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Eishotel
Der Bus fraß sich durch die Dunkelheit, wurde langsamer, die Schneefahne draußen vor den Fenstern fiel in sich zusammen. Frank erahnte mehrere riesige Satellitenschüsseln, eine ungewohnte Abwechslung zur Eintönigkeit der Landschaft. Institut für Raumforschung, wie kann man so etwas an einen derartig gottverlassenen Ort bauen? Er sah hinüber zu Viola, sie wirkte müde. Er berührte ihre Hand und bemühte sich darum, zärtlich zu klingen:
"Wir sind bald da. Es kann nicht mehr weit sein."
Frank wandte sich ab, tippte mit den Fingerspitzen an die Scheibe. Wie kalt war es wohl dort draußen? Minus 25 Grad? Die ewige Dunkelheit und in ihrem Gefolge die Kälte. Es war eine Schnapsidee gewesen, hierher zu kommen, zumindest um diese Jahreszeit. Vier Stunden elendes Dämmerlicht, das - bevor es sich zum Tag entwickeln konnte - von der folgenden Nacht weggefressen wurde. Aber er hatte keine Wahl gehabt, einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, dachte er und drehte sich zur Seite.
"Was ist, Schatz?", fragte sie ihn.
"Nichts!"
Er starrte wieder hinaus in die Dunkelheit. Draußen ließen sich kümmerliche Bäumchen erahnen. Bäumchen, Eisflächen, verschneiter Sumpf. Nichts sonst. Hasste er diese Landschaft? Konnte man Landschaft hassen? Nein, es waren die Umstände. Aber bald würde alles vorbei sein, endlich, noch zwei Nächte.
"Freust du dich, Schatz?"
Er antwortete, ohne sie anzusehen:
"Wenn es so schön ist, wie auf den Bildern..."
Weitere Bäumchen, aufgewirbelter Pulverschnee. Der geplante Höhepunkte ihrer Reise, kurz vor deren Ende: Das Eishotel von Jukkasjärvi. Ja, alles hatte wie ein toller Plan geklungen. Oslo, Lofoten, dann noch ein Abstecher in den schwedischen Teil Lapplands. Violas Eltern hatten es sich ausgedacht. Nordeuropa im Hochwinter, ein Geschenk, das man nicht ablehnen konnte, eine Hochzeitreise, wie er sie ihr hätte niemals bieten können. Noble Geste und Demütigung zugleich, was für eine großartige Idee! Aber Viola hatte sich gefreut, auf die beleuchteten Eisskulturen, die glitzernde Welt kalter Faszination, erbaut aus der gefrorenen Seele des Wassers. Es war bewundernswert, wie sie sich für etwas begeistern konnte, das sie nur von Bildern kannte und wie sie in all ihrer Euphorie Gedanken an die Kälte gar nicht erst hatte aufkommen lassen.
Der Urlaub war teuer, elend teuer. Vor allem Norwegen war ein Alptraum gewesen, sich auf seiner Hochzeitsreise günstig aus dem Supermarkt zu ernähren, war unakzeptabel und essen gehen ruinös. Violoas Eltern mussten das gewusst haben, auch wenn Geld für sie keine Rolle spielte. Oder steckte Absicht dahinter? Sollte Viola demonstriert bekommen, wen sie da geheiratet hatte? Einen armen Schlucker, der nicht in der Lage sein würde, ihr ein standesgemäßes Leben zu finanzieren! Wenn es so wäre, dann spräche es für ihre Raffiniertheit, die Fähigkeit zu strategischer Planung, drei Züge voraus zu denken. Eigenschaften, die ihre Tochter nicht geerbt hatte, zum Glück. Dafür hatte sie andere Qualitäten.
Die Schneestaubwolke vor dem Fenster fiel langsam in sich zusammen, im Bus brach allgemeine Aufbruchstimmung aus.
"Das ist es dann wohl", meinte Frank trocken. Nachdem sie ihr Gepäck ausgeladen hatten, liefen sie einfach den anderen Touristen hinterher. Es war kalt, Viola fror. Sie zerrten ihre Habseligkeiten durch den Schnee zu einem hell erleuchteten Rezeptionsgebäude. Dort empfing sie dampfige Wärme, Lärm und Trubel.
Er stellte den Eisblock, welcher als Trinkbecher diente, auf den Bartresen. Der Barkeeper zwinkerte ihm zu:
"Noch einen?"
Frank warf ihm einen angewiderten Blick zu. Ja bedeutete, dass er dem Zustand des Betrunkenseins mit Riesenschritten näher kommen würde, was ein Segen sein konnte oder ein Fluch, in jedem Fall aber zu teuer. Er drehte sich von der Bar weg, um nach Viola zu sehen. Sie stand in der Nähe des Eingangs, im Gespräch mit den beiden australischen College-Boys, die sie in der Sauna kennengelernt hatten. Verwöhnte Bengel, irgendwo Anfang 20, von ihren Eltern mit dem nötigen Kleingeld ausgestattet, um nach einem Austauschjahr noch etwas zu reisen. Sie lächelte, gestikulierte, betrieb Smalltalk, schien sich prächtig zu unterhalten. Das war Viola in ihrer Welt, die Kälte schien ihr nichts mehr auszumachen, was nicht am Alkohol liegen konnte, denn sie hielt sich an Softdrinks fest.
Er hätte nun zu ihr hinübergehen können, das Spiel in andere Bahnen bringen, den beiden Jungs klarmachen, dass sie aus verschiedenen Welten kämen, sie mehr als 20000 Kilometer Ozean trennten, weil Viola seine Frau wäre, ein Zustand an den er sich immer noch nicht gewohnt hatte. Oder er konnte hier bleiben, den Blick durch den Raum gleiten und die Dinge an sich vorbei ziehen lassen.
Über ihm wölbte sich ein aus 20000 Schneebällen gemauerter Dom, leise beschallt von einer auf dem verdreckten Schnee des Bodens stehenden Stereo-Anlage. Der Raum war das Zentrum des Gebäudes, das Herzstück, der Versammlungsort all derer, die es vorzogen sich zu betrinken, anstatt in ihre eisigen Betten zu gehen. Für Frank bedeutete diese Party Einsamkeit unter Menschen, ein seltsames Gefühl, welches aus den Tiefen einer uralten Vergangenheit ausgebrochen zu sein schien.
Zugegeben, es war weniger schlimm als erwartet. Die allgegenwärtige Kälte zwang alle Beteiligten zu praktischer, wärmender Bekleidung. Nur wenige schafften es, auch hier noch ihren Status zu Schau zu stellen, so wie die italienische Signora neben ihm, die ihren Pelzmantel ausführte. Unter den übrigen Gästen herrschte eine seltsame Art der Gleichheit, gemeinsam kämpfte man gegen die Kälte, gegen die Müdigkeit. Ob die Solidarität so weit ging, auch gemeinsam einsam zu sein? Der Mann der Italienerin bestellte sich den nächsten Wodka. Ergraute Schläfen, flinke Augen, markante Gesichtszüge. Der Prototyp eines Orchesterdirigenten oder eines Paten der Cosa Nostra, allerdings nicht im Nadelstreifenanzug, sondern in der Daunenjacke. Blinkte unter dieser ein Goldkettchen? Sie unterhielten sich in ihrer Muttersprache, während er lebhaft gestikulierte, strahlte die Frau eine seltsame Distanziertheit aus, sprach kaum.
Viola schien sich immer noch prächtig zu amüsieren, kein Wunder, durfte sie es doch genießen, in doppelter Ausführung Aufmerksamkeit zu bekommen. Früher hätte ihn die Situation aufgeregt, wäre er durch ihr Verhalten provoziert, zum Einschreiten genötigt worden. Nun ließ ihn alles kalt, warum eigentlich? War es die Sicherheit, dass sie nun mehr waren als ein Pärchen, bald eine Familie nämlich? Oder nur die durch den Alkohol katalysierte Desillusion? Der Barkeeper nickte und füllte nach, nicht durch einfaches Aufgießen, man hätte ja per Auslutschen den Inhalt des Loches in der Mitte vergrößern können, nein, er maß eine festgesetzte Menge Wodka ab und goss sie in das Trinkgefäß. Frank schob zwei Hundertkronenscheine über die Eisplatte und prostete der Signora zu, welche seinen Gruß ignorierte.
Er musste den Erfindern dieser Attraktion Bewunderung zollen. Das Konzept war genial: Niemand wollte ins Bett. Die Vorstellung bei diesen Temperaturen in einen miefigen Schlafsack zu kriechen, trieb die Menschen an die Bar, wo sie zu überteuerten Preisen Alkoholika konsumierten. Auf diese Weise mit dem Leid anderer Geld zu verdienen, war widerlich. Der einzige Reiz dieser Nacht in der Kälte bestand darin, dass man danach stolz herumerzählen konnte, man hätte es überlebt. Im Zweifelsfall konnte man ein entsprechendes Zertifikat erwerben, sich im Wohnzimmer an die Wand nageln, neben den Kamin am besten.
Von außen hatte alles ausgesehen, wie eine Baustelle, welche man mit notdürftigen Absperrungen nur lieblos kaschiert hatte. Sanitäre Einrichtungen gab es keine im Inneren, man musste das Gebäude verlassen und einen volksfestartigen Container aufsuchen, von welchen zwei Stück vorhanden waren. Eine geniale Geschäftsidee, um die Welt getragen mit raffiniert beleuchteten Innenaufnahmen, welche eine kalte Schokoladenseite demonstrierten. Der Konzertflügel aus Eis, oder das zugehörige Nilpferd als Kleiderständer, Bilder die um die Welt gegangen waren jedoch ohne die Information, dass derartige Kunst nur in den wenigen Suiten des Gebäudes zu finden war, Räumen, die einer anderen Klientel vorbehalten waren. Frank dachte an Viloas Eltern, die nie hier gewesen waren. Warum hast du nicht einmal eine solche Geschäftsidee? Aber nein, du bringst es ja nie auf einen grünen Zweig.
Der grüne Zweig, auf den er nie kommen würde. Sein Stolz war die Leistung, aus seinem proletarischen Elternhaus ausgebrochen zu sein und das Abitur nachgemacht zu haben. Er würde bald studieren können, hätte eine Chance dem Installationsbetrieb zu entkommen, in welchem er arbeitete. Hatte er diese Chance wirklich? Die Dinge waren anders gekommen.
Viola war schön, wunderschön. So wie sie dastand, lächelte, ihre Gesten der vollkommenen Weiblichkeit. Wie sie die beiden Jungs in den Rausch einer vergeblichen Illusion trieb, hatte etwas ästhetisches, aus der kritischen Distanz betrachtet. Sie war seine Frau. Er liebte sie und es bereitete ihm eine seltsame Art der Freude, dass sie offenbar auch von anderen begehrt wurde. Sie würde weiterhin wunderschön sein, auch wenn sie bald einen Bauch bekommen würde, nicht mehr die engen figurbetonten Klamotten tragen könnte. Wie konnte so etwas Edles die Seine werden? Er musste glücklich sein, dankbar für die unglaubliche Reihe von Zufällen, die es soweit hatte kommen lassen
ABBA, nicht wirklich seine Musik, in diesem Moment aber berührte sie ihn:
"Now we're old and grey, Fernando ..."
Wo war denn der verdammte Wodka schon wieder hingekommen? Er stellte den Eisblock ab und ging in Richtung des Ausgangs.
"Bist du nicht müde, Vil?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Ich finde es echt nett hier. Und Brandon erzählt lauter so lustige Geschichten, was passiert, wenn die Krokodile in den Vorgarten einbrechen."
Krokodile im Vorgarten und eine riesige Olivenplantage bei Melbourne. Und wenn ihr zurück seid, dann werdet ihr irgendwas studieren. Welches Fach? Keine Ahnung, Hauptsache studieren. Na, prima. Was hatte er zu erzählen? Dass er im Gegensatz zu ihnen genau wusste, was er mit seinem Leben anfangen werde? Wie spannend!
"Meinst du nicht, es wäre besser, wenn wir so langsam ..." Sie nickte und meinte, sie wolle sich nur noch kurz verabschieden.
Er war aufgewacht. Es war erstaunlich, wie ruhig alles war. Die Wände aus Schnee verschluckten den Schall. Auch wenn es keine Zimmertüren gab, sondern nur Vorhänge, war nichts von draußen zu hören. Seine gefüllte Blase trieb ihn heraus, er würde einen weiten Weg vor sich haben. Zunächst schälte er sich aus dem miefigen Schlafsack, in welchem schon Generationen vor ihm gefroren hatten. Dann zog er sich etwas an, der Weg zur Toilette war weit, schließlich schlüpfte er in die Stiefel. Viola atmete tief und ruhig, ein leichtes Zucken ihrer Beine verriet, dass sie träumte. Er schob den Vorhang zur Seite und betrat den Gang. Um die nächste Ecke sah er einen Pelzmantel verschwinden.
Kurz vor dem Waschraum hatte er sie eingeholt. Das war keine Schlaftrunkenheit, sondern pures Leid. So wie sie aussah, hatte sie kein Auge zugetan. Während er die Toilette aufsuchte, stellte er sich vor, wie ihr alkoholisierter Mafioso schnarchend in seinem Sack steckte. Er traf sie im Eingangsbereich zu den Toiletten wieder. Der Container war geheizt, ein warmes Paradies, das leicht nach Toilette roch. Mittlerweile war er vollständig wach. Ob sie Englisch sprach?
"Ist Ihnen zu kalt?"
Sie nickte.
"Ich bin verzweifelt, es war nicht auszuhalten."
"Das hier scheint der einzig warme Ort zu sein, an den man sich flüchten kann", antwortete Frank, um sich dann zu erkundigen:
"Und ihr Mann kann schlafen?"
Sie gab ein affektiert klingendes Lachen von sich.
"Vielleicht hätte ich auch mehr trinken sollen, die Nacht durchtanzen oder... ich weiß nicht. Jetzt ist die Bar geschlossen."
"Es ist schon spät. Die wenigen Stunden bis zum Morgen werden sie schon noch überstehen."
Er sah ihr in die Augen, traf auf eine Mischung aus Müdigkeit, Ärger und Trauer. Sie war attraktiv, immer noch, wie hatte sie wohl ausgesehen, als sie geheiratet hatte? Er musste an Viola denken, wie sie in 20 Jahren aussehen würde. Ein Kälteschauer lief ihm den Rücken herunter, obwohl er sich im warmen Inneren des Containers befand. Wie lange konnte er sie warten lassen? Nein, sie schlief, würde seine Abwesenheit gar nicht bemerken
"Ich werde die Zeit schon irgendwie herumbekommen", antwortete sie. Sie schien ihn zu mustern, was ihm unangenehm war, denn natürlich hatte er sich nicht vollständig bekleidet, nur die Jacke über den Schlafanzug gezogen und war in die Schuhe geschlüpft.
"Ich könnte ihnen eine Weile Gesellschaft leisten."
Sie lächelte als Antwort. Er dachte an Viola, die beiden australischen Bengel, Violas Lächeln und wie sie sich ins Zeug gelegt hatten, um einen positiven Eindruck zu hinterlassen. Die Nebel des Wodkas hatten Zeit gehabt, sich zu verziehen. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliches Vorgehen.
"Es war seine Idee gewesen, hierher zu fahren?"
Er hätte erwartet, dass sie erstaunt reagieren würde, verärgert oder ungehalten. Aber sie sah ihn nur an, mit dem Lächeln einer Dame, aus einer anderen, besseren Welt kommend, welche nicht den geldig selbsgefälligen Beigeschmack hatte, den er aus Violas Elternhaus kannte.
"Natürlich war es seine Idee. Würde eine Frau auf so eine Idee kommen?" Sie hatte das Wort "Frau" seltsam betont, unterstützt mit einer Geste ihrer behandschuhten rechten Hand, welche er nicht recht zu deuten wusste. Dann drehte sie den Spieß um:
"Und du? War es deine Idee, hierher zu kommen?" Dabei musterte sie seine leicht schäbige Daunenjacke und die Schlafanzughose. Frank spürte, wie er rot wurde. Sie hatte seine Achilles-Ferse berührt.
"Meine Idee? Nein, Gott bewahre."
"Dann befinden wir uns sozusagen in der gleichen Lage. Wir sind an einem Ort, an dem wir nicht sein wollen, weil uns jemand anderer dazu gebracht hat." Ein Ort, an dem wir nicht sein wollen, der Zugang zu den Toiletten im Eishotel von Jukkasjärvi, dachte er sich. War das ein Zeugnis ihres Geistes oder nur ihrer Verbitterung gewesen?
"Wenn ihr Mann aufwacht, was würde er tun?"
"Das hängt davon ab, wie betrunken er noch ist. Ich würde mir wünschen, dass er barfuß und im Schlafanzug anfängt, nach mir zu suchen."
Frank stellte sich die Szene bildlich vor und grinste. Sie hatte Humor, offensichtlich.
"Würde er sie hier finden?"
"Keine Ahnung. Vielleicht meint er auch, ich hätte mir ein Taxi genommen und wäre durchgebrannt. Mit seiner Kreditkarte, das wäre das schlimmste. Warum fragst du? Erzähl' doch etwas von dir!"
"Da gibt es nicht viel zu erzählen. Es ist unsere Hochzeitsreise, wir kommen aus Deutschland. Ich arbeite für ein Finanzdienstleistungsunternehmen."
Es war ihm unangenehm, wie sie ihn ansah. Seine Kleidung, was dachte sie sich jetzt? Er sollte schon längst wieder auf dem Rückweg sein.
"Ich habe sie gesehen. Sie wirkt nett, so fröhlich, irgendwie. Du hast Glück, es ist nicht leicht, eine so attraktive Partnerin zu finden."
"Ja, attraktiv ist sie und wir sind sehr glücklich miteinander." Frank hatte sich Mühe gegeben, seinen Worten einen bestimmten Charakter zukommen zu lassen und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu:
"Aber sie können sich sicher auch nicht beschweren." Erst in Nachhinein verstand er die Doppeldeutigkeit seiner Worte. Zur Antwort lächelte sie, deutete auf ihrem Pelzmantel und erwiderte: "Wenn du das hier meinst, ja dann lebe ich im Paradies." Für einige Sekunden blieb jenes unausgesprochene "und sonst" im Raume stehen.
Er schob den Vorhang zur Seite und betrat das Zimmer. Hatte Viola seine Abwesenheit bemerkt? Ja das hatte sie. Sie saß aufgerichtet im Bett, hatte die Füße zum Körper angezogen. Sie würde ihn fragen, wo er gewesen war. Angriff ist die beste Verteidigung, dachte er sich und begann sich zu entschuldigen:
"Vil, es tut mir Leid, ich war auch der Toilette und dann... Um Gottes willen, du weinst! Was ist denn los mit dir?" Sie schüttelte den Kopf, um zu antworten:
"Ich habe eine Blutung bekommen."
"Hallo, ich bin Karin. Wir können deutsch miteinander sprechen." Frank blickte auf, legte das Buch zur Seite, in welchem er die letzten Stunden vergeblich versucht hatte zu lesen. "Und, was passiert nun?"
"Wir werden sie eine Weile hier behalten müssen. Die Ausschabung verlief problemlos, aber die Narkose, da gab es ein kleines Problem... hat man früher schon irgendwelche Allergien festgestellt?"
Frank schüttelte den Kopf. "Nicht dass ich wüsste, aber, ach keine Ahnung!"
"Du wirst noch eine Weile in Kiruna verbringen müssen." Ja, das musste er wohl. Und Entscheidungen treffen. In seiner Firma Bescheid geben. Geld auftreiben. Ihre Eltern anrufen?
"Du kommst aus Deutschland?" Karin nickte.
"Ja, ich bin vor kurzem auch hier hängen geblieben. Eine Liebesangelegenheit der traurigen Sorte, und nun bin ich in Kiruna. So kann das Leben spielen." Nach einer kurzen Pause war der seltsame Ausdruck der Trauer aus ihrem Gesicht verschwunden und sie hatte wieder in ihren dienstlichen Tonfall zurückgefunden:
"Was ganz wichtig ist, dass sie nun jemanden hat, der ihr über das Geschehene hinweghilft."
Frank schwieg.
"Wenn du irgendwie Hilfe brauchst, du findest mich im Stationszimmer", antwortete sie und machte sich auf den Weg dorthin. Frank sah ihr einen Moment lang nach, um dann sein Buch zur Seite zu legen. Sie braucht jemanden, der ihr über das Geschehene hinweghilft. Ja, sie würde ihn brauchen. Aber sie würde in absehbarer Zeit über den Verlust hinwegkommen. Und dann waren die Karten neu gemischt.