Ein ganz normaler Abend ?
Vorweg möchte ich anmerken, dass ich mir nicht sicher war, in welcher Rubrik ich diese Geschichte unterbringen sollte.
Da sie alltägliche "Dinge" behandelt, steht sie nun hier.
---------------- schnipp -----------------
Es ist schon dunkel, muss gegen halb elf sein, auf die Uhr gesehen hat sie nicht – was bedeutet schon Zeit ?
Sie fröstelt, denn obwohl es noch warm ist, weht eine leichte kühle Brise durch ihr nasses Haar. Vielleicht hätte sie die Dusche nach dem Training ausfallen lassen sollen.
Um sich herum kaum etwas wahrnehmend lässt sie die Gedanken schweifen und das Gespräch mit ihrer Trainerin auf sich wirken.
Die Sandalen in der linken, die Trainingstasche in der rechten Hand läuft sie barfuss über das leicht vertrocknete Gras des Begrünungsstreifens. Wie immer biegt sie an seinem Ende links ab und läuft auf die kleine Brücke.
Plötzlich hält sie inne.
Was war das für ein Geräusch ?
Angestrengt lauscht sie in die Nacht, die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen, die Lippen aufeinandergepresst – da !
Da war es wieder.
Und sie wusste genau, was das für ein Geräusch ist.
Fast lautlos lässt die ihre Tasche zu Boden gleiten, nimmt ihr Gymnastikgerät heraus und legt sorgfältig ihre Schuhe auf die Tasche.
Während sie auf das Geräusch zugeht, schliesst sich ihre Hand fest um den Kopf ihrer Keule.
Unter der defekten Laterne am Ende der Brücke erkennt sie schemenhaft jemanden kauern. Sie kneift die Augen noch weiter zusammen und starrt in die Dunkelheit bis sie auch noch ein Paar Beine erkennen kann.
Wie in Trance läuft sie langsam auf den Knieenden zu, sein Rücken ist ihr zugewandt.
Langsam hebt sie während der letzten Schritte die Keule.
Als der Mann sie bemerkt saust die Keule bereits zum ersten Mal nieder und trifft ihn mit voller Wucht. Benommen lässt er von seinem Opfer ab, doch sie schlägt so lange auf ihn ein, bis er sich nicht mehr rührt.
Die Liegende rappelt sich auf, ordnet hastig so gut es geht die zerrissenen Kleider. Sie sehen sich schweigend an und nicken einander zu.
Sie hört ihr Herz so laut pochen, dass die ganze Stadt es hören können müsste und sieht der Davonlaufenden nach.
Sie dreht sich um, geht zu ihrer Tasche, stellt die Schuhe beiseite, wickelt ihr Gymnastikgerät in das feuchte Handtuch und verstaut beides in der Tasche.
Wieder ihren Gedanken nachhängend setzt sie ihren Heimweg fort.
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Nachdem sie die Tür leise ins Schloss fallen liess, betritt sie das Bad.
Sie wirft ihre Trainingskleidung, das feuchte Handtuch und die Tasche in die Waschmaschine und stellt diese an.
Dann wäscht ihr Gymnastikgerät und ihre Hände.
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Nachdem sie ihre Sandalen ins Schuhregal gestellt und nach den schlafenden Kindern gesehen hat, betritt sie das Wohnzimmer.
"Na, Mausi, wie war’s ?" tönt ihr die lallende Stimme ihres Mannes entgegen. „Ganz normal – wie immer“ erwidert sie und mustert ihn von oben bis unten. Sie dreht sich um, geht ins Schlafzimmer, holt einen Koffer vom Schrank und wirft einen Teil seiner Kleidung hinein.
Mit dem Koffer in der Hand geht sie wieder ins Wohnzimmer, stellt ihn ihrem Mann vor die Füsse und sagt ruhig aber bestimmt: "Geh jetzt."
[Beitrag editiert von: Ketzerin am 26.11.2001 um 19:40]