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Ein Messer in der Finsternis
Messer in der Finsternis
Lemuel stand breitbeinig auf sein Schwert gestützt im großen Saal der Könige. Fackeln in Wandhaltern warfen tanzende Schatten auf die beiden Männer in der Mitte des Raumes, von denen einer in seinem Blute ausgestreckt dalag. Das verzierte Breitschwert von Davon dem XVI. lag ein Stück von dessen noch bebender Hand entfernt auf dem Boden - unerreichbar für den Sterbenden.
Lemuel blickte mit leerem Gesichtsausdruck auf seinen gefallenen Gegner herab. Schweiß und Blut vermischten sich auf beiden Menschen zu einem rostroten Film. Der aufrechte, große Krieger blinzelte; salzige Feuchtigkeit sammelte sich in seinen Augen. Von draußen schallte dumpfes Kriegsgebrüll herein. Seine Armee war im Begriff, die letzten königstreuen Vasallen niederzumetzeln, so, wie letztlich alles Monarchische dem neuen Zeitalter weichen sollte. Die allmächtige Klinge des gerechten Krieges hatte auch den letzten an eine altertümliche Gesellschaft gebundenen Faden durchtrennt. Den stärksten. Lemuels Augen wanderten aus seinen Gedanken wieder hin auf das zerschundene Antlitz seines Gegenspielers. Ein Röcheln entwand sich der Kehle des Königs. Blutblasen schäumten in dessen Mundwinkeln und zerplatzten: „’rum?“ Das halbe Wort stieg in die Luft und verging gleich dem Träger seines Ursprungs. Gesichtsmuskeln fielen schlaff zurück, der Blick brach und ein mächtiger Brustkasten senkte sich ein letztes Mal. Es war vorbei, doch Lemuel spürte nur eine seltsame Leere in sich.
Die Schatten hinter den Säulen des Thronsaales, in dem das mörderische Duett den Tanz des Todes begangen hatte, waberten undurchdringlich. Nur zwei Augensterne funkelten im Dunkeln, beobachtend, abwartend. Als der rechte Zeitpunkt gekommen schien, trat der kleine Mann hervor und näherte sich lautlos von hinten dem aufrechten Duellant.
Die Schwertspitze kratzte über den Boden, als Lemuel die Waffe an sich zog und in die Scheide an seinem Gürtel steckte. Plötzlich verzerrte sich sein bitterer Gesichtsausdruck zu einer Maske des Zorns, denn eine Dolchspitze kitzelte zwischen zwei Rüstungsplatten an seiner Hüfte. Wütend ausschnaubend richtete er sich an die Gestalt hinter ihm, ohne jedoch den leichtsinnigen Fehler zu begehen, sich dabei zu bewegen. Seine Worte schnellten gepresst hervor, die Wut über seine all zu leichte Überwältigung war nur schwer unter Kontrolle zu halten: „Wer bist du, dass du es wagst, einen Vertreter der neuen Regierung anzugreifen? Tu selbst etwas Gutes und lass dieses alberne Messerspiel sein, knie dich vor mir nieder und ich werde dich durch meine Klinge läutern. Du kannst doch nichts mehr gegen den Fortschritt unternehmen. Niemand kann das!“ Ein zweites Messer wurde nach diesen Worten an Lemuels Hals gelegt, an dem eine Ader heftig pulsierte. Sein Träger sprach: „Der König ist tot; durch eure Hand hingerichtet. Mein Herr und meine Freunde sind für immer von mir genommen worden und ihr seid trotz meiner Klinge noch so hochmütig, mich zu Demut und Reue euch und dem gegenüber, was ihr repräsentiert, aufzufordern?“ Ein raues Lachen voller Bitterkeit erklang, derweil das Messer, woran Schweiß glitzerte, an der Kehle einige Zentimeter weiter hoch wanderte. Der in einen Kapuzenmantel gewandete Meuchler sprach nunmehr zu sich selbst, als zu seinem Konterpart: „Was mache ich hier eigentlich? Was bringt mir denn der Tod dieses Mörders überhaupt noch?“ Lemuel spannte die Muskeln an, bereit, sich im Moment der ersten Schwäche seines Gegners von diesem zu befreien. Aber es war zu spät. Ein Schnitt und ein Stich zerrissen sein Bewusstsein und stießen ihn hinab in die dunklen Tiefen ohne Wiederkehr. „Nur neue Traurigkeit.“ Zwei Messer fielen zu Boden. Das Klirren des Aufpralls wurde als dissonantes Orchester von der Saalwand zurückgeworfen. Der Prinz kniete nieder, nahm den Kopf seines Vaters vorsichtig zwischen die Hände und presste ihm einen Abschiedskuss auf die kalte Stirn.
Stumm erhob er sich hiernach und verließ den Saal, um sich in eine ungewisse Zukunft zu begeben; auf der Flucht vor jenen, die ihn nun bis an sein Ende jagen würden und auch vor dem, was aus ihm geworden war.
Hinter ihm vermischte sich das Blut zweier Brüder miteinander.