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Ein letztes Gespräch

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04.02.2003
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Ein letztes Gespräch

In letzter Zeit denke ich oft an dich, an dein Leben, deine Vergangenheit, meine Vergangenheit.
Ich weiß, wir haben nicht mehr viel Zeit, denn du wirst bald sterben. Alle Zeichen sprechen dafür. Man sagt, du hast dein Leben gelebt und mit 86 Jahren sogar recht lang. Das ist sicherlich richtig, aber ich wollte dir immer so viel sagen und tat es nie. Nun ist es wohl zu spät.

Du bist in den letzten Jahren alt geworden. Ja, mir ist klar, auch mit 80 Jahren ist man schon alt, aber viele Jahre gelebt zu haben und alt zu sein, sind verschiedene Dinge. Wenn ich dich heute sehe, wie du nur noch schlurfend voran kommst, wie du deinen Rücken immer gebeugt hältst, wie du ständig im Sitzen einschläfst, dann sehe ich einen alten gebrechlichen Mann. Ich sehe den Tod schon in deinen Augen.

Mag sein, dass wir mal ein inniges Verhältnis hatten, als ich noch klein war. Immerhin bist du mein Großvater und wir wohnten in dem selben Haus.
Weißt du noch, wie du mich gelehrt hast, mit dem Zirkel Blumen zu zeichnen? Ich hab sie dann bunt ausgemalt. Es war schön, wenn wir zusammen gemalt haben. Ach so, du kannst dich nicht mehr erinnern. Schade.

Nein, ich sehe die Spielflugzeuge am Himmel nicht. Man hatte mir schon erzählt, daß du manchmal halluzinierst. Ich konnte es gar nicht glauben. Was soll ich sagen? Soll ich dich anlügen und sagen ich sehe das, was du siehst? Früher, da haben wir „Ich sehe was, was du nicht siehst“ gespielt. Welch Ironie!

Eigentlich weiß ich gar nicht viel von dir. Du weißt ja, wie das ist. Man wird älter und hat andere Interessen. Wer will sich schon in der Pubertät mit seinen Großeltern unterhalten? Ich wollte es jedenfalls nicht, was ich heute bereue. Ich bin dein Fleisch und Blut und deine Vergangenheit ist irgendwie auch meine. Doch nun geht alles verloren, deine Gedanken und Gefühle, alles, was dich ausmacht.

Manchmal, wenn ich nach einigen Geschehnissen der Vergangenheit frage, antwortest du ausführlich. Deine Jugend ist dir in deinem Gedächtnis näher als die Gegenwart oder die jüngere Vergangenheit.
Wird es mir später auch so gehen? Geht es allen alten Menschen so?

Deine Vergangenheit. Sie holt dich immer wieder ein – in deinen Träumen. Du wachst schreiend und schweißgebadet auf.
Der Krieg. Davon hast du nie viel erzählt. Ich weiß wohl, wo du überall gewesen bist, aber ich weiß nicht, wie es dir erging, wie du dich gefühlt hast. Die Fragen, die ich dir jetzt so gerne stellen würde, haben mich früher nicht interessiert. Heute kann ich sie dir nicht mehr stellen, weil ich nicht will, daß dich deine Vergangenheit auch noch am Tage quält, will nicht alte Wunden wieder aufreißen, will dich schonen. Und doch möchte ich wissen, was du in jener Zeit erlebt hast. Hast du je einen Menschen getötet? Sicher hast du. Es war Krieg. Töten gehört zum Krieg. War es Notwehr oder hast du jemanden ganz bewußt getötet? Hat dir das Gefühl der Macht, über das Leben eines anderen zu verfügen, gefallen? Hast du auch Unschuldige getötet? Frauen? Kinder? Gehörst du zu denen, die vergewaltigt haben?
Wer bist du?

Aber ich mach mir selbst etwas vor. Nie hätte ich dir diese Fragen gestellt. Keine Ahnung, warum nicht. Aus Angst? Respekt? So etwas fragt man nicht! Vielleicht will ich es auch gar nicht wirklich wissen. Es nagt an mir, doch könnte ich mit den Antworten leben? Wie könnte ich dich noch lieben, wenn ich wüßte, du hättest mit Freude getötet und vergewaltigt? Was würde sein, wenn ich die Gewissheit hätte, du hast Menschen wegen Gedanken und Ansichten ermordet, die mich heute ausmachen?
Was ist es, was dir deinen Schlaf raubt? Das, was du im Krieg gesehen und erlebt hast oder ist es das schlechte Gewissen? Wie fühlst du dich, wenn du an den Krieg denkst?

Gefühle. Wir haben nie darüber gesprochen. Du nicht. Ich nicht. Wir mögen uns, lieben uns. Weshalb? Weil du mein Großvater bist und ich deine Enkeltochter. Können wir uns denn wirklich lieben, wo wir uns doch gar nicht kennen?
Weißt du, wer ich bin, was ich denke, wie ich fühle, was für mich wichtig ist? Wie solltest du?
Nein, du hast es nicht vergessen. Du hast es nie gewusst.
Oder doch? Sind nicht all meine Gedanken irgendwie auch ein Teil von dir? Hast nicht auch du dazu beigetragen, daß ich heute der Mensch bin, der ich bin? Kann ich so viel anders sein als du? Kannst du so viel anders sein als ich?

Es ist zu spät, diese Fragen zu klären. Unsere Zeit ist vorbei. Die Gelegenheit vertan. Vielleicht hätte es uns beiden gut getan, mehr miteinander zu reden. Vielleicht.

Was bleibt mir jetzt noch zu sagen? Nicht viel, denn ich weiß nicht, ob du es verstehen wirst.
Nur eines, das werde ich dir noch sagen: Ich liebe dich!

 

Hallo die-magt!

Hmmmm, habe gerade deine Geschichte gelesen. Ich weiss, was ich dir schreiben will zu deiner Geschichte... Aber, wie ich es schreiben soll, damit das rüber kommt was ich denk, weiss ich noch nich'...Versuche es einfach mal:

Du beschreibst sehr schön, dass die Enkelin ihren Großvater liebt, trotz, dass er im Krieg war und vielleicht sogar Menschen umgebracht, oder sogar vergewaltigt hat. (Weil er es musste, oder ob er es wollte, wird die Enkelin wohl nie erfahren...) Ich find's schwierig das zu erklären, aber ich hoffe, dass du weisst, was ich ungefähr meine...? :hmm:

Viele Grüße,

*ferni* :read:

 

Hallo,
Deine Geschichte spiegelt Gefühle wieder, die auch ich schon erlebt habe. Wenn man einen Menschen liebt ist es besser nicht zu hinterfragen was in dem kleinen Stück "Selbst", dass er vor uns verbirgt vorgeht. Manchmal ist es einfach besser unwissend zu sein. Den Menschen so zu fühlen, wie er sich uns präsentiert ist einfacher als den Menschen auf Grund seiner Handlungen zu lieben. Das kleine Stück "Selbst" muss vielleicht verborgen bleiben um nicht zu zerstören, was man so liebt.
Deine Geschichte gefiel mir sehr gut und ich habe sie gern gelesen.
Liebe Grüße
Susie

 

Hallo Ihr,

erst einmal vielen Dank fürs lesen.
Schön, wenn Euch die Geschichte gefallen hat.

Ihr habt gut erkannt, worum es mir zum einen Teil in der Geschichte ging. Zum anderen Teil ging es mir aber auch darum zu zeigen, dass man manchmal die Zeit, die man nur begrenzt zur Verfügung hat, verschenkt. Zeit, in der man den Menschen neben sich durchaus besser kennen lernen könnte, wenn man anfängt zu fragen, neugierig zu sein.

Kam das nicht so deutlich rüber? Was sollte ich dazu am Text ändern?

@ferni
Dass die Enkelin ihren Großvater trotzdem lieben würde, wenn sie genau wüsste, dass er schreckliche Dinge getan hat, wollte ich eigentlich nicht ausdrücken. Denn dann wäre eine bedingungslose Liebe vermutlich nicht möglich, wie auch die Kürbiselfe in ihrem Kommentar so schön schreibt.
Sollte ich das "trotzdem" am Ende weglassen? Hat Dich das zu dieser Erkenntnis kommen lassen?

Grüße
Bea

 

Hallo die-magt!

Ja, stimmt, das "trotzdem" am Ende deiner Geschichte hat mich zu diesem Gedanken gebracht. Vielleicht solltest du es wirklich weg lassen. :)

Viele Grüße & 'n schönen Abend noch,

*ferni* :read:

 

Hallo die-magd,

Deine Geschichte hat mir gefallen, sie hat mich berührt. Zu Deiner Frage, ob man aus dem Text herauslesen kann, dass es um, ich kürze einfach mal ab, Zeit geht, die man verschenkt, kann ich Dir sagen, dass ich es herausgelesen hatte. Ich weiß allerdings nicht, ob Du inzwischen etwas geändert hast, damit es deutlicher wird. Es ist eben so, dass man Menschen innerhalb von Sekunden verlieren kann, aber die meisten Menschen verdrängen diesen Gedanken. Ich selbst mach' das ja auch, obwohl ich es selbst erlebt habe, wie die meisten.

Liebe Grüße,
gori

 

Hallo Gori,
nein, ich hab nichts geändert. Ich hab lediglich das "trotzdem" am Ende des Textes weggenommen.
Schön, dass Dir die Geschichte gefallen hat und alles richtig bei Dir ankam.
Danke.

Bea.

 

Hallo magd,

eine traurige Geschichte, schön geschrieben, aber leider kränkelt sie ein wenig an der ausführung. deine gedanken sind für meinen geschmack etwas zu lang. zum ende wird es etwas schwer den ausführungen zu folgen, da immer wieder neue gedankengänge folgen. störend finde ich besonders einen satz: ach so, du kannst dich ja nicht erinnern, schade.
ich finde diese stelle irgendwie unpassend. sie hebt sich vom rest des textes ab.

vielleicht könntest du neben den gedanken auch die umgebung deiner prot noch ein wenig beleuchten. das würde die kg auch ein wenig auflockern.
ansonsten hab ich nicht viel zu meckern.

einen lieben gruß...
morti

 

Hallo Morti,

huch, da hat ja jemand eine alte Geschichte ausgegraben.
Es kommen deshalb immer wieder neue Gedankengänge dazu, weil in der Erinnerung eines zum anderen kommt. Mehr hat die Protagonisten nicht - nur ihre Erinnerungen. Es ist ja keine Gespräch mehr möglich.

Aber das mit der Umgebung... richtig, da sollte ich was tun, da werde ich was tun.

Danke für den Hinweis.

Bea

 

Mir hat der Text nicht gefallen. Ich hatte das Gefühl, er wollte mich permanent packen, rütteln, mich berühren. Dabei wirkte das alles auf mich ein wenig unmotiviert, ganz, als wisse die Protagonistin selbst nicht genau, ob sie wirklich einen Verlust empfindet.

Das ist sicherlich ein sehr subjektives Urteil, ich will aber dennoch versuchen,das an zwei Beispielen zu belegen:

  • Die Protagonistin spricht in den beiden ersten Absätzen mit sich selbst, wendet dann innerhalb des dritten Absatzes das Wort an den Großvater (ohne für den Leser erkennbare Einleitung). Sie beschwört die Erinnerung an gemeinsames Blumenmalen herauf und muß dann feststellen: "Ach so, du kannst dich nicht mehr erinnern. Schade." - An dieser Stelle wußte ich nicht, ob das jetzt ein flapsiger Witz sein sollte, oder der (m.E. mißlungene) Versuch, wirkliche Enttäuschung wiederzugeben.
  • Die Konfrontation mit Halluzinationen und der Erinnerung an "Ich sehe was, was du nicht siehst" kommentiert die Protagonistin mit "Welch Ironie!" - Wirkt auf mich auch eher wie ein schaler Witz.

Ich hoffe, damit dargestellt zu haben, wie ich zu meinem Urteil komme, das dennoch, wie bereits angemerkt, nur subjektiv sein kann.

 

Hallo cbrucher,

wie bereits angemerkt, werde ich den Text noch umarbeiten - ein wenig mehr das Umfeld beleuchten. Vielleicht wird dann eine bessere (richtige) KG daraus, denn bisher ist es wohl mehr ein Ausspucken von Gedanken, die der Protagonistin da so durch den Kopf spuken.

Wie du allerdings darauf kommst, dass diese Geschichte flapsige Witze enthält (bzw. Stellen solchen ähneln), erschließt sich mir auch anhand deiner Beispiele nicht ganz. Ich glaube nicht, dass ich es witzig fände, wenn ein Mensch, gerade als ich endlich anfange, mich für ihn und seine Vergangenheit zu interessieren, sich an nichts mehr erinnern kann. Es ist nicht witzig, sehr wohl aber die Ironie des Lebens.

Auch wenn das jetzt wie eine Rechtfertigung meines Textes klingt, soll es keine sein. Wie gesagt, ich werd noch einiges ändern.

Danke trotzdem für die Hinweise.

Bea

 

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