Ein Arbeitstag im Leben des Seelenfängers (Tod)
Der kleine bucklige, weißhaarige Arpock stürzte in das Arbeitszimmer seines Vorgesetzten, der gerade damit begonnen hatte seine Listen zu ordnen und neue Namen darauf einzutragen. "Es gab schon wieder einen neuen Unfall." Das in einer schwarzen Kutte gekleidete Wesen legte den Federkiel auf den Schreibtisch. "Lass mich raten, Arpock." sagte es. "Die Leute von Oben und von Unten geiern schon auf die frischen neuen Seelen, die jetzt sinnlos herumschwirren und darauf warten, dass irgendjemand sie abholt.
Dieser verfluchte Wettbewerb den diese beiden Kinder auf meinem Rücken austragen ist wirklich nervtötend! <<Bist du dir auch wirklich sicher, dass diese Seelen für den Alten da Oben sind und nicht für mich?>> <<Schau doch noch mal genau auf deine Liste!>> Seit dem Tag der Entstehung dieses vor Leben strotzenden Planeten haben die nichts besseres zu tun, als sich um jede einzelne Seele zu prügeln und zu protzen, wenn sie mal eine mehr haben als der Andere. Wie viele sind es diesmal?"
Arpock griff in die Tasche seines schmutzigen braunen Mantels und förderte einen zerknüllten Zettel zu Tage.
"Über 100. War ein Flugzeugabsturz, Meister Tod."
Tod erhob sich schwerfällig von seinem Chefsessel. "Das ist schon der Dritte diese Woche," stellte er fest. "Die Menschen sollten endlich mal ein wenig mehr aufpassen. Je vorsichtiger sie sind, desto weniger zusätzliche Arbeit für mich."
Er öffnete den Kleiderschrank und holte seine Sense heraus. Tod hatte seine Sense in seiner ganzen Karriere noch kein einziges Mal benutzt (Das Einsetzen der Sense würde nur hässliche, rote Flecken geben und Tod hasste hässliche rote Flecken). Sie war nichts weiter als eine Art Schmuck. Doch er hatte dieses, für ihn typische Symbol, immer dabei.
"Mein Fangnetz, Arpock!"
Der Bucklige gab seinem Herrn das große Fischernetz, dass, wie immer am Haken an der Wand hing. Tod ließ unter seiner schwarzen Kutte verschwinden.
"Petri Heil, Meister!" rief er dem Tod nach als dieser mit schlurfenden Schritten sein Zimmer verließ und noch einmal die freie Knochenhand zum Gruß hob.
Die beiden männlichen, seltsam gekleideten Gestalten betraten zur gleichen Zeit das Wettbüro. Die blonde, wohlproportionierte Dame schaute von ihrer Zeitung auf, als die Beiden vor dem Schalter standen. "Ah, Sie sind's! Neuer Wetteinsatz?" "Ja!" bestätigte einer der beiden Männer. Er trug ein langes weißes Gewand und hatte einen langen, weißen Bart, der ihn bis zu den Knien reichte. Der andere Besucher war von Kopf bis Fuß in rot gekleidet, hatte schwarze Haare und zwei weiße Hörner, die ihm aus dem Kopf ragten. "Ihr Einsatz, Luzifer?" fragte die Frau den Roten. "Zwei meiner wertvollen Kochtöpfe!" schnarrte er. "Ich setze natürlich auf Sieg!" "Du willst siegen?" Der weißbärtige lachte. "Ich setze mein Lieblingskissen, natürlich auf MEINEN Sieg!" "Wir werden ja sehen, wer gewinnt, Tattergreis!" knirschte Luzifer seinen Erzfeind an. "Aber spuck nicht gleich wieder Gift und Galle, wenn du verlierst! Meine Engel ertragen den Gestank nicht, der dann von unten heraufzieht!"
Als Tod an der Unglücksstelle eintraf schrieen die herumschwirrenden Seelen ihn an. "Lass uns in Ruhe!!!" "Sorry, Leute!" erwiderte Tod. "Ich tu hier nur meine Pflicht. Er holte das Fangnetz aus seiner Kutte und erhob sich vom Boden in die Luft, um die Seelen, die ihm auswichen, besser zu fangen. Er ließ sein engmaschiges Netz kreisen und hatte mit einem Schlag fast die Hälfte der Seelen eingefangen, die sich verzweifelt zu befreien versuchten. "Lass uns bitte gehen!" flehten sie. "Tut mir leid, darf ich nicht! Hört auf zu strampeln! Ihr verheddert euch nur noch mehr im Netz."
Wenig später war die Arbeit beendet und Tod kehrte mit seinem Fang nach Hause zurück, um die Seelen entsprechend zu katalogisieren und dem Bestimmungsort zuzuordnen. Arpock hatte schon alles vorbereitet. Tod brauchte nur noch Haken an die entsprechenden Namen zu setzen (eine Bestätigung dafür, dass alle Seelen eingefangen worden waren) und das Ziel für jede einzelne Seele herauszusuchen. Dann befreite Tod jede einzelne Seele aus dem Netz und packte sie in die vorbereiteten Päckchen. Päckchen zu, Name und Ziel der Seele darauf vermerken, fertig. "Na dann woll'n wir mal!" sagte Tod und warf die Päckchen in die schwarze Kutsche, die Arpock vor der Haustür bereitgestellt hatte. "Auf in den Kampf. Die beiden Herren werden sich bestimmt wieder in die Wolle kriegen." "Ich hoffe Sie sind zum Abendessen zurück, Herr!" sagte Arpock.
"Das ist schwer zu sagen, wie üblich. Also bis dann!" Tod rief seinen 4 schwarzen Pferden, die die Kutsche zogen etwas zu und sie setzten sich in Bewegung und verschwanden mit Tod und der Kutsche in der Dunkelheit seines Reiches.
Diesmal hatte es Gott getroffen. Er hatte zwölf Seelen weniger auf seinem Konto zu verbuchen. Der alte Herr musste dem sich diebisch freuenden Luzifer seinen Einsatz abtreten und trauerte dem mit Herzen bestickten Kissen die ganze Nacht lang nach, während Luzifer eine Party veranstaltete, dass die Wände der Hölle nur so wackelten. Tod kam eine Stunde zu spät zu seinem Abendessen und verfluchte diese beiden kindischen Wesen, die ihm bei der Übergabe der Seelen nur Scherereien gemacht hatten.
Und so wird es weitergehen. Heute und in Ewigkeit.
[ 05.07.2002, 11:25: Beitrag editiert von: Seyffarth ]