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Entenfütterung
Ich joggte jeden Tag, nicht um fit zu bleiben, sondern um abzuspecken. Gewöhnlich machte ich ein paar Runden um den Affenkäfig, in dem sich ein Fußballplatz befand.
In diesem Augenblick kam ich an einer Sitzbank vorbei, und ich beschloss, noch eine Runde zu laufen. Danach würde ich mich auf die Bank setzen.
Ein Junge schoss rechts mit seinem kleinen Fahrrad vorbei. Obwohl er bereits seit Stunden seine Runden um den Affenkäfig drehte, radelte er nach wie vor schnell, und seine Fahrradklingel betätigte er immer noch häufig. Der Kleine, dessen Bewegungen vor Tatendrang sprühten, würde wohl erst mal keine Pause einlegen, doch ich wollte ihn das nächste Mal vom Fahrrad stoßen. Es würde wie ein Unfall aussehen …sicher regte ich mich über den Kleinen auf, wenn mir auch der unbedingte Wille in seinen Augen etwas imponierte: Wie hastig er radelte. Ich hörte, wie schnell die Fahrradketten rotierten, wie die Räder eilig über den Kiesboden glitten. Obwohl er, wie es sich gehörte, seinen Blick nach vorne richtete, raste er in diesem Moment auf einen Spaziergänger zu. Der Kleine war nicht böswillig; er war bar jeder Geistesgegenwart. Der Mann wich schreckhaft zurück.
Schließlich lief ich das letzte Viertel, doch die Bank war nun besetzt. Der Mann, der dort Platz genommen hatte, hatte lässig ein Bein über das andere geschlagen. Ein Brotkrümel, den er fortschnipste, landete auf dem Kies. Er landete direkt vor seinen Füßen. Ein paar neugierige Enten watschelten darauf zu, eine kam näher als alle anderen, aber sie blieb circa dreißig Zentimeter vor dem Brotkrümel stehen.
Ich beschloss, noch eine Runde um den Affenkäfig zu laufen.
Diesmal kam der kleine Fahrradfahrer von vorne. Ich hatte schon viele Kids erlebt, die auf ihrem Fahrrad rasten, aber nach einer Weile guckten ihre Zungen raus, sie atmeten schwer. Sie verlangsamten. Doch der Kleine, der einen ziemlich lauten Feuerwehrwagen nachahmte und der jetzt noch schneller unterwegs war als vorhin, hatte wohl einen Propeller im Arsch!
„Tatütata, die Feuerwehr ist da!", rief er.
Im letzten Moment warf ich mich gegen den Affenkäfig.
Zugegeben: Zunächst sah ich in ihm einen Attentäter, dann aber erinnerte ich mich an die Szene, in der er beinahe den Mann umgefahren hätte, ich erinnerte mich an den staunenden, aber fernen Ausdruck, den der Junge an den Tag gelegt hatte und den ich schon häufig bei Kindern beobachtet hatte; zweifelsohne aber auch bei Menschen mit psychischen Schäden.
Dann joggte ich weiter. Als ich schließlich das letzte Viertel lief, war ich verblüfft: Die Ente hatte sich keinen Zentimeter vorwärtsbewegt, doch sie strebte mit ihrem Schnabel zu dem Brotkrümel, streckte ihren Hals, der federige Zacken aufwies, ganz lang. Wie lang der Hals einer Ente sein kann!
Ich fing an, die Ente zu hassen. Denn ich fand: Der alte Mann, der so lässig dasaß, war keiner dieser Typen, die eine lebendige Ente sehen und am liebsten sofort mit einer Axt auf sie losstürmen wollen; er sah Enten nicht als ein leckeres Mittagessen, sondern gehörte der Sorte Menschen an, die gegenüber Enten eine göttliche Ruhe beweist. So schien er mir jedenfalls, aber die Ente, die keinen Zentimeter nähertrat, demonstrierte bereits seit fünf Minuten Misstrauen.
„Denkst wohl, du bist der Checker!“, regte ich mich über die Ente auf, doch der Mann schenkte ihr ein sonniges Lächeln.
Ich joggte erneut an dem Mann vorbei - diesmal überfiel er mich. Er keuchte unkontrolliert.
„Ich will deinen Lutscher!“, wütete er im Wahn, sabberte.
Seine ganzen Brotkrümel, die er in einem schwarzen Hut aufbewahrt hatte, lagen verstreut auf dem Kiesboden, und die Enten pickten sich gegenseitig auf den Kopf, schnatterten, verschlangen eifrig die Brotkrümel. Das Kind sah starr von seinem rasenden Fahrrad herüber ... fuhr gegen einen Baum. Der Kleine lag ausgeknockt auf dem Boden.