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Einfach raus

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20.10.2002
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Einfach raus

Raus, ich muss raus!
Einfach nur raus, an die Luft, ins Kalte, alleine sein, weg von alldem, ich ersticke!
Mantel, Stiefel, nur schnell, schnell, werfe die Tür hinter mir zu, renne die Stiege hinunter, raus!

Bin ganz außer Atem, laufe noch ein paar Schritte, streiche mir die Strähnen aus dem Gesicht, atme tief durch.
Endlich draußen.
Laufe weiter, bis ich ruhiger werde, langsamer.

Meine Gedanken beruhigen sich, mit jedem Schritt ein Stück mehr. Abschalten, frei werden. Die Luft, frisch und schneidend kalt, der scharfe Wind, der den lockeren Schnee durch die Straßen treibt. Dazu die Sonne, gleißend malt sie Muster auf die Wege, zartrosa bis in stechend kaltes Blau.

Ich gehe die Allee entlang, der Raureif hat sich eng wie ein Mantel über die schwarzen Zweige der Pappeln gelegt, die kleinen Kristalle funkeln hell im Licht. Ein wunderschönes Bild. Manche der Äste sind gebrochen, abgestorben. Unter den Stiefeln knirscht der Schnee, zersplittert unter meinem Gewicht.
Einsam bin ich hier, kein Mensch, kein Lebewesen ist in meiner Nähe, keine Geräusche außer dem Zerren des Windes, dem Knirschen des Schnees, meinem Atem.

Ich gehe weiter, weiter von den Häusern weg, von den Menschen und ihrer Hektik, dem Streit, den lauten Worten, einfach weiter.
Der Wind frisst sich eisig in mein Gesicht, meine Lungen schmerzen von der kalten Luft, ich genieße die Stille.

Endlich Ruhe.

Weiter, zu dem kleinen See, der sich vor dem beißenden Wind still in seine Mulde duckt. Das Schilfrohr am Ufer ist geborsten, von der Kälte der Nacht gesprengt. Eine dicke Eisschicht bedeckt das Wasser. Die Sonne sinkt tiefer, lässt die Schatten lebendig werden.

Ich muss an den Sommer denken, wenn Enten und Schwäne hier ihr Revier haben und das Wasser warm ist.

Im Schnee, am Ufer des Sees, Tierspuren. Ich bücke mich. Kleine Pfötchen, kaum zu erkennen, haben sich hier eingegraben (von welchem Tier mögen sie wohl sein?), aber auch ein paar größere, deutliche Spuren, die Krallen von Vögeln. Wo sind sie jetzt, die Vögel? Ich blicke zum Himmel, das Blau verdunkelt sich schon. Der Mond, kahl und blass, hat sich erhoben, obwohl die letzten Strahlen der Sonne noch lange Schatten auf Eis und Schnee zeichnen.

Es sind keine Vögel mehr da.

Ich kehre um. Kälte hat das Gefühl meiner Hände, des Gesichts getötet. Die Sonne flieht, unzählige Sterne am Firmament über mir werden sichtbar, so klar der Himmel.

Als ich in der Finsternis leise die Wohnungstüre aufschließe, steht Chris schon im Flur. Seine Augen blicken mich an. Er kommt auf mich zu, nimmt mich in den Arm, wortlos.

Ich lehne mich an seine Schulter. Lange stehen wir so, im Halbdunkel der schwachen Lampe. Wärme durchströmt meinen Körper. Nach Minuten des Schweigens löse ich mich aus der Umarmung. Ich sehe sein Gesicht vor mir, suche seinen Blick.

'Es tut mir leid', sagen seine Augen.

„Mir auch“, flüstere ich zurück.

 
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Hi Maus!

Nette Geschichte, kurz und prägnat, sehr intensiv. Grundsätzlich komme ich nicht so gut klar wenn Stories im Präsens geschrieben werden, aber hier geht's wohl gar nicht anders und es passt.
Die Sprache ist mal gehetzt, mal ruhig, je nach Stimmung der Protagonistin.
Ein bisschen mehr noch hätte man die friedvolle Stille in der Natur ausbauen können finde ich, aber ansonsten ist es okay.
Ám besten gefiel mir, dass man erst am Ende erfährt warum sie überhaupt "raus" musste; zwar keine Pointe im eigentlichen Sinne, aber dadurch baut sich irgendwie eine kleine Spannung auf, die dadurch letzendlich gelöst wird.
Die letzte wörtliche Rede würde ich unbedingt noch einen Absatz tiefer setzen, beides zusammen in einer Zeile kommt nicht gut.

Gruß, Ginny

 

Hi Maus,

Deine Geschichte habe ich gerne gelesen. Sie ist nicht spektakulär, Du beschreibst eine im wahrsten Sinne des Wortes alltägliche Situation, die wohl jede(r) von uns kennt. Das Ende (ich vermutete die ganze Zeit einen Streit mit dem Partner oder den Kindern)ist nicht der riesige Knalleffekt, aber muß das immer sein?

Was mir wirklich sehr gefallen hat, ist Deine Beschreibung der winterlichen Landschaft, die glitzernden Pappeln, der See,das Schilf... All das beschreibst Du sehr gut. Man sieht es vor sich, riecht den Schnee und spürt den kalten Wind auf den Wangen. Das ist wirklich gelungen!

Ein Fehler ist mir aufgefallen:
"von welchen Tier" welchem!

Liebe Grüße
Barbara

 

Hallo Ginny, Hallo Barbara!

Danke für Eure Antworte, es freut mich, wenn Euch der Text gefallen hat.
"von welchen Tier" - Danke, klar.
Mit dem Absatz hast Du recht, Ginny, mach ich. Es hatmich gerfeut, dass Du den Zusemmenhang von Sprache und Gemütslage der Prot. erkannt hast...
Wenn ich in den nächsten Tagen ein wenig Ruhe und Muße für diese Geschichte finde, werde ich die ruhigen Szenen auch noch ausbauen... mal sehn!

Liebe Grüße an Euch beide, Anne

 

Servus Maus!

Du könntest aber auch alles so stehen lassen wie es ist - denn genau da passt es. Der Ärger, die Wut, das Traurigsein, abgeschüttelt durch das Laufen, das Bewegen. Die Einkehr in die eigene Mitte, die Ruhe des Seins und das Erkennen von all dem Wunderschönen rundum. Und dann kommst du heim und er nimmt dich in die Arme...
So allein wie bei dem Ende deiner Geschichte hab ich mich schon lang nicht mehr gefühlt.

Das ist ein großes Kompliment - Bussi Eva

 

Hallo Maus,

die Sprache steht im Vordergrunde. Anfangs ist alles sehr schnell. Dann wird es langsamer. Es ist dir sehr gelungen. Es kann einem davon schwindelig werden. Ich überlege die ganze Zeit, wo ich diesen Stil schon mal gelesen habe und ich komme nicht darauf. Hast du eine Geschichte geschrieben, in der jemand im Eis einbricht.
Ich glaube, dass mir dort der Stil schon einmal aufgefallen ist. Ein eigenartig guter Stil, den du gewählt hast.

Bin Begeistert

Lukasch

 

Liebe Schneeeule...

Danke Dir für Deine Gedanken. Ich freue mich, dass Du es genau so verstehst, wie ich es gemeint habe... wenn ich auch das Gefühl von Alleinsein bei Dir nicht auslösen wollte, liebe Eva...


Hallo Lukasch!

Danke für das Lob, hey, das freut mich, wenn DIr diese Art zu schreiben gefällt, dieser Stil. Ja, alles baut auf die Sprache, der Inhalt wird zur Nebensache. Du hast recht... noch eine Wintergeschichte von mir ist das, wird wohl ZEit für den Frühling ;). Die "Krähen", ja, die Stimmung ist ein bisschen ähnlich...

Viele Grüße an Ecuh beide... Anne

 

Hallo Sylvia!

Danke für Deine liebe Antwort, sie freut mich...:)
Ja, das mit dem ändern, ausbauen. Du hast recht, meistens, grad bei so Stimmungssachen, ist das schwierig, damit es passt. Aber vielleicht....:)

liebe Grüße aus München, Anne

 

Hallo Maus, da bin ich. Schön dich zu sehen. Hab mal in den Storytopf gegriffen.
Toller Stil gewählt, wie du die Verhaltenssequenz beschreibst. Der Stil gefällt mir sehr, haha...erinnert mich auch ein wenig an mich! (Grosskotz! Ich)
Erinnert an Traum und...
Du hast völlig Recht. Der Inhalt ist zur Nebensache geworden, die Geschichte glänzt durch gewähltes Stilmittel...aber am Ende wird dann klar, was da los war... auch gut.

Liebe Grüsse Stefan

 

Hallo Arche!

Ausgerechnet diese hier hast Du gewähl. Es freut mich, wenn sie Dir gefiehl... der Stil, ähnlich wie Deiner? Hilfe, das war Zufall :p
Nee, freut mich.

schöne Grüße, Anne

 

Bericht von der Buddelfront: hat mir gefallen. Sehr sogar. Besondere Vorkommnisse: Vielleicht setzt Du die erste "Rede" in einfache Anführungszeichen, ist doch ein auffälliges Detail, das ich beim ersten, schnellen Lesen einfach übersehen hatte.

 

hallo cbrucher - vielen Dank fürs Lesen. Freut mich, wenns Dir gefallen hat. Die Rede ist geändert. :)

lg
Anne

 

Hm,
der Anfang war für mich vielversprechend, aber ich bin mit dem abrupten Tempowechsel und der folgenden Naturbeschreibung, die im Vergleich zu der anfänglichen Hektik irgendwann langweilig wirkt, nicht ganz klar gekommen. Der Schluss kam dann so schnell, wie die Geschichte angefangen hat. Hmja, und das war´s dann?
Sie läßt mich irgendwie unbefriedigt zurück, die Geschichte, kannst bestimmt noch mehr daraus machen.

 

hi Kritiker!

Danke für die Rückmeldung.

Sie läßt mich irgendwie unbefriedigt zurück, die Geschichte, kannst bestimmt noch mehr daraus machen
ich würde die Geschichte heute SO sicher nicht mehr schreiben (sie ist ja schon über eineinhalb Jahre alt), sondern einen ganz anderen Ansatzpunkt wählen. Du hast Recht, sie ist mager - was Charakterisierung und Handlung betrifft. Was ich vermitteln wollte, war Stimmung. Heute würde ich keine reine Stimmungsgeschichte mehr schreiben. Von daher werde ich mich allerdings auch nciht mehr dransetzen - jetzt würde eine komplett andere Story draus.
Danke dennoch.

schöne Grüße
Anne

 

Hi Maus, :)

da ich die Geschichte jetzt auch gelesen habe, kann ich gleich auch was dazu schreiben, finde ich.

Was mir beim Lesen irgendwie sofort auffiel, waren die zahlreichen Gegensätze, derer Du Dich bedient hast. In den Kritiken ist aber niemand darauf eingegangen und auch Du in Deinen Kommentaren nicht. Deswegen frage ich mich jetzt, ob Du damit einen bestimmten Zweck verfolgt hattest.

Als Beispiel nehme ich mal eine Passage:

Ich gehe die Allee entlang, der Raureif hat sich eng wie ein Mantel über die schwarzen Zweige der Pappeln gelegt, die kleinen Kristalle funkeln hell im Licht. Ein wunderschönes Bild. Manche der Äste sind gebrochen, abgestorben. Unter den Stiefeln knirscht der Schnee, zersplittert unter meinem Gewicht.
Raureif ist ja eine sehr dünne Schicht, also etwas ganz Leichtes, hier jedoch mit einem engen Mantel verglichen, der ja eher schwer und - genau! - einengend wirkt.
Die hell funkelnden Kristalle gegenüber den schwarzen Zweigen.
Das wunderschöne Bild - die gebrochenen und abgestorbenen Zweige.
knirschender Schnee (Idylle) - zersplittert (Zerstörung)

Und so geht es weiter, lauter Gegensätze. Mein Erklärungsansatz wäre, dass Du zwischenmenschliche Beziehungen (denn es geht ja im Grunde um den Streit zwischen Chris und der Prot, der die hier beschriebene Stimmung der Prot auslöst) verdeutlichen möchtest. Höhen und Tiefen, Schönes und Schmerzvolles. Und obwohl der Streit ja so heftig war, dass die Prot weggelaufen ist und erstmal alles hinter sich lassen möchte, steht am Ende die Versöhnung. Wieder ein Gegensatz, der sich vielleicht schon zuvor in der Naturbeschreibung angedeutet hat.

Wenn ich jetzt aber zuviel hinein interpretiere: sorry! :shy:

 

Hallo Maus,

eine schöne Stimmungsgeschichte hast du geschrieben, doch sie vermittelt nicht nur die Gefühlslage der Protagonistin, sondern zeigt auch, wie wichtig die Bereitschaft zur Versöhnung sein kann. Der Mann ist zwar nicht weggelaufen, doch ist er von der Frau auch (und nicht nur räumlich) getrennt gewesen.

„Ich muss an den Sommer denken, wenn Enten und Schwäne hier ihr Revier haben und das Wasser warm ist.“

Dies sehe ich als Hinweis auf angenehme Zeiten (auf das Zusammensein mit dem Mann übertragbar),

„Es sind keine Vögel mehr da“

steht für das Bewusstwerden der Einsamkeit, die Frau kehrt um.


Eine schlichte, aber deshalb nicht schlechte Geschichte.

L G,

tschüß... Woltochinon

 

Oh, Woltochinon, da hast Du aber was altes ausgegraben! :)

Ich freu mich, dass Dir dieses kurze Bild gefallen hat. Die Übertragung der Natur auf die Beziehung war mir während des Schreibens selbst kaum bewußt, aber sie passt wirklich gut.

liebe Grüße
Anne

 

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