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Ein halbes Jahr
Ein halbes Jahr
Es klingelte. Er öffnete. Seine Frau stand vor der Tür. “Bitte!” sagte er. “Komm herein!”
Sie lächelte. Aber es war kein Lächeln.
“Du bist pünktlich”, sagte er. “Genau auf den Tag.”
“Du hast es ja so gewünscht”, sagte sie.
“Ach, komm”, sagte er, “lassen wir diesen Ton. Das klingt sonst so nach Friedensverhandlungen, und was dabei herauskommt, ist dann doch kein Frieden.”
Sie waren ins Zimmer gegangen, und er sagte: “Bitte, setz dich! Warum denn auf den steifen Stuhl? Setz dich doch in deinen Sessel! - Was trinkst du? Tee oder Kaffee?”
Er wollte in die Küche gehen. “Nein, bitte!” sagte sie. “Wenn du nichts dagegen hast, mache ich uns Kaffee.”
“Na gut”, sagte er. “Du weißt ja, wo alles steht. Es ist noch alles genauso. Ich laufe währenddem zum Bäcker und hole - Was für Kuchen möchtest du haben? Ah, ich weiß schon!”
Er hatte bereits die Klinke in der Hand, da sah er sich noch einmal um. “Was ist?” fragte er.
Sie stand starr da. “Ja, willst du mich denn in deiner Wohnung allein lassen?”
“Hast du vor, sie auszuräumen? Oder -“ er machte eine Pause “- willst du nur mir noch mehr wegnehmen?”
Ihr Gesicht wurde eisig. “Na, siehst du”, sagte er. “Ich bin gleich zurück.”
Er holte Makronen, weil er wusste, dass sie die gern aß. Außerdem brachte er Pflaumenkuchen mit. Den aß er gern.
“So, da bin ich wieder!- Nanu, schon mit allem fertig? Hast du dich zurechtgefunden?”
“Es sind ja dieselben Handgriffe! Die werde ich doch noch wissen!”
“Halt mal! Was willst du denn da?”
“Na, nur ein bisschen aufräumen, bis der Kaffee durchgelaufen ist.”
“Nee, nee, das gibt`s nicht! Die Aufwasch mache ich selber!”
“Aber es ist ja kein einziger Teller sauber!”
“So?- Na ja, meinen Kuchen esse ich meistens gleich vom Papier. Also gut, zwei Kuchenteller. Aber mehr nicht! Ich decke inzwischen - Wie, der Tisch ist ja auch schon fertig!”
Er suchte nach Zigaretten, fand aber keine Schachtel, die nicht schon angebrochen war. Er nahm die Zigaretten aus den Schachteln heraus, pustete den Staub von einem Messingteller und legte sie darauf. “Wie ist das eigentlich”, rief er in die Küche, “rauchst du?”
“Das weißt du doch”, antwortete sie.
“Es konnte ja anders geworden sein”, sagte er. Er stellte den Messingteller auf den Tisch. “In einem halben Jahr ändert sich manches.”
“Bitte, was sagtest du?” Sie kam mit den Kuchentellern ins Zimmer. “Es ist dir doch recht, ich habe den Kuchen auf die Teller getan, redlich geteilt. Der Kaffee ist auch fertig.” Sie ging in die Küche zurück und holte ihn.
Als sie wieder ins Zimmer kam, stand er am Fenster und sah hinaus.
“So”, sagte sie, “wenn du jetzt Kaffee trinken möchtest -“
“Du solltest Kaffee trinken!” sagte er. “Du bist mein Gast.” Sie setzen sich.
“Aber einschenken tue wohl lieber ich?” sagte sie.
Er sah ihr zu, wie sie einschenkte. Sie hatte rote Fingernägel, zu rot; sie sahen aus wie blutige Krallen.
“Mag das Peter gern?” fragte er.
“Was?”
“Die Krallen.”
“Findest du, dass sie zu rot sind? Alle Frauen tragen sie doch so rot.”
“Ich mag den Lackaffen nun mal nicht leiden. Nicht bloß, weil er mir meine Frau genommen hat.”
“Bitte, lass das doch! Und sag nicht auch schon wieder Lackaffe`!”
“Aber er ist eine!”
Sie schwieg.
“Ich habe dir ein halbes Jahr Zeit gegeben, damit ich mein Einverständnis zu unserer Scheidung gebe?”
“Trink doch!” sagte sie. “Dein Kaffee wird ja kalt! - Übrigens danke ich dir, dass du Makronen besorgt hast!” Er winkte ab mit einer Geste, die ausdrückte: Erledigt.
“Und wenn ich nun nicht einverstanden bin?”
Sie fingerte nach einer Zigarette, wollte etwas sagen, mußte sich aber räuspern, dann fragte sie: “Hast du wohl etwas Feuer?”
“Ach so”, sagte er, nahm sein Feuerzeug aus der Tasche und reichte ihr Feuer.
“Rauchst du nicht?” fragte sie.
“Doch, auch.” Er nahm wahllos eine der Zigaretten von dem Messingteller, steckte sie zwischen die Lippen und zündete sie an.
“Du sagtest vorhin”, sagte sie langsam, “dass - in einem halben Jahr sich manches ändert -“
“Habe ich das gesagt?” Sie nickte
“Na ja, das stimmt ja auch”, sagte er.
Sie sprach nicht weiter. Eine Weile sassen sie schweigend da, sogen nur an ihren Zigaretten und bliesen den Rauch aus. Er sah durch den Rauch hindurch ihr Gesicht. Sie sah ihn nicht an, sondern blickte zu Boden.
“So -“ sagte er, “so.- Und wo - Ja, wo wohnst du denn dann jetzt?”
“Ich habe mir ein möbliertes Zimmer gemietet.”
“Schon lange?”
“Lange genug.”
Er brauste plötzlich auf: “Ja, warum bist du denn nicht längst gekommen?”
Sie machte eine hilflose Geste. “Du hattest mir doch gesagt, erst, wenn ein halbes Jahr herum sei, würdest du über dieses Thema wieder mit mir sprechen.”
“Aber es ist doch jetzt ein ganz anderes Thema!” sagte er.
“Nicht wahr?” nickte sie kindlich. “Ich finde das ja auch. - Schon lange!” Sie schluchzte plötzlich. Und dann weinte sie und konnte nicht wieder aufhören. Sie tastete nach ihrer Handtasche, aber fand sie nicht.
Er war aufgestanden und stand neben ihr.
“Bitte”, sagte sie, “gib mir mal dein Taschentuch! - Ich kann es ja nachher mitnehmen und dir auswaschen.” Sie brachte den Satz nicht deutlich zu Ende, denn noch während sie sprach, war aus ihrem Weinen ein haltloses Heulen geworden.
Er strich mit der Hand über ihr Haar. “Das kannst du doch”, sagte er, “dann - her tun.”