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Ein Bild für Götter
Man sagt uns Reisebusfahrern ja so manches nach – wir sitzen grundsätzlich betrunken und übermüdet am Steuer, transportieren mit abgefahrenen Reifen Schulkinder und bieten Pensionistenclubs Höllentrips mit riskanten Überholmanövern auf Serpentinenstraßen. Aber was mich diese Frauen – sogar eine Ministerin war darunter – neulich geheißen haben … ich musste es verdrängen, um mich vor Scham und Schuldgefühlen nicht selbst zu morden. Dabei konnte ich gar nichts dafür. Trinkgeld hab ich am Ende trotzdem bekommen, sie sind ja anständig.
Das Trinkgeld zahlt sich immer aus, wenn Parteiorganisationen Ausflüge machen. Da hat jeder einen Ruf zu verteidigen und muss zeigen, was er für uns, das einfache Volk, übrig hat. Und das, während ihm die anderen auf die Finger schauen, also richtig echt und nicht nur theoretisch. In dem Fall war es die Frauenorganisation; zum Glück musste ich sie nur bis ins Burgenland fahren. Zwar in den tiefen Süden, aber immerhin nicht bis Tirol. So hab ich die Damen also um zehn Uhr Vormittag bei dem Weinbauern mit angeschlossener Gastwirtschaft abgeliefert und Punkt neunzehn Uhr wieder abgeholt. Was sie dazwischen gemacht haben, geht mich nichts an. Der Wirt schien jedenfalls zufrieden, als er jeder von ihnen die Hand schüttelte, bevor sie in den Bus stieg.
Um dreiviertel acht waren auch die Fehlenden gefunden – eine Handvoll wollte doch eine Runde spazieren gehen, wenn sie schon einmal zufällig die Natur umgab –, alle saßen mit bester Laune im Bus. Die Gespräche waren nicht mehr so ernst wie auf der Hinfahrt, es regte sich keine mehr über männliche Strichmännchen auf Notausgangsschildern auf, auch nicht darüber, dass es tatsächlich wieder ein Deutschbuch für Volksschüler gab, das einen arbeitenden Vater und eine kochende Mutter enthielt – obwohl nach jahrzehntelanger Arbeit in diese Richtung doch wirklich jeder wissen müsste, dass so etwas die Mädchen in ihre althergebrachten Rollen drängt!
Dafür lachten sie jetzt oft schallend laut und schrill über Dinge, die ich nicht verstand. Akustisch. Ich glaube, sie haben sogar über Kochrezepte geredet, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mich da verhört habe. Haben muss. Das Erste, was ich nach einer Viertelstunde Fahrzeit wirklich eindeutig verstand, war: »Wann machen wir Pinkelpause?«
Nicht etwa, dass das eine an mich gerichtete Frage gewesen wäre, nein: Die Ministerin stellte sich in den Mittelgang und leitete die Diskussion.
Wortfetzen wie »schon etwas früh« und »wenn wir halt müssen« drangen zu mir, gefolgt von operettenreifem Lachen. Dann machte die Stadträtin den Vorschlag, zu warten, bis eine von ihnen wirklich dringend müsse. Je länger sie warten, desto mehr würde sich dann das Stehenbleiben auszahlen, weil die Anzahl derer mit Druck auf der Blase inzwischen stiege. Ich hätte mir gern an den Kopf gegriffen, aber Politikerinnen sind teuer, wenn man sie verunfallt.
Da mischte ich mich ein: »Die nächste Autobahnraststation ist nur noch ungefähr fünfzehn Kilometer …«
Die Ministerin nahm mir das Wort, nachdem von hinten Maulen zu hören war, und sagte ziemlich ungeduldig: »Fahren'S bei der Abfahrt da vorne gleich runter und bleiben’S wo stehn.«
»Zu Befehl«, sagte ich, folgte dem Wunsch der Dame und sie wies mich weiter an, neben dem Kukuruzfeld hundertfünzig Meter nach dem Ende der Autobahnausfahrt anzuhalten. Die Straße bog sich hier leicht nach links. Zu den anderen sagte sie: »Wir können uns da alle neben den Bus hocken, der bietet einen guten Sichtschutz.« Mädchenhaftes Kichern drang in meine Ohren, dazu wie im Takt die Frage »Wer noch?« einer Taschentücher verteilenden Stadträtin. Ich unterstützte ihr Vorhaben wohlwollend und brachte das Fahrzeug etwas schräg zum Stehen.
Es stiegen also neun Frauen aus, reihten sich neben dem Bus auf, hoben ihre Röcke und entblößten ihre gut gepolsterten Hintern. Sie haben wahrscheinlich nicht bedacht, dass ich sie im rechten Außenspiegel sehen konnte. So geschützt vor den Blicken der vorbeifahrenden Gendarmerie haben sie auch nicht mitbekommen, wie diese stehenblieb und was mir der Beamte durch das offene Fenster deutete. Seinem Zeigefinger folgend entdeckte auch ich das "Halteverbots-Ende"-Schild direkt vor mir.
Ich steckte zwei lange Sekunden in einem schweren Loyalitätskonflikt. Das Auge des Gesetzes wirkte sehr streng, die untergehende Sonne tauchte den Himmel über ihm in ein höllisches Rot, und ich wollte mir keine Schwierigkeiten einhandeln. Durch die offene Tür hörte ich nur ein plätscherndes »Pschschsch…«, das war viel weniger furchterregend, und so tat ich, was mir befohlen wurde.
Ich fuhr eine Buslänge vor.