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Eine Reise

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16.06.2020
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Eine Reise

Die SMS meiner Mutter kommt nicht unerwartet und doch viel zu früh.
"Oma ist im Himmel".
Zehn Jahre hat Oma darauf gewartet. Zehn Jahre Krankheit und Schmerzen haben ein Ende. Gott sei Dank.
Ich setze mich an den Küchentisch.
"Mutti, wie geht es dir?" flüstere ich in den Hörer.Sie klingt gefaßt und genauso leise gibt sie zurück:"Du fehlst mir jetzt hier."
Tränen schießen in meine Augen.
"Ich weiß, wäre gerne bei dir."
Mein Elternhaus am anderen Ende Deutschlands ist 700 Kilometer entfernt.
Der Gedanke durchzuckt mich.Ich kenne meine Entscheidung schon, bevor ich zu Ende gedacht habe.
Im Schlafzimmer wecke ich sanft meinen noch schlafenden Mann.
"Ich fahre jetzt los!"
Schlaftrunken fragt er zurück: " Zum Einkaufen ?"
"Oma ist grad gestorben, ich fahre nach Hause:"
Jetzt hellwach, führt er mir die Sinnlosigkeit meines Vorhabens vor Augen.
"In zwei Tagen ist Weihnachten, geh doch erst mal duschen."
Gut. Das Wasser läuft mir über den Kopf. Der Verstand läuft auf Hochtouren.
Mein Herz hat sich jedoch schon längst entschieden.
Mein Mann nimmt meinen Entschluss mit großen Augen entgegen.
"Das ist eine vollkommen irrationale Entscheidung!"
"Ich weiß", entgegne ich meinem promovierten Wissenschaftergatten.
"Ich bin ja auch eine Frau!"
Er lächelt und sagt: "Wann bist du wieder da?"
"Zur Bescherung, versprochen."
Die Tasche ist schnell zusammen geworfen. Vierzig Minuten nach dem Telefonat mit Mutti sitze ich im Auto.
Der Motor summt, die Sonne scheint.Die Autobahn ist nicht zu voll, ich komme gut voran.Dortmund und Kassel ziehen vorbei.
Erster Stopp in Nordhausen. Tanken, Tasse Kaffee, Zigarette.
Eine Dame aus Holland spricht mich an , wie weit es noch bis Prag sei.Wir kommen in ein zigarettenlanges Gespräch.Ich erzähle ihr mein Vorhaben und aus welchem Grund.Die fremde Frau nimmt mich zum Abschied in den Arm und sagt mit ihrem gebrochenen Hollanddeutsch:" Du bischt so ein gutes Tochter,Glück auf all deine Wege!" Wir winken und noch einmal kurz zu und eine kleine Träne stiehlt sich aus meinem Auge.
Ich jage die Audis vor mir her und das Gefühl, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, erfüllt mich immer mehr.
Das Navi zeigt noch dreißig Minuten Fahrtzeit an, da klingelt mein Telefon. Mutti fragt, ob ich ein Festnetz in der Nähe habe und zurückrufen könne.
So ruhig wie möglich sage ich ihr, daß ich noch eine halbe Stunde bis nach Hause brauchen würde.Dann könnten wir reden.
Kurz nach dem Auflegen wird mir klar, dass ich mit keiner meiner Aussagen gelogen habe. Ich grinse wie ein Honigkuchenpferd, als ich die wenigen verbleibenden Kilometer auf der Landstraße fahre.
Endlich!Nach knapp sieben Stunden fast Nonstop rolle ich auf das elterliche Grundstück.Ich bleibe noch zwei Minuten im Auto sitzen. Ich bin zu Hause!!
Ich laufe zur Terassentür.Durch das Glas sehe ich meine Eltern stehen, traurig und müde sehen beide aus. Ich öffne die Tür leise. Zwei Köpfe drehen sich in Zeitlupe zu mir. Nach gefühlten 100 Sekunden sage ich, um irgendetwas zu sagen: "Darf ich mal bitte Ihre Toilette benutzen?"
Meine Eltern starren mich immer noch wie eine Fata Morgana an.
Mutti fängt sich als Erste:" Wo kommst du denn her?"
Nun endlich liegen wir uns in den Armen und kein Auge ist trocken.
Mutti schluchzt herzzerreißend und meint:"Nur ein paar Stunden früher und du hättest Oma nochmal gesehen!"
Erst will ich mich aufregen, schneller ging ja nun wirklich nicht.
Doch dann sehe ich die Trauer in ihren Augen , nehme sie fester in den Arm :"Oma hat sich so gewünscht, endlich gehen zu dürfen, ich bin wegen euch hier.Alles ist gut."
Wir reden bis nach Mitternacht.Alle drei genießen wir die geschenkte Zeit. Heimatgefühl stellt sich ein. Das hatte ich lange nicht mehr.
Am nächsten Morgen fahren wir zum Bestatter. Mutti überlässt mir komplett alle Entscheidungen, sie streichelt nur dauernd meine Hand.
Am Nachmittag brauche ich ein Schläfchen auf dem elterlichen Sofa. Ich bin noch wach, aber rühre mich nicht, als Vati kommt und mich liebevoll zudeckt.
Er sagt ganz leise:" Ich liebe dich, meine Große." Unfähig, mich zu rühren, sauge ich diesen Moment einfach in mich auf.
Am frühen Abend fahren wir ins Altenheim.Von Oma bleiben drei blaue Müllsäcke und ein Gebiss im Abfalleimer.Ich heule Rotz und Wasser.
Wieder sitzen wir bis tief in die Nacht.Als kostbar empfinde ich diese Stunden.
Am nächsten Morgen bin ich früh wach.
Es ist Heiligabend. Vor mir die siebenhundert Kilometer erscheinen mir jetzt endlos.
Ich verabschiede mich rasch.Im Rückspiegel sehe ich zwei winkende Menschen, die sich an den Händen halten.
Das hab ich lange nicht gesehen.
Am Horizont geht die Wintersonne auf, der Himmel ist ein riesiges Kunstwerk in orange und violett. Ich halte noch einmal anmache ein Foto des Himmels, tiefe Ruhe ergreift von mir Besitz.
Wieder ist alles gut, so wie es ist und ich fühle mich irgendwie beschützt.
Die Fahrt zurück verläuft problemlos.Ich genieße die leere Autobahn, die Straße zieht sich wie ein graues Band unter mir durch und im Radio läuft "Driving Home for Christmas ".
Ich genieße di eVorfreude, bald wieder bei meiner Familie zu sein und fühle mich reich, daß auch dort, am anderen Ende der Straße wieder jemand ist, der sich auf mich freut.
Mit nur einer kurzen Pause erreiche ich nach fünfeinhalb Stunden mein Zuhause.
Alles ist wie immer und doch ganz anders.
Krampfhaft halte ich mich wach. Endlich 18 Uhr; wir können bescheren!Zwei aufgedrehte Kinder reißen die Geschenke auf.
Mein Mann bringt mir ein Glas Rotwein und nimmt mich in den Arm.
"Schön, daß du wieder da bist, meine Fernfahrerin!"

Eine Stunde später bin ich eingeschlafen und erwache erst wieder am Abend des ersten Feiertages.
Alles erscheint mir jetzt wie ein Traum, nur dieses gute Gefühl im Herzen und die Marmeladegläser meiner Mutter sagen etwas anderes.

 

Hi @buchstabenwerke,

dein Text hat mir gut gefallen. Liest sich sehr flüssig. Du verkürzt sehr gut; obwohl eigentlich nichts Besonderes passiert, habe ich gerne weitergelesen. Es kommt viel Emotion rüber.
Muss sagen, zum Schluss hin hatte ich kurz die Erwartung, jetzt kommt vielleicht die überraschende Wendung, "das dicke Ende", das dann nicht kam. Das macht aber nichts, ganz im Gegenteil, der Schluss gefällt mir auch sehr gut.

"Mutti, wie geht es dir?"[,] flüstere ich in den Hörer.[ ]Sie klingt gefaßt und genauso leise gibt sie zurück:[ ]"Du fehlst mir jetzt hier."
Beistrich nach dem Anführungszeichen. Nach Punkt und Doppelpunkt ein Abstand. Das fällt übrigens in deinen Text auf, dass diese Abstände nach Punkt, Doppelpunkt, Frage- und Rufzeichen oft nicht passen bzw. oft auch mal vor dem Satzzeichen sind. Schaue dir den Text vielleicht noch mal diesbezüglich durch - mit der Bearbeitungsfunktion kannst du nachbessern.

Gefasst mit ss in der neuen "Schreibe" ;-)

"Oma ist grad gestorben, ich fahre nach Hause:"
Da ist ein Doppelpunkt hineingerutscht.

Endlich! [ ] Nach knapp sieben Stunden fast Nonstop rolle ich auf das elterliche Grundstück
Nonstop stimmt ja eigentlich nicht, oder? - siehe Stopp in Nordhausen.
Heimfahrt sind dann "nur" fünfeinhalb Stunden?

Am frühen Abend fahren wir ins Altenheim.Von Oma bleiben drei blaue Müllsäcke und ein Gebiss im Abfalleimer.Ich heule Rotz und Wasser.
Die Passage gefällt mir sehr gut!

Am Horizont geht die Wintersonne auf, der Himmel ist ein riesiges Kunstwerk in orange und violett. Ich halte noch einmal anmache ein Foto des Himmels, tiefe Ruhe ergreift von mir Besitz.
Starkes Bild!

Ich genieße di eVorfreude,
da ist was verrutscht

Trotz allem eine schöne Weihnachtsgeschichte - einmal ganz anders!
Gerne gelesen!

Servus, Walterbalter

 

Hi @buchstabenwerke,

dein Text hat mir gut gefallen. Liest sich sehr flüssig. Du verkürzt sehr gut; obwohl eigentlich nichts Besonderes passiert, habe ich gerne weitergelesen. Es kommt viel Emotion rüber.
Muss sagen, zum Schluss hin hatte ich kurz die Erwartung, jetzt kommt vielleicht die überraschende Wendung, "das dicke Ende", das dann nicht kam. Das macht aber nichts, ganz im Gegenteil, der Schluss gefällt mir auch sehr gut.

"Mutti, wie geht es dir?"[,] flüstere ich in den Hörer.[ ]Sie klingt gefaßt und genauso leise gibt sie zurück:[ ]"Du fehlst mir jetzt hier."
Beistrich nach dem Anführungszeichen. Nach Punkt und Doppelpunkt ein Abstand. Das fällt übrigens in deinen Text auf, dass diese Abstände nach Punkt, Doppelpunkt, Frage- und Rufzeichen oft nicht passen bzw. oft auch mal vor dem Satzzeichen sind. Schaue dir den Text vielleicht noch mal diesbezüglich durch - mit der Bearbeitungsfunktion kannst du nachbessern.

Gefasst mit ss in der neuen "Schreibe" ;-)

"Oma ist grad gestorben, ich fahre nach Hause:"
Da ist ein Doppelpunkt hineingerutscht.

Endlich! [ ] Nach knapp sieben Stunden fast Nonstop rolle ich auf das elterliche Grundstück
Nonstop stimmt ja eigentlich nicht, oder? - siehe Stopp in Nordhausen.
Heimfahrt sind dann "nur" fünfeinhalb Stunden?

Am frühen Abend fahren wir ins Altenheim.Von Oma bleiben drei blaue Müllsäcke und ein Gebiss im Abfalleimer.Ich heule Rotz und Wasser.
Die Passage gefällt mir sehr gut!

Am Horizont geht die Wintersonne auf, der Himmel ist ein riesiges Kunstwerk in orange und violett. Ich halte noch einmal anmache ein Foto des Himmels, tiefe Ruhe ergreift von mir Besitz.
Starkes Bild!

Ich genieße di eVorfreude,
da ist was verrutscht

Trotz allem eine schöne Weihnachtsgeschichte - einmal ganz anders!
Gerne gelesen!

Servus, Walterbalter

Hallo Walterbalter!
Ich bedanke mich herzlichst für den Kommentar und das ausführliche Feedback!Ich werde die Grammatik überarbeiten.
Lieben Gruss
buchstabenwerke

 

Hallo @buchstabenwerke und willkommen hier.

Mir ist das alles zu sehr heile Welt in deiner Geschichte, es gibt keinen Konflikt. Die Oma ist im Himmel, die Frau fährt nach Hause, die Eltern sind liebevoll, und zum Schluss ist alles gut. Das kommt mir fast wie ein Werbespot vor. Ich hätte es spannender gefunden, wenn es einen Bruch gegeben hätte, irgendeine Figur ausgeschert wäre und Ecken und Kanten gezeigt hätte. Der Ehemann verhält sich zwar völlig unmöglich in meinen Augen, ( ich habe weiter unten ein paar Beispiele herausgesucht), aber das scheint für die Prota normal zu sein, sie verschwendet zumindest keinen Gedanken daran. Hier könntest du ansetzen und einen Konflikt spinnen. Vielleicht denkt sie dann auf der siebenstündigen Fahrt über ihre Ehe nach, vergleicht sie mit der der Eltern und dann passiert irgendwas, das das Ganze ins Wanken bringt. Dadurch könnte die Geschichte mehr in die Tiefe gehen und auch spannender werden. Aber die Prota rauscht durch eine Welt voller Marshmallows, und das ist mir persönlich zu blumig und zu unecht auch. Die Geschichte könnte für mich höchstens als Satire funktionieren, aber so sollte sie ja nicht gemeint sein.


Mein Elternhaus am anderen Ende Deutschlands ist 700 Kilometer entfernt.
Hier würde ich konkrete Ortsnamen nennen, dann wirkt es persönlicher.

Im Schlafzimmer wecke ich sanft meinen noch schlafenden Mann.
Auch hier ist mir der "Mann" zu unpersönlich. Gib ihm doch einen Namen und zwei, drei Details ( wirres Haar, grünes T-Shirt o.ä. ) Du sagst zwar, dass er Wissenschaftler ist, aber das ist mir zu allgemein, und dass er deshalb ein völlig verkopfter Holzklotz ist, zu klischeehaft.
Die Prota hält ihn für einen guten Ehemann, aber als sie ihm erzählt, dass ihre Oma gestorben ist und sie deshalb sofort zu ihren Eltern möchte, sagt er:
In zwei Tagen ist Weihnachten, geh doch erst mal duschen."
Und sie:
Gut. Das Wasser läuft mir über den Kopf.
Mir bleibt die Spucke weg. Der Typ zeigt null Mitgefühl, erklärt sie für irrational, weil sie ihrer Mutter nach dem Tod der Oma beistehen will, schickt sie unter die Dusche, und sie macht das auch noch. Komische Leute ... An der Stelle dachte ich, du greifst das später nochmal auf, aber das ist offenbar der normale Umgang zwischen den beiden.

Das ist eine vollkommen irrationale Entscheidung!"
"Ich weiß", entgegne ich meinem promovierten Wissenschaftergatten.
"Ich bin ja auch eine Frau!"
Er lächelt und sagt: "Wann bist du wieder da?"
"Zur Bescherung, versprochen."
Auch hier. Gut, er soll verkopft sein, aber er geht völlig über den Tod der Oma hinweg. Es klingt, als würde er seine Frau maßregeln, und ich würde gerne mehr über dieses Verhältnis erfahren. Was brodelt da unter der Oberfläche? Aber da brodelt nichts. Sie macht sich dann erstmal auf zu Mama und Papa.

Ich genieße di eVorfreude, bald wieder bei meiner Familie zu sein und fühle mich reich, daß auch dort, am anderen Ende der Straße wieder jemand ist, der sich auf mich freut.
Und dann wieder zurück.

"Schön, daß du wieder da bist, meine Fernfahrerin!"
Ja, da soll er liebevoll sein, aber er tut so, als wäre sie einfach mal so weggefahren, ohne Grund. Das wäre tatsächlich eine irrationale Entscheidung gewesen, wenn sie ihn einfach aus dem Schlaf gerissen und zwei Tage vor Weihnachten irgendwo ins Blaue gefahren wäre. Aber es gab einen Trauerfall, den er völlig zu ignorieren scheint.

Liebe/r buchstabenwerke, schreiben kannst du, ich habe die Bilder deutlich vor mir gesehen. Aber die Handlung müsste für mich etwas abwechslungsreicher sein.

Viele Grüße,
Chai

 

Liebe/r Chai, ich danke dir für deinen Kommentar! Mehr als du denkst, konnte ich für mich aus deinen Worten ziehen. Wieviel Zwischeninformation man rauslesen kann , war mir nicht klar und das war sehr hilfreich. Stoff für die nächste Geschichte. ?
Also nochmal ein aufrichtiges Danke.
Grüße, buchstabenwerke

 

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