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Ein Schauspiel namens Entspannung
Sie setzt sich mit einer Tasse Tee in den großen Ohrensessel und starrt aus dem Fenster. Teils, weil das Gefühl der absoluten Apathie ganz verlockend ist, teils weil ihr dies in diesem Moment angebracht und stilvoll erscheint. Sie lehnt sich zurück, schließt die Augen und wartet.
Das ist es also. Das ist Ruhe. Entspannung. Wellness für die Seele. Die vielproklamierte Auszeit für den gestressten, kopflastigen Menschen von heute.
Das sind die Messmer Tee-Stunden voller Muße. Das ist die Zeit, die keiner mehr zu haben glaubt. Dies sind die Minuten die Karrieren vernichten und einen zum realitätsfremden Außenseiter abstempeln. Dies ist also der Zustand, den jeder erreichen will, den jeder als das verlorene Paradies empfindet.
Er ist da und sie hat ihn erreicht.
Ein triumphierendes Lächeln umspielt ihre Lippen. Sie seufzt selbstzufrieden und rutscht tiefer in den Sessel.
Nun sollte sie der Erholung ihren Lauf lassen, sie in vollen Zügen genießen. Sie lässt den Kopf kreisen um den Entspannungsprozess physisch einen Anstoß zu geben. Sie wartet.
Die sich herabsenkende Stille verursacht ihr einen leichten Druck auf den Ohren.
Nervös fängt sie an mit dem rechten Bein zu wippen. Ein stechender Schmerz lässt sie auffahren. Der heiße Tee hinterlässt einen hellbraunen Fleck auf ihrer weißen Jogginghose. Ein Fleck in ihrer Ruhelandschaft. Eine Irritation in ihrem Entspannungsprozess. Aber sie würde sich entspannen. Mit einem entschlossenem Ruck stellt sie die Tasse weg und lehnt sich abermals zurück. Sie hatte bis jetzt alles geschafft – und bekommen. Entspannung wäre da sicher kein Problem.
Sie schickt ihre Gedanken in den Freiraum mit der Anweisung sich entspannungsgerecht den Lauf zu lassen. Mit geschlossenen Augen verfolgt sie sie im Dunkel ihres Geistes. Argwöhnisch achtet sie darauf nur erholsame Themen anzudenken. Nichts Verspannendes, wie zum Beispiel der morgige Arbeitstag mit als seinen Tücken.
Eine schleichende Mattheit überkommt sie. Ihre Gedanken wandeln weiter auf stressfreien Abwegen. Sie wartet.
Plötzlich öffnet sie erschreckt die Augen. Ihre Gedanken haben sie verraten. Dies ist keine sich selbstfindende Erholung. Dies ist eine Verfolgung, die Verfolgung eines Zieles.
Sie wartet, und erkennt das sie auf etwas wartet. Darauf,dass irgendjemand kommt. Irgendetwas passiert und die Handlung ihren Lauf nimmt. Dass das Leben sich jetzt und selbst ereignet.
Ruckartig öffnet sie die Augen und schaut sich um. Nervoes, fast aengstlich sucht sie nach einer Aktion. Ihr Blick streift das Telefon, bleibt daran hängen und starrt es sehnsüchtig an. Aber es lässt sich nicht erweichen und bleibt stumm. Ihr Blick wandert weiter, ihre Gedanken werden immer hektischer. Sie steht auf und verlässt fluchtartig den Raum.
Selbstinszenierung ohne Zuschauer war noch nie ihre Sache.
[ 24.05.2002, 19:11: Beitrag editiert von: Worldpeace ]