- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 5
Ende - oder das Leben von einer anderen Seite
Die Toten gehören zu einem Autounfall, der sich vor neun Tagen in Niedersachsen ereignete. Der Kran-
kenwagen wurde zu spät gerufen. Alle starben in ihren zerquetschten und zermalmten Sitzen. Mein Onkel, seine Frau und mein Cousin. Es ist nicht zu begreifen und ich erinnere mich, als ich davon hörte, dass ich nicht schreien konnte. Aber ich wollte schreien. Ich wollte das alles herausbrüllen. Ich wollte so viel schreien, dass die Welt zusammenstürzen sollte. Ich dachte mir das so. Aber nichts an mir verhielt sich so. Meine Mutter saß dann auch schweigend auf dem Sofa und später hob ich den Brief auf, den sie fallen gelassen hatte.
„Mit tiefster Betroffenheit und Anteilnahme müssen wir ihnen mitteilen, dass es sich bei den verunglückten Insassen des Fahrzeugs um ihren Bruder, seine Frau und dessen Sohn handelt ...“.
Die Tage die man zählt, waren ein sinnloses Aneinanderreihen von Gedanken. Ein trübes und unerklär-
bares Etwas. Ein Diffuses an Zuständen. Unwirkliche Blasen, die Stunden und ewig anzuhielten schienen. Phantomschmerzen wie bei einer Amputation.
So verlebte ich die letzten Tage. Ich muss einiges abgenommen haben, denn ich hatte überhaupt keinen Appetit. Das Essen, das noch im Kühlschrank liegt, ist eingetrocknet oder verschimmelt. Ich denke gar nicht daran, es herauszunehmen und wegzuwerfen. Ich weiß nicht warum.
Scheue ich mich vor der Arbeit? Soll es doch gammeln. Mir egal. Es ist gekauft und zubereitet worden, als sie noch lebten. Sie waren frisch, die Tomaten, wie auch die gefüllte Jagdwurst mit den Pistazien. Die knackigen und frischen Brötchen sind nun eingetrocknet und beinahe hart. Sie klingen schon wie Kiesel, wenn sie zu Boden fallen.