auf innere Werte. Ein Roman über eine Welt, voll mit Blinden. Und am besten auch noch von einem Moment auf den anderen. Stell dir mal vor, wie viele Menschen ihrer Lebensgrundlage beraubt würden. Wenn Schönheit, also äußerliche, keine Rolle mehr spielt, wie uns das ändern würde. Weniger Vorurteile, usw... Und: ich glaube, Blinde wären viel feinfühliger, und Kriege würden sie auch nicht führen. Ein ausgesprochen schönes Gedankenexperiment. Mal sehen, wie viele Romane nächstes Jahr dazu veröffentlich werden. ;)

Dein Ansatz ist jedenfalls sehr spannend, und dir gelingt des Kunststück, das Märchenhafte der KG alltäglich erscheinen zu lassen, und das Alltägliche märchenhaft. Das funktioniert nur, wenn die Gewichtung stimmig ist, und das hast du mit deiner Geschichte wirklich erreicht.
Das ist ein für mich sehr entscheidender Aspekt. Und du bist der erste, der diese Gewichtung anspricht. Manch einer wünscht sich mehr Realität, der andere mehr Surrealität, aber du, du wünscht dir beides und diesen Wunsch kann ich anscheinend erfüllen: yes!

Ja, ich bin wirklich beeindruckt von diesem Werk und kann dir dazu nur gratulieren!
Einfach nur: Danke!

Beste Grüße
markus.

 

Hey Markus,

Trotzdem spiele ich mit den Gedanken, da noch etwas zu ergänzen. (Nachtrag: Friedel hat ganz richtig erkannt, dass zwischen Auge und Auge eine Kamera ist, die nicht ihn zeigen wird, sondern nur ihn als Beobachter und ihm so einen Einblick in sich, seine Seele, seine Emotionen, sein Ich, wohl verwehrt bleiben dürfte.)
Das ist doch ein wunderbares Motiv! Also wenn die Moeglichkeit der doppelten Erkenntnis, Fremderkenntnis (Augen als Fenster der Seele) und Selbsterkenntnis (Augen als Spiegel) im Kopf des Lesers auf irgendeine Weise aufgerufen wuerden, nur um dann zu zeigen, dass David es noch nicht raus hat, das so richtig fuer sich zu nutzen. Dass eben die Kamera zwischen Auge und Auge beide Formen der Erkenntnis blockieren muss. Mir fallen da direkt photographietheoretische Arbeiten zu ein, zum Kameraauge im Spiegel und so weiter und so fort. Selbsterkenntnis als Kameraauge, als Voyeur ist ja auch nicht keine Selbsterkenntnis, nur vielleicht noch nicht vollgueltig. Total spannend das Ganze, je verschachtelter umso besser.

Um ehrlich zu sein: ich habe meine Unfähigkeit, dieses Problem zu lösen, erkannt - bzw. ich habe tatsächlich einen Entwurf, der zeigt, wie es weitergeht. Die Geschichte hätte, da wo sie endet, auch erst anfangen können. (heiner hat das so ähnlich übrigens auch kritisiert.) Wie er sich zwischen Ekel und Akzeptanz positioniert, wann er aufhört, sie verändern zu wollen, wann sie beginnt, sich selbst zu mögen und ihr Spiegelbild, wie sie ein Pärchenbild aufhängen, mit ihrem neuen Gesicht. Aber im Grunde bleibt der Ich-Erzähler und David und sie wollen abwechselnd wegrennen und wieder zu Marie, sie küssen, sie lieben. Und darin liegt für mich auch die Lösung: nur ein "Märchenprinz" bleibt bei seiner Geliebten, wenn sie sich derartig verändert und das auch nicht frei von "Ambivalenzen".
Hoert sich ganz in meinem Sinne und sehr vielversprechend an. Ich warte ...

lg,
fiz

 

Hi,

ich find die Geschichte hat mich, während ich sie gelesen habe, ein bisschen gegen sich selbst immunisiert. Den Anfang, das Verliebtsein, fand ich auch toll geschrieben. Das Motiv mit dem David und Ich fand ich auch sehr gut. Dieses Spiel damit, war für mich ein Glanzlicht des Textes.
Ich finde auch so als Farbtupfer Klara ganz lustig, weil das aus dem Rahmen dieser perfekten Geschichte fällt. Die ewig zeternde beste Freundin, mag der Teufel sie holen und in Froschpisse ertränken, weil er ihr Gemecker nicht ertragen kann.

Aber als man dann sieht, wo das "hinläuft" - da hat sie Flecke und er liebt sie doch und ein bisschen hört sie auf zu existieren und ist nur noch Prüfung für ihn und diese Gedanken - das wurd mir dann ein bisschen lang und ein bisschen schön und so.
Kennst du das Video von Fat Boy Slim mit dem Jongleur? Es ist unfassbar gut, es dauert aber auch nur 3 Minuten. Wenn der noch 2 Minuten weiter jongliert hätte, wäre die Wirkung verpufft, in der Geschichte hatte ich so ein bisschen das Gefühl: Er jongliert zu lange.
Also in der 2. Hälfte der Geschichte mochte ich noch sehr, wenn sie über die Straße gehen und das Kind sagt: Guck mal ein Storch. Das fand ich gut, dann mit dem Klaviergenie-Jungen, der die wahre Schönheit erkennt ... und die böse Stiefmutter, die ihn nicht zu dem Klavierlehrer gehen lässt, der ihrem Sohn so viel beigebracht hat? Dann taucht ein Freund noch auf, für genau den Absatz, für den er gebraucht wird? Und die Freundin fügt sich in das Schicksal? Mittendrin der Absatz, als sie verschwindet (das ist das, was manche an Shutter Island erinnert, diese Traumlogik - sie ist weg, ich bin 3 tage später und sitze irgendwo, wie ich hergekommen bin, ist nicht wichtig, sie ist immer noch weg, wo ist sie denn? Das ist das, wenn man aus einem dichten Traum aufwacht, und sich fragt, ob man noch mit der Ex-Freundin zusammen ist oder ob die Oma noch lebt, ob man wieder in der Schule ist - das ist diese Logik, dass man braucht um ins Ich zurückzufinden) - also das ist ein guter Absatz, der bringt einen neuen Gedanken, aber dieser Gedanke sagt ur: Ich funktioniere nach Traumlogik, mit dem Kern der Geschichte hat das nichts zu tun.

Ich will da auch nicht ungerecht sein und dir die Stimmung vererben, es ist sehr gut geschrieben, finde ich. Ich mag es, dass du so selbstsicher schreibst, so mutig und nach vorne, das gefällt mir ausgezeichnet, das solltest du dir unbedingt bewahren. Ich mag viele Sätze und Ideen in der Geschichte, mir ist es im Abgang dann zu sehr eine Geschmacksrichtung, zu dominant, wenn man so will, so dass ich dann das Gefühl hatte: Es reicht.
Das ist aber auch absolut persönlicher Geschmack und sollte dich nicht kümmern.
Im Prinzip seh ich die Geschichte wie heiner: Ich find sie gut, die Euphorie von anderen kann ich nicht vollends teilen, vielleicht hätte mir die Geschichte an einem Dienstag Abend phantastisch gefallen, jetzt an einem Sonntag morgen denke ich darüber nach wie das Fat Boy Slim Video wäre, wenn es 6 statt 3 Minuten gegangen wäre. Ich glaube es gibt bei solchen Texten eher ein "zuviel" als ein "zuwenig". Nach einem gewissen Punkt kommt dann nicht mehr viel neues, man hat halt nur 2 Hände und 3 Bälle.

Trotzdem Glückwunsch zu der Geschichte und zu den tollen Reaktionen darauf, die Geschichte ist schon auf einem sehr hohen Niveau, wie ich finde

Quinn

 

He Quinn,

Qinn schrieb:
Ich mag viele Sätze und Ideen in der Geschichte, mir ist es im Abgang dann zu sehr eine Geschmacksrichtung, zu dominant, wenn man so will, so dass ich dann das Gefühl hatte: Es reicht.

Du hast dieses Gefühl greifbarer zu Tage gebracht als ich mit meiner kurzen Aussage:
bernadette schrieb:
Auch die weitere Szene mit seiner Tante finde ich nicht stimmig.
Da versuchst du, zusätzlich noch den gnadenlosen Blick von außen zu zeigen, dabei gibt es - jedenfalls für mich - schon genügend von denen.

Genau das meinte ich auch damit.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey Quinn,

gewiss trübt dein Kommentar ein bisschen die Euphorie über diese Geschichte, weil mir deine Meinung auch sehr wichtig ist, aber du weißt, wie ich selbst über die Geschichte gedachte habe, vielleicht noch denke. Und du hast das so versöhnlich geschrieben, und ich glaube, du sprichst das an, was ich selbst an meiner Geschichte nicht mochte. Also, der Reihe nach:

(Ich höre übrigens That Old Pair of Jeans im Hintergrund.)

Den Anfang, das Verliebtsein, fand ich auch toll geschrieben. Das Motiv mit dem David und Ich fand ich auch sehr gut. Dieses Spiel damit, war für mich ein Glanzlicht des Textes.*
Ich finde auch so als Farbtupfer Klara ganz lustig, weil das aus dem Rahmen dieser perfekten Geschichte fällt. Die ewig zeternde beste Freundin, mag der Teufel sie holen und in Froschpisse ertränken, weil er ihr Gemecker nicht ertragen kann.
Das freut mich. Alles. Und wenn immer mehr Dinge funktionieren (besser: wirken), dann läuft das doch in eine richtige Richtung. Dass dir das Spiel mit der Perspektive ein Glanzlicht war, finde ich toll, weil das ja nicht alle gut fanden und mir das auch sehr am Herzen lag.

Aber als man dann sieht, wo das "hinläuft" - da hat sie Flecke und er liebt sie doch und ein bisschen hört sie auf zu existieren und ist nur noch Prüfung für ihn und diese Gedanken - das wurd mir dann ein bisschen lang und ein bisschen schön und so.
Okay, das ist natürlich doof, weil sie kein Experiment sein soll, sondern seine Liebe und das hat auch heiner gemeint, als er sagte, er liest da nichts von Liebe, sondern eher von Mitleid. Das ist bei einer so krassen Versuchsanordnung aber schon schwer, die Liebe und das Verliebtsein nicht aus dem Vordergrund zu verlieren. Ich frage mich auch gerade, woran das liegen mag. Weil liebevolle Gesten waren mir wichtiger als "Ich liebe dich" sagen und sie fordern sich ja gegenseitig heraus. Sie sagt anfangs ganz offen: "Wetten, dass" und er muss sich am Ende bemühen, dass die Buchstaben nicht zerfallen wie bei ZDF. Also es ist schon auch ein Spiel irgendwo zwischen den beiden, aber es sollte die Liebe natürlich nicht ausklammern.

Das fand ich gut, dann mit dem Klaviergenie-Jungen, der die wahre Schönheit erkennt ... und die böse Stiefmutter, die ihn nicht zu dem Klavierlehrer gehen lässt, der ihrem Sohn so viel beigebracht hat? Dann taucht ein Freund noch auf, für genau den Absatz, für den er gebraucht wird? Und die Freundin fügt sich in das Schicksal?*
Ja, das mag überladen und konstruiert wirken. Der Klaviergenie-Junge - damit ist mir wohl so eine Juli-Zeh-Figur in die Geschichte gerutscht, der störte bernadette auch. Und ich habe auch vor, ihn mehr Kind werden zu lassen, weniger Genie. Und Personen dann auftauchen lassen, wenn sie gebraucht werden, klingt zu sehr nach Funktionsdrehbuch. Meinst du, es würde etwas ändern, wenn ich den vorher schon irgendwo erwähne? Und dass sich die Freundin !langsam! dem Schicksal fügt - das ist doch zwangsläufig so, oder nicht? (Vielleicht eher Gewöhnung, aber die setzt erst später ein.) Und "Ins Schicksal fügen" klingt schon sehr nach Akzeptanz und neuer Zufriedenheit, aber davon ist hier nie die Rede.

Mittendrin der Absatz, als sie verschwindet (das ist das, was manche an Shutter Island erinnert, diese Traumlogik - sie ist weg, ich bin 3 tage später und sitze irgendwo, wie ich hergekommen bin, ist nicht wichtig, sie ist immer noch weg, wo ist sie denn? Das ist das, wenn man aus einem dichten Traum aufwacht, und sich fragt, ob man noch mit der Ex-Freundin zusammen ist oder ob die Oma noch lebt, ob man wieder in der Schule ist - das ist diese Logik, dass man braucht um ins Ich zurückzufinden) - also das ist ein guter Absatz, der bringt einen neuen Gedanken, aber dieser Gedanke sagt ur: Ich funktioniere nach Traumlogik, mit dem Kern der Geschichte hat das nichts zu tun.
Es ist eine unrealistische Geschichte und eine Möglichkeit ist da immer der Traum. Ich zwinge den Leser aber an keiner Stelle, das alles für einen Traum zu halten. Weltenläufer ist danach aufgewacht und alles war gut, aber er wacht an keiner Stelle 3 Tage später auf, er ist nach dem Sex eingepennt und als er aufwacht, ist Marie weg, weil sie gemerkt hat, dass sie sich verwandelt, weil sie nicht will, dass er sie so sieht. Ich erzähle dir da bestimmt nichts Neues, aber dass das alles Traumlogik ist, finde ich nicht. Das ist doch eine nachvollziehbare und realistische Situation. Also nicht die Geschichte an und für sich, aber die Situation.

Ich glaube es gibt bei solchen Texten eher ein "zuviel" als ein "zuwenig". Nach einem gewissen Punkt kommt dann nicht mehr viel neues, man hat halt nur 2 Hände und 3 Bälle.
Das ist ein sehr guter Vergleich, hab mir auch das Video angeguckt und da kann ich die Augen so offen haben wie ich will, du öffnest sie immer noch ein bisschen mehr. Aber: man hat halt nur 2 Hände und 3 Bälle, dabei können wir doch mit unseren Worten in unbegrenztem Ausmaß jonglieren. Wenn du das schreibst, klingt das so, dass meine Geschichte am Ende abflacht, weil das Werkzeug nicht mehr hergibt. Das stimmt aber nicht: es ist mein Fehler, nichts mehr Neues gebracht zu haben. Vermutlich hätte das aber auch nichts an dem "es reicht" Gefühl geändert.

Ich will da auch nicht ungerecht sein und dir die Stimmung vererben, es ist sehr gut geschrieben, finde ich. Ich mag es, dass du so selbstsicher schreibst, so mutig und nach vorne, das gefällt mir ausgezeichnet, das solltest du dir unbedingt bewahren. Ich mag viele Sätze und Ideen in der Geschichte
Das freut mich wirklich sehr!

mir ist es im Abgang dann zu sehr eine Geschmacksrichtung, zu dominant, wenn man so will, so dass ich dann das Gefühl hatte: Es reicht.
Das ist aber auch absolut persönlicher Geschmack und sollte dich nicht kümmern.
Ich denke nicht, dass das persönlicher Geschmack ist. Und jetzt wird es noch einmal persönlich und so: bis jetzt war meine Exfreundin die einzige, die das gesagt hat. "Es reicht! Die Geschichte fängt gut an, sehr gut sogar, aber am Ende ist sie einfach nur noch uninteressant." Vielleicht hat sie genau das gemeint und natürlich konnte sie es nicht so formulieren wie du.

Trotzdem Glückwunsch zu der Geschichte und zu den tollen Reaktionen darauf, die Geschichte ist schon auf einem sehr hohen Niveau, wie ich finde.
DANKE! Das "auf einem sehr hohen Niveau" lässt mich deine Kritik trotzdem mit Smile abschließen. Das war ein toller Kommentar und du hast ja gesagt, dass wenn man einen Text nicht so toll findet, ihn trotzdem einstellen soll, weil man hier Dinge gesagt bekommt, die man vielleicht bemerkt, aber nicht benennen kann. Und du hast da gerade ziemlich viel benannt!

Beste Grüße
markus.

***

Liebe bernadette,

danke noch einmal für deine Meldung zu Quinns Kommentar. Wenn du ihn in dieser Aussage bestätigst, hilft mir das noch ein bisschen besser zu verstehen, was bei der Geschichte doch schief gelaufen ist.

Beste Grüße
markus.

***

Liebe fiz,

schön, dass du dich noch einmal zu der Augensache geäußert hast. Das ist ja ein Motiv, was nicht nur in einer Geschichte vorkommt und so wie Friedel, du und ich das jetzt beschrieben haben, packen wir da zwei große Symbole in ein Bild. =)

Was "Eigentlich egal 2" angeht ...

Und: ich trau mich die Geschichte fast nicht mehr anfassen, aber ich werde ernsthaft versuchen, eure Kritiken, die ich fett unterstreiche, umzusetzen, auch wenn sie manchmal widersprüchlich erscheinen mögen ("zu viel!" gegen "du hörst auf, wenn die Geschichte anfängt!") Am Anfang dachte ich schon, dass ist ja zu schön, um wahr zu sein: Niemand hat etwas beanstandet. Und vielleicht würde eine Änderung der Geschichte dazu führen, dass sie jenen, die die Geschichte anfangs uneingeschränkt mochten, nicht mehr gefällt. Aber eines sei gewiss: Ich schneide mir die Buchstaben eurer Kritiken aus und forme damit meine neuen Texte.

 

Schief gelaufen ist gar nichts, jetzt mach mal einen Punkt.

Stell dir vor, du kochst ein superleckeres Gericht, von mir aus Gulasch, und fünfzehn Leute essen davon. Der eine sagt, es sei ihm noch zu heiß, aber sonst ist alles prima.
Der zweite merkt an, dass ihm etwas zuviel Zwiebeln drin seien, er würde weiniger nehmen, aber das ist nun nicht so tragisch, weil das Gulasch wunderbar ist.
Dem dritten fehlt etwas Paprika und der vierte hätte die Soße gerne etwas dünner. Aber allen schmeckt das Essen hervorragend, am Ende ist nichts übrig.
Die anderen loben das Gericht und essen still weiter.

Sagst du dann auch, dir sei was schiefgelaufen?

 
Zuletzt bearbeitet:

Sagst du dann auch, dir sei was schiefgelaufen?
Nein, natürlich nicht,

liebe bernadette,

und ich muss zugeben, dass ich gerade lachen musste, als ich deine Zeilen las. Und auch über mich. Weil es stimmt. Ich bin ultraglücklich mit der Geschichte und den Kommentaren, die darunter stehen. Freilich schmeckt ein Text nicht allen Lesern gleich und ich glaube, man wird niemals alle zufriedenstellen können. Aber: Man kann es ja versuchen. =)

Tausend Dank für diesen schönen und treffenden Vergleich!

 

Hallo markus,

Der Klavierschüler hat mir als Antagonist sehr viel bedeutet, um zu erklären, dass die Wahrnehmung des Davids getrübt sein könnte. Man sagt, dass Kinder über sensible Antennen verfügen. Die musisch begabten sowieso. Ich habe mir vorgestellt, dass der Junge aus dem ganzen Blendwerk der Schönheit heraus, die echte Marie gesehen hat, die auch Klara nicht kennt und die auch David, nachdem er seine rosarote Brille der Verliebtheit abgesetzt hat, auch noch nicht (an)sehen konnte. Übrigens hatte ich auch eine Assoziation zu dem Märchen Frau Holle. Warum David sich seine hässliche Marie magisch schön dachte, ist nicht erklärt.
Das "eigentlich egal" zu dem mich die Geschichte geführt hat, war für mich ein Hinweis darauf, dass der Konflikt in David weiter schwelt.

LG, Goldene Dame

 

Liebe Goldene Dame,

vielen Dank, dass du dich noch einmal einschaltest. Das bedeutet mir wirklich viel. Auch, dass du den Mirko als wichtigen Antagonisten empfindest. So wie ich es verstanden habe, sehen bernadette oder Quinn in ihm auch eine wichtige Figur, aber eben eine technische, konstruierte, die im Kontrast zu den gefühlsechten Protagonisten auffällt.

Man sagt, dass Kinder über sensible Antennen verfügen.
Tatsächlich habe ich einen Satz gestrichen, der genau das sagt. Das zeigt mir, dass ich richtig gehandelt hab, weil man das auch merkt, ohne dass ich das sage.

Ich habe mir vorgestellt, dass der Junge aus dem ganzen Blendwerk der Schönheit heraus, die echte Marie gesehen hat, die auch Klara nicht kennt und die auch David, nachdem er seine rosarote Brille der Verliebtheit abgesetzt hat, auch noch nicht (an)sehen konnte.
Ja, dass er einen Sinn hat für die innere Schönheit, nicht für die äußere. Einen magischen Sinn, wie ich es weiter oben schon einmal genannt habe.

Das "eigentlich egal" zu dem mich die Geschichte geführt hat, war für mich ein Hinweis darauf, dass der Konflikt in David weiter schwelt.
Genau. Das wollte ich erreichen, in dem Sinne: keine Ahnung wie ich (als Ich-Erzähler oder gar Autor) das Problem lösen soll, löst es doch selbst! Nein, im Ernst: viele schreiben ja, ich hätte die Geschichte am Ende auch erst beginnen lassen können, aber da wäre genau dieses Gefühl, das du bei diesem "eigentlich egal" hast, weg.

So, und jetzt würde ich mir wünschen, dass Frau Holle aufhört. =)

Beste Grüße
markus.

 

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