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Eine Art Abschied

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11.01.2009
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Eine Art Abschied

Eine Art Abschied

„Alex, Alex.“ Ich hatte seinen Namen schon so oft gerufen, dass es mir so vorkam als würden sich die Buchstaben auflösen und ein sinnloses Etwas bilden, und nicht mehr den Namen meines Bruders. Wie ein einsamer Schmetterling flatterte das Taschenlampenlicht über die finsteren Bäume, über den verschneiten Boden, über die immer noch fallenden Flocken. In dem Taumeln des Lichtes sah ich das Zittern meiner verkrampften Hände. Die Anderen mussten irgendwo sein, nicht zu weit entfernt, aber ich sah und hörte sie nicht. Ich wusste nicht mehr, wie lange wir gesucht hatten. Als wir das Dorf hinter uns gelassen hatten, war es noch hell gewesen. Ich ging weiter in der Hoffnung meinen Bruder zu finden. Ihn oder das, was diese Nacht uns gelassen hatte. Am Anfang war ich mir noch sicher gewesen sein Lächeln wiederzusehen, aber jeder Schritt raubte mir ein Stück dieser Gewissheit, bis es nur noch eine wage Hoffnung war.

„Martha.“ Der weiche Klang einer Stimme direkt hinter mir lässt mich zusammenzucken.
„Alex“, flüstere ich ohne mich umzudrehen.
„Ja, was dachtest du denn?“
Ich wende mich um. Dunkel lehnt seine hohe Gestalt gegen einen der weiß gezuckerten Bäume. Ich richte zögernd das Licht auf sein Gesicht. Er blinzelt gegen die spärliche Helligkeit. Feine Schneeflocken hängen an seinen Wimpern, auch in seinen Haaren haben sich die tanzenden Kristalle verfangen. Unsicher lächelt er mich an. „Ich bin so froh dich zu sehen.“, flüstere ich.
„Ja.“, sagt er nur. „Wir dachten, du wärst…Du hättest dich...“ Ich zögere die bedeutungsschweren Worte auszusprechen. „Du warst so verzweifelt.“, murmele ich stattdessen.
„Verzweifelt? Warum?“, fragt er.
Fassungslos begegne ich seinem Blick. „Wegen Lili, wegen den Kindern.“
Er lächelt nur ein rätselhaftes Lächeln. „Weißt du, Martha, das Leben geht weiter, denk daran. Es geht immer weiter, egal was passieren mag. Ich habe es vergessen, aber du versprich mir, dass du immer daran denkst! Wirst du das tun? Egal, an wessen Grab du stehst, daran musst du immer denken.“ Sein Blick ist so eindringlich, dass ich meine Augen senke.
Ich nicke, und denke an seine Tränen heute auf der Beerdigung. Irgendwo in meiner Tasche klingelt mein Handy. „Warte! Gleich gehen wir nach Hause.“, sage ich zu Alex. Er sieht mich an und nickt wortlos.

„Hi!“, meldete ich mich. Am anderen Ende der Leitung hörte ich ein unterdrücktes Schluchzen. „Wir haben ihn gefunden.“ Kerstins Stimme war rau vom Weinen und halb erstickt von Tränen.
„Wen?“, fragte ich verständnislos. „Alex. Er hat sich erhängt…“ Kerstin brach ab und ich ließ das Telefon fallen. Es war kalt und ich verschränkte die Arme gegen den Frost. „Alex“, rief ich in die Stille, so, als würde ich hoffen, ich könnte ihn zurückrufen. Die Buchstaben bildeten jetzt wieder einen Namen, aber einen Namen zu dem kein Mensch mehr gehörte, sondern nur noch eine Erinnerung.

 

Salve Catherine,

erst mal herzlich willkommen im Forum. Schön, dass Du bei uns bist.

Manches an Deiner Erzählung gefällt mir sehr, so die spürbare Verzweiflung der Protagonistin, oder dass die Vorgeschichte des Suizids nicht dezidiert ausgetrenten wird. Du schaffst es, mit wenigen Worten so viel anzudeuten, dass man das ganze Drama hinter dem Selbstmord erahnen kann, und drückst dabei kein bisschen auf die Tränendrüse.

Anderes stört mich etwas. Z.B. wäre Deine Geschichte besser lesbar, wenn nach jeder wörtlichen Rede ein Zeilenumbruch folgte.
Und die angenehme Zurückhaltung, die Du bei der Selbstmordsdramahintergrundsschilderung an den Tag legst, gibst Du im restlichen Text völlig auf.

Schatten der Nacht, die verhallende Stimme, kaltes Schweigen, das über der Prota zusammenschlägt, das einsamme Schmetterlingstaschenlampenlicht, natürlich ist es dunkel, natürlich schneit es, und das alles in nur vier Zeilen - das ist viel zu viel. Es überfrachtet die Geschichte.

Die Hälfte der Adjektive und Bilder, die Du eingebaut hast, um Stimmung zu erzeugen, würde ich wieder heraus streichen, und pathetische Phrasen durch geläufigere ersetzen - der Text gewänne mE dadurch enorm.

Ansonsten viel Spaß noch beim Schreiben und Kommentieren.

Pardus

 

Hi Pardus!
Vielen Dank für deine Kritik und den Willkommensgruß!
Nur ganz kurz zur Kritik (keine Angst ich verteidige mich nicht, fast nicht zumindest.) Du hast Recht es ist zuviel geworden, allerdings liegt das daran, dass ich gerade versuche von einem sehr nüchternen, einfallslosen, bilder- und adjektivarmen Schreibstil wegzukommen und dabei wohl etwas übertrieben habe. Ich werde es ändern.
Sonnige Grüße
Cathy

 

So, ich habe jetzt die Kritik so weit wie möglich umzusetzen. Ich habe allerdings den Handlungsort nicht geändert, weil mir Träumen oder Fantasieren unter diesen unwirklichen Bedingungen wahrscheinlicher erscheint.
Sonnige Grüße
Cathy

 

Hallo liebe Catherine,

wow, Gänsehautfeeling! Würde für mich besser in die Kategorie Krimi passen. Da wäre ich von dem Ende nicht so überrascht worden.
Besonders gut hat mir: "wie ein einsamer Schmetterling flatterte das Taschenlampenlicht über die finsteren Bäume" gefallen.

"Schnell schwand die Hoffnung, die am Anfang noch eine Gewissheit gewesen war, dahin, sein Lächeln wieder zu sehen."
"sein Lächeln wieder zu sehen" würde ich weglassen. Klingt etwas nach Rosamunde Pilcher. Man kapierts auch so. Ich denke, in solch einem Moment, denkt man an das Gesamtpaket Mensch. Das Lächeln steht eher beim Ende einer Liebesbeziehung im Vordergrund.
Tolle Geschichte!
VlG Damaris.

 

Hi Damaris!
Viele Dank für deine Kritik! Das hat mich wirklich sehr gefreut.

"Schnell schwand die Hoffnung, die am Anfang noch eine Gewissheit gewesen war, dahin, sein Lächeln wieder zu sehen."
"sein Lächeln wieder zu sehen" würde ich weglassen.
Ja, ich glaub du hast Recht. Ich hab zwar keine Ahnung wer Rosamunde Pilcher ist, aber ich nehme nicht an, dass es das ideale literarische Vorbild ist ;)
Also nochmal danke für das Lob.
Sonnige Grüße
Cathy

 

Hallo Catherine,

wow...gute Geschichte, verdichtet und wirkt.

Ich würde ihr zwar noch eine kleine Ecke anders den Dreh geben, aber mir hat gefallen, wie du es schaffst mit relativ wenig Text so viel Atmosphäre zu zaubern.
Das ist vielversprechend.

Ein bisschen Textkram, was mir so auffiel:

Schnell schwand die Hoffnung, die am Anfang noch eine Gewissheit gewesen war, dahin, sein Lächeln wieder zu sehen.
Lies dir diesen Satz mal laut vor bitte.
Der hakt und hakelt, finde ich.
Wie wäre es mit : Anfänglich noch gewiss, ihn wieder lächeln zu sehen, ließ diese grausame Kälte die Hoffnung schnell schwinden.

Ist nur ein Vorschlag.

Jetzt wende ich mich um.
Jetzt ist überflüssig. Klar jetzt, wann denn sonst? also nur schreiben "Ich wende mich um."

fatalen Worte
fatal? So richtig doll passt es nicht, aber ich wüsste jetzt auch keinen Verbesserungsvorschlag. Vielleicht fällt dir ja doch dazu eine treffendere, zündendere Vokabel ein. Aber sonst lass es ruhig stehen.

Egal, an wessen Grab du stehst, daran musst du immer denken.“
An dieser Stelle könnte es einen Tick mehr sein. Z.B. könntest du noch einfügen: "Ich spürte seinen festen fordernden Blick auf mir." (nur ein Vorschlag)

Irgendwo in meiner Tasche
Irgendwo streichen. Bringt Inhaltlich nix.

„Wir haben ihn gefunden.“ Kerstins Stimme war rau vom Weinen und halb erstickt von Tränen.
Probier doch mal, ob es anders gestellt , ein wenig eindringlicher klingt.???

Kerstins Stimme rau vom Weinen und tränenerstickt (sagt): "Wir haben ihn gefunden."

Kerstin brach ab und ich ließ das Telefon fallen.
Ich finde, man sollte mit sehr viel Bedacht Sätze mit allen möglichen Aktivitäten füllen. Oft wirkt das dann verwaschen, wenn man nicht jedem Satz seinen Raum lässt. Ich versuche dir mal ein plakatives Übertreibebeispiel zu geben: Kerstin brach ab und ich ließ das Telefon fallen, während die Schneeflocken noch dichter um mich flogen und ich den eisigen Wind spürte und dachte, dass Alex ja nicht tot sein kann und Kerstin sich getäuscht haben musste und ich in meinem dünnen Mantel so fror, dass ich garantiert morgen eine Erkältung haben würde und ausserdem fehlte der mittlere Knopf an meinem Mantel, der Wind zog dort hinein.
Ich hab versucht alles Dinge zu berichten, die mit der Geschichte zu tun haben könnten, aber du siehst vermutlich selbst, dass man am Ende sich nur zugesabbelt fühlt.
Ich will hier überhaupt nicht kurze Sätze predigen, aber ich finde es wichtig, dass man sich überlegt, ob viel in einen Satz gepackt werden muss oder wenig. Eben, weil es Unterschiede gibt.

Mit einem Mal war mir klar, wie kalt es war und ich verschränkte die Arme gegen den Frost.
"Mit einem Mal war mir klar" würde ich ersatzlos streichen. einfach nur: Wie kalt es (doch) war, ich verschränkte die Arme gegen den Frost.

So der Leser weiß nun, dass Martha weiß, was geschehen ist. Dennoch würde ich den letzten Satz ändern und schreiben:

"Alex", rief ich in die Stille, "komm, wir müssen zurück."


Bitte glaube jetzt nicht, dass ich am Ende diese Geschichte doch nicht gut fand. Doch ich fand sie gut. Aber sie könnte wohl noch ein wenig besser werden. ;)

Lieben Gruß
lakita

 

Hi lakita!
Danke für die Mühe, die du dir gemacht hast. Ich bin jetzt wieder glücklich: ich darf wieder an einer Geschichte rumbasteln :D
Eigentlich kann ich dir in allen Punkten nur zustimmen und werde mir Mühe geben es soweit wie möglich zu verbessern.

Kerstin brach ab und ich ließ das Telefon fallen.
An der Stelle habe ich die beiden Handlungen eigentlich bewusst in einen Satz gepackt: beide brechen sie das Gespräch ab, weil sie beide nicht mehr weiter können. Aber wahrscheinlich hast du Recht, der Leser kommt sich zugetextet vor. Dein Bandwurmsatz gefällt mir übrigens ;)
Es freut mich dass es dir gefallen hat und ich danke dir nochmal für deine Verbesserungsvorschläge!
Sonnige Grüße
Cathy

 

Hallo Cathy,

da ist noch etwas, was ich vielleicht nicht so deutlich dargestellt habe: selbstverständlich sind und können nicht alle meine Textverbesserungsvorschläge dir gefallen. Soweit es nicht um Grammtik- oder Interpunktionsfehler geht, ist vieles reine Geschmackssache und darüber gehen oft die Meinungen auseinander und dürfen das auch.
Es geht mir keineswegs darum, dass alle Geschichten, die ich kritisiere, meinen Stempel aufgedrückt bekommen, weil sie mit denjenigen Formulierungen versehen wurden, die ich gut fände.
Die Verbesserungsvorschläge sollen anregen, darüber nachzudenken, wie man etwas noch besser machen könnte und auf diese Weise lernt man automatisch Stückchen für Stückchen, gute Texte zu schreiben.

Lieben Gruß
lakita

 

Hi Cathy,

mir gefallen kurze Kurzgeschichten. Und auch diese lässt - obwohl jetzt Sommer ist - einem ein bischen die Gänsehaut am Rücken kribbeln.

Mir hätte es noch besser gefallen - wenn nicht das Handy klingelt, sondern die anderen dazukommen und der Schwester klar wird, dass sie sich mit dem Erhängten unterhalten hat, der leicht im Wind baumelt.

Trotzdem schon zu lesen. Und das mit den Absätzen wurde ja schon erwähnt, nach der wortlichen Rede.

lg gdeki

 

Hi ihr beiden!
@lakita:

was ich vielleicht nicht so deutlich dargestellt habe: selbstverständlich sind und können nicht alle meine Textverbesserungsvorschläge dir gefallen.
Das ist doch allgemeine Übereinkunft, dass man nicht alles was der Kritiker schreibt gut finden muss ;)
Du musst keine Angst haben, dass du mich zu sehr "beeinflusst", ich werde mich sowieso um eigene Formulierungen bemühen.
@gdeki: danke für dein Lob. Ich wollte keine Gruselgeschichte schreiben, wäre aber sicher ein aufregenderes Ende gewesen ;)
Sonnige Grüße
Cathy

 

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