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Entlassen !
Entlassen!
Das Jackett lag auf der Brüstung, als wolle das Revers neugierig hinunterschauen.
Seine Beine ließ er über den Rand baumeln.
Die Krawatte hing offen über seiner Schulter und der warme Wind trocknete den Schweiß.
Fast hätte Jan die Flasche umgestoßen, als er mit zitternder Hand danach griff. Der erste Schluck brannte in der Kehle, danach ging es.
„Darf ich zu Ihnen kommen?“ Der Polizist schwitzte wie er. Der Wind half nicht.
„Keinen Schritt!“ Er lallte schon leicht und die winzige Veränderung seiner Position, ein kurzes Rücken, ließ den Beamten sich wieder in die Dachluke zurückziehen.
Von weit unten, von der Straße, starrten sie herauf, die in den Uniformen und die hinter der Absperrung.
Genauso wie die Kollegen. Wie sie blöde gafften, als er aus dem Büro des Alten kam und der dann noch weiter tobte. Einige taten betreten, andere nur neugierig, zwei tuschelten und feixten.
Was für miese Schweine! Die Seele verblutet und die Menschen klatschen Beifall.
Nur der Bürobote, immer gut gelaunt und da, ernst und nachdenklich. Er beneidete ihn. Der Kleinste und der Glücklichste.
Ein Streifenwagen drängte sich durch die Neugierigen. Mandy stieg aus und sein Herz geriet ins Stolpern.
Er wollte sie hier nicht haben. Er hätte die Sache schon längst zu Ende bringen sollen. Mit Mandy war es schwieriger.
Sie stand unten vor dem Haus, neben einem Polizisten, wie auf einer Bühne, die Schaulustigen zurückgedrängt. Sie hob ihren Kopf und er spürte ihren Blick körperlich, wie eine Kraft, die ihn halten, fast zurückdrücken wollte. Ihr Gesicht konnte er nur undeutlich sehen. Sie winkte und dann war sie weg, im Haus verschwunden.
„Wir sollten reden.“ Der Polizist wieder. „Ich bleibe hier und wir reden einfach, ok?“
Es ist sein Job, dachte Jan, wie den Verkehr regeln, Strafzettel schreiben oder beim Nachbarn klingeln, wenn der seine Musik zu laut hat.
… Sie parken falsch… Machen Sie mal leiser...
Da hat sich einer runtergestürzt, oder auch nicht … egal, Feierabend, Currywurst.
Jan antwortete nicht und der Polizist blieb, wo er war.
Wieder nahm er einen Schluck und wieder brannte es in der Kehle. Ein Gefühl, immerhin.
Er sah wieder hinunter und wunderte sich, dass die Höhenangst auch jetzt nicht weg war, in dieser Situation. Obwohl... die Arme ausbreiten, in den Himmel schauen und...
„Jan!“ Mandy klang gar nicht aufgeregt.
Er schaute sich um und beobachtete, wie sie durch die Luke kroch, besonders darauf bedacht, ihr teures Kostüm nicht zu ruinieren. Sie fragte gar nicht, ob sie kommen dürfe, sie kam einfach. Sie hatte nie gefragt.
„Jan, um Gottes Willen, was machst Du hier?“ Und schon war sie heran.
Der Polizist schickte sich an, doch der Blick von Jan drängte ihn wieder zurück. …Currywurst.
„Darf ich mich setzen?“ Er sagte nichts und sie setzte sich, natürlich auf den Rand. Sie hatte keine Höhenangst wie er. Vor Wochen, im Freizeitpark war sie die Wand hoch und er hatte sie von unten mit dem Seil gesichert. Sie war nicht geklettert, sie war hoch gegangen, einfach so. Feigling hatte sie gesagt, als er nicht wollte.
„Schatz, was ist los? Was kann so schlimm sein, dass wir hier sitzen müssen?“ Sie gab sich Mühe.
„Mir wurde gekündigt.“ Er schaute sie nicht an, atmete aber ihren Duft, süß und betörend. Er hatte ihn ihr geschenkt. Der Wind nahm den Duft mit.
„Das ist doch kein Grund für solche Dummheiten. Du suchst Dir eben einen neuen Job. Also, bitte, komm mit runter und wir regeln das gemeinsam.“
„Ich wurde nicht einfach gefeuert. Ich wurde gedemütigt. Ich bin jetzt schon tot.“ Er verfluchte seine Tränen. Warum musste sie hier sein?
„Frag´ meine Kollegen, meine ehemaligen Kollegen. Sie werden mich nicht mal mehr kennen wollen. Ich bin ihnen unangenehm.“
Jetzt fühlte er ihre Hand auf seiner Schulter, und sie musste seine Atmung spüren, seine Verzweiflung!
„Wer Erfolg haben will, muss auch Niederlagen einstecken, so ist das nun mal.“
Sie war sachlich und das tat zusätzlich weh.
- Verdammt, ich sterbe und Du bist so sachlich. Verdammt, fang mich auf! -
„Niederlagen?“
Die Tränen kamen und er wollte es doch nicht.
„Das war keine Niederlage. Ich bin ruiniert! Alles was bisher war, was du mir geraten hast, das waren Niederlagen. Jetzt…, jetzt bin ich ruiniert.“
Sie rückte näher und er spürte ihren Körper an seinem.
Er wollte nicht mehr. Er hatte genug. Nur noch ein kleines Bisschen vor, etwas weiter.
„Sei vernünftig. Wir machen neue Pläne und alles wird gut.“
Er bewegte sich weiter vor und sie fasste seinen Arm. Leichte Panik. So kannte er sie nicht.
Ob es wehtut? Er nahm noch einen Schluck. Es brannte nicht mehr.
-Vielleicht fällt nur der Körper und der Geist schwebt davon. Der Körper nimmt den ganzen Mist mit und der Geist gleitet dann gelöst über die Häuser hinweg und schaut alles von oben an.-
„Jetzt komm. Ich hab schon eine Idee. Wir machen das gemeinsam.“
Warum wollte sie ihm unbedingt in die Augen sehen? War es ihr wichtig, was sie dort sah? Seine Tränen?
Er wollte ihre Augen jedenfalls nicht sehen, ihr Unverständnis darin, wie bei allen, wie bei den Kollegen.
„Wir machen uns selbstständig, o.k.? Wir brauchen uns dann nicht um andere zu kümmern und alles wird bestens laufen. Am Anfang etwas mehr Einsatz und dann läuft die Sache wie von alleine.“
Wollte sie ihn nicht verstehen? Sie wollte es nie und sie würde es auch nie! Er beugte sich weiter vor und der warme Wind küsste ihn. Die Sonne lächelte ihm zu, sie verstand ihn.
Eine Taube segelte vorüber und schraubte sich in die Tiefe. Von unten kamen Stimmen und Schreie.
Ihre Hand lag auf dem Sims, ihre Beine nah bei seinen.
Wollte sie ihn halten?
Jetzt sah er sie doch an und erkannte, was er erwartet hatte, in ihren Augen, in ihrem Blick:
Ihren tödlichen Ehrgeiz.
Er weinte laut, eine Windböe kam und nahm den gellenden Schrei mit in die Tiefe zu den brüllenden Gaffern.
Und dann war Ruhe, gelöste, entspannte Ruhe... frei von aller Last.
Nach einem Augenblick spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Der Polizist war da und führte ihn weg von der Brüstung.