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Ein Schmetterling auf Lechners Fuß

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01.07.2006
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Ein Schmetterling auf Lechners Fuß

Lechner steigt die Treppe hoch und tritt durch die Kellertür hinaus auf den Hof. In der kalten Morgenluft dampft das Blut an seinen Fäusten. Er geht langsam zum Brunnen, wäscht sich die Hände, jeden Finger einzeln, säubert gründlich die Nägel. Heute geht nichts mehr in ihm vor. Er kann nicht daran denken, was letzte Nacht geschehen ist, noch weniger vermag er es in Worte zu fassen.

Ruhig geht er zurück ins Haus, als er in die Stube tritt, schlägt er dem Herrgott im Eck ein Kreuz, er ist auch dessen Kind, ja, er ist dessen erstes Kind, der einzige Mensch auf der Erde. Es ist alles noch da. Die Rillen des Eichentisches, über die seine Hand jetzt fährt, der gestickte Polster auf der Bettbank, da ist noch der Abdruck seines Kopfes, der schiefe, blaue Kachelofen. Lechner friert. Hinter der Ofentür wartet die weißflockige Asche, er scharrt sie aus, schiebt Holzscheite hinein, zündet mit zerknülltem Zeitungspapier unter. Das vom Waschen und anderen Dingen nasse Hemd hängt er über die Schnur, die quer durch den Raum gespannt ist. Lechner setzt sich, zieht die Tischlade auf, nimmt das Buch heraus. Hart drückt er die Buchstaben ins Papier. Name: unbekannt, Geschlecht: männlich, Alter: ca. 10 Jahre, Gewicht: 27 kg, Fleisch: 5 kg, Innereien: 1,5 kg, Blut: 2550 ml, Zähne: 28. Er besinnt sich einen Moment, dann schreibt er noch in Klammer hinzu: Schöne, blonde Locken. Das streicht er aber wieder dick aus. So einer ist er nicht.
In der Stube wird es behaglich warm. Lechner streckt sich auf der Bettbank aus, sie ist etwas zu schmal für seinen massigen Körper, aber heute hat er keine Angst hinunterzufallen, heute schläft er sofort ein.

Lechner stampft durch die Straßen, gerne würde er alles unter seinen breiten Füßen zertreten und zermalmen, bevor er es schlucken und verdauen muss, aber durch ihn hindurch muss es, er scheißt die ganze Welt schwarz, er ist eine stählerne Scheißmaschine, bald wieder alles schwarz, innen und außen, doch da springt eine Szene in sein Blickfeld, eine Szene des Lichts und der Freude:

Auf einer Bank in der Fußgängerzone sitzt eine junge Mutter und gibt ihrem Kind die Brust. Die weiße Haut leuchtet wie die Sonne und Lechner fühlt die Milch in seine eigene Brust und in seinen eigenen Mund schießen, er ist Mutter und Säugling zugleich. Brust und Kind will er verschlingen, dem Kind mit Zähnen den Bauch aufreißen, die Zunge im kleinen, rosa Beutel versenken, er ruckt auf seinen Sohlen herum. Die Mutter schickt ihm einen unbehaglichen Blick, in Lechner ziehen wieder die Ketten an und er dampft weiter. Ihre Augen sind Pfeile in seinem Rücken, durchbohren ihn, Lechner wird schlaff, aus der Stahlmaschine wird ein Batzen aus Gestank, Rotz und zu weichem Fleisch. Er reibt sich über den Asphalt, kriecht schließlich ins Auto, er, der Kretin, die Missgeburt, der Wurm, elender, elender Wurm.

Zu Hause, vor dem Spiegel über der Kommode, rückt Lechner wieder seine auseinandergefallene Visage zurecht. Jedes einzelne Härchen wird studiert, zart streicht er die feinen Linien unter seinen Augen glatt, küsst langsam mit gespitzten Lippen seinen Zeigefinger. Alles normal. Da ist nichts Böses. Er ist normal.

Während des Kochens sieht er sich eine Talkshow im Fernsehen an und beginnt zu träumen. Er denkt sich aus, welche Fragen ihm die dicke Moderatorin stellen könnte.
Ob es beim Fleisch Unterschiede im Geschmack gäbe?
Und er würde sein Gourmetgesicht aufsetzen, den Kopf ein wenig schief legen und beim „O ja“ einen jubelnden Ton anschlagen.
„Ungesund ernährte, dicke Kinder schmecken modrig, wie Karpfen aus einem tiefen Teich, Kinder, die oft Gemüse bekommen, muss man nicht viel würzen, aber …“, dabei würde er seinen Blick durchs Publikum schweifen, ihn schließlich auf der Moderatorin ruhen lassen:
„Ungeliebte Kinder, und glauben Sie mir, ich merk das schon beim Anbraten, also ungeliebte Kinder schmecken mir am besten: Ihr Fleisch ist mürbe, weich, man braucht es nur mit der Zunge zu zerdrücken, leichter Wildgeschmack.“
Den Leuten im Publikum würde der Mund offen stehen bleiben, er würde von Erfahrungen sprechen können, die sonst niemand hat, er würde lügen wie gedruckt. In Wahrheit stiehlt er nur glückliche, gesunde Kinder.
Was so ein Kinderverzehrer isst, wenn er grad kein Kind hat, will die Moderatorin wissen. Ihr Ton ist sachlich und interessiert.
„Sich selbst“, aber es ist nur ein Witz, um die Leute in der Show zum Lachen zu bringen. Und wenn das Lachen abgeebbt wäre, würde er seine Hände gemütlich übereinanderlegen.

Als Lechner sich an den Tisch setzt, blickt er wieder in den Spiegel, hinter ihm gähnt die Stube wie ein Maul, das ihn verschlingen will. Wenn er nicht frisst, wird er gefressen werden, alles besteht nur aus ineinander verschlungenen, sich verschlingenden Mündern, und er kann die Welt nur mit seinem Mund, seinen Zähnen, seiner Zunge verstehen. In glücklichen Stunden gibt es keine Grenze mehr zwischen seinem und fremdem Fleisch.

Lechner geht auf die Jagd. Einige Tage lang hat er das Schulmädchen beobachtet. Er will es frühmorgens schnappen, für dreißig Sekunden schwebt es da durch eine enge Gasse, um den Weg in die Schule abzukürzen. Ja, es schwebt, niemals berührt es die fensterlosen Wände an den Seiten und seine Füße treten sanft und behutsam auf. Dreißig Sekunden sind genug, um diese Gazelle in seine Gewalt zu bringen. Lechner kann schnell sein, wenn er will.
Er wartet im Auto, wartet auf sie, auf die hübsche Kleine, die bald um die Ecke biegen wird. Neben sich seine Waffen: eine Decke und ein breiter Streifen Klebeband. Er liebt den Ausdruck „in die Gewalt bringen“, schmeckt ihm nach, berauscht sich daran, während er ein Stück vom Klebeband zieht und es mit den Zähnen abreißt. Da kommt sie! Er wird wieder ein Kind haben! Zuerst sieht er dabei seine beiden starken Arme, die den schmalen Körper umfangen, noch unklar, ob zärtlich oder nicht, dann drückt er immer fester zu, bis er keine Bewegungen der Gliedmaßen mehr spürt, nur das Pochen des Herzens, diesen Moment kostet er aus, will das andere Fleisch in sich hineindrücken.
Lechner steigt aus dem Auto, ein schnurrendes Uhrwerk, rasch, rasch, ihr nach, dem zarten Jungtier, er findet sich in ihren huschenden Rhythmus ein, wirft einen Schatten über sie, packt sie von hinten, verklebt ihr den Mund, hebt sie hoch, dreht sie zu sich, komm, komm, komm, meine Süße, komm heim, wickelt sie vollständig in die Decke, man weiß nicht, was Lechner ist, ein besorgter Vater mit einem kranken oder verletzten Kind auf dem Weg zum Arzt? Er hält es sicher, er hält es warm. Sie ist die Frucht an seinem Baum, ihr süßer Kindergeruch steigt ihm in die Nase. Ein Feuer wird angezündet in Lechner, gerne würde er die Decke wegziehen und ihr in den Nacken beißen. Sein Motor faucht, sprüht Funken, so rasch geht Lechner, er schwankt. Hier, seht her, Groß-Lechner hat was! Sie ist meins! Und: Ich bin harmlos, ich bin nichts, ihr bemerkt mich gar nicht. Nicht so schnell, nicht auffallen, Lechner! Er wird zu einer langsam sausenden Maschine, so sehr zerreißt es ihn.

Er hätte es gleich merken müssen! Sie hat sich doch überhaupt nicht gewehrt, kein Strampeln der Beine, kein Versteifen des ganzen Körpers, wie eine Wolke ist sie in seinen Armen gewesen, nicht schlaff, sondern noch immer, ja genau, schwebend, obwohl er sie so fest gehalten hat. Er hat ihr nicht einmal: „Wennst a Ruah gibst, gschiacht da nix!“ ins Ohr flüstern müssen.
Während der ganzen Autofahrt hatte sich das Bündel auf der Rückbank nicht bewegt, er hätte es gleich merken müssen, dass mit ihr etwas nicht stimmt! Und als er sie zu Hause ausgewickelt und ihr die Daunenjacke abgestreift hatte, sie ist sein Geschenk!, da waren die Ärmel ihrer Weste bereits rot gewesen. Er riss ihr das Pflaster vom Mund, die Haut ging in Fetzen mit, das halbe Gesicht eine Wunde … Sie schrie, nein, nicht nur vor Schmerz, sie schrie ihn an:
„Du darfst das nicht, bitte nicht, fass mich nicht an!"
Er sah, dass sie außer sich war, ihre Augen riesengroß, ja, Angst war da auch, aber vor allem Wut! Wut! Ein Kind war wütend auf ihn! Auf Lechner!
Er wich zurück.
„Wos is mit dia?“
„Ich bin doch ein Schmetterlingskind! Du darfst nicht! Lass mich in Ruh!“ Sie kreischte und schluchzte, roter Speichel und Rotz mischten sich.
„A wos?“
Aber sie achtete nicht auf ihn und auf die Kälte des Kellers, knöpfte die Weste auf, zog sich vorsichtig aus, die Bluse, das Unterhemd, ihre Arme waren mit riesigen, blutigen Blasen bedeckt, auch auf der Brust hatte sie welche, kleinere.
„Du musst da sofort was drauftun, sofort, sonst entzünden die sich ganz schlimm!“ Sie flehte nicht, sie befahl.
Lechner schwieg und rührte sich nicht. Sie hatte sich von allein ausgezogen, er hatte nichts tun müssen, aber er wollte sie gar nicht mehr anfassen, ihm graute vor ihr. Ihr Fleisch wollte er nicht. Er schob sich zur Tür hinaus, verriegelte sie und ging weg.

Lechner in Not. Es strahlt durchs ganze Haus, ihre Krankheit, die Stockflecken an der Wand sehen bedrohlich aus, nicht vertraut, die Zeitungsstapel im Eck scheinen einen durchdringenden Harngeruch auszuströmen und Lechners Zehennägel sind die gekrümmten, gelben Krallen eines Tieres. Alles ist falsch. Lechner will Erlösung, er will von dem Kind erlöst werden.
Sie wird von alleine sterben. Es ist nichts zu tun. Der Keller ist dicht. Das ist der Dreigesang, den er anstimmt. Aber was ist mit seiner Zufriedenheit? Wo soll er die jetzt hernehmen? Die Bettbank wartet auf ihn, er gibt ihr einen Tritt. Vielleicht dass ihr … also das da unten … vielleicht ist das ja noch gut … kann man vielleicht noch benutzen … Was sie jetzt wohl macht? Ob sie weint? Noch blutet? Schreit? Hunger hat oder Durst? „Der Herr ist dein Hirte, dir wird nichts mangeln, er weidet dich auf einer grünen Aue …“ Der wird sich schon um sie kümmern, wie Er es für richtig hält, obwohl … wert ist sie es ja nicht! „A sou a Kretinl!“ Er könnte ein Handtuch nehmen und über ihr Gesicht breiten, während er mit ihr was macht … Lechner schleicht die Kellertreppe hinunter und horcht. Nichts zu hören. Er will nur einmal schauen, seine rechte Faust umklammert das Handtuch. Als die Tür aufschwingt … sie stinkt, nach brandigem Fleisch und Eiter. In ihre Jacke gewickelt liegt sie am Boden. Er geht zu ihr, sie hebt den Kopf. Um ihren Mund Blasen, wie riesige gelbe Pickel, und nacktes rotes Fleisch, teilweise hängt die Haut in Fetzen, das ganze Gesicht ist geschwollen und dunkel. Nur ihre Haare und ihre Augen, funkelnd von Fieber, sind noch schön. Aber es ist zu wenig, das ist Lechner zu wenig, so kann er nicht.
„Bitte“, das Sprechen mit dem geschwollenen Mund fällt ihr schwer, er hört sie kaum. „Bitte, hilf mir! Bitte, bitte, hilf mir!“
Er wartet. Ist wohl jetzt kein Prinzesschen mehr, das ihn herumkommandiert!
Plötzlich berührt sie mit der Hand seine nackten Füße.
„Bitte, hilf mir, nimm mich mit, ich hab solchen Durst, bitte, bitte, bitte! Es tut so weh!“
Vom Fuß aufwärts läuft ihm eine Gänsehaut, es ekelt ihn an bis ins Herz hinein, Lechner hebt den Arm und schlägt mit dem Handtuch auf sie ein, wie auf Ungeziefer, das man nicht berühren will, immer wieder, immer wieder.

Es war einmal ein kleiner Junge, der einer großen Königin diente und diese Königin hieß Mutter. Andere Menschen als die beiden gab es nicht in diesem Reich. Der kleine Junge war nur ein Stallbursche, ein Küchenjunge, ihr Narr, aber trotzdem kümmerte sich die Königin sehr um ihn. Für ihn zweigte sie Essen ab, das eigentlich für die Schweine bestimmt war und in einem Kübel vor sich hingärte, sie fütterte ihn mit eigener Hand, bis er nicht mehr konnte. Wenn dem Jungen kalt war, weil er sein Bettzeug nass gemacht hatte, dann wärmte sie ihm den Bauch, nein, etwas weiter unten, mit einem glühenden Schürhaken und manchmal umarmte sie ihn, gab ihm die Brust, obwohl da keine Milch mehr war, und ließ ihn in ihrem Bett schlafen.
Eines Tages wurde der Junge sehr krank und er konnte vor Schwäche nicht aufstehen. Die Königin wollte ihm helfen und zog ihn am Arm aus dem Bett, aber seine Knie knickten ein und er fiel auf den Boden. Königin Mutter bemühte sich, ihn aufzurichten, schlug ihn, bis ihr der Arm weh tat, er griff nach ihren Füßen, aber es half nichts, sie musste den Faulpelz auf dem kalten Boden liegen lassen und da blieb er die ganze Nacht.
Am nächsten Morgen wachte er auf und ein Wunder war geschehen: Der Junge war auf einmal groß und stark. Und er zog hinaus in die Welt und bestand zahlreiche Abenteuer. Er tötete Vögel und Katzen und sogar den großen Bernhardiner des Nachbarn. Jetzt konnte er heimkehren und die Königin heiraten. Er fasste sie fest um den Hals, da war er der König.

Lechner geht durchs Fegefeuer, weißglühend brennt es ihm zuerst die Haut und dann das Fleisch von den Knochen, leicht wie Asche liegt er auf der Bettbank, viel ist nicht übrig geblieben von ihm, aber es genügt.

Erdäpfelpüree, das wird das Richtige sein. Und Tee, schöner, heißer Kamillentee. Oder doch Kaffee mit viel fetter Milch drin? Während er alles zubereitet, summt er vor sich hin.
Über die Bettbank breitet er die weiche, gute Decke, den gestickten Polster schüttelt er auf, riecht daran, dreht ihn um. Als er bei ihr unten ist, schläft sie. Behutsam hebt er sie hoch, er wünscht, er hätte weichere Hände, wie leicht sie ist, ihr langes, blondes Haar fließt ihm über die Arme.
Hier oben sieht sie doch gar nicht so schlimm aus. Die Schwellung im Gesicht scheint zurückgegangen zu sein. Er säubert die Badewanne von seinem Dreck, lässt heißes Wasser einlaufen, langsam, ganz vorsichtig lässt er sie hineingleiten, sanft löst er ihr die verklebte Unterwäsche und die Strumpfhose vom Körper. Als er sieht, dass sie überall Wunden hat, besonders an den Armen und auf den Schultern, seufzt er: „Oarms Hascherl, wird jo olls wieda guat!“
Während er ihr das Gesicht wäscht, schlägt sie die Augen auf. Sie beginnt zu schreien.
„Na, na, hob ka Oungst, i tua da nix mehr, i wüll da jo nua wos Guats!“
Er erkennt seine eigene Stimme nicht mehr, so dunkel und warm und heimelig. Beruhigend streichelt er ihr die Wange, sie wendet das Gesicht ab:
„Bitte nicht!“
In Lechner wogt eine süße Welle.
„Sogst ma dein Nouman?“
Sie wimmert.
Er steht auf und holt den Tee.
„Kumm, trink amol, muast jo scho an Duascht hobn!“
Sie kann nicht alleine trinken, ihre Hände zittern zu stark. Er muss es machen, er muss sie laben und füttern, er ist der, auf den es jetzt ankommt, er wird ab jetzt immer für sie da sein, er hat ein Kind!
Auf jede Wunde tupft er schwarze Zugsalbe, was anderes hat er nicht, als Letztes bestreicht er ihr Gesicht, zart, zart, zart, er fühlt sich linkisch, sie ist ein Schmetterling, das darf er nicht vergessen, sie hört mit dem Wimmern auf, sieht ihm ins Gesicht, jetzt ist er es, der sich abwendet.
„Ich heiße Marie. Und du?“
„I bin da Le… Franz haß i! Wüllst a bissl fernschaun? Und donn schau ma weidda!“
Mit einem weißen Flanelltuch bedeckt er nun ihre Blößen, bettet sie auf die Bank, schaltet den Fernseher ein, sucht nach einer bunten Sendung.
Das Kind auf der Bank schläft ruhig ein, vor dem Fenster hüpfen die Vögel, und die Katzen streifen frei durch die Gegend, der Vater macht alles sauber, setzt sich dann zu ihr, bewacht ihren Schlaf, nimmt jedes Zucken ihrer Augenlider wahr. Lechner ist glücklich, wenn er sie berührt.
„Und jetzt die 9-Uhr-Nachrichten: Von der seit Dienstag als vermisst gemeldeten, achtjährigen Marie Kammerer fehlt nach wie vor jede Spur. Der Fall ist besonders tragisch, weil das Mädchen an einer seltenen, genetisch bedingten Hautkrankheit leidet, der sogenannten Schmetterlingshaut. Diese Krankheit bewirkt, dass die Haut bei geringster mechanischer Belastung Blasen bildet oder reißt. Wunden und Schmerzen sind die Folge. Die Mutter des Kindes richtete sich in einer dramatischen Fernsehansprache an …“

Es wird nichts. Lechner sieht keine Details mehr im Spiegel, nur einen Mann mit feisten Backen und unstetem Blick. In seinen Augen ist nichts zu finden, weil – er muss was tun. Das ist doch nichts, das kann er doch. Er schiebt seine Hand unter ihren Kopf, die andere legt er ihr leicht auf die Brust, spürt ihr Herz schlagen, schnell und sicher zupacken, er denkt, er muss ihr den Hals umdrehen, es knackt, schwer war es nicht.

Im Vorzimmer das schwarze Telefon an der Wand. Er kann es sagen.
„I bin´s, da Lechna! I hob des Mädal umbrocht. Hob ia den Hois umdraht. Mi hot´s holt daboamt, des oame Hascherl. Jetzt keinnt´s mi huln kumman. I bin a fetta Fisch!“

Lechner nimmt Marie in die Arme, legt sich mit ihr auf die Bank. Ihr Blut sickert noch durch das Flanell, nässt ihm die Brust, dringt durch die Haut, füllt sein Herz. Sein Mund braucht nichts mehr.

 

Hallo Andrea,

der Titel deiner Geschichte ist so harmlos, ich erwartete eine harmlose Geschichte und wurde dann mit der Banalität des Bösen konfrontiert.
Eine starke Geschichte über das Töten, die mich sehr nachdenklich zurückgelassen hat. Lechner hat, finde ich, die typische Biografie eines Mörders:schwere Kindheit, ständig auf der Suche nach Liebe, Ablehnung durch die Mutter und gleichzeitiger Missbrauch durch sie, Einzelgänger, Misshandeln von Tieren (wahrscheinlich verging er sich auch an ihnen) und als das als Reiz nicht mehr ausreicht, sucht er sich die nächsten Opfer, die schwächer sind als er: Kinder!
Dieses letzte Opfer ist ein Schmetterlingskind. Ich musste erst einmal nachlesen, was das heißt. Dadurch, dass du diesem kleinen Mädchen die Krankheit gibst, bekommt die Geschichte eine andere Richtung. Lechner erkennt plötzlich, dass auch andere leiden und nicht nach Mitleid suchen, sondern wütend sind und Hilfe erwarten. Er wirkt hilflos im Umgang mit dem Kind, als er es 'bemuttert'. Für einen Moment dachte ich, er lässt sie am Leben, aber letzendlich siegt das Böse in ihm und er bricht ihr das Genick.
Für ihn muss das eine Befreiung gewesen sein, der innere Druck inzwischen unerträglich, denn sonst hätte er nicht die Erleichterung empfunden, als er den Mord meldet.
Dadurch, dass du Lechner in der Geschichte östereichisch sprechen lässt, empfinde ich das Grauen noch stärker, weil ich mit dem Dialekt Gemütlichkeit verbinde. Der stärkste Satz in dieser Geschichte war für mich:"....so einer bin ich nicht....", als er den Satz von den blonden Locken in seinen Aufzeichnungen über die Morde streicht.
Nein, so einer ist er nicht, er ist sehr viel schlimmer.
Auch deine Beschreibungen des Alltages dieses Mörders, der ja nicht soviel anders ist als der eines normalen Menschen, gehen unter die Haut. Das Ausdenken der Fragen für die Talkshow haben etwas makaber-grausames.
Inzwischen habe ich die Geschichte dreimal gelesen und jedesmal hatte ich Gänsehaut und bin mir nicht sicher, ob ich sie richtig gedeutet habe.
Deine Sprache ist genial, eins baut auf das andere auf. Wie ein Sog sind deine Worte und ich konnte gar nicht aufhören mit dem Lesen. Selbst beim dritten Mal ging mir das so.
Erst überlegte ich, ob die Rubrik richtig ist. Aber es ist ja so, man hört ja immer wieder von derartigen Greueltaten, die aber nicht 'alltäglich' sind.

Lieben Gruß,
jutta

 

Hallo Jutta!

der Titel deiner Geschichte ist so harmlos, ich erwartete eine harmlose Geschichte und wurde dann mit der Banalität des Bösen konfrontiert.
das hast du Quinn zu verdanken, der wollte einen Titel mit "Schmetterling" drinnen ;) - der ursprüngliche Titel war "Kinderverzehrer"! :D
Ja, was den typischen Lebenslauf betrifft, ich hab ja ein bisschen recherchiert, es gibt da tatsächlich ein paar Konstanten, die sich immer wieder wiederholen.
Dadurch, dass du diesem kleinen Mädchen die Krankheit gibst, bekommt die Geschichte eine andere Richtung. Lechner erkennt plötzlich, dass auch andere leiden und nicht nach Mitleid suchen, sondern wütend sind und Hilfe erwarten.
Ja, dass nicht alle automatisch Opfer sind. Es ist natürlich ein besonderes Kind, durch diese Krankheit vielleicht tapferer und stärker als andere.
Er wirkt hilflos im Umgang mit dem Kind, als er es 'bemuttert'. Für einen Moment dachte ich, er lässt sie am Leben, aber letzendlich siegt das Böse in ihm und er bricht ihr das Genick.
es ist immer alles in ihm da, auch diese Tat ist nicht nur böse, vielleicht tötet er sie ja auch, weil er sie nicht verlieren will
Dadurch, dass du Lechner in der Geschichte östereichisch sprechen lässt, empfinde ich das Grauen noch stärker, weil ich mit dem Dialekt Gemütlichkeit verbinde. Der stärkste Satz in dieser Geschichte war für mich:"....so einer bin ich nicht....", als er den Satz von den blonden Locken in seinen Aufzeichnungen über die Morde streicht.
Ja, es ging einfach nicht anders als im Dialekt, weil ich da natürlich eine bestimmte Gegend und eine bestimmten Typ vor Augen hatte. Ich hoffe, es ist alles zu verstehen! ;)
Inzwischen habe ich die Geschichte dreimal gelesen und jedesmal hatte ich Gänsehaut und bin mir nicht sicher, ob ich sie richtig gedeutet habe.
Deine Sprache ist genial, eins baut auf das andere auf. Wie ein Sog sind deine Worte und ich konnte gar nicht aufhören mit dem Lesen. Selbst beim dritten Mal ging mir das so.
Ein viel größeres Kompliment kannst du mir nicht machen! :)

Vielen Dank dir, vor allem weil du so mutig warst und den ersten Kommentar geschrieben hast! :)

Bussi
*Kuh* :D

 
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Lo,

Name: unbekannt, Geschlecht: männlich, Alter: ca. 10 Jahre, Gewicht: 27 kg, Fleisch: 5 kg, Innereien: 1,5 kg, Blut: 2550 ml, Zähne: 28. Er besinnt sich einen Moment, dann schreibt er noch in Klammer hinzu: Schöne, blonde Locken. Das streicht er aber wieder dick aus. So einer ist er nicht.
Ich kann mich an wenige stärkere Passagen erinnern, wenig hat je – für sich genommen - so viel Wirkung auf mich gehabt wie die vier Zeilen hier.
Es schwingt viel darin mit. Das Thema ist eins, über das – da bin ich mir sicher – jeder schon mal nachgedacht hat: Was geht in solchen Menschen vor? Was würde ich tun, wenn das meinem Kind passieren würde? Wie soll man mit solchen Menschen verfahren? Man hat sich zu dem Thema schon seine Gedanken gemacht, deshalb trifft dieser Satz so, weil man die Implikationen dahinter spürt.

Lechner stampft durch die Straßen, gerne würde er alles unter seinen breiten Füßen zertreten und zermalmen, bevor er es schlucken und verdauen muss, aber durch ihn hindurch muss es, er scheißt die ganze Welt schwarz, er ist eine stählerne Scheißmaschine, bald wieder alles schwarz, innen und außen, doch da springt eine Szene in sein Blickfeld, eine Szene des Lichts und der Freude:
Ich hab darüber nachgedacht, und er ist in diesem destruktiven Element dicht an dem Urbösen oder einer Vorstellung davon. Gerade in martialischen Kulturen hat man immer das Bild des Weltenverschlingers, im nordischen Glauben ist auch Fenrir der die Sonne verschluckt; wir sind fasziniert von der Schlange, nicht nur wegen ihres Gifts, sondern weil sie den Kiefer aushakt und diese Wildschweine da fressen kann, der weiße Hai ist seit 30 Jahren ein Feindbild und eine Urangst, obwohl der nur Fischen was tut; die griechische Mythologie hat auch das Motiv mit Saturn, der seine Kinder frisst, wir haben es in Sagen und wir haben es in der Populärkultur (ich erspare es ;) ), ironischerweise kommt es in unserer Religion mehrfach positiv besetzt vor. In der Walgeschichte und im Abendmahl.
Dieses Verschlingen ist sicher zum einen Teil an eine Urangst aus der Vorzeit geknüpft, von wilden Tieren wirklich gefressen zu werden, und zum anderen ist es ein komplettes Auslöschen, ein Ungeschehen-Machen des Lebens, danach ist man nicht nur tot, sondern komplett weg. Ist ein ganz krudes, starkes Motiv, das den „Fresser“ natürlich erhöht, er wird nicht nur zum Mörder, sondern er ist in einem natürlichen Kreislauf drin (Fressen) und hat eine Allmacht (Fenris/Saturn).

Die weiße Haut leuchtet wie die Sonne und Lechner fühlt die Milch in seine eigene Brust und in seinen eigenen Mund schießen, er ist Mutter und Säugling zugleich
Auf eine ekelerregend-pervertierte Art mogelt er sich in den Kreislauf des Lebens in diese Allegorie. Die Mutter gibt dem Kind Leben, und er nimmt es eben.

„Ungesund ernährte, dicke Kinder schmecken modrig, wie Karpfen aus einem tiefen Teich, Kinder, die oft Gemüse bekommen, muss man nicht viel würzen, aber …“, dabei würde er seinen Blick durchs Publikum schweifen, ihn schließlich auf der Moderatorin ruhen lassen:
Das ist wirklich eine sehr böse Passage. Hier mogelt er sich in ganz viele verschiedene Rollen. Er mogelt sich in das klassische „Märchen-Böse“, er ist die Hexe aus Hänsel und Gretel, die den Kindern so ein wohliges Gruselgefühl gibt. Sei brav, sonst setzen wir dich im Wald aus und dann holt dich der Kinderfresser.
Und in der ganzen Passage ist es natürlich gebrochen mit den Talk-Shows, dass die da wirklich solche Witzchen machen und darüber lachen und dass er, der wirklich interessant wäre – im Gegensatz zu den Kandidaten – natürlich nie, so reden könnte. Und dass es dem Publikum und den Moderatoren auch völlig gleich ist, was da wer sagt, weil sie nur wegen dem Kochen da sind, und das ist ja eigentlich auch schon ein absurdes Ritual, jemandem beim Kochen zuzusehen, von dem man dann nix kriegt. :)
Also wenn man das mal auseinander arbeiten möchte, dass das Zuschauen bei Fernseh-Koch-Shows evolutionäre Bedürfnisse künstlich befriedigt, da wird einem schon ganz anders. Ist als wäre die Gesellschaft so ein Bulle, der Plastik mit Pheromonen poppt. :)

Er hält es sicher, er hält es warm.
Der Erl-König, das ist wieder das Hänsel- und Gretelböse.

„Ich bin doch ein Schmetterlingskind!
Da schwingt auch so viel mit, find ich. Die Isoliertheit eines Kindes, das gewohnt ist, das alle um sie herum, Bescheid wissen. Als hätte Lechner eine Elfe gefangen aus Peter Pan.

Am nächsten Morgen wachte er auf und ein Wunder war geschehen: Der Junge war auf einmal groß und stark. Und er zog hinaus in die Welt und bestand zahlreiche Abenteuer. Er tötete Vögel und Katzen und sogar den großen Bernhardiner des Nachbarn. Jetzt konnte er heimkehren und die Königin heiraten. Er fasste sie fest um den Hals, da war er der König.
Ich hab das neulich auch im Fernsehen gesehen, bei der letzten Kindermord-Reportage. Diese Leute fangen mit 11 oder 12 wieder an ins Bett zu machen und sind grausam zu Tieren.
Ich denke diese Passage ist das hier, märchenhaft bearbeitet.
Angeblich ist da mit der Hirn-Chemie was nicht in Ordnung, weil das Hirn in so vielen Glückshormonen getränkt wird, dass bestimmte Hürden nicht mehr existieren.
Ist ein ganz furchtbarer Gedanke, den wir mit unserem Bild von Menschsein nicht unter einen Hut kriegen, weil wir durch den Humanismus fest an den freien Willen glauben wollen. Das geht mit dem Wissen um so etwas nicht mehr. Wir denken, dass es schreckliche Menschen auf der Welt gibt, die sich bewusst dazu entscheiden, grausam zu sein; und verstehen sie nicht, wie sie solche Entscheidungen treffen können. Das ist eine Illusion, die wir brauchen, auf die wir uns als Gesellschaft, zumindest ein bisschen, geeinigt haben.


Im Vorzimmer das schwarze Telefon an der Wand. Er kann es sagen.
„I bin´s, da Lechna! I hob des Mädal umbrocht. Hob ia den Hois umdraht. Mi hot´s holt daboamt, des oame Hascherl. Jetzt keinnt´s mi huln kumman. I bin a fetta Fisch!“
Ganz unangenehmes, ambivalentes Ende. Und ja, der Dialekt, den setzt du hier, wie in anderen Geschichten herausragend ein.

Es ist in der Geschichte eben so, dass sie funktioniert, wie Lechner denkt. Es gibt keine Autorität außer ihm. Und wenn er, wie man am Ende sieht, mit der „Autorität“ in Kontakt tritt, dann auch aus einer Machtposition heraus. „Ich bin’s“, es ist ist also in dieser Niederlage mit dem Mädchen ein Triumph für ihn, vielleicht weil er gerade die nicht angefasst hat, aber es hat ihm auch den Appetit dann vergällt, der kurze Moment, als er sie wahrgenommen hat, nicht mehr als Beute (Groß-Lechner!), sondern als Schutzbefohlene, als seine Tochter, der hat ihn dazu gebracht, aufzuhören und sich auszuliefern. Aber es ist ja fast alles, was bei dem vorgeht, nur auf einer unterbewußten Ebene, und ich denke, der Text ist immer dann sehr stark, wenn er das unterstützt und laufen lässt, wenn er Lechner sich selbst „verraten“ lässt, wenn der Text – in der schon schwächeren Märchen-Passage oder auch gegen Ende – zu stark interpretierend eingreifen will, kommt der Text schon aus dem Tritt, aber ich denke, das braucht der Text auch, weil es ihn ein Stück weit entschärft. Diese Versuche des Erzählers, Handlung mit literarischer Bedeutung aufzuladen, entsprechen unserem Bedürfnis, etwas zu verstehen und einzuordnen, was wir nicht verstehen und einordnen wollen, oder nur zu unseren Bedingungen. Die Idee, dass es dort draußen jemanden wie Lechner gibt und dass es ihn immer geben wird, ist kaum zu ertragen, nicht nur durch das was er tatsächlich tut, sondern auch durch die Implikationen, die seine Existenz, für unser Gesellschafts- und Menschheitsbild auslöst.

Kompliment, ist wirklich ein starker, relevanter und bedeutungsdichter Text
Quinn

 
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Hallo Andrea!

Boah, nee. Da hast du mich getroffen mit dem Teil. Ich fühl mich fast ein bisschen verletzt oder gekränkt. Der Text wird lange nachwirken und wahrscheinlich werd ich beim Namen Lechner in Zukunft zusammenzucken. Ich hab einen unwahrscheinlichen Respekt vor deiner Leistung, weil das für mich über Grenzen hinausgeht, die ich selbst noch nicht bereit war zu überqueren. Stell mir das irgendwie doch sehr aufwühlend vor, wenn man sich so hingibt.
Im Interpretieren bin ich ein Amateur und da Quinn vorher schon dran war, lass ich das am besten. Der Text hat mich beeindruckt. Deine Möglickeiten, Gefühle mit Worten auszulösen, sind groß. In diesem Fall waren diese Gefühle allesamt negativ und trotzdem hab ichs mittlerweile dreimal gelesen, denn nach und nach kommt beim Lesen Freude dazu. Freude über die Qualität des Textes. Und der Titel ist wirklich hundsgemein! So ein heller Titel und so ein dunkles Ding. Und dann stehts auch noch in sonstige ...da erwartet mans ja nicht gleich so derbe.
Dass dieser Kerl dann auch noch bayrisch spricht, macht mich fertig. Sowas Gruseliges. Ich hab mal n Film gesehen, da liefen fast nur missgestaltete Menschen in einem Bergdorf rum. "Schlafes Bruder" hieß der. Irgendwie musste ich an diesen Film denken, der war auch so dunkel. Blablabla

Ich fands wirklich beeindruckend und sehr, sehr gut!

Herrlollek

 

Hey Andy,

Er kann nicht daran denken, was letzte Nacht geschehen ist, noch weniger vermag er es in Worte fassen.
Nicht nur, dass das eine Phrase ist, es passt auch nicht zum weiteren Verlauf. Der Erzähler spart nicht an Details.

Hart drückt er die Buchstaben ins Papier. Name: unbekannt, Geschlecht: männlich, Alter: ca. 10 Jahre, Gewicht: 27 kg, Fleisch: 5 kg, Innereien: 1,5 kg, Blut: 2550 ml, Zähne: 28. Er besinnt sich einen Moment, dann schreibt er noch in Klammer hinzu: Schöne, blonde Locken. Das streicht er aber wieder dick aus. So einer ist er nicht.
Auch für mich das Highlight.

Lechner stampft durch die Straßen, gerne würde er alles unter seinen breiten Füßen zertreten und zermalmen, bevor er es schlucken und verdauen muss, aber durch ihn hindurch muss es, er scheißt die ganze Welt schwarz, er ist eine stählerne Scheißmaschine, bald wieder alles schwarz, innen und außen, doch da springt eine Szene in sein Blickfeld, eine Szene des Lichts und der Freude:
So, bei dem ersten Satz dachte ich mir, okay, etwas plump ausgedrückt, passt ja auch zu der Figur, aber dann kommen nur noch Plattheiten bzw. eigentlich schon das, was ich selbst als Leserin rauskriegen sollte, servierst du mir, nein, du servierst es nicht, du spuckst es einem ins Gesicht. :P

Lechner fühlt die Milch in seine eigene Brust und in seinen eigenen Mund schießen, er ist Mutter und Säugling zugleich.

Nee, kommt bei mir nicht an, ist mir zu bedeutungsschwanger, so gewollt bedeutungsvoll. Es ist mir zu schwer, zu dickflüssig. Maaann, ich fang hier schon an, wie die eine hier …

Brust und Kind will er verschlingen, dem Kind mit Zähnen den Bauch aufreißen, die Zunge im kleinen, rosa Beutel versenken, er ruckt auf seinen Sohlen herum. Die Mutter schickt ihm einen unbehaglichen Blick, in Lechner ziehen wieder die Ketten an und er dampft weiter. Ihre Augen sind Pfeile in seinem Rücken, durchbohren ihn, Lechner wird schlaff, aus der Stahlmaschine wird ein Batzen aus Gestank, Rotz und zu weichem Fleisch. Er reibt sich über den Asphalt, kriecht schließlich ins Auto, er, der Kretin, die Missgeburt, der Wurm, elender, elender Wurm.
Ja klar, Muttersöhnchen, eigentlich braucht der nur bisschen Kontra, und schon zieht er den Schwanz ein, ist mir wieder zu platt, sorry. Das bin ich so gar nicht von dir gewohnt. Vor allem kommt das alles so schnell hintereinander, du gönnst einem keine Pause, ich bin schon vom vorigen Absatz außer Atem. Ich, Schwächling.

Alles normal. Da ist nichts Böses. Er ist normal.
Ajajaja.

Während des Kochens sieht er sich eine Talkshow im Fernsehen an und beginnt zu träumen. Er denkt sich aus, welche Fragen ihm die dicke Moderatorin stellen könnte.
Ob es beim Fleisch Unterschiede im Geschmack gäbe?

Ich find die Passage bitterböse, wie er da über die verschiedenen Kindergeschmäcker schwafelt und sich ins rechte Licht rückt, hier ein Witzchen, da ein Tip und er wird geliebt und applaudiert – da ich leider nicht in der Geschichte bin, verpasse ich das alles. :( Ich finds einfach gewollt. Es ist für mich nicht geschickt eingefädelt. Auch die Passage mit dem Märchen, das kommt so plötzlich. Mir fehlen so bisschen die Verknüpfungen. Ich weiß jetzt schon, vor einem Jahr wäre ich auf diesen Text abgefahren. : )
Bevor ich es vergesse, ich musste zwar über den Dialekt lachen, ABER weil ich darüber lachen musste, und weil es nix zu lachen gab, war das so gruselig. Das ist ein witziger Dialekt und wenn ein Mörder den spricht, den nimmt man entweder nicht ernst oder man hat mehr Schiss vor ihm als vor einem normalen Mörder. Normaler Mörder, ich rede gerade Kacke. :)

Lechner hat Auftrieb, wie ein Korken, den man unter Wasser loslässt, schießt er hoch, aus dem Dunkel ins Licht, aber das Licht sticht, weißglühend brennt es ihm zuerst die Haut und dann das Fleisch von den Knochen, leicht wie Asche liegt er auf der Bettbank, viel ist nicht übrig geblieben von ihm, aber es genügt.

Ich weiß, ich wiederhole mich, aber das find ich auch wieder so arg literarisch konstruiert. Es sind einzeln super Sätze, wirklich. Wenn ich den Absatz alleine lesen würde, funktioniert er auch ohne die Geschichte, irgendwie. Mit der Geschichte wird’s dann zuviel.

I bin a fetta Fisch!
Sorry, da musste ich wieder lachen. :D

Inhalt find ich in Ordnung, Stil hat mir nicht zugesagt. Ich hoffe, du kannst das nachvollziehen. Wenn nicht, dann melde ich mich halt noch mal. :P Wenigstens lasse ich die Leute nicht warten … pfff. Ich mag dich trotzdem.

Gruß und Kuss!

JoBlack

 

Hallo Andrea H.

Zum Einstieg wurde gleich mal meine Fantasie strapaziert:

In der kalten Morgenluft dampft das Blut an seinen Fäusten.

Es war mir nicht gelungen, dieses Bild real vorzustellen, gleichgültig, wie es dazu kam.

Die Rillen des Eichentisches, über die seine Hand jetzt fährt, der gestickte Polster auf der Bettbank, …

Hier stolperte ich, sollte es hier nicht das gestickte Polster lauten?

Nach den ersten Absätzen stellt sich – entgegen dem lieblichen Titel - endgültig das Bild eines pathologischen Kindermörders ein, sein Empfinden, seine Gedanken und sein Verhalten sich plausibel einfügend.

Wenn er nicht frisst, wird er gefressen werden, alles besteht nur aus ineinander verschlungenen, sich verschlingenden Mündern, und er kann die Welt nur mit seinem Mund, seinen Zähnen, seiner Zunge verstehen.

Seine infantile Vorstellungskraft, die sich im vorstehenden Satz fachlich schön manifestiert, schwelgt im Kannibalismus, der höchsten Steigerung seines Lustgewinns.

Die Jagd auf seine Beute wurde mir als Leser zum Voyeurismus, seine Beobachtungen und seine Gedanken verschmelzen sich, legen sich meiner Betrachtung anrüchig offen.
Dann dieser Bruch, die Wut des Kindes, nicht einfach nur Angst. Für Lechner etwas unerwartetes, nicht einfach Widerstand, vielmehr Gewalt gegen ihn, was seinem infantilen Geist Verwirrung stiftet. Die Krankheit des Kindes als verstärkender Antrieb seines Meuterns abgestimmt eingebracht, dazu ein feinfühliger Name dafür. Es ist dieser Bruch im Ablauf, der in Lechner neue Empfindungen weckt, wohl unbewusst sich seelisch spiegelnd, das erste Mal, das er aus Mitleid ein Kind tötet.

Es war mir eine ergreifende Geschichte, in der realistische Elemente von krankhafter Fantasie auftreten, überzeugend dargelegt und nur gegen Schluss in gewissen Sequenzen sich eher als Gedankengespinst erweisen. Wobei der letzte Akt sich durchaus logisch einfügt.

Sehr gut verfasst und spannend erzählt.

Gruss

Anakreon

 

Hallo Andrea,

Respekt vor dem Mut, sich einem solchen Thema anzunehmen. Wenn da die Umsetzung nicht stimmt, dann kann das ja mal ganz schnell nach hinten losgehen. Geht es aber nicht, im Gegenteil. Du schaffst es, dem Leser in die kranke Welt des Herrn Lechners zu ziehen, die einem den Magen umdreht, die dem Leser zuwider ist, und sich im Böse aufs Gemüt legt.

Ich hab mal im Theater einen Monolog gehört, da erzählte mir "Jürgen Bartsch" seine Lebensgeschichte, ein Abend der lange nachwirkte. Auch deine Geschichte konnte ich seit der Einstellung bis heute nicht wirklich loswerden.

Ruhig geht er zurück ins Haus, als er in die Stube tritt, schlägt er dem Herrgott im Eck ein Kreuz, er ist auch dessen Kind, ja, er ist dessen erstes Kind, der einzige Mensch auf der Erde.

So sieht sich Lechner? Wirklich? Als der einzige Mensch auf der Erde?
Das mit dem Kreuz finde ich stark, so harmlos, so normal. Und eigentlich ist es so böse, weil eben auch Typen wie Lechner Gottes Kinder sind. Ich würde die Geste ohne den Nachsatz viel stärker und böser empfinden.

Name: unbekannt, Geschlecht: männlich, Alter: ca. 10 Jahre, Gewicht: 27 kg, Fleisch: 5 kg, Innereien: 1,5 kg, Blut: 2550 ml, Zähne: 28.

Wurde schon erwähnt, aber ich tue es trotzdem nochmal. Statistik kann so grausam sein. Toll gewähltes Mittel.

Er besinnt sich einen Moment, dann schreibt er noch in Klammer hinzu: Schöne, blonde Locken. Das streicht er aber wieder dick aus. So einer ist er nicht.

Und Dir ist es nicht genug, da legst Du gleich nochmal nach. Als wenn das Aussparen von pädophilen Neigungen alles andere weniger grausam erscheinen ließen.

... er scheißt die ganze Welt schwarz, er ist eine stählerne Scheißmaschine,

Das Bild als solches finde ich ja ziemlich getroffen. So ein emotionsloses Stahlgeschoss, eine Maschine, die irgendwie funktioniert, wenn man da ein Knöpfchen drückt. Und das einzige was an menschlichem Verhalten produziert wird ist Scheiße. Aber sieht Lechner sich wirklich selbst so? Hat mich irritiert. Ich konnte das Bild nicht mit Lechners Selbstbild zusammenbringen.

Die Mutter-Kind-Szene dagegen - die funktioniert gut für mich. Seine Sehnsucht nach Geborgenheit, Wärme, Liebe. Die in ihm das Bedürfnis schürrt, es aufzuessen, sich einzuverleiben. Dann der bedrohliche Blick der Mutter, der ihn daran hindert, daran teilzuhaben, der ihn wieder in sein eigenes, liebloses Leben zurückkatapultiert und die ihn klein macht. So richtig erschlossen hat sie die Szene sich für mich erst beim zweiten Lesen. Als ich Lechners Vorgeschichte kannte, die Du ja erst später erzählst. Was aber gut so ist. Hierher gehört sie noch nicht.

Alles normal. Da ist nichts Böses. Er ist normal.

Diese kleinen, bösen Einschübe! Kommen so harmlos daher und sind doch so tragisch.

Lechner steigt aus dem Auto, ein schnurrendes Uhrwerk, rasch, rasch, ihr nach, dem zarten Jungtier, er findet sich in ihren huschenden Rhythmus ein, wirft einen Schatten über sie, packt sie von hinten, verklebt ihr den Mund, hebt sie hoch, dreht sie zu sich, komm, komm, komm, meine Süße, komm heim, wickelt sie vollständig in die Decke, man weiß nicht, was Lechner ist, ein besorgter Vater mit einem kranken oder verletzten Kind auf dem Weg zum Arzt?

Was für ein Satz! Und dann endet er mit einer ganz harmlos daherkommenden Frage. Tolle Dramaturgie, auch wegen des kurzen Einschubs seiner Gedanken.

Er hält es sicher, er hält es warm. Sie ist die Frucht an seinem Baum, ...

Der Bezug zum Erlköinig. Sicher sehr passend an dieser Stelle. Aber mir wirkte er zu künstlich in diesem Augenblick. Zu gewollt. Genauso Deine Frucht (ich glaub ja, die muss immer irgendwie rein :D), das ist nicht Lechner. Das ist zu sehr die Autorin in meinen Augen.

... ihr süßer Kindergeruch steigt ihm in die Nase.

Das ist Lechner!

Er hätte es gleich merken müssen! Sie hat sich doch überhaupt nicht gewehrt, kein Strampeln der Beine, kein Versteifen des ganzen Körpers, wie eine Wolke ist sie in seinen Armen gewesen, nicht schlaff, sondern noch immer, ja genau, schwebend, obwohl er sie so fest gehalten hat.

Ganz großer Spannungsmoment! Man denkt so als Leser, okay er nimmt sie jetzt mit, tötet sie, isst sie, aber schon hier drehst Du an den Erwartungen, mit diesem Kind stimmt etwas nicht, es ist anders, die Geschichte wird nicht den Erwartungen entsprechend verlaufen, also bleibt man dran und liest weiter.

Lechner schwieg und rührte sich nicht. Sie hatte sich von allein ausgezogen, er hatte nichts tun müssen, aber er wollte sie gar nicht mehr anfassen, ihm graute vor ihr. Ihr Fleisch wollte er nicht. Er schob sich zur Tür hinaus, verriegelte sie und ging weg.

Ja, das ist nicht eines der glückliches, von Schmerzen verschonte Kind, die er so gern hat, an die er bei der Talkshow gedacht hat. Ihr Fleisch ist nicht gesund. Sie ist verwundet, aber im Gegensatz zu ihm, geht sie offen damit um, dass muss ihn irritieren.

Lechner in Not. Es strahlt durchs ganze Haus, ihre Krankheit, die Stockflecken an der Wand sehen bedrohlich aus, nicht vertraut, die Zeitungsstapel im Eck scheinen einen durchdringenden Harngeruch auszuströmen und Lechners Zehennägel sind die gekrümmten, gelben Krallen eines Tieres. Alles ist falsch. Lechner will Erlösung, er will von dem Kind erlöst werden.

Genau. Starker Einschub, seine Gefühle da durch die Umwelt zu beschreiben. Nur das Tier und seine Krallen wollen sich für mich nicht fügen. In diesem Augenblick ist er kein Raubtier mit Krallen für mich. Eher ein Goldfisch in einem Kugelglas.

Jetzt konnte er heimkehren und die Königin heiraten. Er fasste sie fest um den Hals, da war er der König.

Muttermord. Starke Szene, das ganze.

Lechner hat Auftrieb, wie ein Korken, den man unter Wasser loslässt, schießt er hoch, aus dem Dunkel ins Licht, ...

Ist mir wieder zu literarisch gewollt. Die Aussage ist zwar treffend, aber die Verpackung verkauft mir den Inhalt nicht so recht.

... leicht wie Asche liegt er auf der Bettbank, viel ist nicht übrig geblieben von ihm, aber es genügt.

Ist doch wunderbar ... kann man das Licht nicht anders einführen?

So, nu bin ich fertig mit meinen Erbsen.

Eine ganz schlimme, furchtbare Geschichte die Du hier schreibst. Sehr schön umgesetzt, aufgebaut, geschrieben. Sie funktioniert. Sie zieht den Leser in diese perverse Welt und lässt ihn da umherirren und den Ausgang suchen. Schön, dass Du mir am Ende einen zugestehst. Lechner und Marie, starkes Personal.

:thumbsup: Fliege

 

@ Quinn

Was geht in solchen Menschen vor? Was würde ich tun, wenn das meinem Kind passieren würde? Wie soll man mit solchen Menschen verfahren? Man hat sich zu dem Thema schon seine Gedanken gemacht, deshalb trifft dieser Satz so, weil man die Implikationen dahinter spürt.

Mich hat eigentlich nur die erste Frage interessiert. Was hat so ein Mensch für ein Selbstgefühl? Oder was könnte er für eines haben?

Ich hab darüber nachgedacht, und er ist in diesem destruktiven Element dicht an dem Urbösen oder einer Vorstellung davon. Gerade in martialischen Kulturen hat man immer das Bild des Weltenverschlingers, im nordischen Glauben ist auch Fenrir der die Sonne verschluckt; wir sind fasziniert von der Schlange, nicht nur wegen ihres Gifts, sondern weil sie den Kiefer aushakt und diese Wildschweine da fressen kann, der weiße Hai ist seit 30 Jahren ein Feindbild und eine Urangst, obwohl der nur Fischen was tut; die griechische Mythologie hat auch das Motiv mit Saturn, der seine Kinder frisst, wir haben es in Sagen und wir haben es in der Populärkultur (ich erspare es ), ironischerweise kommt es in unserer Religion mehrfach positiv besetzt vor. In der Walgeschichte und im Abendmahl.
Ich hab eigentlich nicht daran gedacht, jetzt ein Bild des Urbösen zu zeichnen, aber du hast recht: Mit dem "Schwarz" und dem Alles-verschlingen-Wollen ist er eine Art schwarzes Loch - ein negatives Sinnzentrum, wenn man so will. Aber ich hab Lechner auch auf einer untersten Ebene angesiedelt, auf der man die Welt nur über seinen Körper versteht: Übers Fressen und übers Ausscheiden. Mir war das gar nicht so bewusst, dass das ein altes Motiv ist, bzw. hab ich schon an gewisse groteske Vorstellungen der Vormoderne gedacht, in der die Grenzen zwischen den Körpern aufgehoben waren.

Auf eine ekelerregend-pervertierte Art mogelt er sich in den Kreislauf des Lebens in diese Allegorie. Die Mutter gibt dem Kind Leben, und er nimmt es eben.

Es fasziniert ihn sicher aus mehreren Gründen, das Mutter-Kind-Verhältnis, die enge Symbiose, ja, und sicher will er sich da einmogeln, das Fressen ist ja auch ein Besitzenwollen, er will mit beiden eins werden.

Das ist wirklich eine sehr böse Passage. Hier mogelt er sich in ganz viele verschiedene Rollen. Er mogelt sich in das klassische „Märchen-Böse“, er ist die Hexe aus Hänsel und Gretel, die den Kindern so ein wohliges Gruselgefühl gibt. Sei brav, sonst setzen wir dich im Wald aus und dann holt dich der Kinderfresser.

Und in der ganzen Passage ist es natürlich gebrochen mit den Talk-Shows, dass die da wirklich solche Witzchen machen und darüber lachen und dass er, der wirklich interessant wäre – im Gegensatz zu den Kandidaten – natürlich nie, so reden könnte.
Aber es geht ihm da natürlich auch um Anerkennung dessen, was er ist, um das Besondere daran. Er erhöht sich da ja auch selbst, er redet viel besser, als er in Wirklichkeit tun würde.
Da schwingt auch so viel mit, find ich. Die Isoliertheit eines Kindes, das gewohnt ist, das alle um sie herum, Bescheid wissen. Als hätte Lechner eine Elfe gefangen aus Peter Pan.
Die es natürlich auch gewohnt ist, dass alle auf sie Rücksicht nehmen, Marie ist so von ihrer Krankheit beherrscht, dass sie die Gefahr nicht gleich erkennt, in erster Linie geht es ihr darum, nicht verletzt zu werden.

Ist ein ganz furchtbarer Gedanke, den wir mit unserem Bild von Menschsein nicht unter einen Hut kriegen, weil wir durch den Humanismus fest an den freien Willen glauben wollen. Das geht mit dem Wissen um so etwas nicht mehr. Wir denken, dass es schreckliche Menschen auf der Welt gibt, die sich bewusst dazu entscheiden, grausam zu sein; und verstehen sie nicht, wie sie solche Entscheidungen treffen können. Das ist eine Illusion, die wir brauchen, auf die wir uns als Gesellschaft, zumindest ein bisschen, geeinigt haben.

Ja, wir wollen an den freien Willen glauben ... und irgendwo ist das auch in der Geschichte drinnen: Lechner bekommt die Möglichkeit, seine Rolle gegenüber dem Kind mit der Rolle zu vergleichen, die seine Mutter ihm gegenüber hatte, so wie Marie ihm zu Füßen liegt und ihn anbettelt, so war es auch bei seiner Mutter und ihm, als er aus Schwäche auf den Boden gefallen ist. Er vergleicht und entscheidet sich dazu, sich zu stellen. Aber das ist natürlich nicht sehr bewusst und er bleibt immer noch ein Mörder.

Ganz unangenehmes, ambivalentes Ende. Und ja, der Dialekt, den setzt du hier, wie in anderen Geschichten herausragend ein.
ja, Lechner ist ein Neuer, aber er ist auch noch der Alte. Mit "fetta Fisch" streicht er nochmal heraus, dass er etwas Besonderes ist. Und da ist Selbstbewusstsein, aber auch Entschuldigung drinnen dafür, was er getan hat.

Aber es ist ja fast alles, was bei dem vorgeht, nur auf einer unterbewußten Ebene, und ich denke, der Text ist immer dann sehr stark, wenn er das unterstützt und laufen lässt, wenn er Lechner sich selbst „verraten“ lässt, wenn der Text – in der schon schwächeren Märchen-Passage oder auch gegen Ende – zu stark interpretierend eingreifen will, kommt der Text schon aus dem Tritt, aber ich denke, das braucht der Text auch, weil es ihn ein Stück weit entschärft. Diese Versuche des Erzählers, Handlung mit literarischer Bedeutung aufzuladen, entsprechen unserem Bedürfnis, etwas zu verstehen und einzuordnen, was wir nicht verstehen und einordnen wollen, oder nur zu unseren Bedingungen.
Ja, das ist wirklich sehr gut beobachtet, manchmal rückt der Text von Lechner ab, will das verarbeiten, was da abläuft.

Kompliment, ist wirklich ein starker, relevanter und bedeutungsdichter Text

Danke! :)

@ herrlollek

Boah, nee. Da hast du mich getroffen mit dem Teil. Ich fühl mich fast ein bisschen verletzt oder gekränkt. Der Text wird lange nachwirken und wahrscheinlich werd ich beim Namen Lechner in Zukunft zusammenzucken.
ich hab die Geschichte auch in einem anderen Forum gepostet und da waren die Reaktionen ähnlich! ;)
Ich hab einen unwahrscheinlichen Respekt vor deiner Leistung, weil das für mich über Grenzen hinausgeht, die ich selbst noch nicht bereit war zu überqueren. Stell mir das irgendwie doch sehr aufwühlend vor, wenn man sich so hingibt.
Im Grunde ist es ein Stoff wie jeder andere, es hat mich nicht mehr aufgewühlt als bei anderen Geschichten auch. Ich glaube, sonst kann man sich auch gar nicht darauf einlassen, wenn man schon von vorneherein Schranken hat, also Ablehnung usw. Es ging mir vor allem um: Wie kann das gehen?
Der Text hat mich beeindruckt. Deine Möglickeiten, Gefühle mit Worten auszulösen, sind groß. In diesem Fall waren diese Gefühle allesamt negativ und trotzdem hab ichs mittlerweile dreimal gelesen, denn nach und nach kommt beim Lesen Freude dazu. Freude über die Qualität des Textes. Und der Titel ist wirklich hundsgemein! So ein heller Titel und so ein dunkles Ding. Und dann stehts auch noch in sonstige ...da erwartet mans ja nicht gleich so derbe.
Das freut mich sehr! :)
Dass dieser Kerl dann auch noch bayrisch spricht, macht mich fertig. Sowas Gruseliges. Ich hab mal n Film gesehen, da liefen fast nur missgestaltete Menschen in einem Bergdorf rum. "Schlafes Bruder" hieß der. Irgendwie musste ich an diesen Film denken, der war auch so dunkel. Blablabla
boah "bayrisch"! :D Das ist steirischer Dialekt! ;)

Schön, dass du es so beeindruckend fandest!

Gruß
Andrea

 

@ Jo


Zitat:
Er kann nicht daran denken, was letzte Nacht geschehen ist, noch weniger vermag er es in Worte fassen.

Nicht nur, dass das eine Phrase ist, es passt auch nicht zum weiteren Verlauf. Der Erzähler spart nicht an Details.
Was ist denn das für ein komischer Vorwurf? Ich kann nicht über jemanden schreiben, der nicht fähig ist, über sein Tun nachzudenken, zu reflektieren und für sich selbst in Worte zu fassen? Ich denke mir Lechner als jemanden, der nur mit dem Körper "denken" kann, vielleicht will er auch gar nicht mehr zulassen, er kann nur die "harten", körperlichen Fakten niederschreiben. Am Ende, beim Geständnis, sag ich ja: Er kann es jetzt sagen. Weil er eine Entwicklung durchgemacht hat, er weiß, was er getan hat. Das hier ist also keine Phrase, ich hab mir schon was dabei gedacht.

S

o, bei dem ersten Satz dachte ich mir, okay, etwas plump ausgedrückt, passt ja auch zu der Figur, aber dann kommen nur noch Plattheiten bzw. eigentlich schon das, was ich selbst als Leserin rauskriegen sollte, servierst du mir, nein, du servierst es nicht, du spuckst es einem ins Gesicht. :P
Ja, es sollte schon expressiv sein, aber platt natürlich nicht. Und ich glaub auch nicht, dass es platt ist.

Ja klar, Muttersöhnchen, eigentlich braucht der nur bisschen Kontra, und schon zieht er den Schwanz ein, ist mir wieder zu platt, sorry. Das bin ich so gar nicht von dir gewohnt. Vor allem kommt das alles so schnell hintereinander, du gönnst einem keine Pause, ich bin schon vom vorigen Absatz außer Atem. Ich, Schwächling.

Nein, er sieht sich durch die Augen der Frau, merkt, dass sie ihn ablehnt, er sieht sich selbst von außen, und da fällt sein Selbstgefühl zusammen.

Ich find die Passage bitterböse, wie er da über die verschiedenen Kindergeschmäcker schwafelt und sich ins rechte Licht rückt, hier ein Witzchen, da ein Tip und er wird geliebt und applaudiert – da ich leider nicht in der Geschichte bin, verpasse ich das alles. Ich finds einfach gewollt. Es ist für mich nicht geschickt eingefädelt. Auch die Passage mit dem Märchen, das kommt so plötzlich. Mir fehlen so bisschen die Verknüpfungen. Ich weiß jetzt schon, vor einem Jahr wäre ich auf diesen Text abgefahren. : )
Nein, glaub ich nicht ... vielleicht hättest du dir ja die Mühe machen sollen, es ein zweites Mal zu lesen. ;)

Ja, schade, dass es dir nicht zusagt, kann man nix machen! :)


@ Anakreon:

Zitat:
In der kalten Morgenluft dampft das Blut an seinen Fäusten.
Es war mir nicht gelungen, dieses Bild real vorzustellen, gleichgültig, wie es dazu kam.
Ja, ich hatte zuerst den Beginn anders: Eher symbolisch und wollte dieses Bild mit dem dampfenden Blut auf den Fäusten aber nicht aufgeben. Das ist wirklich schwer vorstellbar! ;)


Zitat:
Die Rillen des Eichentisches, über die seine Hand jetzt fährt, der gestickte Polster auf der Bettbank, …

Hier stolperte ich, sollte es hier nicht das gestickte Polster lauten?

LOL, im Österreichischen heißt es tatsächlich "der Polster"! ;)

Nach den ersten Absätzen stellt sich – entgegen dem lieblichen Titel - endgültig das Bild eines pathologischen Kindermörders ein, sein Empfinden, seine Gedanken und sein Verhalten sich plausibel einfügend.

Seine infantile Vorstellungskraft, die sich im vorstehenden Satz fachlich schön manifestiert, schwelgt im Kannibalismus, der höchsten Steigerung seines Lustgewinns.

Jo, so kann man es auch sagen.

Dann dieser Bruch, die Wut des Kindes, nicht einfach nur Angst. Für Lechner etwas unerwartetes, nicht einfach Widerstand, vielmehr Gewalt gegen ihn, was seinem infantilen Geist Verwirrung stiftet. Die Krankheit des Kindes als verstärkender Antrieb seines Meuterns abgestimmt eingebracht, dazu ein feinfühliger Name dafür. Es ist dieser Bruch im Ablauf, der in Lechner neue Empfindungen weckt, wohl unbewusst sich seelisch spiegelnd, das erste Mal, das er aus Mitleid ein Kind tötet.
Es ist nicht nur Mitleid, er hat halt kein großes Repertoire in seinen Reaktionen, er will sie auch für sich allein haben, sie zu töten schafft auch eine Bindung, die ihm keiner mehr wegnehmen kann.

Sehr gut verfasst und spannend erzählt.

Freut mich! :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Alles schon gesagt über Form und Inhalt,

liebe Andrea,

vom Hinweis Jos auf gelegentliche Phrasen bis zum Hinweis Anakreons zum Voyeurismus.

Hanna Arendts Begriff der

„Banalität des Bösen“
wird von Jurewa genannt. Da gibt's mächtige historische Vorbilder, die sich auch auszeichnen durch buchhalterische Korrektheit / „Pingeligkeit“, auch der eine oder die andere
… nimmt das Buch heraus. Hart drückt er die Buchstaben ins Papier …
Lauter gewissenhafte Menschen, die Buch über (Unter-)Lassen, Tun & Taten führen. –
Wobei der Buchhalter an sich eher ein schlichter, denn ein schlechter Mensch per se ist.
Und selbst bei Lechner mag er gelegentlich durchkommen, der Gutmensch, der auch Erlösung bringen kann. Und doch trifft Anakreons Kennzeichnung Lechner als
„pathologischen Kindermörder“
.

Ob die erzählte Jugendgeschichte Lechners freilich eine / die (Jurewa) „typische“ Biografie eines Täters abgäbe (und somit gleich der Beichte den Täter reinwüsche, zumindest Verständnis erzeugen könnte) ist eher zweifelhaft.
Quinn hat vielmehr schon auf mythische Modelle zurückgegriffen. Es gelänge sogar die Verknüpfung des Königs Oedipus (Mutter = Königin) mit der christlichen Lehre, denn

… als er in die Stube tritt, schlägt er dem Herrgott im Eck ein Kreuz, er ist auch dessen Kind, ja, er ist dessen erstes Kind, der einzige Mensch auf der Erde
- (Gottvater und Lechner-Oedipus sein einziger und gefolterter Sohn), wodurch Iokaste –
Es war einmal ein kleiner Junge, der einer großen Königin diente …
sich zugleich zu Maria & Isis wandelt.

So bliebe denn Lechner-Oedipus-Jehuschua niemals verlassen und allein, denn Isis-Iokaste-Maria wäre immerdar & trüge mit an seinem Kreuz*.

Eher also keine typische Biografie. Wenn auch

vor dem Spiegel
Lechner seine narzisstische Normalität auslebt. Ja, er stellt sogar in seiner Normalität die Welt auf den Kopf:
… Lechner fühlt die Milch in seine eigene Brust und in seinen eigenen Mund schießen, er ist Mutter und Säugling zugleich,
und das Geständnis
In glücklichen Stunden gibt es keine Grenze mehr zwischen seinem und fremdem Fleisch.
- Tatsächlich eine Umkehrung eines gewohnten Bildes: der (potenzielle) Aggressor identifiziert sich mit potentiellen Opfern.

Warum das Opfer vervielfältigt wird, wenn Lechner zur Maschine erniedrigt wird

… in Lechner ziehen wieder die Ketten an und er dampft weiter
ist mir unverständlich. Doch ein verkappte Zeigefinger Gott-Autors?

Ganz klein bissken findet die Kleinkrämerseele Futter:

In der kalten Morgenluft dampft das Blut an seinen Fäusten
Wie Anakreon
war mir nicht gelungen, dieses Bild real vorzustellen, gleichgültig, wie es dazu kam
, wobei,

lieber Anakreon,

dem Polster selbst durch den Duden im Österreichischen das gramm. männl. Geschlecht zugestanden wird.

Dann gibt’s eine Phase inflationär verwendeter würde-Konstruktionen, wo idR das einfache Futur oder ein ordentlicher Konjunktiv II verwendet werden könnten. Es täte sich freilich eine weitere Parallele der Banalität des Bösen einer KZ-Aufsicht zu Lechner auf: wo diese vorm Mord(en) klassische Musik genösse, gäbe jener Hochsprache.

„Du darfst das nicht, bitte nicht, fass mich nicht an“!
Sicherlich ist das Ausrufuezeichen in der ganzen Aufregung verrutscht …

Gruß

Friedel

*„Nicht ganz blieb verlassen ihr Schöpfer: den Pfeiler des Kreuzes / Hielt umfangen das Weib, das Gott zur Mutter sich schuf“, benennt’s Gottfried Keller im Abend auf Golgatha.

 
Zuletzt bearbeitet:

Grüß Dich Andrea,

hallo Leute,

vielleicht fragt man sich, warum ich trotz angeborner Abneigung gegen dergleichen Themen, die – ohne unbedingt dem Genre selbst anzugehören – Horror verbreiten. Der wiederum feiert seit 9/11 auffällig Urständ’ und geht hierzulande mit “German angst“ und Xenophobie einher, welche sich nicht nur gegen den Fremden als „dem Andren“ richten, sondern überhaupt gegen „das Andere“, also allem, was uns fremd ist bis hin zur gesellschaftlichen Veränderung.

Die Antwort ist einfach: die Geschichte ist einfach gut, kommt ohne Dämonisierung und abergläubischem Zeug aus, dass man vor Neid platzen könnte – kennte ich denn diese Regung - und wer kann schon behaupten, fehlerfrei zu sein? Andrea stellt eine Illusion dar, die neben den (institutionalisierten & selbstgebastelten) Religion(en) den Verstand beschäftigt: die Schimäre des „freien“ Willens.
Hier mein ich nun, das von mir gestern unverstandne Maschinen-Motiv zu erkennen, das für das Fremde in uns steht: Lechner könnte gar nicht anders, dass selbst Prof. Freud heut seine helle Freud' hätt an Autorin und ihrem Geschöpfe Lechner, dem Protagonisten.

Gruß

Friedel

 

Hallo Frau Fliege!

So sieht sich Lechner? Wirklich? Als der einzige Mensch auf der Erde?
Sollte seine Isoliertheit unterstreichen, und auch, dass er kein Mitgefühl kennt.
Das mit dem Kreuz finde ich stark, so harmlos, so normal. Und eigentlich ist es so böse, weil eben auch Typen wie Lechner Gottes Kinder sind. Ich würde die Geste ohne den Nachsatz viel stärker und böser empfinden.
Ja, du hast recht, ich muss mir das noch überlegen.


Das Bild als solches finde ich ja ziemlich getroffen. So ein emotionsloses Stahlgeschoss, eine Maschine, die irgendwie funktioniert, wenn man da ein Knöpfchen drückt. Und das einzige was an menschlichem Verhalten produziert wird ist Scheiße. Aber sieht Lechner sich wirklich selbst so? Hat mich irritiert. Ich konnte das Bild nicht mit Lechners Selbstbild zusammenbringen.
ja, das sind natürlich Passagen, die schwer zuzuordnen sind. Ein Selbstbild, das aber von außen gesehen wird, bzw. bereits irgendwie eingeordnet oder beurteilt wird. ;) Also eigentlich etwas Unmögliches. Aber wie soll man so ein Selbstbild denn darstellen oder vermitteln? Ist schwer. Hinterfragen darf man sowas wahrscheinlich nicht, das stürzt dann wie ein Kartenhaus zusammen. ;)

Die Mutter-Kind-Szene dagegen - die funktioniert gut für mich. Seine Sehnsucht nach Geborgenheit, Wärme, Liebe. Die in ihm das Bedürfnis schürrt, es aufzuessen, sich einzuverleiben. Dann der bedrohliche Blick der Mutter, der ihn daran hindert, daran teilzuhaben, der ihn wieder in sein eigenes, liebloses Leben zurückkatapultiert und die ihn klein macht.
ja, genau so war es auch gemeint! Aber auch, dass er durch den Blick einer anderen Person eine Ahnung davon bekommt, was er wirklich ist, ein perverses Schwein nämlich.

Der Bezug zum Erlköinig. Sicher sehr passend an dieser Stelle. Aber mir wirkte er zu künstlich in diesem Augenblick. Zu gewollt. Genauso Deine Frucht (ich glaub ja, die muss immer irgendwie rein ), das ist nicht Lechner. Das ist zu sehr die Autorin in meinen Augen.

ja! ;)

Ganz großer Spannungsmoment! Man denkt so als Leser, okay er nimmt sie jetzt mit, tötet sie, isst sie, aber schon hier drehst Du an den Erwartungen, mit diesem Kind stimmt etwas nicht, es ist anders, die Geschichte wird nicht den Erwartungen entsprechend verlaufen, also bleibt man dran und liest weiter.

freut mich sehr, dass du das so siehst!

Ja, das ist nicht eines der glückliches, von Schmerzen verschonte Kind, die er so gern hat, an die er bei der Talkshow gedacht hat. Ihr Fleisch ist nicht gesund. Sie ist verwundet, aber im Gegensatz zu ihm, geht sie offen damit um, dass muss ihn irritieren.
Sie hat gelernt, damit fertig zu werden, sie ist auf irgendeine Weise stärker als er, das spürt er. Sie ist kein vernachlässigtes Kind, sie ist es gewohnt, dass man sich um sie kümmert.

Genau. Starker Einschub, seine Gefühle da durch die Umwelt zu beschreiben. Nur das Tier und seine Krallen wollen sich für mich nicht fügen. In diesem Augenblick ist er kein Raubtier mit Krallen für mich. Eher ein Goldfisch in einem Kugelglas.
nein, er sieht zwar keinen Ausweg, aber gefährlich ist er immer noch. Er will sie ja noch immer besteigen, da hab ich echt keinen Goldfisch vor Augen! ;)Das Bild soll aber nicht nur seine Gefährlichkeit zeigen, sondern auch seine Vernachlässigung.

Zitat:
Lechner hat Auftrieb, wie ein Korken, den man unter Wasser loslässt, schießt er hoch, aus dem Dunkel ins Licht, ...

Ist mir wieder zu literarisch gewollt. Die Aussage ist zwar treffend, aber die Verpackung verkauft mir den Inhalt nicht so recht.

ja, ich mach was mit Fegefeuer! ;)

Eine ganz schlimme, furchtbare Geschichte die Du hier schreibst. Sehr schön umgesetzt, aufgebaut, geschrieben. Sie funktioniert. Sie zieht den Leser in diese perverse Welt und lässt ihn da umherirren und den Ausgang suchen. Schön, dass Du mir am Ende einen zugestehst. Lechner und Marie, starkes Personal.

Freut mich, dass du den Ausgang siehst!

Danke dir sehr für diesen genauen und schönen Kommentar!


Hallo Friederich, du Wüterich!

Da gibt's mächtige historische Vorbilder, die sich auch auszeichnen durch buchhalterische Korrektheit / „Pingeligkeit“, auch der eine oder die andere
Es gab wirklich einen Serienmörder, der genaue Aufzeichnungen geführt hat. Allerdings hatte der einen Gasthof und er verkaufte Fleisch ...

- Tatsächlich eine Umkehrung eines gewohnten Bildes: der (potenzielle) Aggressor identifiziert sich mit potentiellen Opfern.
Es geht einfach um eine pervertierte Sehnsucht nach Verschmelzung.

Warum das Opfer vervielfältigt wird, wenn Lechner zur Maschine erniedrigt wird
Zitat:
… in Lechner ziehen wieder die Ketten an und er dampft weiter

ist mir unverständlich. Doch ein verkappte Zeigefinger Gott-Autors?

Versteh ich nicht ...
Dann gibt’s eine Phase inflationär verwendeter würde-Konstruktionen, wo idR das einfache Futur oder ein ordentlicher Konjunktiv II verwendet werden könnten.
Futur wär falsch.

vielleicht fragt man sich, warum ich trotz angeborner Abneigung gegen dergleichen Themen, die – ohne unbedingt dem Genre selbst anzugehören – Horror verbreiten.
Vielleicht bilden ja Konjunktive gemeine schwarze Löcher, in denen halbe Sätze verschwinden! ;)

Die Antwort ist einfach: die Geschichte ist einfach gut, kommt ohne Dämonisierung und abergläubischem Zeug aus, dass man vor Neid platzen könnte
nein, bitte nicht, was täten wir ohne dich? ;)
Andrea stellt eine Illusion dar, die neben den (institutionalisierten & selbstgebastelten) Religion(en) den Verstand beschäftigt: die Schimäre des „freien“ Willens.
Tatsächlich geht es um den Moment, wo sich jemand ändert, wenn man so will, einen freien Willen zeigt, trotzdem bleibt er ein Mörder. Dass sich jemand von Grund auf ändert, halte ich für unwahrscheinlich.

Hier mein ich nun, das von mir gestern unverstandne Maschinen-Motiv zu erkennen, das für das Fremde in uns steht: Lechner könnte gar nicht anders, dass selbst Prof. Freud heut seine helle Freud' hätt an Autorin und ihrem Geschöpfe Lechner, dem Protagonisten.
Nein, nicht für das Fremde, das Maschinenmotiv ist seit der Aufklärung eben auch ein Motiv für das rein Körperliche, das eben wie eine Maschine abläuft. Und so gesehen passend für Lechner, weil er nur mit dem Körper,, Mund und After, und seinen triebhaften Instinkten begreift.

Auch dir danke fürs Lesen und für die Kommentare!

Gruß
Andrea

Die Acht-Smiley-Begrenzung nervt echt!

 

[Ich] Wüterich!?,
aber ich fang doch keine Fliegen ein und befreie sie von keinem Bein,

liebe Andrea,

außer Zecken tu ich keiner Fliege was ...

Mit den "historischen Vorbildern" meinte ich eher Nazi-Größen, aber ein Fleischverkaufender Gasthöfling ist auch nicht übel ...

ist mir unverständlich.
...
Versteh ich nicht ...
Hatte sich "eigentlich" m. E. mit dem Nachtrag erledigt. Sozusagen im Schwarzen Loch.

nein, bitte nicht,
Bitte wird erfüllt,
..., was täten wir ohne dich?
was ihr immer tut, nehm ich an.

Nix zu danken!

Gruß

Friedel

 

Halleluja. Welch ein Ab(artiger)grund. Und gut! Aber "schwäre Kost". Ganz ohne dicke Häfe.
Puh.
Der Dialekt würzt die Geschichte perfide nach.
Ich muss an die Luft.

 

Hallo NikitaF!

Ich hoff, du hast dich mittlerweile erholt. ;)

Schön, dass du es trotzdem gut fandest! :)

Gruß
Andrea

 

Ja, Kannibalismus ist schon ein besonderer Literaturstoff. Und ein dankbarer. Wenn man wie du genügend Imagination hat und vom Handwerk was versteht. Als erstes ist mir die Ähnlichkeit der Namen aufgefallen: Hier Lechner, dort (Hannibal) Lecter. Und dann natürlich auch die Differenz: Dort intelligenter Arzt, hier tumber Tor – diese (jede) Art von Verbrechen ist eben nicht auf bestimmte gesellschaftliche Schicht beschränkt. Wobei es vielleicht schwieriger ist, einfache Menschen zu zeichnen als durch Bildung verquaste.

Du bleibst immer dicht bei deinem Protagonisten, Andrea, so können wir ihn gut kennenlernen: Sein Weltbild ist überschaubar und geordnet, sein Handeln von bestechender Logik. Denn egal wie verquer das alles ist, nur so kann ein Mensch existieren. Alle muss Hand und Fuß haben, zumindest in seinem Kopf. Und das ist ja gerade, was außenstehende nicht begreifen und solche Menschen dann Bestien nennen. Bestie gleich Tier. Ein wildes, wie Quinn richtig bemerkte, aus grauer Vorzeit ins Heute wirkend.

Was aber immer bleibt ist das Warum. Den Anfang dessen hast du gut rübergebracht, das Ende nicht so überzeugend. Ich bezweifle, dass jemand vom Kaliber deines Prots so handeln würde. Ich meine: sich selbst anzeigen. Ich jedenfalls kenne keinen einzigen Fall des Kannibalismus, wo das passierte – alle werden sie durch irgendeinen Zufall gefasst oder gar nicht.

Natürlich ist es legitim, die Geschichte so enden zu lassen – schließlich ist das alles Fiktion -, aber was war deine Motivation dafür? Ich meine, du musstest extra eine seltene Krankheit samt Folgen dazu erfinden, was schon ein wenig konstruiert wirkt, findest du nicht?

Gleichwohl ist die Geschichte eine sehr gute. Habe ich bei dir auch nichts anderes erwartet. :D

 

Hallo Dion!

Ja, Kannibalismus ist schon ein besonderer Literaturstoff. Und ein dankbarer.
Ja, das stimmt, Interesse des Lesers wird so leicht geweckt, aber der Kannibalismus ist nicht das zentrale Thema des Textes, sondern eben die, für dich unglaubwürdige, Wandlung Lechners.
Als erstes ist mir die Ähnlichkeit der Namen aufgefallen: Hier Lechner, dort (Hannibal) Lecter.
Na ja, ich dachte nicht an "Das Schweigen der Lämmer", sondern eher an einen unauffälligen Allerweltsnamen.
Wobei es vielleicht schwieriger ist, einfache Menschen zu zeichnen als durch Bildung verquaste.
Ich finde "einfache" Menschen interessanter. ;)
Du bleibst immer dicht bei deinem Protagonisten, Andrea, so können wir ihn gut kennenlernen: Sein Weltbild ist überschaubar und geordnet, sein Handeln von bestechender Logik. Denn egal wie verquer das alles ist, nur so kann ein Mensch existieren. Alle muss Hand und Fuß haben, zumindest in seinem Kopf.
Ich bleib nicht immer dicht dran, ich rück an manchen Stellen von ihm ab, oder besser gesagt, er rückt selbst von sich ab. Klar, jeder hat ein Weltbild und handelt nach einem bestimmten Muster, von "bestechender Logik" würd ich in dem Zusammenhang allerdings nicht sprechen. ;)
Und das ist ja gerade, was außenstehende nicht begreifen und solche Menschen dann Bestien nennen. Bestie gleich Tier. Ein wildes, wie Quinn richtig bemerkte, aus grauer Vorzeit ins Heute wirkend.
Lechner ist nicht böse, weil er die menschliche Entwicklungsstufe nicht mitgemacht hat, sondern eben WEIL er ein Mensch ist.
Was aber immer bleibt ist das Warum. Den Anfang dessen hast du gut rübergebracht, das Ende nicht so überzeugend. Ich bezweifle, dass jemand vom Kaliber deines Prots so handeln würde. Ich meine: sich selbst anzeigen. Ich jedenfalls kenne keinen einzigen Fall des Kannibalismus, wo das passierte – alle werden sie durch irgendeinen Zufall gefasst oder gar nicht.
Mir ging es eben darum, eine Wandlung plausibel zu machen: Das erste Mal empfindet er Mitleid mit einem anderen Geschöpf, weil ihm schlagartig klar wird, dass das Mädchen, als es ihm flehend zu Füßen liegt, in der gleichen Situation ist, wie er damals bei seiner Mutter. Weil er aber natürlich ein Mörder bleibt und keine andere Lösung von Problemen kennt, bringt er sie trotzdem um. Und es wird ja bei der Fernsehszene auch deutlich gemacht, dass er halt auch gerne von seinen Taten erzählen würde, auch deswegen greift er am Ende zum Telefon.
Natürlich ist es legitim, die Geschichte so enden zu lassen – schließlich ist das alles Fiktion -, aber was war deine Motivation dafür? Ich meine, du musstest extra eine seltene Krankheit samt Folgen dazu erfinden, was schon ein wenig konstruiert wirkt, findest du nicht?
Ich wollte einmal was über das Böse schreiben, auf expressive Weise. Und nein, ich hab die Krankheit nicht erfunden, die gibt es wirklich! ;)
Epidermolysis bullosa
Gleichwohl ist die Geschichte eine sehr gute. Habe ich bei dir auch nichts anderes erwartet.
Danke dir für deinen Kommentar! :)

Gruß
Andrea

 

Hallo Andrea,

puh, harter Tobak.
Ich fand's gut gemacht - diesen Widerspruch zwischen diesen abartigen Handlungen und psychopathischen Noten, und deren Einschätzung durch Lechner. Echt unheimlich.
Im Text stecken viele intensive und atmosphärische Sachen drin, und das wurde auch gut durchgehalten.
Besonders gut hat mir der Rückblick in Märchenform gefallen, noch so etwas "Fremdes" dadrin, dass das Ganze noch grotesker macht.

Mir sind keine Fehler aufgefallen, daher war's in dieser Hinsicht auch angenehm zu lesen.

Respekt, dass du dich in dieses Thema reingefuchst hast, das Ergebnis ist echt verstörend.

Viele Grüße
Maeuser

 

Und nein, ich hab die Krankheit nicht erfunden, die gibt es wirklich! ;)
Epidermolysis bullosa
Natürlich gibt es diese Krankheit - mit konstruiert meinte ich die Tatsache, dass ein Kind mit einer äußerst seltenen Krankheit und ebenfalls ein äußerst selten vorkommender, auf Kinder spezialisierter Serienkiller in dieser Geschichte zusammentreffen. Doch ich sehe ein, dass die von dir beabsichtigte Wandlung des Killers durch Schock anders kaum dargestellt werden könnte.

 

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