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Eine kleine Blume

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21.04.2004
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Eine kleine Blume

Es ist eine kleine Wohnung, die Siegmund besitzt. Sie umfasst ganze drei Zimmer, die aber zusammen genommen kaum genug Platz für zwei erwachsene Menschen bieten. Das ist auch nicht nötig, denn Siegmund lebt alleine.
Da wäre zum einen das Schlafzimmer, das Siegmund schon lange nicht mehr zum Schlafen benutzt. In diesem Schlafzimmer befindet sich nur ein Bett. Und eine vertrocknete Blume. Das Bett hatte er von seiner Mutter bekommen. Es war das alte Ehebett, das Siegmund irgendwie hasste. Er wollte es gar nicht annehmen, aber noch mehr wollte er seine Mutter nicht verärgern. Nach kurzer Zeit kaufte er sich die Blume, die er auf das Fensterbrett stellte und vor dem Schlafengehen lange ansah. Siegmunds Schlafzimmer besaß weder Gardinen noch einen Rollladen, denn es war immer dunkel und niemand konnte hineinsehen. Wenn Siegmund morgens aufwachte, sah er die Sonne durch das kleine Fensterchen scheinen, aber das Zimmer blieb davon unberührt. Es wurde auch nie warm, egal ob im Sommer oder im Winter. So lag er jahrelang da, eingekreist von Dunkelheit und Kälte. Das alles schien der Blume nichts auszumachen. Sie blieb die gesamte Zeit über grün und nahm Siegmund die Angst vor dem Bett. Manchmal holte er sie zu sich und umarmte sie, bis er einschlief. So ging das immer weiter, bis zu dem Tag, als Siegmunds Mutter starb. An jenem Tag vertrocknete die Blume und er hörte auf, in dem alten Ehebett zu schlafen. Sie liegt immer noch auf dem Fensterbrett. Manchmal, da sieht sie einfach nur tot aus. In anderen Augenblicken wirkt sie aber irgendwie traurig.
Er hat Angst, das Schlafzimmer zu betreten, denn er stellt sich vor, seine Mutter hätte ihm aus der Hölle eine Armee winziger Pilze geschickt, die durch die Luft fliegen und nur darauf warten, seine Lungen zu vergiften. Einmal die Woche betritt er es aber doch, denn er hat dann eine neue Blume dabei, die ihm seine Angst nimmt.
Siegmund schläft in seinem Wohnzimmer auf dem Sofa. Manchmal macht er sich einen Spaß daraus sich vorzustellen, er sei von seiner Mutter dorthin verbannt worden. Dann zieht er sich immer Frauenkleider an und schreit sich vor dem Spiegel an. Wenn er Lust darauf hat, schlägt er sich sogar.
Das dritte Zimmer ist sein Bad. Er benutzt es auch als Küche. Es ist das größte Zimmer; da sein Wohnzimmer zum bersten voll mit Sofa, Schrank und Fernseher ist, hatte er den Esstisch eben neben der Badewanne aufgestellt. So kann er jeden Morgen gemütlich baden und dabei Zeitung und Kaffe genießen.
Ob es andere Leute nicht seltsam finden, wie Siegmund lebt? Diese Frage kann mit einem ‚Nein’ beantwortet werden. Wieso? Na, weil ihn kaum jemand besucht und die, die es tun, nicht viel von der Wohnung mitbekommen. Siegmund hat keine Freunde, und er will auch keine. Sicher gibt es Menschen in seinem Leben, die er näher kennt, aber er würde sie nicht als Freunde bezeichnen. Die meisten von ihnen sind Arbeitskollegen. Ein Pfarrer ist auch dabei; Siegmund geht nämlich oft und gerne in die Kirche.
Und da wäre noch der freundliche Mann aus dem kleinen Laden, den Siegmund manchmal besucht. Der hat ihm schon oft viele nette Dinge besorgt. Diese Dinge sind meistens blond und zierlich. Siegmund nimmt sie für ein oder zwei Stunden mit zu sich nach Hause und legt sie langsam auf das alte Ehebett. Sie können nicht so gut sprechen. Das ist aber nicht schlimm, denn sie verstehen Körpersprache. Und wenn sie ihre Arbeit gut machen, schenkt Siegmund ihnen oft einen Teddybären.

 

Hi tagträumer,

schade, dass dir die Geschichte nicht gefallen hat. Aber deine Kritik nützt mir natürlich, so wie jede andere. Du hast gesagt, die Geschichte wirke auf dich wie ein Grundgerüst: vielleicht kommt das davon, dass ich die Sprachebene sehr einfach gewählt habe. So ähnlich wie bei Löwenzahn in den Beiträgen. So in etwa.
Es geht nicht wirklich um Vereinsamung!

Gruß,

Dust

 
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Hi Gisele,

danke für deine Kritik! Tja, wie bin ich dazu gekommen, hmm... keine Ahnung. Ich hab mich mal hingehockt und hab geschrieben. Du findest, ich hab den netten Siegmund zu "schubladenartig" aufgebaut? Ich kenn keine Kinderschänder, ich hab nur das verarbeitet, was in meinem Kopf war. Ich wollte seine Gefühle und Gedanken beim Akt bzw. beim "vorbereiten" dessen gar nicht in der Geschichte haben.
Aber ich denke, du hast recht. Irgendwas fehlt noch, und ich glaub, ich weiß schon was. Der Aspekt mit der Mutter muss noch viel stärker herausstechen.
Nein, der Pfarrer ist kein Kinderschänder, auch wenn man den Satz so verstehen könnte. Er ist ein ganz normaler katholischer Pfarrer, vollkommen ohne sexuelle Gedanken...
Das mit dem Schmuddelladen: Er muss sich ja seinen "Stoff" irgendwo abholen. Ich hab nur das Wort Schmuddelladen verwendet, weil es gut zur "Kindersprachebene" gehört. Die aber kaum anzukommen scheint.
Ich überarbeite sie mal und dann mal sehen, was dabei rauskommt.
Achso: das mit dem Anschreien: der Typ hat ja ne seelische Macke (deswegen auch der Name Siegmund). Und das wollte ich damit klar und deutlich machen. Er schreit sich ja nicht nur an, er schlägt sich sogar. Er bestraft sich als eine Person, die gar nicht existiert. Das war so gemeint. Sollte ich ihn "kranker" machen?


Gruß,

Dust

 
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Hallo Dust!

Die Geschichte an sich gefällt mir ganz gut, allerdings bin ich auch der Meinung, daß Du die Sache mit der Mutter eine Spur klarer stellen solltest.
Zwar zeigt mir u.a. dieser Satz...

Es war ein Geschenk seiner Mutter gewesen, und er hätte ihr das Herz gebrochen, wenn er es nicht zum schlafen benutzt hätte.
...schon ganz gut die Er- bzw. Beziehung auf der psychischen Ebene, und dieser...
schreit sich vor dem Spiegel an. Wenn er Lust darauf hat, schlägt er sich sogar.
...den Umgang mit körperlicher "Züchtigung". Obendrein natürlich sein Selbstwertgefühl.

Wo ich mir jedoch nicht sicher bin, bzw. was ich nur ahnen kann: Soll ich aus der Beschreibung mit dem Schlafzimmer und der Tatsache, daß er nicht mehr drin schläft und sich davor fürchtet, seit die Mutter gestorben ist, schließen, daß bereits er von der Mutter mißbraucht wurde? Ich tippe ja auf ja, aber richtig belegt finde ich es nicht in der Geschichte, obwohl es ja eigentlich eine wichtige Information ist.

Sicher bin ich mir hingegen über Deine Absicht, zu zeigen, daß der Protagonist Zuneigung nur über den materiellen Weg kennt bzw. als ein Etwas-Bekommen - gefügige Mädchen zum Beispiel, weswegen der Ladenbesitzer in seinen Augen so freundlich ist, und die Mädchen bekommen einen Teddybär, wenn sie brav waren.
Auch der Protagonist wurde ja von seiner Mutter gern beschenkt...

Ob es andere Leute nicht seltsam finden, wie Siegmund lebt? Diese Frage kann mit einem ‚Nein’ beantwortet werden. Wieso? Na, weil ihn kaum jemand besucht und die, die es tun, nicht besonders auf die Wohnung achten.
Du sagst damit einerseits aus, daß so jemand unbehelligt agieren kann, weil sich ohnehin niemand kümmert, die Gesellschaft wegschaut. Da wirkt das Anschreien vorm Spiegel rückwirkend noch einmal, da sich ja auch darüber offenbar niemand Gedanken macht. Irgendwann haben sich alle Nachbarn dran gewöhnt...
Andererseits machst Du damit neugierig auf das Folgende, da man sich fragt, wer das denn sein kann, der nicht auf die Wohnung achtet.
Außerdem kommt es nur äußerst selten vor, daß mir eine direkte Ansprache des Lesers gefällt - hier tut sie es, weil ich finde, daß sie hier absolut herpaßt.

Zwei Kleinigkeiten noch:

er benutzt es ja nicht mehr zum schlafen
- zum Schlafen

Aber meistens ist es so wie immer, nicht hat sich verändert.
- nichts

Liebe Grüße,
Susi :)

PS.: Dieser Vergleich der Blume mit den Mädchen ...

Anfangs war sie noch grün und jung, hübsch anzusehen. Sie verströmte einen schönen Duft und machte den gesamten Raum einfach lebenswerter.
... ist mir natürlich auch nicht entgangen und ich finde ihn ebenfalls, zumindest als Vergleich, gelungen - bin mir aber auch hier nicht sicher, worauf genau Du hinauswillst. ;)

 

Hallo Dust,

du schilderst das Leben eines einsamen Mannes, um den sich die Gesellschaft, ja sogar er selbst nicht mehr kümmert.
Er scheint bis zum Tod seiner Mutter unter deren Fuchtel gestanden zu haben. Vielleicht hat ihn ja das gehindert ein normales Leben zu führen?
Die Blume ist für mich ein Symbal dessen, wie er sich sein Leben eigentlich vorstellt: Da ist jemand, um den er sich kümmern kann...
Auch das Anschreien vor dem Spiegel zeigt mir seine Sehnsucht nach einen normalen Leben.

Gefällt mir eigentlich ganz gut, obwohl ich auch den Eindruck hatte, dass die Idee dir gekommen ist, du hast alles aufgeschrieben ohne nochmal darüber nachzudenken. Du könntest aus dieser Idee sehr viel mehr machen.


Textzeugs:

Er denkt sich, seine eigenen Gedanken, sein eigenes Leben, sind schon dunkel genug.

Hier hast du zwei mal "denken" in einem Satz. Das klingt unschön und sollte vielleicht ersetzt werden.

Das einzige, was sich seit seinem Einzug in dem kleinen Schlafzimmer verändert hatte, war eine Blume, die er auf dem Fensterbrett deponierte.

Wenn ich das Wort "deponierte" lese, dann denke ich immer an Müllhalden. Ist zwar sicherlich meine Schuld, aber ein anderes Wort wäre, glaub ich" trotzdem schöner.

würden, wenn er die Tür aufmachen würde.

Diese Doppelung kannst du leicht umgehen, indem du schreibst: ...würden, wenn er die Tür aufmachte.

Aber meistens ist es so wie immer, nicht hat sich verändert.

nichts

LG BElla

 
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@Susi: hi du, danke für deine Kritik, die ja recht positiv ausgefallen ist. Der Aspekt mit der Mutter sollte noch mehr hervorgehoben werden, da bin ich mit dir und Gisele einer Meinung. Zu den Fragen, die du hattest (wurde der Typ auch vergewaltigt und das mit der blume) sag ich jetzt mal nichts. ich will sehen, was andere Leute hier unter den Bildern verstehen. Bella hat mit der Blume etwas anderes in Verbindung gebracht als du.
THX für die "Kleinigkeiten", werd ich jetzt gleich ausbessern.


@Bella: danke auch für deine Kritik. Ja gut, ich gebs zu, ich hab eines Nachts die Geschichte in mein "Textbuch" geschrieben und beim Abschreiben (quasi "on-the-air") das Ding etwas überarbeitet. Nichtsdestotrotz ist die Sprachebene wirklich so gewollt. Mit ein bisschen textmäßigem "Gehexe" sollte alles nicht mehr so wirken, als sei es ein "Gerüst".

lg,

dust

 

Zu den Fragen, die du hattest ... sag ich jetzt mal nichts.
Schade... So kann ich Dir natürlich auch keine Verbesserungsvorschläge machen.

Bella hat mit der Blume etwas anderes in Verbindung gebracht als du.
Gedankenlesen solltest Du noch etwas üben. :D ;)
Ich sagte: "bin mir aber auch hier nicht sicher, worauf genau Du hinauswillst"
Eigentlich gingen meine Gedanken schon in die selbe Richtung wie Bellas Interpretation, aber es stört mich etwas daran, und deshalb wollte ich es erst von Dir hören, damit ich mir sicher bin, bevor ich kritisiere. ;)

 

Na gut, überredet.

Also: das Bett steht für die Probleme Siegmunds mit seiner Mutter. Es wurde ihm von ihr geschenkt. Da er ihr gegenüber einen Zwang empfindet (rührt von der krankhaft strengen Erziehung her) fühlt er sich auch dann gezwungen ihre Wünsche zu erfüllen, wenn sie nicht da ist. Er hat aber wenigstens soviel Eigenwillen und sucht sich etwas, womit er sein Schlafzimmer schöner machen kann. Das ist die Blume. Die Blume steht auch für die kleinen MÄdchen, die er mit nach Hause nimmt und mit denen er dann das Schlafzimmer betritt (er hat ja damit aufgehört im Bett zu schlafen, nachdem seine Mutter starb). Das hat er aber vor dem Tod der Mutter nicht gemacht (Blume lebendig schön= keine kleinen Mädchen angefasst). Erst nach dem Tod hat er damit begonnen (Blume putt = kleine Mädchen mitgenommen). Natürlich steht die Blume für jedes kleine Mädchen, das Siegmund mißbraucht hat (grün = unschuldig, bevor er sie mitnimmt. tot = innerliche Leere, innerliches Absterben wegen dem Missbrauch).

Weil die Mutter nicht mehr da ist, übernimmt er ihre Rolle (zieht sich Frauenkleider an, bestraft sich, macht sich selber verbal fertig) und bestraft dann andere Kinder (er hat ja keine eigenen).

Der seltsame Aufbau seiner Wohnung steht für die seltsamen Bindungen und Assoziationen, die er im Kopf hat. Dinge sind miteinander vernetzt die nicht zusammen gehören. Zum Beispiel: der Esstisch im Bad. Ein Sinnbild für Siegmunds Assoziation von einem gestörtem Liebesverhältnis, das auf kleine Mädchen projeziert wird. :read:


Man mag mir den trockenen Schreibstil verzeihen. Muss aber gleich wieder weg.

Damit müssten meine Sinnbilder von meinem Standpunkt aus ausreichend erklärt sein. :schiel:

lg,

Dust

 

@Alle: "Eine kleine Blume" liegt in einer neuen Fassung vor, mit mehr "Mutter" und mehr "Psycho" :)

 

Hi du,

danke für das Nochmallesen. Darf ich dich vielleicht fragen, welche Schulnote du der Geschichte geben würdest? Kannst es mir ja per PM zuschicken. Bin schon gespannt, was da noch für Kritik (wenn überhaupt) kommt

lg

Dust

 

Hallo Dust!

Irgendwie hat mir doch die erste Version glaub ich besser gefallen. Da war mir zwar zu viel offen, aber jetzt wiederum wird ein bisschen zu viel erklärt – da, wo es um das Bett und die Blume geht. Außerdem fand ich es stimmiger, wenn ich mir hineininterpretieren konnte, daß der Protagonist selbst mißbraucht wurde – zum Interpretieren ist jetzt kaum noch Platz und es begründet sich sein Handeln für mich nicht mehr so logisch, wie zuvor, da mir die Mutter jetzt sehr weichgezeichnet erscheint. Das kann natürlich daran liegen, daß ich vorher zu viel (?) hineininterpretiert habe.

»Es ist das größte Zimmer; da sein Wohnzimmer zum bersten voll mit Sofa, Schrank und Fernseher ist, hatte er den Esstisch eben neben der Badewanne aufgestellt.«
– zum Bersten voll … ist, hat er

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hi Susi.

Find ich nett von dir, dass du dir das Ding nochmal angesehen hast. Schade, dass es dir jetzt weniger gefällt als vorher. Mir persönlich gefällt es jetzt mehr, weil die Version vorher zu offen war, wie du schon gesagt hast. Aber ich finde, dass man jetzt immer noch herauslesen könnte, dass er von seiner Mutter vergewaltigt worden ist.

Nochmals danke.

lg,

Dust

 

Hallo nochmal, Dust!


Mir persönlich gefällt es jetzt mehr, weil die Version vorher zu offen war, wie du schon gesagt hast.
Ein Mittelding zwischen beiden fände ich optimal. ;)


Aber ich finde, dass man jetzt immer noch herauslesen könnte, dass er von seiner Mutter vergewaltigt worden ist.
Willst Du denn, daß man das aus der Geschichte herausliest, oder meinst Du nur, daß man es rauslesen könnte, wenn man wollte?

Liebe Grüße,
Susi :)

 

ICh meine, dass man es herauslesen könnte, wenn man es wöllte. Muss aber mE nicht sein.

lg,

Dust

 

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