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Einladung zum Frieden
„Ja, doch, die Idee ist nicht ohne“, sagte Peter Petzold und legte die schmale Mappe wieder auf den Tisch. Er begleitete sie mit seinen Augen, und obwohl er wußte, daß sein Gegenüber ihn beobachtete, widerstand er der Versuchung, seinen Blick zu heben. Er konnte jetzt nicht in diese wasserblauen Augen schauen, die ihm schon bei der Begrüßung unangenehm auffielen. Und jetzt, nachdem er das kurze Exposé gelesen hatte, schauderte es ihn regelrecht ob des Gedanken, mit diesem Herrn Burger, dem Geschäftsführer der aufstrebenden Firma PB-Generation GmbH, vielleicht gemeinsame Sache machen zu müssen.
„Aber?“
Peter blickte kurz zum Fragenden, doch in der gleichen Sekunde schaute er schon an ihm vorbei und zum Fenster hinaus, wo sich der Winter den letzten Kampf mit dem Frühling lieferte. Er wußte, daß er jetzt antworten mußte, doch lieber schaute er noch eine Zeitlang den Schneeflocken hinterher, die, vom Wind getrieben, fast waagerecht am Fenster vorbeiflogen.
„Sie sagen es, Herr Burger, da ist ein großes Aber.“
„Welches?“
„Die Finanzierung, Herr Burger. Und damit zusammenhängend: Die Geheimhaltung. Ich meine, wer will schon fünf und mehr Generationen warten? Das sind nach Adam Riese locker einhundert Jahre, und solange wird niemand warten, bis er für sein Geld Zinsen bekommt, geschweige denn, um den Einsatz wieder zu bekommen!“
„Deswegen habe ich mich zuerst an Sie gewandt und nicht an die Banken“, entgegnete der blonde, smarte Mann mit einem sanften Bariton, der gar nicht zu seinen kalten Augen und seiner schlanken Statur paßte. „Denn wer, außer dem Staat, kann schon in so langen Zeiträumen denken? Außerdem bin ich Deutscher und Patriot. Ich will, daß es uns gut geht. In erster Linie, jedenfalls.“
„Da haben Sie vollkommen richtig gehandelt, Herr Burger, und ich weiß Ihre Haltung auch zu schätzen. Nur …“, an dieser Stelle zögerte Peter ein bißchen, denn daß sein Gegenüber aus patriotischen Gefühlen handeln könnte, überraschte ihn schon. Bisher hatte er ihn nur für einen Geschäftsmann gehalten, der aus einer Idee das Bestmögliche für sich herausschlagen will, nun aber galt es, einen Idealisten zu überzeugen, daß nicht alles, was möglich erscheint, auch gemacht werden muß. “… nur gibt es da ein Problem, an das Sie möglicherweise nicht gedacht haben. Ich habe es vorhin schon kurz erwähnt: Es ist die Geheimhaltung.“
„Verstehe ich nicht. Es muß dem Verteidigungsministerium doch möglich sein, das …“
„Dem Ministerium schon, Herr Burger. Aber da gibt es andere, die uns kontrollieren und wissen wollen, wofür wir das Geld ausgeben, verstehen Sie?“
„Sie meinen den Verteidigungsausschuß des Parlaments?“
„Ja, zum Beispiel. Und das Dumme dabei ist, daß der in jeder Legislaturperiode neu zusammengesetzt wird und wir nicht immer dafür sorgen können, daß da die richtigen Leute reinkommen.“
„Aber der Minister hat gesagt …“
„Vergessen Sie bitte den Minister, er ist spätestens nach drei Jahren wieder weg! Und dann? Wer kommt dann? Wissen Sie, warum ich heute zu Ihnen gekommen bin und nicht irgendein Staatsekretär?“
„Keine Ahnung.“
„Weil ich Beamter bin, Herr Burger. Minister und Staatssekretäre kommen und gehen, Beamte aber bleiben. Als ich ihren Brief auf den Tisch bekam, habe mir gleich gedacht, daß das etwas für mich ist. Denn wir, niemand sonst, repräsentieren den Staat, wir sind die Kontinuität, nur mit uns kann man langfristig planen beziehungsweise Geschäfte machen.“
„So gesehen, haben Sie natürlich Recht.“
„Wissen Sie, die Demokratien sind für Projekte von langer Dauer einfach nicht geeignet. Diese Leute wollen ja wiedergewählt werden und müssen alle vier Jahre Ergebnisse vorzeigen. Okay, das geht vielleicht bei so großkotzigen Projekten wie Erforschung des Weltalls, wo sie die Bevölkerung mit Nichts begeistern können, aber bei so einem Projekt, wie dem Ihren, darf kein Sterbenswörtchen an die Öffentlichkeit dringen, schon wegen der Konkurrenz anderer Staaten nicht.“
„Verstehe“, sagte Burger leise, beinahe emotionslos. „Sie halten das Projekt also für undurchführbar?“
„Ja, Herr Burger, unter gegenwärtigen Bedingungen ist es nicht daran zu denken, ein Projekt von solcher Dimension in Angriff zu nehmen und durchzuführen. Allerdings, wenn sich die Verhältnisse änderten, dann …“
„Was meinen Sie damit? Eine andere Regierungsform?“
„Ja. Sehen Sie, ethisch problematische Projekte können eigentlich nur in Diktaturen durchgeführt werden: Einer ordnet es an und es wird gemacht, basta, da gibt es keine Fragen. Und wenn doch, dann wird derjenige einfach einen Kopf kürzer gemacht. Allerdings hat auch das einen Haken: Diktaturen sind meistens recht kurzlebig und daher für ein Projekt dieses Ausmaßes letztlich nicht geeignet.“
„Also doch nicht durchführbar.“
Peter antwortete nicht sofort. Wie in Gedanken versunken stand er auf und ging zum Fenster. Der Himmel war immer noch bedeckt, doch es hatte aufgehört zu schneien. Die Bäume und der Rasen waren weiß von Schnee, die Wege schienen jedoch frei davon. Er dachte an seinen Garten zu Hause, an das Aprikosenbäumchen, das er im Herbst gepflanzt hatte und das bereits vor ein paar Tagen zu blühen begann. Wird es dieser Kälte widerstehen?
„Das will ich nicht sagen, Herr Burger“, sagte er schließlich. Er drehte sich um und betrachtete kurz den jungen Mann, der ihn sorgen- und gleichzeitig hoffnungsvoll ansah.
„Sehen Sie, Herr Burger, man könnte die Sache auch anders betrachten, ich meine, Mal über den Zaun schauen und etwas globaler denken, oder?“
„Globaler? Denken Sie etwa an ein Großkonzern, an einen der sogenannten Globalplayer?“
„Großkonzern nein, Globalplayer ja.“
„Verstehe ich nicht.“
„Großkonzerne sind wie Staaten. Sie müssen den Geldeinsatz vor Aktionären rechtfertigen und können zudem die Geheimhaltung nicht garantieren. Der Zeitraum, um den es hier geht, ist einfach zu groß - irgendwann plaudert irgendeiner. Nein, was ich meine, sind Institutionen, die diktatorisch organisiert sind. Und da kommt eigentlich nur eine Institution in Frage: die katholische Kirche.“
„Die kath … die katholische Kirche?!“, die Stimme klang diesmal deutlich höher, doch Herr Burger faßte sich bald wieder und setzte mit normaler Stimme fort. „Okay, vielleicht haben Sie Recht, aber ich glaube nicht, daß die bei so einem Projekt mitmachte. Das würde ihre Ethik ja total über den Haufen werfen.“
„Sie denken zu sehr in eine Richtung, Herr Burger.“
„In eine Richtung? … Ach, ich verstehe: Die würden nicht die Aggression haben wollen, sondern die Friedfertigkeit.“
„Genau.“
„Aber das würde ja noch länger dauern, Herr Petzold. Sie müssen ja bedenken, daß die Friedfertigen in sehr viel größerer Zahl produziert werden müßten, um überhaupt einen Effekt zu haben.“
„Das macht nichts - die Kirche kann warten: Für sie sind hundert Jahre wie für Sie zehn, und tausend wie für einen Staat hundert.“
„Trotzdem. Da gibt es unüberbrückbare ethische Probleme. Ich meine, die sind doch absolut gegen jegliche Art der Gentechnik, um von der gezielten Züchtung eines Menschen ganz zu schweigen.“
„Und wenn es für einen guten Zweck wäre?“
Jetzt schien der smarte, adrett in einen dunkelblauen Anzug gekleidete Herr Burger zum ersten Mal ein wenig ratlos, jetzt war er derjenige, der aufmerksam seine Fingernägel betrachtete. Er schien, wie vorher Peter in den Schneeflocken, darin eine Antwort zu suchen, und für einen Augenblick glaubte Peter, der Blonde würde sich vergessen und an Nägeln zu kauen anfangen, so nah kam seine Hand dem Gesicht.
„Ja“, sagte er schließlich, „Sie haben Recht, Herr Petzold. Die könnten wirklich versucht sein, ihre Prinzipien über Bord zu werfen: Um des Weltfriedens Willen.“
„Sie sagen es.“
„Faszinierender Gedanke, nicht eine Armee aus wütigen und keinen Schmerz kennenden Soldaten zu züchten, sondern nur friedliche Menschen, die allein durch ihre Präsenz jede Aggression schon im Keim ersticken würden.“
„Eben. Man könnte diese Menschen gar nicht mehr gegeneinander aufhetzen. Das wäre das Ende aller Kriege.“
Beide Männer lächelten nun leise vor sich hin, nur ab und zu sagte einer etwas, worauf sich aber keine Diskussion entwickelte, sondern höchstens dazu führte, sich Notizen zu machen. Doch dann, als Herr Burger sich lächelnd wieder etwas notierte, wurde er plötzlich ernst.
„Herr Petzold, da gibt es ein Problem: Die Kirche hat keine Soldaten.“
„Natürlich nicht. Aber die brauchen wir jetzt auch nicht mehr.“
„Und wie wollen Sie dann die Zuchtauswahl betreiben? Unsere Planung sah ja vor, daß die Kompaniechefs uns die besten Soldaten und Soldatinnen jeden Jahrgangs meldeten. Nur wer überproportional stark, aggressiv, ausdauernd, etcetera gewesen wäre, würde zur Zeugung zugelassen werden, natürlich ohne daß er es wüßte. Danach würden ihre Kinder und Kindeskinder demselben Verfahren unterzogen, bis wir die brutalste und keine Angst kennende Armee hätten, die …“
„Bitte, Herr Burger, keine Details - ich kenne ihre Planung.“
„Aber die Detailfragen sind immer die …“
„… die schwierigsten, ich weiß.“
Peter lächelte. Er war gläubiger Katholik, und in dem Moment als er die katholische Kirche ins Spiel brachte, wußte er schon, daß der Plan aufgehen würde.
„Sehe Sie, die Kirche hat zwar keine Soldaten im herkömmlichen Sinn, aber sie hat Tausende und Abertausende von Mönchen und Nonnen, um nicht zu reden von den Millionen treu ergebenen Anhängern auf der ganze Welt, die jedes Wort des Papstes für göttliche Offenbarung halten. Sie alle warten nur auf ein Wort von ihm, und wenn dieses Wort in hundert oder zweihundert Jahren den wahren, ewigen Frieden auf Erden verspräche, sie alle würden ihm folgen, auf dieses eine Wort würden sie ihm folgen, bedenkenlos und begeistert, ach, was für eine Zukunft, Herr Burger, endlich keine Kriege mehr, endlich Frieden auf Erden, der Papst müßte ein Dummkopf sein, um so einem Plan nicht zuzustimmen – ich bin sicher, Sie, Herr Burger, würden noch zu Lebzeiten heilig gesprochen werden.“
Herr Burger war sprachlos. Nicht wegen der Aussicht, demnächst in den Heiligenstand erhoben zu werden, sondern ob der Begeisterungsfähigkeit des in seinen Augen etwas biederen Apparatschiks. Obwohl gerade in dem Augenblick die Sonne die dicken Wolken durchbrach und wie eine göttliche Bestätigung des Gesagten den Raum ins helle Licht tauchte, glaubte er nicht, daß diese Vision je Wirklichkeit werden könnte. Nie, nie würde sich die katholische Kirche ihrer Macht, die Menschen in permanenter Angst um ihre Zukunft zu halten, selbst berauben. Er war ja selbst ein Machtmensch, hatte praktisch aus Nichts eine Firma auf- bzw. wieder aufgebaut. Sein Vater war ein armer Hundezüchter, dem nach und nach durch die Gesetzgebung die Geschäftsgrundlage entzogen wurde. Aus der Konkursmasse rettete er, der Sohn, nur die Idee und den Namen der Firma, den er nur notdürftig hinter dem Kürzel PB versteckte: Pit Bull Generation.