Eine Spinne am Morgen
Die Schlafstarre hat wieder über den Traum hinaus in die Wachphase angedauert. Wie ich diesen Zustand doch hasse. Normalerweise dauert die Paralyse nicht länger als zwei Minuten, also immer mit der Ruhe. Unwillkürlich haben sich meine Augenlieder geöffnet. Werde ich wieder diese schrecklichen Halluzinationen haben? Geduld, die Starre löst sich bestimmt bald, denk an etwas angenehmes, etwas Schönes.
Was war das eben? Hat sich etwa dieser dunkle Fleck an der Zimmerdecke bewegt? Ich kann kaum was erkennen, das spärliche Licht der Straßenlaterne, welches durch den Rollladen dringt, ist keine große Hilfe. Ich korrigiere, der Fleck bewegt sich noch, nun ist er genau auf der Höhe meines Kopfes. Bestimmt nur wieder eine in diesem Zustand üblichen Halluzinationen, was könnte schon über meine Zimmerdecke kriechen? Meine Räumlichkeiten sind frei von jegwelchem Ungeziefer, darauf lege ich großen Wert. Ich hasse Ungeziefer, ganz besonders diese fetten schwarzen ekligen Spinnen, welche sich nur allzu gern im Keller einnisten. Gerade Gestern erst habe ich einem besonders ekligen Exemplar mit einer vollen Breitseite Gift aus der Spraydose den gar ausgemacht. Schon alleine der Gedanke an das Mistviech lässt mich erschaudern – wenn ich erschaudern könnte. Stattdessen liege ich immer noch paralysiert im Bett und starre an die Decke.
Hah, denk an etwas schönes, guter Spruch. Jetzt bekomme ich das Bild dieser Spinne nicht mehr aus dem Kopf. Wie sie sich im Todeskampf gekrümmt und in einem letzten Akt des Aufbäumens unter die alte Kommode im Flur geflüchtet hat. Ich muss nachher unbedingt unter dem Möbel sauber machen.
Wie viel Zeit mag vergangen sein, noch keine zwei Minuten? Ich kann mich noch immer nicht bewegen. Nicht Nervös werden, die Starre hat sich bis jetzt jedes Mal von selbst wieder gelöst.
Es scheint ja nicht zu reichen, dass ich Bluter bin, nein, ich bin außerdem noch einer der seltenen Exemplare von Mensch, welcher an Schlafparalyse leidet. Manchmal hasse ich mein Leben. Der Schnitt gestern beim Rasieren war lästig, die Blutung kaum zu stillen. Ich kam deswegen zu spät ins Büro. Mein Chef war eh schon schlecht gelaunt und meine Verspätung tat ihr übriges. Und wenn sich diese Starre nicht bald löst, werde ich Heute wieder zu Spät kommen. Die längste Starre hielt ganze 20 Minuten an, aber das war nur ein einziges mal, alle anderen Paralysen waren nach zwei, drei Minuten wieder vorbei. Bei meinem Glück jedoch werde ich Heute bestimmt einen neuen Rekord aufstellen.
Wenigstens der Fleck an der Decke ist weg. Na also.
Nein, Moment, er ist nicht weg, er ist größer geworden? Wie seltsam. Was zum…er ist nicht größer geworden, er kommt Näher!
Eine Spinne, eine fette schwarze Spinne seilt sich genau über meinem Gesicht ab. Konzentrier dich, versuch die Starre aufzuheben. Beweg dich verdammt. Ich sehe sie nicht mehr, ist sie weg? Uaaaaahhhh…das scheiss Vieh hat auf meinem Hals aufgesetzt, ich spüre die behaarten Beine auf meiner Haut, kusch, geh weg, hau ab, ich hasse dich!
Meine Zehen, ich kann meine Zehen wieder bewegen.
Oh Gott, die Spinne krabbelt meinen Hals hoch, noch höher, über meinen Mund direkt auf meine Nase. Sie starrt mich an, ich spüre es.
Ein leichtes kribbeln durchfährt meinen Körper, die Paralyse löst sich. Na warte, dich schlag ich zu Brei sobald ich meine Arme wieder bewegen kann. Gleich bist du fällig, ja, jetzt: "Haaaaah!"
Ich hab sie erwischt, mit voller Wucht, du wirst mir keine nächtlichen Besuche mehr abstatten. Meine Nase schmerzt, mein Herz klopft wie Wild. Beruhig dich erstmal.
Igitt, ihr Blut klebt an meinen Händen, ich glaub mir wird schlecht. Schnell ins Bad, ich muss mir das Gesicht waschen. Ich habe das Gefühl, ich schmecke ihr Blut in meinem Mund.
Meine Nase tropft, was…überall Blut, meine Nase blutet! Ich muss die Blutung stoppen, ich…mir…nein, mir wird schwarz vor den Augen…ich darf jetzt nicht…