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Ein durchaus alltägliches Problem

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06.08.2005
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Ein durchaus alltägliches Problem

Gemütlich sitze ich auf den halbwegs bequemen Korbstühlen eines Straßencafés. Es ist zehn Minuten vor drei, um drei habe ich eine Verabredung.
Ich sitze da und schaue mir die Leute an, die in Eile an mir vorbei hetzen und auch die, die langsam einen Fuß vor den Anderen setzten und gespannt darauf warten, wohin ihre Beine sie tragen werden.
Die Bedienung kommt und fragt mit aufgesetzter Höflichkeit, ob ich denn etwas zu trinken wolle, was ich mit der gleichen aufgesetzten Höflichkeit verneine.
Vorerst geschlagen aber noch lange nicht besiegt, zieht sich die Kellnerin zurück. Während ich da sitze, dreht sich mein Kopf von links nach rechts und wieder zurück, wie diese Radarempfangsgeräte, die man manchmal im Fernsehen sieht. Meine Augen passieren bei dieser Hin- und- Herbewegung mehrere Checkpoints.
Der erste ist die Ampel auf der anderen Seite des Platzes, der zweite ist der Ausgang der U-Bahn Station, der dritte ist der zweite Ausgang der selben U-Bahn Station, der vierte ist die Ecke des Hauses vor dem ich sitze.
Der fünfte und der sechste sind beides Ausgägnge der U-Bahn, der siebte ist die Ampel auf der anderen anderen Seite des Platzes, der achte ist die Hausecke auf der dritten anderen Seite des Platzes und die neunte ist die andere Hausecke des Hauses vor dem ich sitze. Auf der langen Reise zwischen dem ersten und dem letzten Checkpoint betrachte ich die Leute.
Am Nachbartisch läuft eine junge Frau freudestrahlend auf einen jungen Mann zu, der dort schon saß, als ich kam.
Sie setzt sich neben ihren Begleiter und nachdem sie sich zur Begrüßung intensiv geküsst haben, reden sie noch kurz miteinander, bevor sie beide aufstehen und Arm in Arm davon gehen. Ich überlege was ich meiner Verabredung als erstes sagen könnte, ich überlege mir sozusagen eine Gesprächschoreographie, scheitere jedoch bereits bei ihrem ersten Satz, weil ich nicht weiß ob sie „Hallo, wie geht es dir, schön dich zu sehen.“ sagt oder etwas in der Richtung oder, ob sie „Entschuldige vielmals, dass ich mich verspätet habe, aber du weißt ja wie das ist.“ sagt, eventuelle Abweichungen einbezogen.
Wobei sich in den wilden Gedankensprüngen, derer ich fähig bin bereits eine neue Problematik stellt, denn was wenn sie zu spät kommt, wenn sie so zu spät kommt, dass ich schon gegangen bin, was ich hiermit beschließe nicht zu tun, um diese Möglichkeit auszuschließen, aber was, wenn sie gar nicht kommt und ich noch in einem Jahr, oder noch mehr, auf meinem Korbstuhl sitze und den Pärchen an den Nebentischen beim knutschen zuschaue.
Ich werde ganz zerfetzt Kleidern dort sitzen, der Stuhl wird auf Grund der jahrelangen Belastung eingekracht sein und ich werde wie ein Penner auf dem Boden sitzen, zwischen den Resten meines Stuhls, den ich vielleicht im nächsten Winter, der ja so furchtbar kalt gewesen sein wird, verbrannt habe und eines Tages wird sie, meine Verabredung ist eine Frau, eines Tages wird sie also Arm in Arm mit ihrem Mann, der ein erfolgreicher Herzchirurg ist und mit ihren drei wundervollen Kindern um die Ecke kommen, sie hat einen Sohn und zwei Töchter, der Sohn ist der älteste, er trägt einen leichten Sommeranzug von Hèrmes, in beige und ein Paar rahmengenähte Schuhe aus England, seine Schwester, das ältere der beiden Mädchen ist ein Bild von einer jungen Frau, so wie er ein Bild von einem jungen Mann ist, sie, die Tochter, trägt ein rotes Kleid mit Spagettiträgern, sie hat lange braune Haare die sie mit einer Sonnenbrille, die sie als Haarreif verwendet, im Zaum hält und die perfekt zu der wundervollen Handtasche und den Lackschuhen passt.
Die Jüngste hat einen kleinen runden Strohhut auf dem Kopf und ein kleines, dunkelblaues Kleidchen mit weißen Spitzen an und springt quietschvergnügt zwischen den Armen ihrer Eltern herum. Ihre Mutter hat eines dieser klassischen Kostüme an, einen Blazer, einen bis zu den Knien reichenden Rock, beides mit Nadelstreifen. Darunter trägt sie eine weiße Bluse und um ihren Hals hängt ein Diamantkollier. Man kann sehen, dass sie einen Tanga trägt, da man nicht die Naht der Unterhose auf ihrem Hintern sieht. Ihr Gatte, der erfolgreiche Herzchirurg, trägt, wie sollte es anders sein, einen schwarzen Anzug, eine dunkelrote Krawatte mit schwarzen Querstreifen und sieht aus wie ein Filmpartner von Doris Day.
Während sie an dem Café vorbeiläuft, das schon vor drei Jahren zugemacht hat, weil es keine Besucher mehr hatte, weil irgend so ein Penner - ich - sich geweigert hat weg zu gehen, weil er noch auf jemanden warte. Während sie also an diesem Café mit dem bedauerlichen Schicksal vorbeiläuft, denn das Café lief richtig gut, es war eine Szenekneipe, was auch der Grund war warum wir uns dort verabredet hatten, also, wie gesagt, während sie da vorbeiläuft bekommt sie ein schlechtes Gewissen, weil sie damals doch diesen einen Kerl, wie hieß er doch gleich, hat sitzen lassen, vielleicht hat sie aber auch kein schlechtes Gewissen, weil sie sich einfach nicht mehr daran erinnert, es ist ja schließlich Jahre her, vielleicht aber auch weil sie seitdem noch so viele andere Männer hat sitzen lassen, dass sie sich an diesen einen auch nicht mehr erinnert.
Doch plötzlich, egal ob sie ein schlechtes Gewissen hat oder nicht, steht so ein Penner vor ihrer Nase und sagt, „Da bist du ja endlich, du bist ein bisschen zu spät, weißt du noch wir waren einmal in diesem Café hier verabredet, vor ich glaube zwanzig Jahren, erinnerst du dich ?“. Und ja, sie erinnert sich und verliebt sich unsterblich in mich und wir lassen ihren Halbgott von Mann und ihre göttlichen Kinder einfach so da stehen und fahren auf meinem Einkaufswagen dem Sonnenuntergang entgegen. Und wir heiraten und haben auch Kinder die noch viel besser sind und wir leben glücklich bis ans Ende unserer Tage, doch das wäre ja wohl etwas zu unrealistisch, doch der Gedanke mit dem Heiraten ist gut, also nächster Versuch.
Sie kommen um die Ecke aber streiten lautstark, die Kinder schauen betreten zu Boden, er beschimpft sie, ein billiges Flittchen zu sein und sie sagt, dass er eine Nullnummer im Bett sei und sein „kleiner, bester Freund“ nicht über Legomännchenlänge hinauskäme und dass sein wirklicher bester Freund ein noch besserer Herzchirurg sei als er und dass man sähe, dass dieser gar nicht wüsste wohin mit der Menge an Penis, die er zu verwalten hätte.
Da will er ihr eine verpassen, doch der starke Arm des Penners greift sein Handgelenk und sich unter Schmerzen krümmend, sinkt der erfolgreiche Herzchirurg weinend zu Boden, der Penner, also ich, treten ihm noch mal vors Würstchen, sie darf auch noch und dann kommt wieder die Sache mit dem Sonnenuntergang und so weiter.
Auch keine schlechte Idee, aber auch noch nicht das Wahre.
Sie kommen ein weiteres Mal um die Ecke, plötzlich springt unter lautem Geschrei ein Ork hervor, mit einer großen, schartigen, von Blut triefenden Axt in der Hand und einem infernalisch- animalischen Grinsen im Gesicht, er hebt seine Axt, will dem erfolgreichen Herzchirurg den Kopf abschlagen, aber der sagt „Nein, bitte nicht, nimm sie!“, oder so etwas in der Art, der Ork tut wie ihm geraten.
Doch das würde zu weit abführen und man kann ja schließlich auch ohne Ork ein Held sein. Ein verrückter Amokläufer, anstelle des Orks wäre zwar etwas realistischer aber dennoch nicht so wirklich das Optimum.
Dann aber, sie kommen um die Ecke, die Jüngste rennt auf die Straße, ein sehr großes und sehr schnelles Auto kommt auf sie zu, sie, also SIE, schreit, weint, fleht, er ist ganz auf den Hintern einer völlig x-beliebigen Person weiblichen Geschlechts fixiert, doch plötzlich, wie aus dem Nichts springt ein Penner, ich natürlich, auf die Straße und nur mit Haaresbreite kann der Penner das Kind noch wegschieben, wird jedoch selbst angefahren, also ich werde angefahren. Wenige Tage später, der Penner liegt im Krankenhaus und es geht ihm so weit ganz gut, da kommt sie ihn besuchen und er sagt ihr wer er sei, beziehungsweise, wer er war, Penner sind ja irgendwie Existenzlos, und ja, so ein Zufall, sie erinnert sich und nach ein paar Wochen kommt er aus dem Krankenhaus und sie holt ihn ab und sie gehen zusammen einen Kaffee trinken, in einer gewissen Bar, die neu eröffnet hat, weil der Penner ja dann weg war, das heißt weil ich weg war.
Doch trotz Allem wäre die Version, sie kommt um die Ecke, sie allein, kein er, keine göttlichen Kinder, nur sie und da sitzt auch kein Penner sondern ich, so wie jetzt und das ganze ist auch nicht viele Jahre später, immer noch die Beste.
Und dann, plötzlich geschieht etwas ganz Überraschendes, ich sitze also mal wieder, oder immer noch, oder schon wieder, oder was auch immer, auf meinem Korbstuhl, oder vielmehr dem das Lokals, das hoffentlich nie zumacht weil irgend so ein Penner nicht weggeht, oder aus sonst irgend einem Grund, weil es so bequeme Korbstuhle hat.
Das Überraschende, das geschieht, ist, dass während mein Auge gerade beim letzten Checkpoint angekommen ist, schwingt die Radarschüssel plötzlich ganz wider den Plan zurück und da sehe ich, wie sie um die Ecke kommt, allein, ohne göttliche beziehungsweise halbgöttliche Begleitung. Sie läuft auf mich zu, wir küssen uns zur Begrüßung und ich achte darauf, dass es noch etwas intensiver und langandauernder wird, als bei dem Pärchen vom Nachbartisch.

 
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So...
hier haben wir wieder eine Geschichte, lest und dann schreibt mir, was ihr davon haltet...(!!!):)

Elias

 

Hallo Elias

Ich musste während deiner Geschichte dauernd lachen! Die drei Varianten, die du schilderst, fand ich sehr lustig. Besonders als der Ork kommt... Erinnert mich so an World of Warcraft.
Du hast einen flüssigen Stil, schreibst lustig, sehr interessant. Die vielen Kommata haben es an manchen Stellen etwas schwierig gemacht, alles in einem Rutsch zu lesen, andererseits passt es hervorragend zu deinem... etwas seltsamen Prot.
Mir hat die Geschichte ziemlich gut gefallen, auch wenn kein wirkliches Thema erkannbar gewesen ist, außer vielleicht die Vorstellungskraft deines leicht verwirrten Prots.
Viele Grüße
Yulivee

 

Zunächst einmal:

Zitat von Yulivee
Erinnert mich so an World of Warcraft.
Bei einem Ork denkt man doch an den "Herr der Ringe". :rolleyes: ;)

Nun aber ernsthaft zu deiner Geschichte, lieber Elias, denn die hat mir wirklich gut gefallen. Dein Stil liest sich flüssig und deine detaillierten Beschreibungen machen das Ganze sehr lebensnah. Ein paar kleine Anmerkungen habe ich aber dennoch:

Ich sitze da und schaue mir die Leute an, die in Eile mit großen Schritten würdevoll an mir vorbeischreiten und auch die, die langsam einen Fuß vor den Anderen setzten und gespannt darauf warten, wohin ihre Beine sie tragen werden.
Für mich hetzen Menschen eher durch die Gegend als dass sie "würdevoll" an einem vorbeischreiten. Und wohin sie wollen sollten sie doch wissen. ;)

Vorerst geschlagen aber noch lange nicht besiegt, zieht sich die Kellnerin zurück.
Der Satz gefällt mir, aber eigentlich ist es ja schon eine Sache der Höflichkeit, was zu bestellen, wenn man in einem Café sitzt. ;)

Der erste ist die Ampel ...
Diese Aufzählung finde ich ein wenig zu lang und von der Systematik her etwas eintönig (der erste, der zweite, dritte usw.).

Ich werde ganz zerfetzt dort sitzen
"Zerfetzt" ist hier ein eher unschönes Wort. Ich denke mal, seine Klamotten werden ggf. zerfetzt sein, aber er selbst?

infernalisch- animalischen
kein Leerzeichen

der Ork tut wie ihm geraten doch das würde zu weit abführen und man kann ja schließlich auch ohne Ork ein Held sein.
Hier würde ich den Satz hinter "wie ihm geraten" beenden und mit einem großen Doch weitermachen, da dann deutlicher wäre, dass er aus seiner Phanatasie wieder in der Realität angekommen ist.

er sagt ihr wer er sei, beziehungsweise, wer er war, Penner sind ja irgendwie Existenzlos, und ja, so ein Zufall, sie erinnert sich und nach ein paar Wochen kommt er-ich aus dem Krankenhaus sie holt ihn ab und sie gehen zusammen einen Kaffee trinken, in einer gewissen Bar, die neu eröffnet hat, weil der Penner ja dann weg war.
Ein bisschen wirr, dieses "er, also ich". An manchen Stellen ein wenig zu viel.

Das Überraschende, das geschieht, ist, während mein Auge gerade beim letzten Checkpoint angekommen ist, schwingt die Radarschüssel plötzlich ganz wider den Plan zurück, weibliche Intuition, weil es heißt ja DIE Radarschüssel, sie schwingt also zurück und da sehe ich, wie sie um die Ecke kommt
Das ist ja nun noch wirrer. Die Radarschüssel hat weibliche Intuition? :susp:
Und eigentlich müsste es ja heißen Das Überraschende, das geschieht, ist, während mein Auge gerade beim letzten Checkpoint angekommen ist, dass die Radarschüssel plötzlich wieder zurückschwingt ....

Die abstrusen Phantasien, die dein Prot. sich aus Angst, dass sein Date nicht kommt, macht, finde ich äußerst unterhaltsam, wobei du ein - wie oben bereits erwähnt - ein wenig aufpassen musst, dass sie an manchen Stellen nicht allzu konfus sind. Dass ein Mensch Jahre in einem Café verbringen kann ist zwar eher unwahrscheinlich, aber in dem Fall kann man über diese "kleine" Unlogik hinwegsehen.

Am besten fand ich den letzten Satz bzw. genauer gesagt das Ende deines (langen) letzten Satzes:

wir küssen uns zur Begrüßung und ich achte darauf, dass es noch etwas intensiver und langandauernder wird, als bei dem Pärchen vom Nachbartisch.
:D

Lieben Gruß,
Nina

 

@beide...

Vielen Dank für die positive Kritik und die Hinweise, ich werd nochmal drüber sehen. Es freut mich, dass ich im Alltag-Forum ein paar nette Worte höre, weil sonst bin ich mehr bei Fantasy zu Hause, wei man merkt (siehe Ork).

Zitat:
Zitat von Yulivee
Erinnert mich so an World of Warcraft.

Bei einem Ork denkt man doch an den "Herr der Ringe".


Beides, liebe Leute, beides...:D

Elias

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Elias!

Diese deine Geschichte gefällt mir wahnsinnig gut - der Gedankenfluss ist herrlich zu verfolgen, irgendwie nachvollziehbar und doch sehr überraschend, belustigend, ja geradezu erquickend!
Die - wie es umschreiben? - gemütliche, heitere Hast im Erzählstil sagt mir persönlich sehr zu.

Andere mögen es kritisiert haben, aber ich muss gestehen, dass ich all die Verschnörkelungen in deinen Sätzen nahezu genossen habe, Kommata, Kommata und immer mehr Kommata, das ist doch herrlich - es trägt absolut zu dem frischen Esprit, der die Geschichte trägt, bei!

Lass dir nichts einreden, denn lange, verschachtelte Sätze sind wahrlich dufte ;)

Moment, ich bemühe mich noch redlich, einen Kritikpunkt zu finden.

Das mit dem Ork wurde mir beinahe zu viel, aber auch nur beinahe; da du es nur angeschnitten hast, war es noch wohldosiert.

Die Idee der Checkpoints finde ich zwar ansich gelungen, der Moment, an dem du sie aufzählst ist jedoch in der Tat zu "fern" für den Leser; denn man entwickelt durch die Aufzählung keine klare Vorstellung von der räumlichen Umgebung, sondern wird im Grunde nur ein bisschen abgelenkt. Zwar finde ich Verworrenheit ansich ja grandios, aber an diesem anfänglichen Moment in der Geschichte fand ich sie etwas deplatziert, überspitzt.

Das Ende ist natürlich befriedigend und gelungen, wie du sicherlich selbst weißt :)

Ganz Liebe Grüße,
Anabel

 

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