Er hatte so dieses Gefühl...
Er hatte so dieses Gefühl...
Von Anfang an hasste er das Zimmer. Diese alte, schon ins Gelbliche übergehende weiße Tapete, die sich an den Ecken des Raumes von der Wand löste und dort abstand, bröselig wie altes Laub. Dann war da noch dieses alte, schwarze Metallbett, mit Stahlfedern unter der Matraze, sowas kannte er sonst nur aus billigen Jugendherbergen.
Erwarteten seine Eltern allen Ernstes, er solle darauf schlafen?
Die Antwort lautete natürlich "Ja!", wo sollte er denn sonst hin... Etwa auf den harten, leicht schimmelig riechenden Holzboden? Nein danke, da war das Bett dann doch besser. Wobei er mit dem Gedanken spielte, sich eine Luftmatraze zuzulegen. Keine schlechte Idee, unheimlich war das Zimmer trotzdem. Der alte Schrank mit der großen Doppeltür, die wie ein umgedrehtes U geformt war, jagte ihm bereits vom ersten Anblick an Schauer über den Rücken. Das Ungetüm sah aus, als könne es jederzeit zum Leben erwachen, seine Türen selbständig öffnen. Vielleicht war es ja sogar so, man konnte bei solchen Zimmern in solchen Häusern nie wissen.
Die bisherigen siebzehn Jahre seines Lebens verbrachte er in Berlin, Rummel, Hektik und buntes Treiben auf den Straßen, ja, das war er gewohnt, das liebte er. Doch seine Eltern standen nicht auf Großstädte, darum kam ihnen das Angebot für dieses alte Haus mitten im Nirvana im Osten Deutschlands sehr recht. Ihren Beruf erledigten seine Eltern von zu Hause aus, beide waren Schriftsteller, die sich auf die verschiedenen Architektur von Gebäuden in der ganzen Welt spezialisiert hatten. Daher rührte auch ihr Faible für alte, länger leer stehende Häuser. Und nun waren sie tatsächlich in ein solches eingezogen.
Weit und breit gab es keine Nachbarn, das nächste Dorf war 12 Kilometer entfernt, dort würde er zur Schule gehen. Wie er sich schon darauf freute, in aller Herrgottsfrühe aufstehen zu müssen, um rechtzeitig mit dem Fahrrad losfahren zu können. Buslinien führten hier nicht entlang. Doch vielleicht hätte er sich an alles gewöhnen können, wenn er nicht in diesem gottverdammten Zimmer wohnen müsste.
Gleich in der ersten Nacht wurden seine unguten Gefühle bestätigt. Er beschloss, dass er hier niemals wieder nächtigen würde und es gelang ihm auch. Schließlich erlebte er noch nicht einmal den nächsten Morgen.
Sobald er seinen Eltern gute Nacht wünschte, stieg er hundemüde in dieses grausige Bett. Es war die reine Folter, ja, ein Folterbett. Die Stahlfedern stachen ihm hart in den Rücken, sie drangen sogar durch sein Kissen, sein Kopf lag wie auf faustgroßen Steinen. Er schlang die Decke um seinen Körper, um das quälende Drücken der Federn etwas zu lindern. Er wäre sogar fast eingedöst, doch dann spürte er ein leichtes Ziehen an der Decke, die ihn umgab, die ihm Schutz bot. Er öffnete seine Augen. Dunkelheit umgab ihn, das Ziehen hielt weiter an. Als sich seine Augen langsam an die Lichtverhältnisse gewöhnten, sah er eine kleine, braune Hand, die sich an seiner Decke zu schaffen machte.
Panisch kroch er aus der Decke hinaus, die gleich darauf vom Bett gezogen wurde. Sein Blick fiel auf den Schrank. Die Türen waren geöffnet, schemenhaft sah er, wie Wesen, vielleicht fünfzig Zentimeter groß, daraus hervor kamen.
Es waren so viele. Unendlich viele.
Die Hand, die seine Decke weggezogen hatte, legte sich erneut auf das Bett, eine weitere kam hinzu. Sie krallten sich in die Matraze und hieften eines der Wesen aus dem Schrank auf das Bett. Es glotzte ihn an, große, kugelrunde Augen, kahler Kopf, braune ledrige Haut. Bald darauf kamen mehr und mehr der Wesen aufs Bett geklettert. Er musterte sie , hatte sich bereits jetzt seinem Schicksal hingegeben. Irgendwie hatte er es von Anfang an geahnt. Nur eine Nacht in diesem Zimmer. Noch nicht einmal eine ganze. Er nahm es kaum war, als sich das erste der Wesen auf ihn stürzte, sich seine Genitalien packte, sie abriss und auffrass. Weitere Wesen machten sich über ihn her, rissen seine Zunge heraus, stritten sich um sie wie wilde Tiere, die Finger wurden ihm abgebissen, er merkte nicht, dass er schrie, er tat es auch nicht wirklich, sein Mund war voller Blut, bloß ein Gurgeln tönte heraus.
Es waren so viele.
Unendlich viele.