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Eine Lektion

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21.12.2015
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Eine Lektion

Gertie betrachtet ihre Fußabdrücke auf der staubigen Treppe, die zum Speicher führt. Nur wenige benutzen ihn noch zum Wäscheaufhängen, seitdem Waschmaschinen und Wäschespinnen in Haus und Garten eingezogen sind. Sie sitzt auf der obersten Stufe, die Wohnungstür mit dem Namensschild Robert Wagner im Blick, und kaut an den Fingernägeln.
„Noch so eine schlechte Angewohnheit“, hat Mama neulich gesagt, „das sieht scheußlich aus. So kannst du unmöglich zum Vorspielen. Und deine Haare könntest du auch wieder einmal schneiden lassen.“
Gertie würde gern mit dem Nägelkauen aufhören, aber es geht nicht.
„Mama, du nörgelst nur an mir herum, nichts passt dir, was ich mache. Warum lässt du deine schlechte Laune an mir aus?"
“Ich? Schlechte Laune? Das solltest du mal deinem Vater sagen. Aber das tust du natürlich nicht. Vor dem hast du Respekt.“
Respekt vor Papa? Mama hat ja keine Ahnung. Gertie hat keinen Respekt, sondern eine mordsmäßige Wut. Und davon kommt das Nägelkauen, denn sonst müsste Gertie ein Fenster einschlagen oder das Klavier demolieren. Mama macht alles kaputt und Papa lässt es geschehen. Das ist die Wahrheit.

Neulich zog die Deutschlehrerin sie während der großen Pause in eine Fensternische.
„Was ist bloß los mit dir, Gertie?“, fragte sie und putzte dabei ihre Brille. „Ich erkenne dich gar nicht mehr wieder. Du hast schon bessere Aufsätze geschrieben und deine Mitarbeit ist gleich null.“
„Ich hab' immer so Kopfweh und … Meine Eltern lassen sich scheiden.“ Sie standen ausgerechnet in der Nische, aus der vor einigen Monaten ein Mädchen hinausgesprungen war. Tot war sie nicht, aber schwer verletzt.
„O Gott, nicht schon wieder eine“, entfuhr es der Lehrerin. Schnell legte sie eine Hand auf Gerties Schulter, mit der anderen schloss sie das Fenster. „Lass uns nach dem Unterricht in Ruhe darüber reden. Um eins im Krankenzimmer, ja?“ Gertie nickte. Aber zu dem Gespräch ging sie nicht.

Von einer Scheidung ist bisher gar nicht die Rede. Vielmehr geht es um den alten Knacker im dritten Stock, dem ihre Mutter sehr viel Zeit widmet, so viel, dass sie das Einkaufen für die eigene Familie vergisst. Gertie kann inzwischen sehr gut bügeln und staubsaugen. Vater ist ohnehin derjenige, der morgens für das Frühstück sorgt und Gertie das Geld für eine Brezel oder Vanilleschnecke neben die Kaffeetasse legt.
Gertie nennt den Mann im dritten Stock 'alten Knacker'. Sie weiß gar nicht genau, wie alt er ist. Schon etwas älter als ihr Vater, zwischen fünfzig und fünfundfünfzig. Trägt seine Haare halblang und meistens eine Fliege. Ein Künstler, affig. Hat einen rosa Blumenkranz aus Porzellan an seiner Wohnungstür hängen. Sie ist dem Typ schon mehrmals im Treppenhaus begegnet. Die Fältchen um seine Augen scheinen sie jedes Mal auszulachen. Gertie grüßt ihn nicht, lieber würde sie ihm ein Bein stellen, so dass er die Treppe hinuntersegelt, und zwar bis in den Keller, wo die Mülleimer stehen. Sie hat während eines Streites der Eltern aufgeschnappt, dass Papas Rivale irgendwer Wichtiges am Stadttheater ist, Inspizient oder so. Mama singt im Extrachor des Theaters, hat viele Proben und kommt öfter erst mitten in der Nacht nach Hause. Kein Wunder, dass sie da spät aufsteht.
Es ist nun Gertie, die mit ihrem Vater abends ein paar Runden um die Häuser dreht, am Wochenende ist auch schon mal ein Elsässersalat und eine Weißweinschorle im „Hirschen“ eingeschlossen. Mit ihrem Vater kann sie über alles reden.
„Wieso lässt du dir das gefallen, Papa? Ihr unternehmt überhaupt nichts mehr gemeinsam. Mama fährt zu Premieren und du tuckerst mit deinem Moped nach Spanien.“
„Ach Gertie, wir haben nun einmal unterschiedliche Interessen.“
„Ja, schon, aber wieso ist immer der Typ von oben dabei?“
„Das verstehst du nicht, Mädchen, und das geht dich auch gar nichts an. Das ist eine Sache zwischen mir und deiner Mutter. Basta!“ Seit dem Gespräch hat Gertie diese Wut im Bauch. Sie muss etwas unternehmen, wenn es schon ihr Vater nicht tut.

Gertie sitzt nun seit einer Stunde auf der staubigen Treppe. Es ist vier Uhr nachmittags. Vater und Mutter sind beide außer Haus. Gertie will jetzt den Nachbarn zur Rede stellen. Er solle ihre Mutter in Ruhe lassen, will sie ihm sagen. Entschlossen steht sie auf, wischt sich die Hände am Kleid ab, steigt die paar Stufen hinab und drückt auf Robert Wagners Klingelknopf. Es dauert eine Minute, bis die Tür aufgeht. Der Mann im seidenen Morgenmantel mustert sie von oben bis unten.
„Und? Was willst du?“
„Lassen Sie meine Mutter in Ruhe!“ Sie ballt die Hände.
Im Hintergrund bricht eine Frau mitten in einer Koloratur ab.
„Robert, wer ist da, Robert, ist das ...?“
Gertie fährt ein heißes Schwert in den Bauch. Sie erkennt die Stimme, es ist kein Zweifel möglich. Wortlos dreht sie sich um und flieht die Treppe hinunter.

 

Nur kurz, wieselmaus:

Einen auktorialen Erzähler sehe ich nirgends, nur den Gedankenfluss bei Gertie, ausgesprochen oder eben nur gedacht.
Nein, natürlich hast du keinen auktorialen Erzähler gewählt, ich meinte es, wie ich es geschrieben habe:
Das ist ein merkwürdiger Erzähler, finde ich. So recht schlau werde ich nicht aus ihm. Wer erzählt da? Stellenweise wirkt das recht distanziert, stellenweise beinahe auktorial auf mich, was sich jedoch nicht nur mit dem letzten Satz beißen würde. Aber nach einem verängstigtem, enttäuschtem, wütendem Teenager klingt Erzähltes eben auch nicht immer.
Du hast folgendes geschrieben:
Ihre Sprache ist mal kindlich, dann wieder redet sie recht elaboriert daher. Ich könnte mich jetzt herausreden, es handle sich dabei um eine Art mentalen Stimmbruch. Grundsätzlich finde ich es gar nicht einfach, die Alltagssprache in einer bürgerlichen Familie vor sechzig Jahren zu treffen. Da gibt es gewaltige Veränderungen.
Vielleicht sind es genau diese Punkte, die mich irritiert haben.


Lieber Gruß


hell

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Kanji,

... und ich wieder einmal mehr erfahre aus dem Deutschland nach dem Krieg.

Vielen Dank , liebe wieselmaus und bitte fahre sie fort damit.

Versprochen, liebe Kanji, in der einen oder anderen Form. Wenn ich aus dem Experiment schlau geworden bin.

Ich selbst würde ja zu gern von dem Twist erzählen, mit dem ich insgeheim sehr zufrieden bin, nämlich mit dem gentleman agreement zwischen den Eltern (oder ist es ein deal der amerikanischen Art?)[/I]. Danach haben wir eine Mutter mit ungestillter Theaterleidenschaft und einen Spätheimkehrer mit einem ungestillten Freiheitsdrang. Ich denke, du kennst die Personenkonstellation. Du brauchst keine Angst zu haben, diese Ehe muss nicht scheitern.

Mein Thema war halt auch, wie sich die Heimkehrerehen nach dem Krieg entwickelt haben. Ich finde das sehr aktuell, wenn ich an heimkehrende Flüchtlinge denke oder auch an den Familiennachzug, wenn durch die Flucht längere Trennungen zu verkraften sind.

Und da sind noch die Homosexuellen, die sich meistens gezwungen sahen, ihre Neigung zu kaschieren ...
Und das aufkommende Wirtschaftswunder, und die fehlende Kommunikation, die bleierne Zeit, die aufkommende Wut, und, und, und.

Das alles habe ich mir verkniffen auszuerzählen. Und jetzt wollen es viele wissen und machen sich eigene Gedanken oder ärgern sich, weil ich zu wenig preisgebe. Wenn das nicht interessant ist! Wir stecken mittendrin in der Diskussion: Was ist modernes Erzählen? Für mich bisher open end.

Danke, liebe Kanji, für treues Begleiten in unserem literarischen Disput.

Herzlichst wieselmaus


Liebe TeddyMaria,

... wünsche ich mir, du würdest wienerisch schreiben und eine Trilogie draus machen.

Vielen Dank für die Blumen. Sechshundert Seiten! Da reicht u. A. meine Lebenszeit wahrscheinlich nicht mehr aus, und wienerisch kann ich nicht ( ernst offshore würde mir an die Gurgel springen). Alemannisch und bayrisch habe ich schon in einigen Texten untergebracht. Mundart wird nicht von allen gut gefunden.

... für mich wird da die Beziehung zum Vater immer undurchsichtiger

Das verstehe ich, solange der Twist mit dem deal, wie ich oben verraten habe, nicht im Blick ist. Gertie hat Wut auf den Vater und will ihm gleichzeitig helfen. Ja, wenn der Vater doch nur offen mit seiner Tochter gesprochen hätte!

Die Brille irritiert mich etwas

Nur die Brille, das war mir persönlich zu viel

Ja, die Lehrerin sollte nicht besonders engagiert rüberkommen. Solange sie die Brille putzt, kann sie den Blickkontakt vermeiden. Und es ist auch eine Verzögerung. Gertie merkt das und knallt der Lehrerin einen vor den Latz mit Lüge von der Scheidung. Funktioniert, glaube ich, ganz gut. Animosität auf beiden Seiten.

Liebe Maria, es hat mich sehr gefreut, deine Bekanntschaft zu machen, und die Trilogie von Nöstlinger steht steht jetzt auf meiner To-do-Liste. Ich finde, du bist eine sehr einfühlsame Leserin. Danke dafür.

Liebe Grüße
wieselmaus

Hallo Geschichtenwerker,


sehr nett, dass du trotz zeitlichem Enpass bei mir hereinschaust und gleich noch einen blöden Fehler findest. Ich habe verbessert, auch wegen hell, dem der nachfolgende Satz auch nicht behagt hat. Ich glaube, jetzt liest sich der erste Abschnitt etwas geschmeidiger. Danke dafür.

Freundliche Grüße
wieselmaus

 
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Hallo hell, hallo wieselmaus
(und natürlich alle Interessierten),

an sich misch ich mich nict gerne in Kommentare und Antworten darauf ein, hier aber mit dem

Du hast folgendes geschrieben:
Ihre Sprache ist mal kindlich, dann wieder redet sie recht elaboriert daher. Ich könnte mich jetzt herausreden, es handle sich dabei um eine Art mentalen Stimmbruch. Grundsätzlich finde ich es gar nicht einfach, die Alltagssprache in einer bürgerlichen Familie vor sechzig Jahren zu treffen. Da gibt es gewaltige Veränderungen.
Vielleicht sind es genau diese Punkte, die mich irritiert haben.
sei es mir erlaubt, einem, der sich inzwischen selbst historisch wird, auf einen älteren Beitrag zurückzugreifen, der nun in Asterix' Historik schlummert, der aus der Beschäftigung mit dem großen Karl entstanden ist, aber eben nicht nur für Biografien und historische Romane gilt, sondern allgemein für "Vergangenheitsbewältigung" ob im Kleinen oder Großen.

"Der Geschichtsroman gestaltet künstlerisch historische Ereignisse in Prosaform.

Das Wort „Geschichte“ (ahd. gisciht) ist vom Verb „geschehen“ (ahd. giskehan) abgeleitet und meint zunächst „Begebenheit / Ereignis /Geschehnis“, um bereits im mhd. die Folge(n) des Ereignisses einzubeziehen und so im 15. Jh. in seiner Bedeutung auch die Erzählung / den Bericht über dieses Geschehen einzubeziehen und historia wird. Erst mit Herder wird Geschichte zur Wissenschaft und erst mit dem Durchbruch des Geschichtsbewusstseins der Romantik(er) entsteht der Geschichtsroman - im deutschsprachigen Raum verknüpft mit den Namen Arnims, Hauff (Lichtenstein und Jud Süß!) und Novalis mit einem Höhepunkt in C. F. Meyer, der auch ein Problem auf schlichte Art gelöst hat, indem sein Personal die Sprache der Jetztzeit spricht, was aber genug Fußfallen birgt in Dingen, die es „früher“ nicht gab.

Für alle Formen „historischen“ Erzählens – selbst für die (Auto-)Biografie gilt, dass es eine Annäherung bleibt, ein Bild, dass sich der Autor von der/den Person/en, dem/den Ereignis/sen macht. Aber zwischen Belletristen und Wissenschaftler besteht ein entscheidender Unterschied: Müht sich der Belletrist gemeinhin allzu selten, Archive aufzusuchen, um Handschriften zu lesen, die er vielleicht gar nicht entziffern und/oder erst recht nicht verstehen kann oder will, selbst wenn sie in einer alten Fassung seiner Muttersprache verfasst sind, verlässt er sich auf Spezialisten, und wär's der eigene Großvater, die ihm das aufwändige Studium abnehmen (im anderen Falle wär er buchstäblich von allen guten Geistern verlassen). Und obwohl er nicht unbedingt sein Wissen erweitert, schmückt er Vorgekautes aus und deutet es nach seiner Interessenlage. Die Mühe des dokumentarischen Puzzles überlässt er dem/den Spezialisten – und je begrenzter die Datenlage, umso größer der freie Raum der belletristischen Fantasie."

Heißt, wir "Autobiografen" sind zugleich beides, Spezialist des eigenen Lebens wie die Nutznießer der Erfahrung. Aber selbst in unserer Erinnerung werden Dinge der Tendenz nach schön gefärbt, die buchstäblich nicht so schön waren. So hat der Ältere - ich - einen Lachkrampf gekriegt, sich geradezu "totgelacht" wie man so sagt - als der ein Jahr jüngere Bruder mit dem Tretroller gegen einen Baum gefahren ist und der Ältere hat nie um Entschuldigung gebeten und 60 Jahre später" isset zu spät".

Friedel

 

Liebe Chai,

selten habe ich erlebt, dass eine Geschichte von mir praktisch eins zu eins verstanden wurde. Das freut mich wirklich, besonders, weil ich ja so sparsam mit den Hinweisen umgegangen bin. Dass du den Twist mit dem gentleman agreement als Angelpunkt erkannt und in Folge davon die Rollen ganz neu interpretiert hast, zeigt mir, dass das Experiment doch einen Wert für mich hätte. Es heißt aber nicht, jetzt fange ich noch mehr an zu kürzen. Ich finde es immer noch reizvoll, „Butter bei die Fische“ zu geben. Mal sehen.

Sehr gut hast du die Szene mit der Lehrerin erfasst, Gerties Trotz, weil sie die Lehrerin als eher desinteressiert erlebt, ist kindlich schlau, eine weitere Facette auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Im Augenblick möchte ich an den Schwankungen in Gerties Sprache festhalten, gar nicht anpassen, sondern als Ausdruck ihrer Verunsicherung und der daraus resultierenden Wut festhalten.

Weiter oben, bei Kanji, habe ich ja aufgelistet, was an Themen im Hintergrund schlummert. Wenn ich die stärker ausarbeite, wird mein Text mindestens so lang wie dein letzter:lol: und du weißt, was dann passiert:
kürzen, kürzen, kürzen ...
Aber vielleicht kann ich die eine oder andere Idee in einem neuen Text unterbringen.

Für heute wünsche ich dir noch einen schönen Sonnenuntergang und eine kühle Nacht.

Herzlichst
wieselmaus

 

Liebe wieselmaus,

es freut mich wirklich sehr, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag, und diese Doppelbödigkeit macht diesen Text für mich noch stärker, vor allem, weil er eben so kurz ist.

Eigentlich hast du damit ja auch uns eine Lektion erteilt, denn anfangs dachte ich auch: Der arme Kerl, die arme Tochter, die Rabenmutter. Jetzt denke ich, dass ich schon Verständnis habe für Gertie und den Vater, denn es sind ja die Fünfziger-Jahre oder Anfang Sechziger. Und die Geschichte aus der Sicht eines verwirrten Kindes/Jugendlichen erzählt. Wenn eine Frau in der Zeit eigene Interessen hatte, war das wahrscheinlich, als würde sie ihre Koffer packen und auswandern. Was sollen die Leute sagen. Und denn noch ein Künstler. Der arme Vater. Muss sich jetzt um's Kind kümmern. Dabei ist sie vielleicht täglich nur zwei Stunden da, und das ist schon anrüchig. Mittlerweile hast du ja ergänzt, dass sie abends probt, vorher ist sie ja mit Herrn Wagner in den Urlaub gefahren, wenn ich mich nicht irre. Das fand ich, ehrlich gesagt, besser, denn auch hier hätte man wieder Interpretationsmöglichkeiten. Vielleicht war es nur ein Arbeitswochenende mit der Theatergruppe.

Irgendetwas an deiner Geschichte hat mich tief berührt. Zumal ich die Mutter eben nicht einfach nur auf dem Selbstverwirklichungstrip ( das Wort ist immer so negativ behaftet) sehe, sondern mit echtem Talent gesegnet, das sie nicht entfalten darf, weil sie ausschließlich Ehefrau und Mutter zu sein hat. Alles andere war offenbar ein Ding der Unmöglichkeit zu dieser Zeit.

Es gibt da einen schönen Film, der das Thema aufgreift - also den Aufbruch der Strukturen in den späten Fünfzigern. Pleasantville. Unglaublich romantisch, tiefgründig und komisch. Auch da gibt es eine Frau, die ein ähnliches Schicksal hat wie Gerties Mutter. Falls du ihn nicht kennst, solltest du ihn dir unbedingt anschauen.

Liebe Grüße,
Chai

 

Hallo Lani

Gerne gelesen habe ich deine Geschichte jedenfalls, weil sie so simpel ist, so schnörkellos, und trotzdem fährt einem "ein heißes Schwert in den Bauch", Aber ja ... Hm.

Simpel und schnörkellos, das sollte sie sein, damit ich ausprobieren konnte, auf wie viel Hintergrund ich verzichten und trotzdem den Leser bei der Stange halten kann. So halbwegs ist es ja geglückt, wenn ich den Kommentaren glaubendarf. Ich spüre aber auch die Enttäuschung, weil dem geneigten Lesern etwas vorenthalten wurde (das gentleman agreement) zwischen Vater und Mutter) und er dadurch möglicherweise einer falschen Fährte aufsitzt.

Hätte der Twist etwas am Ende der Geschichte geändert?

Ja und nein. Ja, weil der Blick auf die Opferrollen ganz anders wäre, sozusagen eine Verteidigung der Mutter, aber auch des Vaters. Vielleicht beruhigend für den Leser.
Aber nein, weil Gertie ja im Dunkeln gelassen wurde und durch ihr beherztes Auftreten nur in eine für sie beschämende Situation käme, was ich ihr nicht zumuten wollte.

Ich habe natürlich einen Auftritt Gerties, wie du es vorschlägst, erwogen, aber dann wäre die Geschichte entweder ins Slapstickige oder Rührselige abgedriftet, so befürchte ich.

Soll irgendwo die Homosexualität von Robert Wagner deutlicher signalisiert werden? Novak fände das gut, wenn mir dieser Aspekt wichtig wäre. Aber ja, er ist mir wichtig, er ist ja konstituierend für den Plot. Nur, wie umsetzen, wenn nicht mit Attributen, die, wenn sie plakativ sind, nach gängiger Auffassung Vorurteile bedienen? Du kennst so ein Problem aus deiner derzeitigen Geschichte. Ich weiß noch nicht, ob ich es hinkriege.

Wenn ich meinem bisherigen Stil treu bliebe, würde ich natürlich den Leser an die Hand nehmen, ihn vor Wagners Wohnungstür schleppen und ihn mit der Nase auf das blumenumkränzte Namenesschild "Robert und Freunde" stoßen.

Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit dir über Wenn und Aber von Autorenentscheidungen zu spekulieren. So gefällt es mir im Forum.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Hallo wieselmaus,

Ich spüre aber auch die Enttäuschung, weil dem geneigten Lesern etwas vorenthalten wurde (das gentleman agreement) zwischen Vater und Mutter) und er dadurch möglicherweise einer falschen Fährte aufsitzt.

Ich gebe mir immer Mühe, die Geschichte so zu nehmen, wie sie ist. Der Autor wird sich in aller Regel etwas dabei gedacht haben, warum er diese Sache ausführt, jene einfach weglässt. Deshalb ist das - zumindest bei mir - auch keine Enttäuschung darüber, dass du mich im Dunkeln gelassen hast, dass du mir etwas vorenthältst oder auf eine falsche Fährte führst, sondern darüber, dass ich nur diesen Ausschnitt des großen Ganzen habe und der Rest meiner Fantasie überlassen bleibt. Aber da muss ich mich dann auch gleich wieder korrigieren: Im Grunde verspüre ich auch darüber keine Enttäuschung, weil es ja gerade das ist, was mich zum Nachenken anregt und noch tiefer in die Geschichte eintauchen lässt, also im Grunde genau das Faszinierende an der Sache.

Ja, deshalb glaube ich persönlich nicht, dass in der Schlüsselszene an der Tür eine Aufklärung nötig ist, oder anders gesagt, es darf glaube ich gar nicht sein.

Das nur so nebenbei. Eigentlich bin ich deshalb wieder hier:

Soll irgendwo die Homosexualität von Robert Wagner deutlicher signalisiert werden?

Wat? Welche Homosexualität denn? Offenbar habe ich nicht aufmerksam genug gelesen, meine ... Homosexualitätssensoren haben sich nämlich kein einziges Mal gerührt. Moment, ich schau noch mal.

...

Mama macht alles kaputt und Papa lässt es geschehen. Das ist die Wahrheit.

Aha, erwischt! Du hast mich gleich zu Anfang auf eine falsche Fährte gelockt. Nur ... Hm. Nein, ich erkenne eigentlich nichts, was auf Wagners Vorlieben hinweisen würde.

Allerdings hat das nochmalige Lesen und das Überfliegen einiger Kommentare dazu geführt, dass ich alles noch mal etwas differenzierter betrachtet habe, auch das

Basta!

des Vaters wurde irgendwie ... doppelbödig. Beim ersten Durchlauf war ich voll auf seiner Seite, die Mutter war die "Böse". Jetzt bin ich mir aber gar nicht mehr so sicher, wer hier eigentlich böse ist ... oder um es anders zu sagen: Ich glaube, es gibt keinen Bösen.

Na ja, um mal zum Ende zu kommen, all die unterschiedlichen Sichtweisen hier in den Kommentaren bestärken mich noch mal in meiner Meinung, dass das eine wirklich spannende Geschichte ist, auch oder gerade deshalb, weil sie so übertragbar scheint, so alltäglich daherkommt. Wenn man den Blick nur so drüberschweifen lässt, wirkt sie vielleicht fast bieder, oder, achtung: langweilig, jedenfalls ist da definitiv kein Knallbumm. Aber sie hat einen kleinen Wurm im Schlepptau, der sich in den Schädel pflanzt und sich dort nach und nach seinen Weg bahnt.

Liebe Grüße,

Lani

 

Liebe maria.meerhaba,

Ich bin kein Fan von Kürzestkurzgeschichten oder diesem Flasfictionscheiß. Die Geschichten müssen lang sein, Hintergrundinfos haben, eine Stimme besitzen, Figuren den hat Platz für ihre Entwicklung geben, sie leben lassen, und zum Aufblühen bringen. Für mich hat diese Geschichte das alles nicht... Ich kenne so ziemlich alle deine Geschichten und ich habe immer eine Entwicklung bei dir gesehen, aber das hier fühlt sich für mich so an, als würdest du einen Schritt zurück machen.

Du kannst dir vielleicht vorstellen, wie erschrocken ich war, als ich das hier gelesen habe. Einen Pauschalverriss habe ich nicht erwartet. Zum Glück kenne ich dich auch ein wenig, und zum Teil nimmt du die Kritik zurück und suchst, wie so oft zuletzt, die Schuld bei dir.

In einer PN habe ich dir geschrieben, dass es sich um ein Experiment handele und ich ausprobiere, wie weit man die Reduzierung treiben könne. Für die meisten Leser hat das gut geklappt, aber es gibt auch Stimmen, die eine längere Ausarbeitung gut gefunden hätten.

Ich verstehe deine eindeutige Vorliebe für den konventionelleren Erzählstil sehr gut, denn von der Ecke komme ich her. Du selbst hast sehr schöne Texte geschrieben, in denen es das alles gibst, was du jetzt bei mir vermisst hast.

Andererseits fandest du es auch richtig, mal ein Experiment zu wagen, z.B.deine "Pornogeschichte". Es ist richtig, dass Experimente jeden Autor weiterbringen, so oder so. Denn aus deiner heftigen, zornigen Reaktion sehe ich doch auch das Interesse an meinem Text. Allerdings läßt dich dein Zorn so manche, vom Autor gelegte Spur nicht entdecken, gerade wenn er seinen Tell-Anteil minimiert hat.

Was ich nicht so glücklich finde, ist deine Gewohnheit, sofort schon beim ersten Satz den Daumen zu heben oder zu senken. Damit legst du dich frühzeitig fest und musst womöglich später zurückrudern. Ich weiß nicht genau, wo deine Wut herrührt. Allein an den von dir verdammten Geschichten kann es nicht liegen. Und ich kenne von dir auch feinfühlige, den Punkt treffende Analysen.

Für den Ausgang meines Experiments kann ich bisher folgendes erkennen: Wenn ich weiterschreibe, werden es Geschichten sein, mal so, mal so. Ich gehe da nach meinen Bauchgefühl und natürlich vom Thema aus. Das wird für mich noch recht spannend.

Ich wünsche mir aber dringend eine neue Geschichte von DIR:herz:

Gruß ins türkische Dorf
wieselmaus

 

Hallo wieselmaus,

mir hat deine Geschichte gefallen, ich bin gut reingekommen und die Länge fand ich auch sehr angenehm. Ich war nur wie andere auch von dem Alter irritiert. Am Anfang hab ich gedacht Gerti ist im Grundschulalter. Dann kam die Weinschorle und ich hab mich nicht mehr ausgekannt. :confused: Aber ich hab auch nicht wirklich Erfahrung mit Teenagern. Zudem hab ich die Geschichte in der heutigen Zeit verortet, das kommt vielleicht dazu.

Ansonsten fand ich das Ende nicht sonderlich überraschend. Die Mutter ist beim Liebhaber. Ok. Und jetzt? Hat mich mit einem Schulterzucken zurück gelassen.

Liebe Grüße,

Helen

 
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Hallo Charly1406

danke dafür, dass du nochmals auf meine Antwort eingegangen bist.

Im Grunde geht es bei den meisten Kommentaren um die Frage: mehr oder weniger ausarbeiten der einzelnen Szenen? Die Ruppigkeit, die Lehrerin und Gertie an den Tag legen, hat was mit der gegenseitigen Abneigung zu tun. Beide haben überhaupt keine Lust auf ein ernsthaftes Gespräch. Gertie könnte hier als kratzbürstig gesehen werden, die Lehrerin ist durchaus ambivalent. Hier, glaube ich, hat der Leser die große Chance, eigene Erfahrungen einzubringen.

Auch beim Thema Scheidungen gibt es wohl reichlich Erfahrungen in der Leserschaft, ensprechend sind die Sympathien für Vater und Mutter geteilt. Vielleicht muss man sie auch gar nicht teilen, sondern kann ein gewisses Verständnis für die beide aufbringen.

Auch ich wünschte mir, es gäbe in Ehekrisen mehr Durchhaltevermögen. Selbstverständlich darfst du dir ein glücklicheres Ende vorstellen, wer weiß, vielleicht kam es ja auch dazu. Der offene Schluss ist ja gerade das Reizvolle an Kurzgeschichten, und die berüchtigte Lehrerfrage, was will der Dichter uns sagen, kann ja modifiziert werden in was will ich aus der Geschichte mitnehmen ...

Danke für dein Interesse, das uns im Forum hoffentlich erhalten bleibt,

Freundliche Grüße
wieselmaus

________________________________________________________________________________________Liebe Novak und lieber hell

danke für eure zweite Rückmeldung. Auf deinen dringenden Wunsch, liebe Novak, habe ich den Hinweis auf Wagners Homosexualität verstärkt: rosa Blumenkränzchen an Wagner Wohnungstür zu mehr konnte ich mich nicht entschließen. Zu Gertie passt es, glaube ich, da sie den Nachbarn affig findet. Ob sie mit der Farbe Rosa mehr verbindet als 'typische Mädchenfarbe', sei dahin gestellt. Wenn jemand diesen Hinweis übersieht, dann ist es eben so und dann geht es eben um eine andere Lektion.

Authentische Sprache, lieber hell, ist sehr schwierig. Ich habe mich hier selbst als Zeitzeugin eingesetzt. Immerhin bin ich eben fünfundsiebzig geworden;) Das Gestelzte der Mutter, dachte ich, könnte auch zeigen, wie sehr sie in ihre Theater- und Opernwelt abgedriftet ist. Bühnendeutsch von damals, sozusagen ...

Vielen Dank an euch. Diskutieren macht Spaß, shitstorms nicht.:thdown:
wieselmaus


________________________________________________________________________________________

Lieber Friedrichard,

danke für den Literaturhinweis. Ich habe den Text aufmerksam gelesen. Einerseits fühhle ich mich bestätigt in den grundsätzlichen Überlegungen, andererseits bis ich nicht ganz sicher, ob ich denen bei der Umsetzung gerecht werde.

Was ich sicher weiß, ist, dass der Sprachgebrauch in meiner Geschichte dem von damals nicht widerspricht. Und außerdem soll er eine individuelle Einfärbung bei der Mutter zeigen, wie ich hell geschrieben habe. Wirkt befremdlich, ich weiß.
Dieser Tage habe ich in einer Telenovela eine Streitszene zwischen Vater und Tochter gesehen (Sturm der Liebe, ARD). Da sagt die Tocher aus gutbürgerlichem Haus zu ihrem gutbürgerlichen Vater: "Du kannst dir die Chips in den Arsch stecken!" Kannst du dir Gertie mit einem solchen Spruch vorstellen? Die Telenovela ist Mainstream, insofern ein gutes Objekt, um dem (Sprach-)Wertewandel zu studieren.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Ich noch mal, Du schreibst

Ich habe den Text aufmerksam gelesen. Einerseits fühhle ich mich bestätigt in den grundsätzlichen Überlegungen, andererseits bis ich nicht ganz sicher, ob ich denen bei der Umsetzung gerecht werde.

Wirstu auf jeden Fall -

beste wieselmaus der Welt,

und wer, wenn nicht wir Älteren, könnte den Ton der Nachkriegszeit besser, wenn schon nicht vollständig aufleben lassen?

Wenn ich z. B. Ruhrlatein sprech/schreib (wo gelegentlich der Dativ durch den Akkusativ ersetzt wird), so ist das auch "nur" Kunstsprache. Eine Sprache, die durch die Figur Adolf (!) Tegtmeiers geprägt ist, der tatsächlich aus Koblenz stammte und in Wirklichkeit Jürgen von Manger war. Sein unvergessener "Schwiegermuttermörder" wird wahrscheinlich auch auf You Tube zu sehen sein, weiße ("weißt du"). Tatsächlich treffen zwischen Ruhr, Rhein und Lippe (genauer von Kamp-Lintfort bis Unna - nicht etwa schon Dortmund! -, Duisburg und Wesel niederfränkische (das allein im Niederländischen zur Hochsprache wurde) auf sächsische Dialekte (Münsterland, Sauerland), zu denen sich jiddische Elemente friedlich neben die Sprachelemente der ehemligen "Fremd-", dann "Gastarbeiter" gesellte und im Kanakdeutsch - das inzwischen wieder "ausstirbt" - eine eigenständige Ausprägung fand. Hinzu kommen selbstverständlich Soziolekte, und weil ich gerade mal wieder im Reim-Rausch steck, ein paar ältere Verse von mir (aus "Kadingirra oder Bab-ilim ist überall)

Babbel

In den verschiedenen Etagen
Redeten die Leut verschiedne Sprachen:

Die ganz oben
Sprachen gehoben,
Die in der Mitt’
Sprachen Durchschnitt
und die gerad noch satt
Redeten einfach platt.

Die aber in den Gossen lagen
Schwiegen & träumten von bessern Tagen.​


Bis bald,

Friedel

 

Liebe Chai,

du schreibst

... es freut mich wirklich sehr, dass ich mit meiner Vermutung richtig lag, und diese Doppelbödigkeit macht den Text für mich noch stärker, vor allem, weil er eben so kurz ist.

ein tolles Lob, es bestärkt mich, diesen Weg nicht wieder zu verlassen bzw. als einzig für mich gangbaren Weg zu betrachten. Aber weißt du, Ambivalenz ist mein zweiter Vorname. Ich habe es gerne, in Texten zwischen den Zeilen zu lesen. Etwas Futter muss allerdings schon dabei sein. Wenigstens ein Plot, der die Charaktere trägt. Dann ist es mir lieber, der Leser findet zu viele als zu wenige Schnitzel auf der Jagd nach dem richtigen Ziel. Ursprünglich war es mein Plan, Krimis zu schreiben. Na ja, zu einem hat's ja gereicht. Nur war der am Schluss doch eher ein Schlaglicht auf die Generation Achtundsechzig ...

Es ist wirklich interessant, wie da vieles hochgespült wird und ordentlich verklärt.
Mal sehen, ob mir noch Geschichten zu dieser Epoche einfallen.

Herzliche Grüße
wieselmaus

_______________________________________________________________________________________

Hallo Lani,

dein Credo

Ich gebe mir immer Mühe, die Geschichte so zu nehmen, wie sie ist. Der Autor wird sich in aller Regel etwas dabei gedacht haben, warum er diese Sache ausführt, jene einfach weglässt.

Dieses Vertrauen freut mich natürlich. Es ist auch mein Ansatz hier im Forum. Ich bin deshalb meistens zurückhaltend mit negativen Urteilen. Aber natürlich gibt es handwerkliche Fehler, die man benennen sollte. Das verstehen einige Leser hier im Forum ausgezeichnet, und gegen eine frische Unbekümmertheit habe ich auch nichts. Man kann sich ja darüber auseinandersetzen. Vieles aber ist tatsächlich Geschmackssache. Gleiche Wellenlänge kann sich auch im Netz entwickeln, Abneigung natürlich ebenfalls.

Wat? Welche Homosexualität denn ? Offenbar habe ich nicht aufmerksam genug gelesen, meine ... Homosexualitätssensoren haben sich nämlich kein einziges Mal gerührt. Moment, ich schau noch mal.

Hm, es gab schon einige Hinweise, der Morgenmantel z.B. Ich hab noch ein wenig nachgebessert. Es wundert mich nicht, dass diese Lesart nur bei wenigen auf Anhieb klappte. Kann durchaus daran liegen, dass in aufgeklärten Kreisen Homosexualität kein Ausgrenzungsmerkmal mehr ist. In den fünziger Jahren war das Etikett " ein 175" ein schwerwiegender, krimineller Makel. Das wirft natürlich ein total anderes Licht auf Gerties Eltern. Und auf die Lektionen ...

Nochmals Danke, dass du die Struktur des Textes akzeptieren konntest.

Herzliche Grüße
wieselmaus

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Hallo HelenK,

Dank auch an dich, dass du trotz reichlicher Kommentare einen eigenen dazugestellt hast.

... mir hat deine Geschichte gefallen, ich bin gut reingekommen und die Länge fand ich sehr angenehm.

Die Mutter ist beim Liebhaber. Ok. Und jetzt?. Hat mich mit einem Schulterzucken zurückgelassen.

Ich musste wirklich grinsen, bei diesem lakonischen Urteil. Natürlich darf man das so sehen. Vielleicht liegst du ja voll im Trend der Zeit.

Aber was ist, wenn der Liebhaber gar keiner ist? Und wenn die Geschichte zu einer Zeit spielt, wo Fremdgehen noch keine Selbstverständlichkeit war?

In den Kommentaren finden sich viele Argumente, die sich genau mit diesen Fragen beschäftigen. Es ist nicht immer alles so, wie es scheint.
Vielleicht magst du noch einmal erklären, was dir an diesem Text gefallen hat. Du hast keine Erfahrung mit Teenagern? Beinahe hätte ich gewettet, du wärst selbst einer:confused:

Freundliche Grüße
wieselmaus

 

Lieber Friedrichard,

vielen Dank für Ermunterung und das pointierte Gedicht. Ich hätte es glatt im Unterricht verwendet — neben Brechts „ Fragen eines lesenden Arbeiters“.

Kann gut sein, dass ich im Herbst an den Niederrhein komme, um eine Bildungslücke zu schließen.

Herzliche Grüße
wieselmaus

 
Zuletzt bearbeitet:

Hi wieselmaus,

schöner Text, rund und ausgewogen. Ein bisschen Rätsel ist auch dabei, das find dich gut. Möglich ist ja, dass Gertie einem falschen Eindruck aufsitzt. Höchstens erscheint sie mir dazu in ihrer Entschiedenheit zu sicher, wenn da gar nichts dran wäre, würde sie sich wohl nicht so festlegen. Aber der Vater sagt ja: "Das ist eine Angelegenheit zwischen mir und deiner Mutter", also irgendwas wird schon sein.

Sprachlich hab ich eigentlich nichts zu kritisieren, nur die wörtlichen Reden sind mir vielleicht machmal eine Spur zu ausgewalzt.
Beispiel:

„Noch so eine schlechte Angewohnheit“, hat Mama neulich gesagt, „das sieht scheußlich aus. So kannst du unmöglich zum Vorspielen.
Das ginge für mich auch gut (oder besser?) kürzer: „Das sieht scheußlich aus.“, hat Mama neulich gesagt, „So kannst du unmöglich zum Vorspielen. (...)"

Oder auch:

„Mama, du nörgelst nur an mir herum, nichts passt dir, was ich mache. Warum lässt du deine schlechte Laune an mir aus?"
Das ist mir für ein wütendes Mädchen noch zu brav, zu korrekt.

Und gleich darauf fällt mir doch noch - in meinen Augen - eine kleine Unstimmigkeit auf:

“Ich? Schlechte Laune? Das solltest du mal deinem Vater sagen. Aber das tust du natürlich nicht. Vor dem hast du Respekt.“
Warum sollte sie dem Vater sagen, dass die Mutter schlechte Laune hat? Und was hat das mit Respekt zu tun, wenn sie es nicht tut? Oder anders: Die Mutter meint, die Tochter wage nicht "Du hast schlechte Laune" zum Vater zu sagen. Aber wiederum: warum sollte sie? Der nörgelt ja nicht an der Tochter herum. Zumindest sehen wir davon nichts. Er tritt als einer auf, der "es geschehen lässt" - lässt er dann nicht auch das Nägelkauen der Tochter geschehen? Wenn ich es nicht anders gesagt bekomme, habe ich eine Neigung dazu, das anzunehmen.


Respekt vor Papa? Mama hat ja keine Ahnung. Gertie hat keinen Respekt, sondern eine mordsmäßige Wut. Und davon kommt das Nägelkauen, denn sonst müsste Gertie ein Fenster einschlagen oder das Klavier demolieren. Mama macht alles kaputt und Papa lässt es geschehen. Das ist die Wahrheit.

"Du hast schon bessere Aufsätze geschrieben"
Ein etwas zweifelhaftes Lob ... Warum nicht: "Du hast immer so gute Aufsätze geschrieben?"

Hier:

„Ich hab' immer so Kopfweh und … Meine Eltern lassen sich scheiden.“
fänd ich es nicht schlecht, wenn sie sich ein bisschen windet, erst das Kopfweh vorschiebt, dann auf den echten Grund zu sprechen kommt. So kommt mir das etwas zu sehr mit einem Schwung. Oder eben ganz offensiv aus einem Schwung, also ohne die drei Punkte, das hätte auch was für sich.

Und zum Schluss:

Sie kennt die Stimme, es ist kein Zweifel möglich.
Dieser Satz überzeugt mich nicht so ganz. Es ist doch selbstverständlich, dass sie die Stimme der Mutter kennt. Dann ist das dafür aber für meinen Geschmack zu sehr darauf herumgeritten. Ich würde den Satz rausnehmen - oder vielleicht kürzer: "Sie kennt die Stimme" und Punkt, das könnte noch gehen. So wie es dasteht, könnte sie reden, wenn es z.B. die Stimme der Lehrerin wäre. Ein reizvoller Gedanke, nur käme der ziemlich aus dem Nichts, falls ich nichts überlesen habe. Könnte mir aber gefallen, wenn er ein kleines bisschen vorbereitet wäre.

Besten Gruß
erdbeerschorsch

P.S.: Ich hab noch ein bisschen in den Kommentaren rumgeschnüffelt. Wenn der Vater beim Wagner ist - dann wäre das so vielleicht auch gerechtfertigt, wegen der Überraschung. Allerdings kennt sie natürlich auch die Stimme des Vaters, ich würde mir also selbst dann vielleicht eine leichte Änderung wünschen. Ein kleines Problem bleibt für mich jedenfalls: auf die Mutter passt es nicht. Also - finde ich - musst du es doch entweder abändern oder - was schade wäre - eine der möglichen Lesarten durchdrücken.

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe wieselmaus,

so, nun komme ich endlich mal bei dir und deiner hübschen Geschichte vorbei. :) Gelesen habe ich sie natürlich gleich zu Anfang, und dann immer mal wieder.
Ich bringe nur ein paar Anmerkungen zu einzelnen Textstellen mit, ohne missionieren zu wollen. Ich könnte mir vorstellen, dass die Geschichte für dich inzwischen so ist, wie du sie gerne haben möchtest.

sondern eine mordsmäßige Wut. Und davon kommt das Nägelkauen, denn sonst müsste Gertie ein Fenster einschlagen oder das Klavier demolieren.

Aaach du Schreck! Armes Klavier! :eek:

„O Gott, nicht schon wieder eine“, entfuhr es der Lehrerin.

Diese Frau Pädagogin hat sich wohl nicht ganz im Griff. Egal ob sie nun die Scheidung oder den Fenstersprung meint, diese unkontrollierte Äußerung ist einfach nur furchtbar. Mir schiene da evtl. ein Ausrufezeichen angemessen.

Vielmehr geht es um den alten Knacker im dritten Stock, dem ihre Mutter sehr viel Zeit widmet, so viel, dass sie das Einkaufen für die eigene Familie vergisst. Gertie kann inzwischen sehr gut bügeln und staubsaugen.

Mit Bügeln und Staubsaugen wird sich der vergessene Einkauf wohl nicht kompensieren lassen. ;)
Ich muss gestehen, dass ich über diese Stelle (v.a. den zweiten Satz) so ein bisschen gestolpert bin, weil sie halt die hausfraulichen Pflichten der Frau Mutter so betont und damit letztlich die klassische Rollenverteilung. Ich bin fast geneigt, mehr mit der lebenshungrigen Mamá mitzufühlen als mit Gertie. Herzlos, ich weiß. :D

Im Hintergrund bricht eine Frau mitten in einer Koloratur ab.

Was ich mich halt immer frage: Koloratur im Mehrfamilienhaus - hört man das nicht über Stockwerke hinweg? Sprich: Hätte Gertie nicht schon in ihrer eigenen Etage den Gesang der Mutter erkennen müssen?

Auf jeden Fall ist es ein schönes Bild, auch mit dem Nachbarn im seidenen Morgenmantel. Kennst du die Novelle „Die Kreutzersonate“ von Tolstoi? Daran musste ich beim Lesen denken. Die Frau Gemahlin, die da mit einem anderen Mann Beethovens Violinsonate probt, überlebt übrigens nicht. Zu groß ist die Eifersucht des Ehemannes. Gemeinsames Musizieren - nichts ist erotischer …

Zum Abschluss muss ich nun doch gestehen, dass es mir gefallen hätte, auch um des Überraschungseffektes willen, sie hätte den Vater beim Nachbarn angetroffen, gerne in einem leicht anzüglichen Ambiente, Morgenmantel, ein bisschen Alkohol, so etwas in der Art.
Aber das nur als Gedankenspiel, es ist deine Geschichte, liebe wieselmaus. Sie ist auch gut erzählt, so wie sie ist, und ich will sie dir nicht umplotten.

Liebe Grüße
Anne

P.S. Falls es dich interessiert: Ich befinde mich gerade im Urlaub, am Schauplatz der blauschwarzen Miesmuschel, und habe ein paar Fotos zur Geschichte in ein Album gestellt.

 
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Hallo erdbeerschorsch,

schön, dass du diesen schon wieder in der Versenkung verschwundenen Text hervorholst. Es geht hier rasend schnell, du wirst diese Erfahrung erlebt haben. Aber man kann halt nicht alles lesen und kommentieren.

Du hast zwei Dinge benannt, die öfter kritisiert wurden: die Dialoge und die Lehrerin.

An den Dialogen habe ich schon herumgebastelt. Aber ganz möchte ich mich nicht den Stil, der heute zwischen Eltern und Kindern üblich ist, übernehmen. Gertie ist keine krawallige Fünfzehnjährige, eher ein harmoniesüchtiges Mädchen, konservativ, nicht rebellisch, möchte das traditionelle Familienbild retten.

Warum sollte sie dem Vater sagen, dass sie schlechte Laune hat?

Missverständnis. Die Mutter wehrt sich gegen den Vorwurf der Tochter durch einen Gegenangriff, der gleichzeitig den Konflikt verlagert. Wir sind in der Vorachtundsechziger Zeit!! Vielleicht spielt ja auch Eifersucht (der Mutter auf den Vater) eine Rolle.

Ein etwas zweifelhaftes Lob ...

Die Lehrerin sollte zuerst eine gute sein, eine, die sich kümmert. Dann gefiel mir die jetzige Version besser. Die gegenseitige Abneigung spiegelt sich auch in Gerties Antwort. Sie macht es wie ihre Mutter: Nebenschauplatz eröffnen. Gegenangriff starten. Die Lehrerin rettet sich durch Vertagen. Klar, dass Gertie nicht zum Gespräch geht. Soviel zur Kommunikations- und Streitkultur vor sechzig Jahren. Und heute??

Es ist doch selbstverständlich, dass sie die Stimme der Mutter kennt.

Ich weiß, was du meinst. Ich möchte aber diesen Blitzmoment des Erkennens fixieren. Das Erkennen trifft sie völlig unvorbereitet. Daher die Flucht. Ich habe kennt in erkennt geändert. Ist, glaub ich, deutlicher.

Die Variante „Lehrerin“ würde den Plot ganz neu konzipieren, ebenso der Vorschlag von Anne49, die den Vater in verfänglicher Situation auftreten lassen möchte.

Ich finde es toll, wie ihr meine Geschichte fortschreibt. Sollte wieder einmal ein Copywriting stattfinden, stelle ich sie gerne zur Verfügung :D.


Schöner Text, rund und ausgewogen. Ein bisschen Rätsel ist auch dabei, das find (d)ich gut.

Danke für das schöne Lob und
Herzliche Grüße
wieselmaus

 

Liebe Anne49,

ich habe deine Bilder angeschaut und sofort großes Fernweh bekommen nach den Nordseeinseln. Vielleicht klappt es ja nächstes Jahr.


Ich könnte mir vorstellen, dass die Geschichte für dich inzwischen so ist, wie du sie gerne haben möchtest.

Ja und nein. Ich finde deine Idee mit dem Austausch der Mutter mit dem Vater, wenn Gertie bei Wagner klingelt, ziemlich witzig, sozusagen ein Twist im Twist, aber ich glaube, das hätte erhebliche Auswirkungen auf den Plot. Nur ein Beispiel: Bei Gerties Ahnungslosigkeit hätte sie die Situation keinesfalls blitzartig erfassen können und die Flucht ergreifen. Ich hätte sie vielmehr bedröppelt stehen lassen müssen. Wahrscheinlich hätte sie angenommen, Vater habe Wagner zu einem klärenden Gespräch aufgesucht. Aber was ist dann mit dem Outfit der beiden?? Gertie begreift ja auch (noch) nicht den rosafarbenen Porzellankranz an Wagners Tür. Mit der Farbe Rosa verbindet sie kindische Mädchenfarben ...
Und was ist dann der Grund für Mutters Vernachlässigung ihrer Hausfrauenpflichten?

Diese Frau Pädagogin hat sich wohl nicht ganz im Griff ... Mir schiene da evt. ein Ausrufezeichen angemessen.

Hatte ich lange überlegt und dann beschlossen, es ist kein Ausruf, sondern mehr ein spontanes Stöhnen, weil schon wieder eine unangenehme Aufgabe auf sie zukommt. Diese Lehrerin ist keine pädagogische Leuchte. Ursprünglich sollte sie ein mütterlicher Ersatz für Gertie sein. Aber diese Rolle hatte ja der Vater besetzt.

Mit Bügeln und Staubsaugen wird sich der vergessene Einkauf wohl nicht kompensieren lassen.

Pars pro toto. Das Einkaufen war schon längst an die Tochter (überhaupt an weibliche Kinder) delegiert. Das war normal in Zeiten vor den Supermärkten. Da ging man noch zum Laden in der Nachbarschaft. Du darfst auch Mitgefühl mit der Mutter haben. Chai sieht es so, dass die Mutter sich etwas Eigenes erkämpfen möchte, sie hat ja keinen Beruf.

Koloratur im Mehrfamilienhaus - hört man das nicht über Stockwerke hinweg? Sprich: Hätte Gertie nicht schon in ihrer eigenen Etage den Gesang der Muttter erkennen müssen?

Klar hört man das durchs ganze Haus. Allerdings ist Koloratur nicht leicht zuzuordnen, vor allem, wenn da mehrere Frauen Gesangsunterricht nehmen. Und ich glaube nicht, dass die Mutter in der Familienwohnung Koloratur übt. Meine Mutter hat es jedenfalls nicht getan. Das kann nämlich schwer auf die Nerven gehen.

Keine Zweifel gibt es für mich auf den Verweis "Die Kreutzersonate". Ja, beim Musizieren kann man sich schon näherkommen ... allerdings die Mutter und der rosa Robert Wagner? C'est la question ... Und da zeigt es sich, dass die Lesers eigene Wege gehen und gehen dürfen.

Wenn man die historische Komponente weglässt, kann sich ein ganz anderer Blickwinkel ergeben. Ich wollte mal den Tag "Zeitgeschichte" haben. Wurde aber vom Webmaster abgelehnt. So müssen hat alle diesbezüglichen Hinweise im Text untergebracht werden. Für mich ist das immer eine besondere Herausforderung.

Zeitgeschichte ist der Teil der jüngeren Geschichte, in der noch Zeitzeugen leben. Als eine Zeitzeugin erzähle ich oft meine Geschichten.

Ich wünsche dir noch schönen Urlaub mit Muschelsuchen und Drachensteigen.

Herzlichst
wieselmaus

 

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