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Ein Augenblick gebannt auf Zelloloid

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11.05.2002
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Ein Augenblick gebannt auf Zelloloid

Die Sonne schob sich hinter einer dicken Wolkendecke hervor und warf blendende Strahlen auf die Fassade eines First Class Hotels. Touristen stauten sich vor dem gläsernen Aufzug, der an bunten Fischen vorbei in das Obergeschoß fuhr. Friederike, eine blonde, hochgewachsene Frau drängte sich an einer Gruppe fotografierender Japaner vorbei zur Bar. Erleichtert stellte sie ihre schwere Kameratasche ab und setzte sich an einen Tisch nahe dem Fenster. Während sie genüsslich ihren Irish Coffee durch den Strohhalm zog, und die vorbeiflanierenden Touristen beobachtete, deren Fotoapparate 'schussbereit' um den Hals hingen, überlegte sie, wie endgültig und vernichtend so eine Bannung auf Zelluloid doch war. Eine Handlung des Augenblicks, wie sie manchmal nicht unpassender sein konnte, wird ewig für die Nachwelt festgehalten.
Ein ganz bestimmtes Foto tauchte vor ihr auf: Lukas war darauf zu sehen, amüsiert lauschte er der Laudatio einer Ausstellungseröffnung. Er war nicht alleine auf dem Bild: An ihn geschmiegt stand eine sehr große, magere Frau in einem weißen Overall, deren Wespentaille ein enger, roter Gürtel zierte. Ihr Haar war tiefschwarz. Zwei vorwitzige Locken hatten sich aus dem Zopf gelöst und flatterten im Wind. Zu gerne hätte sie diese Person einmal von vorne gesehen.

Lukas hatte vor ihrer gemeinsamen Zeit in Berlin ein paar mehr oder weniger enge Beziehungen gehabt, aber es war nichts dabei gewesen, das Friederikes Eifersucht hätte erregen können.
Das mit der schwarzhaarigen Frau auf dem Foto war etwas ganz Anderes. Ulla hieß sie. Lukas hatte sie damals in einer Münchner Diskothek kennen gelernt und sich buchstäblich vom ersten Augenblick an in sie verliebt. Es hätte alles so schön sein können, aber Ulla war krankhaft eifersüchtig. Sie genehmigte Lukas zwar Freiräume, duldete diese letztendlich doch nicht so ganz. Ihr Misstrauen machte sie bösartig. Sie traf mit ihm Verabredungen, die sie dann in letzter Minute absagte. Manchmal versetzte sie ihn auch ohne Vorwarnung und er stand vor ihrer verschlossenen Wohnungstür. Zermürbt von Ullas 'Katz- und Mausspiel' kündigte Lukas den Job, packte seine Koffer und zog nach Berlin. Er traf Friederike auf einer Party und versuchte mit dieser attraktiven und quirligen Journalistin seinen Liebeskummer zu vergessen.

Friederike bezahlte ihr Getränk, rückte energisch ihren Kaffeehausstuhl an den Tisch, und schaute auf die Armbanduhr. Es war kurz vor drei Uhr. Um vier Uhr sollte Ullas Sohn in Berlin-Spandau ankommen, um zusammen mit Lukas ein paar schöne Herbstferientage verbringen. Friederike glaubte nicht seinen Beteuerungen: "Du Rike, ich tu das alles nur wegen dem Kleinen. Der vermisst mich, ich war immerhin so eine Art Vater für ihn gewesen. Mit Ulla hab ich ansonsten kaum noch Kontakt."
Selbstverständlich wird Ulla ihren kleinen Sohn nicht alleine in den Zug nach Berlin setzen und Lukas würde sich bestimmt über den Besuch seiner Ex-Partnerin freuen.

Friederike setzte eine dunkle Sonnenbrille auf und ließ ihr langes Blondhaar unter einem großen Seidentuch verschwinden, das sie im 50-Jahre-Hollywood-Stil knotete. Kritisch beäugte sie sich vor einer spiegelnden Schaufensterscheibe, und hoffte sehnlichst, dass Lukas sie in dieser Verkleidung nicht erkennen würde.

Die S-Bahn war schmuddelig und ungemütlich. Friederike hasste es, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Leider parkte ihr Auto auf seinem Garagenplatz daheim in Ruhleben. Es zu holen wäre für sie zu umständlich gewesen. Letztendlich hätte sie dann Ullas Ankunft in Spandau versäumt.

Die Bahn überquerte die Havel und das "Lindenufer". Friederike schaute auf ihre Uhr. Die Zeit wurde knapp. So schnell sie mit ihren hohen Absätzen konnte, rannte sie durch die Unterführung und stieg dann, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Ihr Herz raste und vom schnellen Laufen hatte sie Seitenstechen. Die Eile hatte sich gelohnt, sie kam gerade rechtzeitig an, als der IC aus München quietschend in den Bahnhof einfuhr. Vorsichtig spähte sie nach Lukas. Ihre Erleichterung war groß, als sie ihn nirgends erblickte. "Vielleicht wartet er im Auto vor dem Bahnhof", überlegte sie.

Nun hieß es, auf eine schwarzhaarige Frau zu achten, die zusammen mit einem kleinen Buben von acht oder neun Jahren aus dem Zug stieg. Oh ja, die da vorne könnte es sein! Sie war groß und sehr dünn. Ihre hautengen Jeans zeichneten die Kontur ihrer langen, etwas o-förmigen Beine ab. Die schwarzen Locken trug sie am Hinterkopf zusammengefasst, locker fielen sie ihr weit über ihre schmalen Schultern.
"Annika, Elisa, kommt ihr bitte her, wir müssen Omi suchen!" rief sie mit lauter Stimme. Nein, Irrtum! Schließlich war sie Mutter eines Sohnes und nicht von zwei Töchtern. Nervös ließ Friederike ihre Augen über die Leute schweifen, die mit Taschen und Rollkoffern bepackt, an ihr vorbeihasteten.
"Irgendwo muss sie doch sein!", dachte sie, als die letzten Reisenden die Plattform verließen.
Warum hatte sie diese Frau übersehen? Am Bahnsteigende ging eine hochgewachsene, schwarzhaarige Frau, einen kleinen Jungen hinter sich herzerrend Richtung U-Bahn-Station. Als sie näher kam stellte sie fest, diese Frau sieht genau so aus, wie die Frau auf dem Foto. Die schwarzen Haare trug sie zu einem langen Zopf geflochten, der ihr fast bis auf die Hüfte hing. Anstatt eines Overalls war sie diesmal mit einem Trench bekleidet, dessen enggezogener Gürtel ihre schmale Taille betonte.
"Warum müssen Männer immer auf so ein klischeehaftes Frauenbild abfahren", dachte Friederike. Unsanft rempelte sie die Frau beim Vorbeigehen an. Ein wütender Blick aus dunklen Augen und ein paar boshafte türkische Worte wurden ihr entgegengeschleudert.
"Entschuldigung", stammelte Friederike. Wie peinlich, diese Frau war mit Sicherheit nicht Ulla.
Enttäuscht beschloss Friederike nach Hause zu fahren.

Ein Schreck durchzuckte sie. In der Eile hatte sie ihre Kameratasche auf dem Bahnsteig stehen lassen! Hastig eilte sie zurück zur Plattform.

Ein kleiner Junge stand allein und verlassen da. Etwas großes, Graues lag vor ihm – die Kameratasche! Erleichtert rannte Friederike auf ihn zu.
"Hallo Kleiner!", rief sie außer Atem. "Danke, dass du auf meine Tasche aufgepasst hast, die hab ich nämlich vergessen. Wartest du auf deine Eltern?"
"Onkel Lukas wollte mich abholen", antwortete er. "Aber der hat mir vorher eine SMS geschickt, er sei noch in einer Besprechung. Wissen Sie, wie man am schnellsten zum Kolkrabenweg in der Spandauer Altstadt kommt? Ich bin übrigens der Kevin. "

 
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Salut...
Deine Geschichte ist, finde ich, vielmehr eine kurze Geschichte als eine Kurzgeschichte Eine sehr kurze Geschichte... Anderseits baust du die Charaktere sehr aus, was sie zwar tiefer(und sehr glaubwürdig) wirken lässt und geschickter eingebracht, aber auch die Frage nach dem Warum aufwirft. Die wird für mich nicht so beantwortet dafür ist sie eben zu kurz. Die Geschichte bleibt da in einer undankbaren Mitte hängen. Ich finde gerade die Situation auf dem Bahnhof interessant, die du leider nur mit einem Drittel des Textes bedacht hast. Schade...
Viel Spaß noch beim Schreiben!
Liebe Grüße

feh

 

Hallo Feh,

leider musste ich damals die Geschichte so kurz fassen, weil ich bei einem KG-Wettbewerb beim Utz-Verlag teilgenommen hatte, dessen Bedingungen es war nur 1000 Worte zu verwenden. Das Thema war "Augenblick".
Wenn ich normalerweise bei KG schreibe, werden meine Geschichten viel länger und gehen mehr ins Detail.
Ich überlege, ob ich sie noch ein wenig ausbaue, speziell darauf, was sich auf Friederickes Eifersucht auf Lukas Ex-Freundin aus München bezieht.

LG
Leia4e

 

Tag Leia,

es hat mich erstaunt, dass du diese Geschichte für einen 1000-Wort-
Wettbewerb geschrieben hast.
In diesem Hinblick halte ich einige Szenen für unnötig, z. B. unter anderem die Anfangsszene. Welchen Zweck erfüllt die auführliche Beschreibung des Szenarios? Muss die Protagonistin unbedingt ein First Class Hotel vor sich haben oder könnte sie nicht genauso gut in ihrem eigenen Wohnzimmer vor sich hin sinnieren?
Es hat mich, ehrlich gesagt, erstaunt, dass du dafür Worte "verschwendest", die an anderer Stelle sehr viel wichtiger gewesen wären.

Aber es ist schwierig eine Geschichte, die sehr stark auf Gefühlen und auf zwischenmenschlichen Beziehungen basiert, mit wenig Worten zu erzählen. Zu leicht rutscht man sonst in eine 0815-Standardbeschreibung. Genau das ist dir meines Erachtens passiert.
Die Schilderung der Beziehung zwischen Ulla und Lukas wird zu hastig abgehandelt, die Sache mit der perfekten Beziehung und dem eifersüchtigen Partner, der sie kaputt macht, gibt es schon zu oft.
Wenn du dich hier von der Masse abheben möchtest, ist es dringend nötig, den beiden eine indiviuduelle Beziehung und Trennung zu geben.

Genauso fehlt mir der Einblick in den Charakter der Protagonistin. Mir stellt sich die Frage, was mit ihr los ist und warum sie so wenig vertrauen zu Lukas ist. Dass sie misstrauisch ist und ein Treffen mit der Ex nicht gern sieht ist nachvollziehbar, aber dass sie ihm gleich nachspioniert versetzt mich schon in Erstaunen. Dass ist sicherlich kein normales Verhalten, das jede Frau an den Tag legt.

Ob es realistisch ist, dass eine Mutter ihren neunjährigen Sohn mit dem Zug alleine von München nach Hamburg schickt, wage ich zu bezweifeln. Aber für unmöglich halte ich es auch nicht.

Sorry Leia, hat mir nicht gefallen. Zu beliebig alles, zu austauschbar. Du schreibst gut, hast einen angenehmen Stil und ich schätze, du könntest noch mehr aus dieser Geschichte und deiner Idee machen.

Gruß, Fleur

 

Hallo,

der Meinung von Fleur kann ich mich nicht anschließen. Ich empfinde die KG vom Grundsatz her durchaus als gelungen.

Jedes nur denkbare Thema wurde bereits in soundso vielen Variationen behandelt. Deshalb, finde ich, ist es aber nicht gleich 08/15 und austauschbar. Wer etwas wirklich einmaliges Schreiben will, der muß schon ein ungewöhnliches Genie sein.

Warum Friederike diese Eifersucht ausgerechnet auf Ulla entwickelt, ist meines Erachtens nach durchaus deutlich zu erkennen: Sie ist die einzig wirklich große Liebe, die Lukas vorher hatte, und Friederike kennt sie nicht. Sie hat bisher nur ein einziges Foto von ihr gesehen, auf dem noch nicht einmal ihr Gesicht zu sehen ist. Also kann sie sie nicht einschätzen.

Sehr schön finde ich, daß zunächst die eifersüchtige Ulla in Friederikes Gedanken beschrieben wird und sich schließlich herausstellt, daß sie genauso ist ... vielleicht sogar schlimmer.

Die ausführliche Szene im Hotel stört mich nicht. Sie leitet korrekt zum Foto über, mit dem die Beschreibung von Ulla eingeleitet wird. Irritierend ist für mich allerdings, daß sie in dieser Stimmungslage "genüsslich ihren Irish Coffee" trinkt, um dann anschließend zum Bahnhof hetzen zu müssen.

Nicht ganz einleuchtend ist mir auch der Absatz über die S-Bahn und das stehengelassene Auto. So, wie der Absatz da steht, macht er im Gesamtzusammenhang der KG für mich keinen Sinn. Er ist einfach nur eine Beigabe und bringt die eigentliche Geschichte nicht weiter.

Und ein letztes: Der "Verkleidungsversuch" ... Wie soll ich das erklären ... ich dachte: Nein, sowas "albernes" muß doch nicht sein. - Ich finde, sie hätte besser darüber nachdenken sollen, welche Ausrede es gibt, falls Lukas sie entdeckt.

Es grüßt

Richard_K

 
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Hallo Fleur, hallo Richard_K,

erstmal vielen Dank für eure Beiträge.
Also Fleur, die Stadt in der die Geschichte spielt ist Berlin und nicht Hamburg. Ich kenn mich da ein bißchen aus, finde das Hotel gegenüber dem Aquarium, Nähe Alexanderplatz, bei dem man mit einem Aufzug durch ein riesiges Aquarium nach oben schwebt, sehr beeindruckend. Vom Alex kann man ohne Umsteigen nach Berlin-Spandau fahren, das weiß ich als Insiderin. :klug: :teach:
@ Hallo Richard_K - in Bezug Verkleidung kannst du recht haben. Friederike, mit dem Beruf Journalistin, hätte quasi immer mal eine Ausrede parad, um sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten. Fotos und Interviews lassen sich gut mit einem größeren Bahnhof verbinden.
Apropo Irish Coffee, den drinke ich auch gerne, wenn ich überhaupt nicht gut drauf bin, und dann mit Genuss;).
Im Allgemeinen werde ich die Geschichte noch mal in Ruhe durchlesen und das ein oder andere ändern.

LG
Leia4e

 

Liebe Leia,

danke für die Erklärung und sorry, dass ich beim Schreiben Berlin und Hamburg verwechselt habe.
Aber die Erklärung beantwortet trotz allem nicht die Frage, warum du die Szenerie in diesem Fall so ausführlich geschrieben hast.

Das mit der S-Bahn würde ich noch einbringen. Dass kann jemand von Außerhalb wirklich nicht wissen.

Gruß, Fleur

 
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Hallo Fleur,

als ich diese Geschichte schrieb, war ich vor kurzem in Berlin und wollte etwas von dem Flair der "neuen Berliner Mitte" herüber bringen, denn mir persönlich gefällt es gut im "neuen Ostberlin" und ich finde auch ein bißchen Luxus nicht so schlecht. Wegen meines schönen Berlinaufenthalts war ich von der Hauptstadtatmosphäre inspiriert und nicht von einem Wohnzimmer - obwohl meine Unterkunft in Berlin auch sehr schön war.:)

Gruß
Leia4e

 

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