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Entlasstag
„Das war’s!“, sagt Donald Duck, während er mir mein altes Leben aushändigt. „Alles vollzählig und intakt. Da unten rechts unterschreiben.“
Donald Duck heißt jenseits der Knastmauern Balduin Fischötter; doch wer watschelt wie eine Gans und quakt wie ein getretenes Gummitier, sollte sich für diesen Spitznamen noch bedanken.
„Was ist mit meinen Gummis? Das waren vier, ich weiß es genau. Da fehlt eins! Gib zu, du hast mit der Schnalle aus der Verwaltung gepimpert!“
„Halt die Klappe und verzieh dich!“, knurrt der Wärter. „Und lass dich bloß nicht so schnell wieder blicken.“
Ich habe es nicht vor, denn eigentlich bin ich gar kein schlimmer Finger. Nur ein bisschen dies und das, manches ein paar Mal zu oft und anderes während der Bewährung, und hätte mich Stjepan nicht vor sechs Jahren dazu überredet, noch den Slivovic zu probieren, bevor ich mich hinters Lenkrad klemme, wäre es unter neun Jahren abgegangen. Ich konnte damals ganz gut mit ein, anderthalb Promille, nur der Zwetschgenschnaps war zu viel; zum Schluss lag dieser Türke platt auf dem Zebrastreifen, und ich durfte Handtücher in der Gefängniswäscherei falten.
Ich stecke mir die erste Kippe noch vor dem Gefängnistor an, das ist zwar gegen die Hausordnung, doch die kann mir ab jetzt am Arsch vorbeigehen, wie ich dem Wärter, der mich rausschafft, grinsend zu verstehen gebe.
Und dann die ersten Schritte in ungesiebter Luft. Güllestinkende Äcker, so weit das Auge reicht, und ein hellgrauer Himmel, der mir das Hirn kreiseln lässt.
Im Knast roch es Tag und Nacht nach Kunstleben. In den Zellen der süß-stechende, billige Kloreiniger, auf den Gängen Bodenpflegemittel und, für mich unergründlich woher, Chlor. Speisesaal und Küche haben nie frisches Grünzeug gesehen, von echtem Fleisch ganz zu schweigen; den versalzenen Formschinkenfraß konnte man alles nennen, nur nicht Fleisch. Über allem lag der Dunst von Fertigwürze und Eistee wie ein klebriger Film. Noch nie in meinem Leben habe ich Krautsalat gegessen, der genau so geschmeckt hat wie die Fischsoße am Vortag, und ich hoffe, ich werde es auch nie mehr müssen.
Die speckige Sporttasche mit meinen Siebensachen geschultert, überquere ich die Straße, und trotte an der Leitplanke entlang Richtung Stadt. Der Bus hält zwar direkt vor der JVA, doch der Knast ist Endstation; wer bei der Glashütte bereits im Zweiundneunziger sitzt, hat einen Stempel weg.
Auf halber Strecke geht mir die Luft aus; ich hätte mir öfter die Füße vertreten sollen, aber zwanzig Mal im Gefängnishof im Kreis herum macht noch stumpfsinniger, als das Leben im Bau ohnehin ist. Ich stecke mir noch eine Kippe an, paffe genüsslich, und wünsche mir, es wäre Mai, und nicht November. So müsste es eigentlich sein: ein blaues, laues Lüftchen, alles in strotzendem Grünbunt, und Vicky, die mich mit ihrem alten VW abholt, die Seitenscheiben heruntergekurbelt, den braunen Arm mit dem Smaragdarmband lässig heraushängend. Das Armband hat sie von mir, auch wenn es keine echten Steine sind und ich es ihr nicht gekauft habe, sie hat es immer gerne getragen, dann könnte sie mich auch heute abholen, verdammt nochmal.
Aber sie hat mich seit fast zwei Jahren nicht mehr besucht, seit unserem Streit, als ich einen halben Tag Freigang hatte, und sie mich trotzdem nicht sehen wollte. "Ich kann nicht nur abrufbereit für dich zuhause hocken!", hatte sie gesagt, ich hatte sie eine Zicke genannt, dann eine Schlampe, und ihr vorgeworfen, sie hätte einen anderen.
Sie knallte den Hörer auf, und ich ging meinen Frust ertränken.
Natürlich kam ich zu spät zurück in den Bau, natürlich hatte ich unterwegs den einen oder anderen Zusammenstoß mit irgendwem, der nicht schnell genug den Platz räumte. Natürlich konnte ich mir weitere Ausflüge ins richtige Leben in die Haare schmieren.
Ich habe Vicky geschrieben, dass ich vorzeitig auf Bewährung entlassen werde, keine Ahnung, ob es sie überhaupt noch interessiert.
In der Glashütte ist gerade Schichtwechsel, ich mische mich unter die Wartenden an der Haltestelle, zwischen ein knutschendes Liebespaar und einer Gruppe Mädchen, deren Parfüm sich mit Menthol-Light-Zigaretten und dem Geruch von Frauenhaut mischt. Zwei teilen sich ein Paar weißer Ohrstöpsel, ihre Zehen wippen in den zierlichen Ballerinas zum Takt der Musik. Wellen von Bewegung, die sich über Schenkel und Hüften bis in die Brüste fortsetzen, Brüste, die so spitz wackeln, dass ich am Liebsten gleich zugreifen möchte. Das Kabel verschwindet in der Gesäßtasche einer strassverzierten Jeans, die eng über einem drallen Gesäß spannt.
„Ey Alter, hast wohl lange keine Ische genagelt, was?“
Ich wende mich ab, schnippe die Kippe in den Rinnstein und zähle dem Busfahrer zwei Euro fünfzig aus der Hosentasche hin.
Am Hauptbahnhof steige ich aus; die Szene, die mir in meiner Jugend die eine oder andere Mark beschert hat, ist immer noch auf dem Vorplatz ansässig, sie ist nur von der Unterführung zum Eingang des Stadtparks umgezogen. Den Grund höre ich schnell: aus unsichtbar angebrachten Lautsprechern wabert Mozart. Unerträglich, wenn man high ist.
Die Gesichter unter den Linden sind mir allesamt unbekannt; die Szene fluktuiert stark, sechs Jahre überlebt kaum einer in der gleichen Stadt. Stjepan machte das nichts aus; er hatte nie Probleme, neue Kundschaft zu finden. Ich hoffe, er ist noch im Geschäft, ich wüsste nicht, wie ihn anders erreichen, und zu meinem gesetzten Brüderchen zu ziehen und in seiner Spedition LKWs zu beladen, wie ich es dem Sozialonkel im Bau versprochen hatte, dazu habe ich wirklich keinen Bock.
Ich suche das verlebteste Gesicht; es ist kaum dreiundzwanzig. Der Punk checkt meine Kleidung, die vor dem Bau nagelneu gewesen war, mich jetzt aber optisch auf Kleiderkammerniveau stellt, er kneift kurz die Augen zusammen, bleibt aber mir zugewandt stehen, bereit, mich als Seinesgleichen zu akzeptieren.
„Haste den kleinen Jugo mit dem Pferdegesicht gesehen?“
Er spuckt aus. „Hier kommen viele lang, bis die Sonne untergeht.“
„Stjepan. So’n Blonder, mit ner Fistelstimme und nem Goldzahn.“
Ich halte ihm meine Zigarettenschachtel hin, der gierige Schnorrer nimmt sich fünf und meint: „Kenn ich nicht. Nie gesehen.“
Schöne Scheiße. Hätte ich mich doch mehr um meine wahren Freunde kümmern sollen, wenn ich schon mal Freigang hatte.
Ich verziehe mich in den Bahnhof, kaufe eine Currywurst und verqualme meine Ratlosigkeit. Stjepan war immer die Glucke der Clique, ich hatte fest damit gerechnet, ein paar Tage bei ihm unterkriechen zu können. Ich könnte seine Eltern anrufen, die es in fünfundzwanzig Jahren auf keine hundert Worte deutsch geschafft haben; ich könnte direkt bei ihnen vorbei fahren, oder die Kneipen abklappern, die er vor sechs Jahren unsicher gemacht hat.
Während ich noch die Möglichkeiten gegeneinander abwäge, überrascht er mich von hinten, haut mir die Pranke auf die Schulter und dröhnt: „Mensch Martin, ham se dich wieder auf die Menschheit losgelassen?“
Bevor ich etwas sagen oder fragen kann, hat er mich umrundet, und kneift mir in die Wange, als wolle er meine Zahnfüllungen testen. Ich erkenne ihn kaum wieder, in Nadelstreifen und Krawatte, bewaffnet mit einem Lederköfferchen. Nur der Stoffbeutel mit den Kaffeepäckchen verrät, dass er seinem alten Beruf nicht ganz untreu geworden ist.
„Wart hier, ich muss kurz die Kundschaft bedienen, dann gehen wir auf’n Bierchen oder zwei. Du hast doch nichts vor, oder?“
Er lacht wiehernd und verabschiedet sich mit affektiertem Winken über die Schulter. Zwei massive Goldketten blitzen an seinen Handgelenken; Stjepan scheint Karriere gemacht zu haben. Aus alter Gewohnheit sondiere ich die Umgebung; zwei junge Männer wenige Meter abseits, die sich zu wachsam, zu aufmerksam umblicken, entpuppen sich als Amerikaner, mit dem Stadtplan rettungslos überfordert.
Stjepan steuert die Schließfächer an, wie im billigen Gangsterfilm verschwindet er in der hintersten Reihe, die sicher wie in allen Bahnhöfen mit Bezahlklos am meisten nach Urin stinkt; Minuten später kommt er zurück, mit einer Stofftasche von der gleichen Drogeriemarktkette; Arabica feine Milde ist zum Karton eines Internetbuchhandels geworden.
„Scheinst ja mächtig Karriere gemacht zu haben, in der Fresskette.“
„Tja, wer stehen bleibt, fällt schnell zurück. Was ist, geh'n wir nen Happen beißen und was vorglühen?“
Die Currywurst ist längst vergessen; Geschmacksverstärker in zwölf Sorten hat ein dringendes Bedürfnis nach einer anständigen Pizza hinterlassen, und niemand backt die besser als Stjepans Mama. Eine Kroatin, so klein und rund, dass sie wohl unter meinen ausgestreckten Armen durchlaufen, ich sie aber nicht mit beiden umfassen kann.
Stjepan lotst mich durch einige Nebenstraßen zum Parkplatz eines Pornokinos. In stolzer Breitspurigkeit präsentiert er mir einen silbernen Sportwagen, mit dem er für mich endgültig in der Liga der Möchtegerns angekommen ist.
„Und, was sagst du zu meinem kleinen Spielzeug?“
„Nicht schlecht. Aber lass uns abhauen, bevor jemand Ärger macht.“ Ich deute auf das Schild Nur für unsere Kunden. Früher war Stjepan vorsichtiger. Kein unnötiger Ärger, das hatte er jedem gefragt und ungefragt eingebläut, einen Strafzettel wegen Falschparkens zu kassieren, hätte er sich nie erlaubt.
„Ach das!“, er winkt ab. „Das Kino gehört nem Kollegen. Im Augenblick halt ich nen bescheidenen Anteil dran, aber wenn das nächste Ding läuft, wie geplant, kann ich bis zur Hälfte einsteigen …"
„Moment mal“, bremse ich ihn. „Ich bin auf Bewährung raus, also erzähl mir nichts, was mich in Schwulitäten bringt.“
Er raucht inzwischen stinkige Zigarillos; trotz der Kälte hat er die Scheibe heruntergelassen, ascht aus dem Fenster und stößt Rauch im Takt der überlauten Musik aus.
„Schade eigentlich“, meint er schließlich. „Es wäre auch ein Job für dich dabei gewesen. Ehrlich, wie maßgeschneidert, ich hab‘ schon die ganze Zeit gegrübelt, wo ich den passenden Mann dafür finde. Ich sehe dich und denke: Martin hat der Himmel geschickt! Überleg es dir, Mann! Für dich mach ich natürlich einen Freundschaftsanteil!“
Ich zögere immer noch, er lacht übertrieben und klopft mir auf den Schenkel. „Junge, hab' ich dich schon jemals in was reingeritten? Das ist todsicher! Was ist, Döner oder Pizza?"
"Fahren wir lieber zu dir, und du erklärst mir alles in Ruhe. Bei so was will ich keine langen Ohren am Tisch."
Er ist auf einmal gar nicht mehr begeistert, lässt den Motor ein paar Mal an der roten Ampel grundlos aufheulen, als sei der Fuß auf dem Gaspedal so unentschlossen wie er selbst. "Na gut!" Übertrieben fröhlich fletscht er die Zähne. "Ist aber ein bisschen außerhalb."
Er lenkt den Wagen über die Stadtautobahn Richtung Norden; vorbei an der Plattenbausiedlung, die dreißig Jahre sein Zuhause war, in Richtung Yachthafen und Badestrand.
"Was treiben die anderen denn so?"
"Toni sitzt ein. Betrug, zwei Jahre. Und Sandro ist in der Klapse, ist auf nem Trip hängen geblieben."
Keine schönen Nachrichten. Sandro war für jeden Spaß zu haben, ohne ihn wird etwas fehlen.
"Schade um den Kurzen."
"Ist selbst schuld - ich hab ihm immer gesagt, er soll das Zeug nicht schlucken, sondern verkaufen. Golo und Manni machen jetzt einen auf schwul. Dennis lebt mit ner Schwarzen in Berlin. Bei den anderen ist alles beim Alten."
Kurz vor den Straßen, in denen Reich und Schön residieren, biegt er links in einen weiß verputzten Vorort ab. Riesige, stille Vorgärten mit Rosenrabatten, messerscharfen Buchsbaumhecken und abgezirkelten Sandkästen ohne Kinder. Ich frage mich, wo die stecken. In der Klavierstunde vielleicht, oder auf dem Ponyhof, wie Lena, meine dickliche kleine Nichte, die ich nur von Fotos kenne. Kathrin ist der Ansicht, ich hätte einen schlechten Einfluss auf die Kinder, und Torsten, der Schlappschwanz, setzt sich nicht durch. Auch damals unter den Nachbarsjungs musste ich für ihn die Verhältnisse klar stellen, obwohl ich der Jüngere und einen Kopf kleiner war. Wenigstens durfte Marie, Lenas große Schwester, mir ab und zu schreiben. Zehn Tage bevor ich eingebuchtet wurde, hatte ich ihr zur Erstkommunion eine Playstation geschenkt, die Kathrin zwar sofort konfiszierte, dennoch, der süße Fratz hat es nie vergessen.
Stjepan parkt den Nobelschlitten in der Einfahrt einer verklinkerten Miniaturvilla am Ende einer Sackgasse, die aussieht, als hätten sich in ihr die oberen Zehntausend der modernen Architektur in Modellbau versucht.
„Du wohnst nicht mehr bei deiner Mamita? Wie kannst du nur leben, ohne ihre Pizza und die gemachte Wäsche, und dass sie dir die Ohren lang zieht, wenn du morgens um halb fünf nach Hause kommst?“
„Ach das!“ Stjepan lacht. „Irgendwann wird jeder erwachsen und will was Eigenes; eine Frau, verstehst du, Kinder, eine bescheidene Hütte …“
„Scheinst dich ganz schön gemausert zu haben, während ich gesiebte Luft geatmet habe.“
„Ich kann mich nicht beklagen. Aber komm erst mal rein, und sieh es dir von innen an!“
In der Diele stolpere ich beinahe über einen Spielzeugbagger. Eine Kinderjacke ist vom Garderobenhaken gerutscht und verdeckt halb quietschgrüne Gummistiefel mit Comicmotiv.
„Oh, sie sind schon zu Hause!“ Stjepan lächelt gequält. „Eigentlich wollten sie übers Wochenende zu meiner Schwester fahren.“
Ich frage mich, warum es ihn zu stören scheint, dass Frau und Kind daheim sind, und er sich genötigt sieht, mich möglichst hastig in die Küche zu schieben.
„Trinkst du immer noch Whisky ohne alles? Ich habe einen guten Tropfen da, musst du probieren! Hier nimm, ich ruf‘ nur kurz die Jungs an, muss doch gefeiert werden, dass du wieder draußen bist!“
Einen doppelten Jack Daniels konnte ich noch nie stehen lassen, allzumal ich nur in seinen Genuss kam, wenn jemand einen ausgab. Ich kippe die Hälfte auf ex, und ziehe gelangweilt ein paar Schubladen auf. Messer links, Gabeln rechts, kleine Löffel quer davor, und in einer Krimskramsdose, zwischen Küchengummis, Büroklammern und verbogenen Schlüsseln ein silbernes Armband mit falschen Smaragden.
Ich stelle das Glas leise auf die Marmoranrichte zurück, und schleiche am Wohnzimmer, wo Stjepan telefoniert, vorbei in die Diele zurück und die weitläufige Wendeltreppe in den ersten Stock hinauf. Im Erdgeschoss war das Kinderspielzeug das einzige Lebenszeichen in der weißen, rechteckigen Wohnlandschaft; keine Haftnotizen, keine herumliegenden Zeitschriften oder sonstiger Kram ließen vermuten, dass in diesem Haus Menschen lebten. Nicht einmal zwischen die abstrakten Drucke an den Wänden haben sie es geschafft. Doch mit jeder Treppenstufe nimmt das wohnliche Chaos zu. Stjepan ist wenigstens ein bisschen der Alte geblieben.
Hinter einer mit Disneymotiven beklebten Tür höre ich Stimmen.
„Nicht mit Klötzchen werfen, das tut der Mama weh! Kuck, so macht man das, die Kleinen auf die Großen …“
Sacht drücke ich die Klinke, und linse durch den Spalt.
Sie ist fett geworden, der Rock droht in der Naht zur reißen, als sie sich auf den Knien nach vorn beugt, um etwas unter dem Bett hervor zu holen; aber Stjepans Frauen waren schon immer groß und mollig. Was zum festhalten, wie er gerne sagte.
„Hallo Vicky!“
Sie dreht sich um, immer noch auf allen Vieren, und starrt mich mit offenem Mund an; klappt mit den aufgespritzten Lippen wie ein Karpfen. Das lange, dunkle Haar verdeckt nur spärlich ihren tiefen Ausschnitt, aus dem ihre Möpse fast hervorquellen. Erbleicht rutscht sie auf dem Hintern ein Stück rückwärts, und nun kann ich einen Blick auf das Kind erhaschen. Ein Junge, anderthalb vielleicht, aschblond, mit ernsten, engstehenden Augen und kleinen, angewachsenen Segelohren. Sein Gesicht hat jetzt schon nichts Weiches, Rundliches mehr; ich muss nicht fragen, wer der Vater ist.
„Ich hatte gar nicht mitgekriegt, dass du einen Braten in der Röhre hast. Wie heißt er?“
Sie steht auf und zerrt mit einer fahrigen Bewegung den hochgerutschten Rock über die Knie, als könne der etwas dafür. „Martin, ich …“
„Nein, du musst es mir nicht erklären … du musst im dritten Monat gewesen sein, als du dich das letzte Mal zu mir bequemt hast. Habt ihr da schon in diesem schnuckeligen Haus gewohnt?“ Die letzten Worte spucke ich ihr mit einer Ladung Speichel ins Gesicht, sie duckt sich unter dem Spuckeregen weg, als hätte ich sie geschlagen. Was für ein jämmerliche Schlampe!
„Martin, ich wollte dir schon lange … du hast doch selbst gemerkt, dass das mit uns …“
„Hab ich das? Hab ich das? Hat dir wer ins Hirn geschissen? Wie lange geht das schon so? Wie lange fickt ihr schon hinter meinem Rücken, verdammt nochmal?“ Ich schreie so laut, dass Stjepan es hören muss, aber das ist mir egal. „Soll er dich auch fingern, während er dich in den Arsch fickt? Leckt er dir auch Ketchup aus der Möse, und bläst du ihm einen in der ersten Reihe im Kino, dass alle …“
„Martin hör auf! Hör endlich auf!“, sie kreischt so schrill, dass es in den Ohren gellt. „Raus!“ Mit verzerrter Fratze schleudert sie den ersten Bauklotz nach mir. „Raus, du verdammtes Schwein, dass du dich überhaupt noch blicken lässt nach allem …“, auf jedes dritte Wort folgt ein Holzklotz, bis ich ihre Hände festhalte und sie gegen die Wand stoße.
„Was nach allem? Weil ich deinen Vater beklaut habe? Und wer wollte unbedingt nach Griechenland in den Urlaub? Weil ich unser Kind nicht wollte? Herrgott, du warst siebzehn und ich arbeitslos, wir hatten doch selbst nichts zu fressen, was sollten wir da mit einem Balg?“
Sie wird ganz klein und still unter meinem Griff, die Füße rutschen haltsuchend aus den Lederpumps. Die Luft, die sie heftig ausstößt, verursacht mir Übelkeit.
„Sei du bloß froh, dass ich auf Bewährung raus bin, sonst würde ich dir alle Zähne einschlagen, und sie deinem verdammten Stecher in den Arsch schieben!“
Ich lasse sie los, sie rutscht die Wand herunter und beginnt zu flennen; das Wasser schießt regelrecht aus den Augen, kein Hollywoodfilm kann das so schön. Nur weg aus dieser Schmierenkomödie!
„Martin?“ Stjepan kommt die Treppe herauf, witzig, spritzig, ganz geschniegelter Arschkriecher.
Meine Fäuste jucken, die Hacken brennen, ich stoße ihn zur Seite, dass er gegen die Wand taumelt, und dränge wortlos an ihm vorbei und nach draußen.
Ein stinkender Tattergreis nimmt mich in seinem rostigen Kombi mit ins Zentrum. Es wird spät und kalt, der Sommerblouson hält den Wind nicht länger ab. Ich zähle meine Möglichkeiten; unterm Strich bleibt nur Torsten. Torsten, mit dem Sitz im Gemeinderat und dem auch sonntags gestellten Wecker, mit dem rasiermesserscharf getrimmten Vorgartenrasen und dem Landhaussofa, das die Katze nicht einmal ansehen darf.
Ich stecke die letzte Kippe an, Torsten mit seiner Kleinspedition, in der er einen Job für mich hat, und dem Gästezimmer, das ich vorerst nutzen kann, bis die Einliegerwohnung eingerichtet ist, wie er imer wieder erzählte.
Bisher konnte ich mich auf sein Wort verlassen.
Ich klappere mit dem Kleingeld in der Tasche, ratlos zwischen Zigarettenautomat, Schnellrestaurant und Fahrkartenschalter. In vier Minuten fährt der letzte Zug, ich muss mich jetzt entscheiden.
Oberpfalz. Warum eigentlich nicht.