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Entrümplung

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10.10.2006
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Entrümplung

Es war ein unechtes Gefühl. So als spielte ich es nur. Ich beobachtete in der Schule, wie Brüder zueinander waren. Benjamin und Gustav Gladbeck, zwei Brüder. Benjamin natürlich der jüngere. Zwei Jahre auseinander, Benjamin eher robust und rotgesichtig, Gustav hager und schlaksig, ein wenig linkisch, der war in meinem Alter.
Sie mochten sich, glaube ich, gar nicht. Respekt spielt in dem Alter sowieso keine Rolle, aber doch wenn man sie gefragt hätte, ich vermute: Beide hätten bezeugt, einander zu lieben. Eine Art angeborene, irgendwo im Geist versteckte Liebe, verborgen in einer Blackbox wie die Anlage des Säuglings zu sprechen. Ein Kind kann jede beliebige Sprache lernen, mit der es aufwächst. Es hat die Anlagen für alle, das Justieren ist das Problem.
Gustav und Benjamin, ich hätte sie fragen sollen, wie sie es machen. Was das für eine Liebe war. So eine Art Rudelinstinkt, dass sich beide auf dem Schulhof spinnefeind sein konnten, aber dann, wenn einer von beiden bedroht wurde, der andere ihm doch zu Hilfe kam. Ich verstehe das nicht. Ich hätte sie fragen sollen.

„Du hast nie von ihm erzählt“, stellt Sabine nüchtern fest. Ich hätte ihr den Brief nicht gezeigt, sie öffnet einfach meine Post. Ich hab ihr das nie erlaubt, es hat sich so eingeschlichen. Man ist zu bequem, ihr das Brotmesser aus der Hand zu nehmen, mit dem sie ihre eigenen Briefe öffnet, und dann fragt sie, so als wäre nichts dabei: „Hier ist auch ein Brief von der Sparkasse an dich, soll ich ihn aufmachen?“, und man sagt: „Ja, warum nicht.“ Ist mit den Augen vielleicht noch bei der Tageszeitung, weil man liest, dass Gustav Gladbeck heiratet. Und auf einmal öffnet Sabine jeden Brief.
„Da gibt es nichts zu erzählen“, sage ich. „Ich kannte ihn kaum.“
„Du gehst aber schnell ins Präteritum“, sagt Sabine.
Und man schaut sie an und denkt: „Mein Bruder ist tot, red nicht vom Präteritum“ und es erschreckt mich, dass sie mich nicht in den Arm nimmt. Dass sie weiß, es ist nicht notwendig. So, dein Bruder ist tot, kann ich dir was vom Bäcker mitbringen?
„Wir müssen runter nach Detmold. Wo zum Teufel liegt Detmold?“
„Unten. Hast du doch gerade beschlossen“, sage ich. Bei Sabine liegt alles immer unten.
„Machen wir das gleich morgen, dann hast du es hinter dir.“
Wir machen gar nichts“, sage ich und reiße ihr den Brief aus der Hand, weil mir der Informationsvorsprung auf die Nerven geht. Ich überlege, mir eine Wimper rauszurupfen, am besten so, dass sie es nicht sieht, aber das ist nicht nötig.
„Bitte“, sagt sie. „Wenn du wieder deine Phase hast ...“ Sabine verlässt den Raum, ich stehe da mit dem Schreiben. Bedauern, tot, Detmold.
Ich konnte nicht einmal mit einem lebenden Bruder umgehen. Was fange ich mit einem toten an?

Mein Bruder war älter als ich, viel älter. Sieben Jahre, das ist eine Ewigkeit. Wir waren nie auf derselben Schule. Das Gymnasium ist in einem anderen Gebäude als die Mittelpunktschule, die Mittelpunktschule in einem anderen als die Grundschule. Wenn ich von irgendetwas auf dem Schulhof bedroht wurde, war ich mein eigenes Rudel.
Wir haben auch zu Hause nie gesprochen, mit ihm wurde über mich gesprochen, ja: „Kümmere dich um deinen kleinen Bruder“, hieß es, und „Nimm doch mal deinen kleinen Bruder mit.“
Ich hätte mich auch gehasst.
Es fühlt sich schon unecht an, wenn ich daran denke. Unechte Menschen in unechten Orten, die unechte Dinge tun. Klar, ich hatte einen Bruder. Ja, ich hatte eine Kindheit, aber das gehört nicht hier her.
Ich habe Sabine nichts von ihm erzählt, weil es nichts zu erzählen gab. Ich war neun, als er weg ist. Acht, als er das erste Mal ein Mädchen mit an den Frühstückstisch brachte. Sechs, als er einen Malwettbewerb gewann. Fünf, als ein Artikel in der Zeitung über ihn war, Wunderkind. Was weiß ich, was er mit dreizehn gemacht hat. Zwei Katzen aus einem brennenden Haus gerettet. Eine neue Farbe erfunden. An die Decke seines Zimmers ein verdammtes Fresko gekleistert.
Mit elf hatte ich die Ohren voll von ihm. Von seinem Namen, von dem Porträt meiner Mutter, auf das ich jedes Mal beim Essen glotzen musste. Es sah ihr nicht einmal ähnlich. Blau und gelb, wild gemischt, ein paar Augenbrauen konnte man vielleicht erkennen, aber darauf angesprochen nur hohle Luft: „Das Wesen erkannt, die Essenz.“ Ich war elf und hab gemerkt, dass das Bullshit war.
Mit fünfzehn schaute ich irgendwann in die Buchstabensuppe und auf das Porträt meiner Mutter und mir fiel auf, dass wir seit drei Wochen nicht mehr über ihn gesprochen haben.
„Was grinst du denn so?“, hat mich mein Vater damals gefragt.
„Nichts“, hab ich gesagt.
„Du machst doch da keine schweinischen Wörter mit der Buchstabensuppe, oder?“
Ich hab hoch geschaut und ihm zugezwinkert und er hat zurückgezwinkert. Wahrscheinlich war ich ihm nicht so unheimlich wie sein ältester Sohn. Vor drei Wochen hatte er aufgehört, in unserem Haus zu existieren.
Von der Kunsthochschule sei er ohne Abschluss abgegangen, hörte man. Eine Vernissage verklage ihn, erzählte man sich. Er hätte sich mit einer Zigeunerin eingelassen, sei vom christlichen Glauben abgefallen, lebe unter eine Brücke, sei nach Kanada ausgewandert, arbeite für Ärzte ohne Grenzen, sei mit einer Lustseuche infiziert, gehe nicht mehr ans Telefon, studiere bei einem großen Meister, habe sich umgebracht. Munkelte man.

„Warum grinst du so?“, fragt mich Sabine. Sie ist vom Bäcker zurück.
Ich schaue auf und sage: „Things to do in Detmold, when you’re dead.“
„Ich find das nicht komisch”, sagt sie. „Meinst du das ernst, du willst das alleine machen?“
So als wäre das ein Rückschritt in unserer Beziehung, als wolle ich sie nicht dabei haben, damit ich die Verlobung noch eine Stück nach hinten schieben kann.
„Ja, das meine ich ernst“, sage ich.
„Soll ich dir den Zug buchen?“
Ich nicke.
„Für wann?“
„In zwei Wochen.“
„Das ist ein Samstag dann.“
„Das ist mir egal“, sage ich.
Zwei Wochen sind eine gute Zeit, dann ist er unter der Erde.

Der Brief kam vor zwei Wochen. Mein Bruder ist tot.
Sabine hat meinen Koffer gepackt, ich weiß gar nicht, was drin ist. Hemden, nehme ich an. Zwei Wochen sind viel zu kurz, ich hätte Urlaub von der Nachricht gebraucht.
„Drück dich ja nicht“, hat Sabine schon einen Tag nach dem Brief gesagt, aber nicht mehr angeboten mitzufahren.
Detmold liege in Ostwestfalen-Lippe, erklärte sie mir. Habe ungefähr 74.000 Einwohner und sei bekannt für die historische Altstadt und den Lippischen Pickert, was wohl so eine Art Reibekuchen ist.
Oh, und es liege im Westen. Ich müsse in Hannover umsteigen, in Löhne und in Herford. Wie lange es denn dauere, fragte mich Sabine, wegen der Rückfahrt.
„Darum kümmere ich mich“, habe ich gesagt.
Ich weiß gar nicht, was ich hier soll. Ich hatte achtundzwanzig Minuten Aufenthalt in Herford. Was hab ich erwartet? Dass mich am Gleis jemand mit einem Reibekuchen empfängt?
Die Bahnfahrt ist gegenstandlos, so als reise man in einem mobilen Vakuum, im Inneren eines Reinraums. Niemand ist je in meiner Kabine, auf dem Gang huschen Schemen vorbei. Ich stelle mich schlafend, wenn ich jemanden sehe. Das Bordmagazin berichtet von einem asiatischen Konzertvirtuosen. Mir wird schwindlig, wenn ich während der Fahrt lese.
Das Konzept, einen Bruder zu haben, hätte mir sogar gefallen können. Vielleicht ist der Gedanke schon eine ausreichende Form der Trauer.
Keiner wird mir für diese Fahrt danken. Es ist niemand zum Danken mehr übrig.

Ich steige in Detmold aus und denke: „Hier, war erst der Reibekuchen. Herford ist vielleicht bekannt für Linsensuppe. Herforder Linsensuppe, die hat schon Napoleon hier in Herford gelöffelt und gesagt: „Quel magnifique, c’est le soupé du linsen!“ Mein Bruder hat bestimmt französisch gesprochen, die Sprache der Kunst und Italienisch auch. Latein für den Kopf, Englisch fürs Geschäft, Italienisch für die Liebe und Französisch für die Kunst.
Karl der Große hat das gesagt: „Ich spreche Spanisch zu Gott, Italienisch zu den Frauen, Französisch zu den Männern und Deutsch zu meinem Pferd.“
Der Taxifahrer kommt irgendwoher aus dem Ostblock. Er ist Tscheche, Slowake, Bulgare, ich weiß es nicht.
Als er mich rauslässt, denke ich, er kommt mit. Dass er fragt, ob er mitkommen kann. Dass er irgendetwas sagt. Nein. Transaktion abgeschlossen, ich stehe vor dem Haus, in dem mein toter Bruder gewohnt hat.
Sabine hat mit dem Vermieter gesprochen. Der Schlüssel kam erst vor drei Tagen. Er muss in einer geheimen Tasche des Koffers sein, irgendeine abstruse Seitenöffnung, Sabine hat so etwas gesagt.
„Er müsste doch ein Atelier gehabt haben, wenn er Maler war“, hab ich mehr zu mir als zu ihr gesagt.
„Er hat gemalt?“, hat sie gefragt, mit diesem obszönen Blick, den alle Frauen haben, wenn sie über Maler sprechen. So als wäre das, ich weiß es nicht. Irgendetwas ganz Besonderes. Etwas Kosmisches.
Ich habe den Raum verlassen.

Ich schließe die Tür zu seiner Wohnung auf.
Ich habe Leichengeruch erwartet. Manchmal, wenn ich an meinen Bruder gedacht habe, hatte ich den Gestank verbrannten Fleisches in der Nase. Tote Menschen riechen wie eine Grillfeier. Ich hab mal gelesen, Geruchseinbildungen seien ein erstes Anzeichen eines Hirntumors. Ich dachte, es rieche so, als öffne man den Mülleimer, in den man ein paar Tage zuvor eine überreife Banane geworfen hat. Nur fleischiger und herzhafter.
Aber es riecht … muffig. Nach abgestandenem Tabakdunst, nicht nach Terpentin, sondern nach Nikotin. Hier muss er gelebt haben. Auf der braunen Couch hat er gesessen, natürlich kein Fernseher da, nicht mal Bücher, eine karge Wohnung, eine Wohnung ohne Eigenschaften.
Sofa, Tisch, Magazine. Vielleicht wurde eingebrochen? Das ist doch eine Fernsehzeitung. Ich schaue auf das Deckblatt, sie ist drei Jahre alt.
„Das ist okay“, sage ich zu der Frau auf dem Titelblatt. „Du willst nicht, dass dich jemand kennenlernt. Denk ja nicht, dass mich das nun reizt.“
Ich schiebe die braunen Vorhänge zur Seite. Er ist im Schlafzimmer gestorben, eine Nachbarin hat ihn gefunden, wenigstens nicht durch den Verwesungsgestank. Er war mit dem Reinigen des Treppenhauses dran.
Das hätte mir gefallen, ihn mit gelben Handschuhen über die Fliesen rutschen zu sehen, aber wahrscheinlich hat er es elegant gemacht, im Stehen und den Mob wie einen Pinsel geschwungen. Hätte den Boden in Sektoren eingeteilt und das Putzzeug verteilt wie Farbe.
Die Nachbarin hat ihn gefunden, sie hat einen Schlüssel zu seiner Wohnung.
„Sie sagt, manchmal sei er wochenlang nicht zu Hause gewesen und sie hat dann bei ihm gelüftet.“ Sabines Stimme in meinem Kopf wieder. Sabine hat mit der Nachbarin gesprochen. Eine junge Frau, sagte sie. Sie habe aufgelöst geklungen. Sagt es wie einen Vorwurf an mich. Mit wem hat Sabine denn alles telefoniert? Vermieter, Nachbarin, Gerichtsmediziner, die örtlichen Maler wird sie ebenfalls abtelefoniert haben, wenn es so was in der Heimat des berühmten Reibekuchens geben sollte.
Ich könnte rüber gehen zu der jungen Nachbarin. Könnte sie fragen, ob ich das Porträt sehen kann, das er von ihr gemalt hat. Er hat bestimmt eins gemalt. Verzückt war sie, als er es gemalt hat. Verzückt: Ein junges Gefühl, wenn es altert, nennt man es „Sie ist aufgelöst.“
Hat wahrscheinlich gedacht, sie geht in die Kunstgeschichte ein. Ich würde es gern sehen und ich sehe es auch vor mir. Rot und gelb, wild gemischt, irgendwelche Augenbrauen. „Hach, die Essenz.“
Als meine Mutter tot war, hab ich mir das Porträt noch mal angesehen und gedacht: „Komm, dann sprich doch zu mir, wenn du es bist. Wenn du die Essenz meiner Mutter in dir hast, dann sprich doch mit mir.“ Aber das Porträt war stumm. Waren nur ein paar Farben und Augenbrauen. Wenn da die Essenz von irgendwas drin gewesen wäre - das ist ja ein heidnischer Glaube, so als könne man dem Menschen die Seele nehmen, wenn man ihn fotografiert -, dann wäre meine Mutter jahrelang rumgerannt, als hätte ihr etwas gefehlt.
Während ich in der Wohnung stehe, überlege ich, was ich Sabine erzähle. Ich hätte sein Tagebuch gefunden, werde ich sagen.
„Er hat schon lange mit dem Malen aufgehört, er hat einfach erkannt, dass er nicht gut genug war. Er war nichts Besonderes.“ Ich werde vortäuschen, ein Grinsen zu unterdrücken. „Er dachte, er könnte tief in sich selbst sehen, aber da war es dunkel und kalt. Ein Irrgarten war drin und er hatte Angst, hinabzusteigen. Er hätte sich verlaufen, ohne jemandem, der ihm die Laterne hält.“
Sabine wird nichts sagen.
„Er hat als Taxifahrer gearbeitet, ich denke mal, er hat sich umgebracht. Tabletten. Mit der Nachbarin lief wohl wirklich was. Da hattest du Recht. Ach komm, du hast es doch angedeutet, tu nicht so.“
Sabine wird nach unten schauen auf ihre Fußspitzen und so tun, als hätte ich nichts Böses über meinen toten Bruder gesagt.
„Mehr gibt es über ihn nicht zu erzählen“, werde ich sagen und den Raum verlassen.

Ich schaue aus dem Fenster, die braunen Vorhänge links und rechts von mir. Sabine hat noch einen Termin gemacht. Mit einem Entrümpler, Wohnungsauflösung und Söhne. In ein paar Stunden wird er kommen. Ich werde mich mit ihm treffen und ihm sagen: Alles weg. Bis dahin werde ich in einem Café warten und vielleicht Reibekuchen essen.
Bevor ich gehen kann, drehe ich mich um, gehe an dem Sofa vorbei ins Schlafzimmer. Dort sind sieben Gemälde. Zwei an der linken Wand, zwei über dem Bett, drei an der Wand davor. Ich schließe die Augen, ich sehe nur ein paar Farben. Ich weiß nicht, ob sie gut sind oder schlecht. Ich habe kein Auge dafür.
„Was ist mit den Bildern?“, wird ein Anruf des Entrümplers kommen.
Und Sabine wird drangehen und – Nein.
„Im Schlafzimmer hängen noch ein paar Kritzeleien“, werde ich dem Entrümpler gleich sagen, während ich etwas Reibekuchen esse. „Verbrennen Sie die doch einfach.“

 

Drei Wochen zovr hatte er aufgehört
zuvor

„Quel magnificuqe, c’est le soupé
magnifique (glaub ich)

Hallo Quinn,

mir spricht die Geschichte nicht so sehr an, aber ich glaube sie ist gut. Mir hat die Beschreibung der beiden Brüder zu Beginn am besten Gefallen, aber dann, naja... versinke ich ein wenig in dem Neid und der Gleichgültigekeit des Prots. Seine Gedankengänge sind zwar teilweise interessant, aber irgendwie hätte ich von der Handlung mehr erwartet. Vielleicht noch eine Wendung. Interresanter als die Beziehung zu seinem verstorbenen Bruder finde ich die Beziehung zu seiner Frau, glaube aber dass eigentlich erstere im Vordergrund stehen sollte. Ich finde den Prot einfach grundlos kalt, kann das Ganze nicht wirklich nachempfinden.


mfg,

JuJu

 

Hallo Quinn
Im Zeitpunkt des Todes sind wir uns plötzlich so nah, bis uns im nächsten Moment die Erkenntnis erschlägt, wie weit wir uns tatsächlich voneinander wegbewegt haben. Gilt für die Beziehung zu Sabine, wie für den Bruder.

Meiner Meinung nach zeichnest du gekonnt den zum Scheitern verurteilten Versuch deines Protagonisten, Gefühle herauf zu beschwören, die niemals da waren, aber eigentlich doch da sein müssten und nur verloren gegangen sind.
Das entnehme ich dem Neid auf die beiden Gladbeckbrüder, denn ansonsten lässt er ja kein gutes Haar an seinem Bruder, benutzt seinen Tod sogar als verbale Waffe für seinen nächsten Angriff im Beziehungskleinkrieg mit Sabine.

Nachwirkend! Hat mir gefallen.
Gruss.dot

 

Hallo Quinn,

sprachlich hat mir Deine Geschichte sehr gut gefallen.
Allerdings frage ich mich, ob Du Deinen Prot mit Absicht so gleichgültig gegenüber allem und jedem entworfen hast.

„Bitte“, sagt sie. „Wenn du wieder deine Phase hast ...“

Was für eine Phase? Würde mich interessieren.

Ich häte mich auch gehasst.

Hier hätte mich eine Szene zwischen den Brüdern interessiert. Wie der Ältere z.B. den Jüngeren widerwillig mitschlepppt, nur um ihn an der nächsten Straßenecke stehen zu lassen, etc.

Drei Wochen zovr (sic!) hatte er aufgehört, in unserem Haus zu existieren.

Weshalb? Weil er sich nicht mehr meldet? Weil Gerüchte im Umlauf sind? Weil er sich verleugnen lässt, weil der Staatsschutz bei den Eltern vor der Tür steht und nach ihm fragt, weil .... Auch das würde ich gerne lesen.

Besonders gefällt mir die Stelle, wo der Prot die Todesumstände des Bruders erfindet; hier blitzt zum ersten Mal deulich etwas von seinem Charakter durch (lakonische Wurstigkeit rangiert bei mir nich unter Charakter). Wobei ich vermute, dass Sabine längst von der Nachbarin, vom Vermieter, von ich weiß nicht wem mehr und anderes erfahren hat ...

Was ich noch klasse fand: ich hatte die Ohren voll von ihm. Gegenstandslose Bahnfahrt. Lippischer Pickert. Und noch ein paar andere Formulierungen, die ich gerne klauen würde ;).

LG
Pardus

 

Hallo Quinn,

gestern habe ich die Geschichte zum ersten Mal gelesen und fand sie fad, langweilig und unbemerkenswert.

Heute habe ich sie erneut gelesen und finde sie ... fad, langweilig und unbemerkenswert. Hehe. Nein, heute fand ich sie besser. Wirklich. Heute hat sie mir gefallen.

Ich finde übrigens seine fehlenden Gefühle sehr deutlich dargestellt. Ich hätte das sogar verstanden, wenn die Szene mit den zwei Brüdern am Anfang nicht gewesen wäre.

Sein Bruder war einfach nicht da. Er hat sich in einige Gerüchte aufgelöst, ist schon vor seinem Tod aus dem Leben getreten, in derselben Art, wie jemand, der seinen Pass wegwirft.

Gut.

Schöne Grüße,

yours

 

Hallo Quinn,
diesmal finde ich es richtig schwer, deine Geschichte einzuordnen, mal sehen: Ich finde, der Kern sollte die Beziehung der Brüder sein.
Sabine, Präteritum, Buchstabensuppe, all das finde ich ablenkend und mir kam der Gedanke, dass du vor der schmerzhaften Konfrontation ein bisschen weggelaufen bist. Meiner Meinung nach wäre es wichtig gewesen, die Beziehung der Brüder deutlicher zu differenzieren, gar nicht wortgewaltig, sondern schlicht, wie du es ja begonnen hast.( Gefühle spielen, in der Hoffnung, etwas zu empfinden) Ein fantastischer Ansatz! So erscheint der Prot. eher farblos, dabei könnte seine Farblosigkeit ja echte Kälte sein, wirklicher Hass oder völlige Gleichgültigkeit. Am Schwierigsten stelle ich mir vor, eine dauernde Ambivalenz herauszuarbeiten, wobei es mir scheint, als sei das deine Absicht gewesen. Vielleicht weniger deskriptiv, mehr Einblicke in die Beziehung der Brüder, in ihre Gefühlswelt. Die gibt es ja, auch bei dem Altersunterschied. Blut ist dicker als Wasser, wissen wir ja alle...
Vom Thema her gefällt es mir mal wieder sehr gut, ich liebe Beziehungskisten jedweder Art.
LG,
Jutta

 

Hallo Juju,

magnifique (glaub ich)
Das Französisch da ist ja eh Quatsch und das sollte das noch mal verstärken.

mir spricht die Geschichte nicht so sehr an, aber ich glaube sie ist gut. Mir hat die Beschreibung der beiden Brüder zu Beginn am besten Gefallen, aber dann, naja... versinke ich ein wenig in dem Neid und der Gleichgültigekeit des Prots.
Jap, das ist das Problem der Geschichte, klar. Die ist auch so angelegt einfach. Die beiden Brüder dienen ebenfalls nur dazu, die Abwesenheit und gleichzeitige Allgegenwart des eigenen Bruders deutlich zu machen. Wobei ich ihn nicht gleichgültig finde.

Seine Gedankengänge sind zwar teilweise interessant, aber irgendwie hätte ich von der Handlung mehr erwartet. Vielleicht noch eine Wendung. Interresanter als die Beziehung zu seinem verstorbenen Bruder finde ich die Beziehung zu seiner Frau, glaube aber dass eigentlich erstere im Vordergrund stehen sollte.
Die Beziehung zu seiner Frau spiegelt das gestörte Verhältnis zum Bruder praktisch wieder, die Auswirkungen davon.

Ich finde den Prot einfach grundlos kalt, kann das Ganze nicht wirklich nachempfinden.
Jau, schade, aber ich kann's verstehen, danke dir für den Kommentar
Quinn

Hallo dotslash,

freut mich, dass dir die Geschichte was geben konnte. "Nachwirkend" ist natürlich ein schönes Kompliment.
Danke dir
Quinn

Hallo Pardus,

Allerdings frage ich mich, ob Du Deinen Prot mit Absicht so gleichgültig gegenüber allem und jedem entworfen hast.
Klar, ist das absichtlich, wobei ich wie gesagt, ihn nicht "gleichgültig" finde. Es ist vielleicht etwas Ähnliches, aber für mich keine Gleichgültigkeit.

Besonders gefällt mir die Stelle, wo der Prot die Todesumstände des Bruders erfindet; hier blitzt zum ersten Mal deulich etwas von seinem Charakter durch (lakonische Wurstigkeit rangiert bei mir nich unter Charakter). Wobei ich vermute, dass Sabine längst von der Nachbarin, vom Vermieter, von ich weiß nicht wem mehr und anderes erfahren hat ...
Gerade an der Stelle sollte auch deutlich werden, was genau er ihm vorwirft, in dem Satz, dass sein Bruder gescheitert ist, weil ihm niemand die Laterne gehalten hat. Das ist halt auch wechselseitig. Es ist nicht nur der Neid, sondern auch eine Sehnsucht, die er sich selbst nicht eingesteht, die aber zwischen den Zeilen durchschimmern sollte. Ist wohl zu wenig im restlichen Wust dieser Desorientierung, er ist, für mich, in der gleichen Leere, die er seinem Bruder in den letzten Zeilen andichtet. Das ist für mich der Kernpunkt der Geschichte, aber okay, es ist wohl einfach nicht gut genug dargestellt.

An irgendwelchen Wendungen und Formulierungen kannst du dich gerne bedienen, danke dir für den Kommentar
Quinn

Hallo yours,

freut mich natürlich, dass du der Geschichte eine zweite Chance gegeben hast, ich glaub auf inutitiven Lesegenuss ist die nicht ausgelegt, das stimmt schon, die muss man eher dedektivisch lesen, fürchte ich. Hab ich schon paar Mal probiert, geht meistens schief. Hier wohl auch mehr oder weniger.

Danke dir für den Kommentar
Quinn

Hallo Jutta,

Sabine, Präteritum, Buchstabensuppe, all das finde ich ablenkend und mir kam der Gedanke, dass du vor der schmerzhaften Konfrontation ein bisschen weggelaufen bist.
Ich nicht, der Erzähler. Ja, klar. Wobei die schmerzhafte Konfrontation ja in der allgegenwärtigen Leere besteht.

Meiner Meinung nach wäre es wichtig gewesen, die Beziehung der Brüder deutlicher zu differenzieren, gar nicht wortgewaltig, sondern schlicht, wie du es ja begonnen hast.
Die Beziehung der beiden Brüder gibt es nicht, das sollte ja rauskommen, es ist eine einseitige Beeinflussung, wenn man so will, aber er hat auf das Leben seines Bruders nie irgendeinen Einfluß gehabt, bis auf das "Pass auf ihn auf".

So erscheint der Prot. eher farblos, dabei könnte seine Farblosigkeit ja echte Kälte sein, wirklicher Hass oder völlige Gleichgültigkeit. Am Schwierigsten stelle ich mir vor, eine dauernde Ambivalenz herauszuarbeiten, wobei es mir scheint, als sei das deine Absicht gewesen.
Es geht ja nicht um den Bruder, es geht um den Erzähler. Die Ambivalenz ist für mich schon da, nur wird die Leere eben als Farblosigkeit gelesen.

Vielleicht weniger deskriptiv, mehr Einblicke in die Beziehung der Brüder, in ihre Gefühlswelt.
Das Deskriptive ist in der Tat das Problem bei der Geschichte. Eigentlich schwebt mir da immer durch den Kopf, dass der Erzähler sich durch das Erzählte selbst entlarven sollte, das klappt hier wohl aber nicht, weil die Art, wie er erzählt, dann zu uninteressant ist.

Danke auch dir für deinen Kommentar
Quinn

 

Hallo Quinn!

Das ist eine starke Geschichte. Schön ruhig, eindringlich, tolle Sprache. Ich wollte sagen: Der Einstieg ist toll, und der Absatz danach ist noch besser, aber das müsste ich dann zu jedem Absatz sagen, ganz ohne Schleim jetzt. ;) Man muss die Geschichte in Ruhe lesen, die ist wirklich gut. Was ich auch gut finde ist, dass es nicht so eine klassische Bruder-Tod-Geschichte ist: am Anfang mögen sie sich nicht, aber der eine stirbt und der andere merkt, wie gern er ihn doch hatte. Dein Erzähler hier kann einfach gar nichts mit seinem Bruder anfangen, auch wenn er es gerne hätte. Mag ich. Ende ist super.

Sabine ist eine blöde Kuh, furchtbar besitzergreifend, mal ehrlich. Auf mich wirkt sie eher wie seine Großmutter als seine Freundin, aber ich glaub es gibt echt Frauen, die so sind. Noch besser wärs ja gewesen, wenn er dann seine Freundin auch gleich verlassen hätte, aber man kann nicht alles haben. :D Wie sie da seinen Koffer packt. Ts.

Kleinkram:

Benjamin natürlich der jüngere.
Wieso natürlich?
aber doch wenn man sie gefragt hätte,
Entweder Komma nach "doch" oder du streichst das Wort.
Beide hätten bezeugt, einander zu lieben.
Hmm. Wirklich? Machen das Kinder? Dass sie einander lieben, merkt man doch eher an ihrem Verhalten, wenns drauf ankommt. Ich glaube nicht, dass sie das zugeben würden, zumindest nicht in dem Alter. Aber ich weiß es nicht, ich bin ja Einzelkind. :D
Wie lange es denn daure,
Daure? Nicht eher dauere?
„Quel magnificuqe, c’est le soupé du linsen!“
Also ehrlich, Quinn. Das ist soooo eine faule Ausrede. c’est le soupé du linsen! ist super, weil es wirklich so klingt, als könne er kein Französisch, das ist also glaubhaft. Aber du bist einfach zu faul, magnifique auszubessern. Wenn es ein Aussprachefehler des Erzählers ist, dann macht es keinen Unterschied, ob du magnifique oder magnificuqe schreibst, ernsthaft. ;)
natürlich kein Fernseher da, nichtmal Bücher,
nicht mal

Ich würde dir ja gerne starke Passagen zitieren, aber da sind einfach so viele, die ich mag. Wirklich gut.

Liebe Grüße,
strudel

 

Hey Quinsäy!

Die Brüder leben für mich in zwei Welten, allein schon der Altersunterschied ist für mich ein Grund, dass sie sich so auseinander gelebt haben und andere Interessen haben. So ein kleiner Bruder ist doch auch nervig, der andere, der talentierte, bekommt von den Eltern mehr Aufmerksamkeit, jedenfalls denkt das dein Prot. Für mich ist der Fall klar: Er ist das Arschloch, weder der Bruder noch Sabine, noch irgendwer. Der hat sich da in seinen Vorstellungen und in seine Meinung festgefahren und er will da auch nicht raus. Haste alles sehr schön glaubhaft dargestellt. Brav!

Die Szene mit der Buchstabensuppe mag ich, die ist dir am besten gelungen, weil sie ohne viele Worte seinen Charakter zeigt.

Ja, und das mit der Gleichgültigkeit lese ich auch eher raus, als Hass oder ein anderes Gefühl. Da schwenkt auch bisschen, okay, viel Neid mit, aber hauptsächlich ist es ihm doch total egal, dass das Genie jetzt tot ist.

„Verbrennen Sie die doch einfach.“

Autsch! Das ist echt ein richtiges Trampeltier, dein Prot.

apfelstrudel schrieb:
Sabine ist eine blöde Kuh, furchtbar besitzergreifend, mal ehrlich. Auf mich wirkt sie eher wie seine Großmutter als seine Freundin, aber ich glaub es gibt echt Frauen, die so sind.
Frauen sind so, weil es Männer gibt, die solche Frauen wollen. Wenn er sich so von ihr bemuttern lässt, dann kommt ihr das ganz gelegen. Sie ist eigentlich die Dumme in der Geschichte, weil sie das mit sich machen lässt. Eine normale Frau hätte sich beleidigt zurückgezogen, weil er sie ausschließt und auch noch die Koffer gepackt haben will.

Habe ich gerne gelesen.

JoBlack

 

Hallo apfelstruddel,

Das ist eine starke Geschichte. Schön ruhig, eindringlich, tolle Sprache. Ich wollte sagen: Der Einstieg ist toll, und der Absatz danach ist noch besser, aber das müsste ich dann zu jedem Absatz sagen, ganz ohne Schleim jetzt.
Das freut mich. ;)

Wieso natürlich?
Benjamin heißt "der Jüngere".

Freut mich, dass die Geschichte so gut bei dir ankam, deine Anmerkungen arbeite ich noch ein, danke dir für die Kritik
Quinn

Hey Jo,

schön, dass es auch dir gefallen hat. Danke dir für den Kommentar
Quinn

 

Hey Quinn,

auch diese Geschichte von dir hat mich mal wieder sehr angesprochen. Guter Aufbau, gutes tempo, gute Bilder.
Es gab beim Lesen nicht einen Punkt, an dem ich rausgeflogen bin.
Gerne hätte ich noch mehr von der Beziehung der beiden erfahren, einige Anekdoten wie die Angelegenheit mit dem Schulhof. Wir wissen, dass er der Libelingssohn war, dass er sich nie um den kleinen Bruder gekümmert hat. Das bringst du sehr gut zur geltung. Es gab sicherlich auch schöne Momente, doch die blendet der Erzähler aus.
irgendwo sucht und braucht er den Bruder als Entschuldigung für seine eigene Unfähigkeit, sich von den dingen lösen zu können, unabhängig sein zu können. In meiner Lesart scheint er seinem bruder gerade diese Unabhägigkeit zu neiden. Ein großes thema, wenn man sich die Bemutterung durch seine Freundin betrachtet. Er traut sich nicht ein freies Leben zu führen und rechtfertigt es, indem er sich das freie Leben des Bruder schlecht redet.
Du selbst lässt ja eine Wertung über den toten Bruder aus. Das trägt zu der Stärke des textes bei. keiner ist wirklich sympathisch und doch zieht es einen mit.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo Weltenläufer,

auch diese Geschichte von dir hat mich mal wieder sehr angesprochen. Guter Aufbau, gutes tempo, gute Bilder.
Es gab beim Lesen nicht einen Punkt, an dem ich rausgeflogen bin.
Das freut mich natürlich.

Gerne hätte ich noch mehr von der Beziehung der beiden erfahren, einige Anekdoten wie die Angelegenheit mit dem Schulhof. Wir wissen, dass er der Libelingssohn war, dass er sich nie um den kleinen Bruder gekümmert hat. Das bringst du sehr gut zur geltung. Es gab sicherlich auch schöne Momente, doch die blendet der Erzähler aus.
Jap, das Ausblenden eben. So eine Geschichte beitet eine Überfülle an Stoff, aus dem man einfach auswählen muss, und der Fokus ist halt auch hier in dem Ich-Erzähler gefangen und der will sich nicht soviel mit seinem Bruder beschäftigen, das ist vielleicht auch das tragische, dass er da auf der langen Zugfahrt, wo er ja wirklich sonst nichts zu tun hat, dann irgendeinen Scheiß macht.

irgendwo sucht und braucht er den Bruder als Entschuldigung für seine eigene Unfähigkeit, sich von den dingen lösen zu können, unabhängig sein zu können. In meiner Lesart scheint er seinem bruder gerade diese Unabhägigkeit zu neiden. Ein großes thema, wenn man sich die Bemutterung durch seine Freundin betrachtet. Er traut sich nicht ein freies Leben zu führen und rechtfertigt es, indem er sich das freie Leben des Bruder schlecht redet.
Jap, wirklich scharf beobachtet. Und er denkt gleichzeitig auch, dass sein Bruder gescheitert ist, weil er nicht ihn an seiner Seite hatte.

Du selbst lässt ja eine Wertung über den toten Bruder aus. Das trägt zu der Stärke des textes bei. keiner ist wirklich sympathisch und doch zieht es einen mit.
Ah, das freut mich. ;) Danke dir für die Kritik
Quinn

 

Hallo Quinn,

eine wunderbare Geschichte! Ich gebe allerdings zu, dass ich da nicht objektiv bin, weil das eines "meiner" Lieblingsthemen ist. Aber gerade deshalb stehe ich der Umsetzung vielleicht sogar kritischer gegenüber als andere. Egal. Ich finde dein sprachliches Niveau wirklich bemerkenswert! Viele wichtige Informationen und Botschaften erfahre ich durch Dialoge und finde sie zwischen den Zeilen. SO muss das sein und so was macht mir beim Lesen einfach Spaß. Das unterscheidet nicht nur die guten Geschichten von den schlechten, sondern die richtig guten auch noch mal von den "nur" guten Geschichten.

Das hier ist eine richtig gute Geschichte, zweifellos!

Rick

 

Hallo Rick,

hab mich sehr über deinen Kommentar und die Empfehlung gefreut. ist ein schönes Gefühl, jemanden ... das klingt immer so kitschig ... erreicht zu haben oder ihn wenigstens zu beschäftigen.

Schön, wenn das gelingt, danke dir
Quinn

 

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