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Eine Vanessa-Geschichte
„Vanessa“, sagt er.
Vanessa. Immer Vanessa.
„Was war mit Vanessa?“
Vanessa?, frage ich.
„Vanessa.“
Ich frage ihn, ob er wisse, wie lächerlich das klinge. Wenn er immer wieder diesen einen Namen sage: Vanessa, Vanessa, Vanessa.
„Vanessa“, sagt er. „Was war noch gleich mit Vanessa?“
Ich weise ihn daraufhin, dass ich ihm mehrfach von Vanessa erzählt hätte. Mehrfach und vielfach und viel zu oft.
„Noch einmal“, sagt er. „Erzähl mir von ihr.“
Von Vanessa?, frage ich.
„Von Vanessa“, sagt er.
Da gäbe es nichts zu erzählen, sage ich.
„So“, sagt er. „Du willst also nicht.“
Von Wollen, sage ich, könne hier keine Rede sein. Ich erinnerte mich an keine Vanessa. Niemals hätte jemals eine so geheißen. Den Namen, sage ich, hätte er wohl soeben erfunden, nur um mich vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen. Eine nie verwendete Buchstabenkombination, sage ich. Dieses V und dann der Rest! Nicht einmal das Chinesische kenne sie, da sei ich mir sehr sicher.
„Vanessa“, sagt er.
Vanessa, sage ich.
„Sie war blond“, sagt er.
War?, frage ich.
„Erwischt.“
Ich frage ihn, ob er etwas wisse. Etwas Neues.
Und er grinst, wie nur er grinsen kann und sagt: „Nichts Neues, nur Altes.“
Ich nicke.
„Erzähl von ihr. Erzähl mir von Vanessa.“
Ich frage ihn, ob es etwas änderte. Ob das eine Art Buße sei oder ein Rätsel. Ob es erst zu Ende sei, wenn ich begriff.
„Es gibt nichts zu begreifen. Zum Begreifen musst du eine Etage höher.“
Also Vanessa, sage ich.
„Ja“, sagt er. „Vanessa.“
War das, frage ich, war das der Knackpunkt in meinem Leben? Diese Frau. Stand ich damals vor einem Aufzug und hatte die Wahl nach unten zu fahren oder nach oben, zum Begreifen. Und habe ich damals, frage ich, habe ich den falschen Knopf gedrückt?
„Antworten oben, Fragen hier“, sagt er. „Also: Was war noch gleich mit Vanessa?“
Nichts, sage ich. Gar nichts. Hätte mir nichts bedeutet. Bis eben vergessen. Nie mehr an sie gedacht. Seit Jahren nicht mehr. Eigentlich nie. Nicht mal damals.
„Tja“, sagt er und knatscht mit dem Mund, als würde er mit ihm ein Stück Fleisch nach Knorpeln durchsuchen. Dann schweigt er. Schweigt eine halbe Ewigkeit und dann noch weiter. Schaut mich nur an aus diesen Augen.
Ich sage, dass ich ihm nichts von Vanessa erzählen könne. Hätte alles vergessen.
„Erzähl mir von ihr“, sagt er.
Von wem?, frage ich.
„Von Vanessa.“
Da gäbe es nichts zu erzählen, sage ich.
„Gut“, sagt er. „Erzähl mir von ihr.“