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Eisige Kälte
Langsam durchstreifte ich die Straßen. Es war Mittag und Menschenmassen tummelten sich um Imbissbuden und standen Schlange an Schnellrestaurants.
Sie schubsten sich, fluchten und schimpften und machten alle einen geschäftigen Eindruck. Schnell, schnell, schnell, die Zeit drängt. Zur Arbeit, zur Arbeit.
Immer wieder quetschte ich mich durch Teenagergruppen, wich Frauen mit Kinderwagen aus. Meine Blicke durchwanderten die Menge, ich suchte nicht nach Geschäften. Ich suchte nach etwas Anderem.
Ich rempelte mit vielen Menschen zusammen, stieß versehentlich gegen ihre Schultern. Meine Entschuldigungen wurden nur mit einem herablassenden Blick gewürdigt. Danach machten sie einen großen Bogen um mich und setzten in ihren gehetzten Aufgaben fort.
Ich sah ein junges Mädchen auf einer Bank sitzen und ging auf sie zu. Sie sah mich an, doch in ihren Augen lag nicht ganz so viel Feindseligkeit, wie in denen der anderen Arbeitstiere.
„Kannst du mir den Weg zum Park weisen?“ oder soll ich mich gleich ins Knie ficken? setzte ich in Gedanken dazu. Ich versuchte so freundlich und selbstsicher zu klingen, wie ich konnte. Einzelne Schweißtropfen tänzelten von meiner Stirn.
„Der ist vier Straßen weiter. Nach dem McDonalds rechts und dann immer gerade aus.“ Sie redete mit vollem Mund und machte eine Handbewegung in die besagte Richtung.
Etwas schneller setzte ich jetzt meinen Weg fort. Meine Hände steckten in den Hosentaschen der zerschlissenen Jeans, die ich seit unzähligen Tagen trug.
Bald würde ich dort sein und vielleicht, mit all dem Glück, das mir bis heute nie zugestanden wurde, wäre auch sie dort. Die Prinzessin, die ich so liebte. Der Park, so sagte sie immer, war ihr der liebste Platz auf der gesamten Welt. Ich war nie dort gewesen, doch hörte ich sie oft davon schwärmen.
Nach dem besagten Restaurant bog ich ab und folgte der Straße. Hier waren noch mehr Menschen, die sich um die letzten Gegenstände im Sonderangebot stritten oder sich vor ihre Mitmenschen drängelten, um schnellstmöglich wieder anderen Dingen nachgehen zu können.
Die Welt roch nach Verfall und es wurde immer schlimmer. Wo war die Nächstenliebe, von der die Kuttenträger in der Kirche immer schwafelten?
Ich wusste wo sie war. Sie war in einer einzigen Person, in dem einzigen Menschen, der vollkommener war als ein Sonnenuntergang am Meer. Perfekter als ein Bad, ein fettiger Cheeseburger und eine Beförderung zusammen.
Sie war die eine Person, für die es sich lohnte, alles aufzugeben.
Jetzt stand ich hier, vor mir tat sich ein riesiger Bogen aus Edelmetall auf, ein Tor, das an schönen Tagen wie diesem weit offen stand. Es vermittelte ein Gefühl von Ich weiß, dass du denkst, an keinen einzigen Ort zu gehören, dich nirgends geborgen fühlst, doch hier ist dein Zuhause, tritt ein und bleib so lange du willst.
Meine Finger fingen an zu zittern und in meine Augen schossen brennende Tränen. Ich wischte sie mit meinem Handrücken beiseite und ging in den Park.
Dies war wahrscheinlich der einzige Ort in der Stadt, an dem die Moderne noch keinen Verfall verursacht hatte. Wenn man hier war, hatte man das Gefühl, als würde sich die Welt von Minute zu Minute weiterdrehen, aber man könnte sich darauf verlassen, dass sich hier nichts veränderte. Hier blieb die Zeit stehen.
Vorsichtig sah ich mich um. Der Park zauberte eine wohlige Wärme um mein Herz, das seit so langer Zeit kalt war und fror. Ich folgte dem gepflasterten Weg. Alles hier schien, als hätte kein Mensch Hand an diesen wundervollen Ort angelegt. Als wäre es noch ein Platz, wie er war, als die Welt in ihrer Blüte stand.
Als ich dem Weg folgte, wurde die Wärme immer stärker. Mein Herz zuckte und entspannte die steifen Muskeln.
Und dann sah ich sie. Mit dem Rücken zu mir stand sie vor einem winzigen Teich, auf dem zwei kleine Enten schwammen und sich um die Brotbröckchen stritten, die sie ihnen zuwarf.
Ihr kastanienbraunes Haar floss über ihre Schultern. Ihre Haut war bleich und leuchtete in der grellen Mittagssonne.
Wie viel Zeit war vergangen, seit sie mich verließ? Wie lange hatte ich ihre singende Stimme nicht mehr gehört? Wie viele Leute hatte ich nach ihr gefragt, hatte gefragt ob sie sie gesehen hatten? Wie viele Menschen hatten mich mit einem Schulterzucken und einem mitleidigen Blick abgewiesen?
Und nun stand sie hier vor mir, nachdem ich mein ganzes Leben lang, so schien es, nach ihr gesucht hatte.
Ihre Gestalt verfloss in der schimmernden, kochenden Luft.
Es war als wäre sie eine Pflanze. Sie passte hierher, machte den Ort perfekter, als er schon war.
Ich fühlte, dass mein Herz vor Hitze beinah zersprang. Als ich ihren wundervollen Rücken sah, ihr Haar das ich selbst von meinem Platz aus riechen konnte, versteiften sich alle meine Glieder. Ich war zu keiner Bewegung fähig.
Dann drehte sich der Engel um, mein Engel der alles in meinem Leben wundervoll machen würde, drehte sich in meine Richtung.
Die Sonne nahm mir die Sicht auf ihr Profil. Plötzlich stand sie mir gegenüber, richtete ihren Blick auf mich und die Einsicht traf mich wie ein Blitzschlag.
Ich wendete mich um, verließ den Park, stotterte ein paar Worte vor mich hin. Während meiner Rückkehr traf ich wieder auf dieselben gehetzten Menschen. Sie waren alle gleich, man kannte keinen Unterschied. Selbst Männer und Frauen sahen für mich identisch aus.
Der Engel im Park war nicht mein Engel gewesen. Ihr Haar war nicht einmal kastanienbraun, sonder schwarz gewesen. Ihre Haut braun gebräunt und ihre Augen stark geschminkt.
Bei jedem Schritt den ich tat, verschwand die Wärme weiter und langsam begann mein Herz wieder zu gefrieren.
Doch für einen kurzen Augenblick war es aufgetaut gewesen.
© Tamira Samir