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Eine Geschichte fast über Uschi
Gewidmet gnoebel, den ich irgendwie mit Uschi in Verbindung bringe, gren und porc, welche am besten wie Söhne lachen können.
»Wie war das eigentlich mit Uschi?«
»Hatte ich dir das nicht schon mal erzählt?«
»Kann sein. Aber ich will’s noch mal hören.«
»Hey, schummeln gilt nicht. Du musst zwei ziehen!«
Mortimer und ich genossen den späten Sommernachmittag an der Luke der Verdammnis, Ausfahrt Jüngstes Gericht, Ecke Streckbankallee. Ganz in der Nähe von Wanne-Eickel.
Mortimer ist übrigens der Teufel.
Wir schmissen Bratwürste auf den Grill, tranken Bragg, das weit und breit ekligste Bier wo gibt, lauschten den Schreckensschreien gemarterter Seelen, die sich durch die schmierig heiße Luft quälten und kloppten Karten.
Mortimer war ein knallharter Zocker und nahm Mau-Mau todernst.
»Darf man nicht mal mehr betrügen?« Mortimer schüttelte den Kopf und zog missmutig zwei Blatt vom Stapel.
Dann legte ich eine Pik Sieben.
»Och, das ist unfair!«
»Ich bin in der Hölle gelandet, wegen Uschi. Das ist unfair«, erklärte ich und nahm einen Schluck aus der Dose.
»Hm«, überlegte Mortimer und kratzte ein Horn. Er sah übrigens genau so aus, wie der Teufel im allgemeinen so auszusehen hat. Rot.
»Aber du kannst dich nicht beklagen, oder«, fuhr er fort. »Ich meine, du hast den ganzen Tag frei, kannst Fleisch essen ohne anzusetzen ...« Er deutete auf meinen Bauch, der mittlerweile die Masse eines Neutronensterns gehabt haben müsste.
»... hast Bier ...«
»Aber ekliges.«
»Na, irgendwie muss dieser Ort ja wohl seinen Ruf wahren.« Mortimer drehte die Würstchen um und Flammen leckten durch den Grillrost. Irgendwo schrie jemand nach seiner Mami und bereute abrupt all seine Sünden.
Mortimer nahm ein weiteres Paar vom Stapel und fächerte sein Blatt zurecht. Ich legte einen Buben.
»Und?« Mortimer tippte fragend mit den Fingern auf den Tisch. Musste ich eine Entscheidung treffen?
»Ach ja, äh. Ich wünsche mir Kreuz.«
Mortimer sah mich schief lächelnd an, so, als ob er gerade die Intelligenz in die Grube der Dummheit fallen sah, in der sie blitzartig verrottete. War ich die Grube oder die Intelligenz? Beides wohl nicht sehr von Vorteil.
»Ich meinte, was macht Uschi jetzt?« erweiterte Mortimer.
Ich begriff. Jedenfalls schlurfte der Groschen - dessen einzige Aufgabe es war, zu fallen – die morschen Stufen des Glockenturmes meines Verstandes hinauf.
»Äh ...«
Der Groschen stürzte sich in die Tiefe.
»Ich glaube, sie steht an der Kasse einer Pommesbude und verkauft Currywurst.«
Mortimer grinste zufrieden.
»Wusste gar nicht, dass ich ’ne Außenstelle habe.«
Er legte eine Kreuz Sieben.
Die Hölle ist gar nicht so schlimm, wie alle sagen. Nach der Qual folgt der Lenz. Gut, einige können sich mit der Ewigkeit nicht anfreunden, versuchen sich das Leben zu nehmen und werden spätestens dann depressiv, wenn sie bemerken, dass der Freitod nicht seine erhoffte Wirkung erzielt. Ich war schon immer faul, daher konnte ich mich gut mit der Situation arrangieren. Bis auf das Bier. Das war echt scheiße.
»Aber Uschi hat mich reingelegt. Ich meine, also, ich denke, also ich weiß ja auch nicht.«
Manche Dinge änderten sich nicht einmal in der Irrationalität der Hölle. Das Bier, dessen Alkoholgehalt weit über dem irdischen Maß der Zumutbarkeit lag, schnitt tiefe Furchen in das Restbewusstsein und zermatschte jegliche Vorstellungskraft. So auch meine.
»Ich weisch genau, wasch du sagen willscht.« Mortimer reichte mir eine Wurst. »Vorsischt! Heisch!« Diese Warnung entbehrte übrigens jeglicher Daseinsberechtigung.
Wurst hat einen sehr, nun, kompensatorischen Effekt auf höllischen Alkoholgehalt in jenseitigem Blut. In Diesseits kann es fatale Folgen nach sich ziehen, Wurst unkontrolliert zu verspeisen. Es aber als eine Art Grundlage des Bösen zu bezeichnen wäre zu viel gesagt, aber die Vorstellung, dass es schmeckte reichte eigentlich schon aus, es auf Pumpernickel zu packen.
»Weiber!« Ich nahm zwei Karten auf und sortierte mein Blatt. Selbst für Mau-Mau war es lächerlich.
»Ohne die Frauen, könnte ich den Laden dicht machen. Wusstest du, dass es hier eine Männerquote gibt?«
»Im Ernst?«
»Seh’ ich aus, als ob ich lügen könnte?«
Mortimer legte ein Kreuz Ass, ein Pik Ass, ein Herz Ass und die Herz Dame. Bei den letzten beiden Karten durchzuckte ihn ein Schaudern, wie Schüttelfrost einen Kranken.
Es gibt Momente, da stinkt einem das Leben. Man hat einen Haufen Arbeit am Hals, die Frau nervt, der Handwerker erzählt einem was vom Pferd, es kommt eine ungerade Zahl Socken aus der Maschine – das Leben stinkt eben.
In der Hölle stinkt es permanent, aber der Unterschied ist, es interessiert niemanden.
»Mau.« Mortimer grinste zufrieden und bot mir ein dentales Desaster.
»Das wollen wir doch mal sehen ...«, erwiderte ich gelassen und legte die letzte Sieben. Die Herz Sieben.
»Wie, zum Teufel, machst du das immer wieder?« grummelte Mortimer und packte sich zwei Karten. »Habe ich dir wirklich schon alle Qualen zugute kommen lassen?«
»Keine Ahnung. Das Bier ist schon relativ scheußlich«, erwiderte ich und nahm einen Schluck aus der Büchse.
Manchmal bekommen wir Besuch. Letztens waren Kennedy, Freddy Mercury, Einstein und Elvis auf eine Partie Rommee und einen Kasten Bragg da. Nicht dass alle von denen Dreck am stecken hätten. Aber Elvis säuft wie ein Loch.
Es pochte an die Luke.
Einen Moment später öffnete sich quietschend das Portal und unschuldig reines, gleißend weißes Licht strömte in die Unterwelt.
Warum Türen in Geschichten immer quietschen, hat etwas mit Spannungsbogen, adrenalingeschwängerter Luft und elektrisierendem Knistern im Äther auf sich. Bei uns waren es lediglich die ungeschmierten Scharniere. Aber wir hatten leider kein Öl, um das Gequietsche in den Griff zu bekommen. Man brauchte jeden Tropfen zum Frittieren der verlorenen Seelen.
»Ah, Gott«, rief Mortimer und begrüßte seinen alten Freund aufs Herzlichste. »Mensch, lange nicht gesehen.«
»EINE HALBE EWIGKEIT, MEIN ALTER FEIND.« Die Stimme durchflutete den Abgrund mit engelsgleicher Schönheit. Als ob jeden Moment Frieden ausbrechen würde.
Mortimer geleitete Gott zu unserem Tisch und bot ihm einen Platz an. Kurze Zeit später hielt der Herr eine Dose Bragg in der einen und eine heiße Wurst in der anderen Hand.
»ES IST GÖTTLICH HIER.«
»Günter kennste ja bereits, wa?«
»Hi, wie geht’sn so«, begrüßte ich.
»ALLES SENKRECHT, SOHN.«
Ich lachte wie Sohn.
Gott war ein echter Kumpeltyp. Der ließ wenigstens mal fünfe gerade sein. Nicht dass Mortimer das nicht auch täte. Nur waren die angeknüpften Bedingungen weitaus schmerzvoller.
Gute Konstellation um Skat zu spielen. Ach so, Mau-Mau hatte ich gewonnen.
»WIE WAR DAS EIGENTLICH MIT USCHI?«
Ich seufzte.
»Kann ich lügen?«
»NATÜRLICH. ABER ES MACHT EH KEINEN UNTERSCHIED.«
»Dacht ich mir.« Ich fügte mich meinem Schicksal und erzählte jedes kleinste pikante Detail.
Es war die reinste Hölle.