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Ein dämlicher Trick
Alles begann recht früh, kurz nach meinem Einzug: Das Erste, was mir auffiel, war das allmähliche Dichterrücken der Wände, grau–weiße Kalkputzwände, von mir nur sehr lieblos mit dilettantisch eingerahmten Möchtgerngemälden beworfen, die mit der Zeit und durch den dicken Rauch aus früheren Unterkünften befremdlich zerlaufen waren. Unwesentlich und nicht nachzumessen, die Millimeter, die mir täglich in meiner Abwesenheit, während ich auf der Arbeit mein Leben verblutete, genommen wurden. Aber doch bemerkte ich, wie mein Raum, mein Raum zur Entfaltung, von Tag zu Tag schrumpfte.
Ich versuchte, es zu ignorieren, hatte mit meinem neuen Job auch genug Last, doch als ich mich nur noch gebückt fortbewegen konnte, mich durch den Türrahmen hinausquetschen musste, und schließlich die Nächte in Embryohaltung auf einer zusammengedrückten Matratze kauerte, da wurde mir klar, dass mein Leben enger wurde, dass ich es anscheinend nicht wert war, so viel Platz zu verschwenden. Platz, der für wichtigere Menschen wertvoller genutzt werden konnte. Auch glich mein Fenster, aus dem ich in den trockenen Himmel schaute, nun einer Schiffsluke, aus der ich nicht mehr in den Himmel schauen konnte; dabei sah ich doch so gerne die Vögel fliegen.
In den Bahnen, in denen ich zur Arbeit fuhr, las ich immer häufiger in den Schmierblättern, denen niemand ein Wort glauben mochte, mit dem Gesicht an die käsige Scheibe gedrückt, die Brille bohrte sich schon ins Gesicht, von der neuen Politik der Räumlichkeit. Platz sollte nun nach Wertigkeit vergeben werden.
Eines Tages, es war just letzte Woche, gab man mir die Wahl, so meine Interpretation der ganzen Geschichte: Ich kam heim, streckte und dehnte mich ein letztes Mal so, wie es mir mein Chiropraktiker empfohlen hatte, und kroch verdutzt in einen großen Raum, so groß, wie das Apartment ursprünglich war.
Der dämliche Trick, meine Wahl, bestand darin, dass in der Küche ein Strick an der Decke baumelte, ein Stuhl stand darunter.
Ich betrachtete ihn, stellte mich auf den Stuhl, wägte verschiedene Möglichkeiten, eigentlich nur zwei, ab, listete Vor– und Nachteile beider Möglichkeiten auf, was ein eindeutiges Unentschieden ergab, zog den Strick sogar schon fest um meinen Hals, hätte nur noch den Stuhl beiseite stoßen brauchen …
Doch so leicht und mit einem so billigen Trick kann man mich, Fritz Hogendam, nicht beiseite räumen! So leicht kriegen diese Schweine mich nicht unter, hab ich mir gesagt und den vorhandenen Platz genossen, bis die Wände wieder gegen mich vorrückten. Nicht mit mir, nicht mit Fritz Hogendam!
Auch nutzte ich die Zeit um diese Schrift zu verfassen. Also, Mitbürger und Mitbürgerrinnen, liebe Mitmenschen, Leidensgenossen und Mitunterdrückte, lasst euch nicht unterkriegen, lasst euch nicht vertreiben! Jeder Mensch hat das Recht zu existieren, und dafür solltet auch ihr euch entscheiden.
Euer
Fritz Hogendam