Was ist neu

Erinneralität

Seniors
Beitritt
24.04.2003
Beiträge
1.444
Zuletzt bearbeitet:

Erinneralität

Als Heinrich elf Jahre alt war, hatte sein Vater die Mutter während eines Streites am Hals gepackt, und so lange zugedrückt, bis sie sich nicht mehr bewegte.
Anschließend hatte er Heinrich befohlen, ihm einen Kasten Bier aus dem Schuppen zu holen.
In den frühen Morgenstunden war Heinrich dann bewusst geworden, dass seine Mutter sich niemals mehr bewegen würde, und da hatte er geweint.
So erzählt er heute von damals, wenn man ihn danach fragt.

Der Bus kommt zu spät, überlegt er, und tritt unsicher von einem Bein aufs andere.
Warum kommt der Bus immer dann unpünktlich, wenn man es selbst auch eilig hat?
Er zündet sich eine Zigarette an, versucht, die wartenden Leute zu übersehen, damit sie ihn vielleicht auch übersehen. Manchmal gelingt ihm das sogar, sich vorzustellen, unsichtbar zu sein; oder besser noch: nicht zu existieren. Kann man sich vorstellen, einfach nicht da zu sein?
Aber der frühe Mittag bringt jetzt zu viele Menschen mit sich, was Heinrichs Bemühungen von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Er wird nervös, saugt gierig, bis der Filter heiß wird an den Lippen. An manchen Tagen, redet er sich ein, liegt eine bedrohliche Aura in der Luft. Dann ist das Unheil beinahe greifbar. Heinrich ist überzeugt davon, dass er dann besser zu Hause bleiben sollte.
Aber das geht nicht. Wenn er die Termine verpasst, bringt man ihn vielleicht wieder in die Klinik, und von der hat er genug.

Endlich kommt der Bus, fährt viel zu weit vor, so dass Heinrich ihm hinterhereilen muss. Die Hände hat er tief in den Taschen versenkt.
Wenn du jetzt fällst, wirst du dir die Nase brechen ... wenn du mir jetzt ins Wort fällst, werde ich dir die Nase brechen.
Hydraulisches Schnaufen. Der Bus neigt sich zur Seite, die Türen öffnen sich.
Erst die Leute aussteigen lassen. Du willst mit niemandem Ärger anfangen.
Viel zu wenige kommen heraus, und eindeutig zu viele steigen ein. Einen Sitzplatz kann er vergessen. Es wird zu einem Gedränge kommen.
Heinrich muss sich ganz klein machen, damit er von den anderen, normalen Fahrgästen nicht zerquetscht wird. Er drückt die Schultern zusammen, dass die Gelenke schmerzen. Er stellt sich vor, wie er sich selbst ineinander drückt, bis nichts, außer einem Strich bleibt.
Wo soll er sich festhalten? Überall sind Hände; greifen und klammern nach Stangen oder Schlaufen. Heinrich muss sich beeilen, sonst wird er beim Anfahren umkippen, mitten in all diese gierigen Hände, und sie werden nach ihm schlagen, solange, bis er ...
"Ey, pass auf, Alter."
Jetzt ist es passiert! Jetzt gibt es Ärger!
Erst Sekunden später begreift Heinrich, dass gar nicht er gemeint gewesen ist. Zwei Jugendliche streiten sich im Mittelraum des Busses, der in diesem Augenblick losfährt.
Heinrich fällt nach rechts, gegen die Schulter eines großen Mannes.
"Entschuldigen Sie bitte", sagt er viel zu laut.
"Kein Problem." - Der große Mann wendet seinen Blick wieder dem Fenster zu. Heinrich bricht der Schweiß aus.
Fünf Haltestellen. Wie soll er die nur aushalten. Zu allem Übel steht er auch noch in Türnähe; also potenziell im Weg. Man wird ihn bei jedem Halt als Hindernis betrachten.
Und plötzlich weiß er: Das, und nur das, ist die Hölle, und du bist mittendrin.
Und noch ein Gedanke schleicht sich mit erbitterter Trägheit durch seinen Geist: Das hast du so verdient.

Eine Viertelstunde später findet sich ein zitternder Mann vor dem alten Gebäude ein.
Die herbstliche Sonne taucht die Szenerie in goldenes Licht. Rote und gelbe Blätter werden behutsam vom Wind getragen.
Ob es Feen gibt, die ganz doll pusten müssen? Wenn der Wind nachlässt, sind sie dann erschöpft, oder gar gestorben? Er versucht, sich eine tote Fee vor Augen zu holen. Verfault und mit abgeknicktem Flügel.
Heinrich verliert sich fast in diesem Anblick, betritt dann jedoch die Eingangshalle.
Kalt. Hier ist es kalt. Die Sonne ist verschwunden.
Der Fahrstuhl knarrt und quietscht; eine Frau schließt einen Regenschirm, der wie Delphinhaut glänzt und dann verschrumpelt.

"Herr Marlus wäre jetzt da", spricht die Dame ins Gegensprechgerät.
Wie seltsam, dass er jetzt da wäre. Vielleicht ist Heinrich ja gar nicht da, hat sich endlich aufgelöst. Bloß eine Möglichkeit, seine Anwesenheit hier. Das wäre schön.
Wieder schießen Fragen durch sein Hirn, die ihm gar nicht gut tun. Zwanghafte Vorgänge, da kann man nichts machen. So oder so ähnlich hat der Herr Doktor es einmal formuliert. Ganz los werde man Neurosen nie.
"Nehmen Sie bitte noch einen Augenblick Platz." - Wie sie das sagt, ohne Augenkontakt. Ist er unhöflich zu ihr gewesen?
Auf dem Weg ins Wartezimmer rekapituliert Heinrich das Geschehene zum ersten Mal.
Er ist aus dem Fahrstuhl gekommen, hat sich um ein Lächeln bemüht, sich mit vollem Namen angemeldet, obwohl die Dame ihn kennt. Zu welchem Zeitpunkt ist er dabei unfreundlich geworden ... war das Lächeln seinerseits überhaupt sichtbar, oder hat er es bloß erfunden?
Auf dem Weg vom Wartezimmer in den Behandlungsraum rekapituliert er das Geschehene zum dreißigsten Mal.

Es ist ein gedanklicher Flash gewesen, und unverhofft explodierten tausend Scheiben in Millionen Splitter. Die Hände brutzelten heiß auf den Wangen, im schnellen Rhythmus, während ein Sexfilm im Videorekorder abgespielt wurde.
Mutter ist tot, Mutter ist tot.
Die Mama ist tot!

"Schönen guten Tag, Herr Marlus." - Bis auf das letzte Wort klingt alles wie eine Bandansage aus dem Mund des Arztes. Mit Namen tut er sich immer schwer.
"Wie geht es Ihnen? Mit der Medikation noch alles in Ordnung?"
Heinrich dirigiert sich zappelnd auf den Ledersessel.
"Gut", antwortet er. - "Nur die Kopfschmerzen, die sind ..."
"... unerlässlich", beendet der Arzt den Satz.
Heinrich nickt.
"Ja, weil ich bestraft werde."
Ein schweres Brillengestell wird nach oben gerückt, landet auf einem Nasenhöcker. Linke Augenbraue zieht sich hoch, die rechte driftet ins gedankliche Nirvana. Die Lippen finden keine konkrete Stellung und verharren irgendwo zwischen Nachdenklichkeit und Stumpfsinn.
Ein Kugelschreiber wird aus der Brusttasche gezückt. Notizen entstehen, werden wieder verworfen und in abgeänderter Weise neu formuliert.
Klackende Miene, knarrende Stühle. Eine Uhr tickt. Heinrich geht es schlecht.
Seine Augen suchen die Ferne jenseits des schmalen Fensters. Die Sonne ist weg. Ein Regenschauer.
"So kommen wir nicht weiter, aber das wissen Sie bereits."
"Ich habe wieder geträumt, wie mein Vater sie erwürgt."
Der Arzt schüttelt den Kopf.
"Herr Marlus, das ist nie passiert. Ihre Mutter starb an akutem Lungenversagen."
Heinrich wehrt ab.
"Nein, ich ... ich meine, mein Vater ... er hat ... und wenn ich sie erwürgt habe? Ich werde diese Angst nicht ..."
Schweigen.

Halt dein Maul, du Bastard!
Halt doch selbst dein Maul, du Fotze!

Alles zerbricht.

Seine Angst ist plötzlich verflogen, als Heinrich sich bewusst macht, dass er den Weg zurück zu Fuß antreten kann. Nun muss er ja keinen Termin mehr einhalten.
Ein hagerer Typ mit weiter Hose und dreckigem Pullover stellt sich in einer Seitenstraße vor ihn, und zieht ein Messer aus der Tasche.
"Hast du Geld dabei?"

Das ist es endlich, denkt Heinrich, und überlegt, wie er reagieren soll.

 

hi cerberus

erinnerungen und realität? habe ich das richtig entschlüsselt?
am anfang denkt man, dass der junge psychisch krank ist, halt ein neurotiker mit all den macken, die man zu kennen glaubt. und das hast du wirklich sehr schön dargestellt. er fühlt sich unnützlich. wünscht sich, sich auflösen zu können und von der welt, von seinen menschen unerwünscht. aber dann geht er zum arzt und es stellt sich heraus,(jedenfalls für mich) dass er ein schizophrener ist.
das würde dann auch die wendung erklären. weil am ende seine gedanken 'selbstbewusster' klingen als am anfang. und dann der letzte satz:

Das ist es endlich, denkt Heinrich, und überlegt, wie er reagieren soll.
soll wohl heißen, 'wer' nun reagieren soll.
aber auch diese inneren streitigkeiten, die er mit sich führt.
Halt dein Maul, du Bastard!
Halt doch selbst dein Maul, du Fotze!

Alles zerbricht.

weist alles auf einen schizophrenen hin. und dann das zerbricht. er nimmt nun eine neue persönlichkeit an.
da hätte ich dann auch was zu meckern(falls es überhaupt stimmt, dass er ein schizophrener ist)
du machst das ein wenig zu eindeutig. 'seine angst war plötzlich weg.' ich kann dir nicht sagen, ob ein schizophrener sich so wandelt, aber für mich war das ein wenig auffällig.

außerdem hat es mich an den film 'zwielicht' mit edward norton erinnert. und da es mich an diesen film erinnert hat, hat es mir auch gefallen.;)

cu J:baddevil:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Cerberus!

Sehr interessante Geschichte, die mich stilistisch – besonders wegen der eingestreuten Fragen – etwas an sims Stil erinnert hat. Falls Du tatsächlich versucht hast, Dir da eine Scheibe abzuschneiden, ist Dir das wohl gelungen (sonst wär’s mir ja nicht aufgefallen). Vielleicht ist es aber auch nur Zufall. ;)

Jedenfalls hat sie mir recht gut gefallen – nur den Schluß hab ich nicht so recht verstanden. Also meiner Meinung nach wird der Protagonist therapeutisch gezwungen, seine Erinnerungen zu verdrängen, bzw. werden sie ihm ja gar nicht geglaubt. Seine Realität existiert für die anderen nicht, und daher kommt es wohl auch, daß er mit seiner Existenz Probleme hat. Er hat ständig Angst, etwas falsch zu machen, was besonders im Bus deutlich wird, hat immer gesagt bekommen, was er zu tun und wie er sich zu verhalten hat, er hat die Sprüche seines Vaters so verinnerlicht, daß er sie ständig hört, und bekommt auch von seinem Therapeuten ständig gesagt, was er zu tun hat und wie etwas ist. Der Therapeut ist eigentlich nur ein »Vaterersatz«.
Am Schluß ist er dann plötzlich in einer Situation, in der ihm niemand sagt, was zu tun wäre – ah, jetzt geht mir ein Licht auf: Weil keiner da ist, der ihm sagt, was er zu tun hätte, wie er reagieren soll, beginnt er selbst zu denken und da zu sein! Er wurde im Käfig des Behütetseins gefangengehalten.

Bin gespannt, ob Du das so gemeint hast. :)

Besonders gefallen haben mir v. a. diese beiden Stellen:

Er stellt sich vor, wie er sich selbst ineinander drückt, bis nichts, außer einem Strich bleibt.
"Herr Marlus wäre jetzt da", spricht die Dame ins Gegensprechgerät.
Wie seltsam, dass er jetzt da wäre. Vielleicht ist Heinrich ja gar nicht da, hat sich endlich aufgelöst. Bloß eine Möglichkeit, seine Anwesenheit hier. Das wäre schön.

Und noch ein bisschen Seziertes:

»Manchmal gelingt ihm das sogar, sich vorzustellen, unsichtbar zu sein; oder besser noch: Nicht zu existieren.«
– kein ganzer Satz nach dem Doppelpunkt, daher klein weiter: noch: nicht
– wegen der Betonung: Die beiden fetten Satzzeichen würde ich entweder vertauschen, oder statt »gelingt ihm das sogar« »gelingt es ihm sogar« schreiben.

»Aber der frühe Mittag bringt jetzt zu viele Menschen mit sich, was Heinrichs Bemühungen von vornerein zum Scheitern verurteilt.«
– »jetzt« würde ich streichen
– von vornherein

»Er wird nervös, saugt eher, anstatt zu rauchen.«
– das »an« vorm »statt« würde ich killen

»Viel zu wenige kommen heraus, und eindeutig zu viele steigen ein.«
– den Beistrich würde ich streichen

»Er drückt die Schultern zusammen, dass die Gelenke schmerzen. Er stellt sich vor,«
– zweimal selber Satzanfang
– statt »dass« würde ich »bis« schreiben

»Erst Sekunden später begreift Heinrich, dass gar nicht er gemeint gewesen ist.«
– wäre da für »gemeint war«

»"Entschuldigen Sie bitte", sagt er viel zu laut.«
– Sie, bitte

»"Nehmen Sie bitte noch einen Augenblick platz."«
Platz

»Auf dem Weg vom Wartezimmer in den Behandlungsraum rekapituliert er das Geschehene zum dreißigsten mal.«
Mal

»und unverhofft explodierten tausend Scheiben in millionen Splitter.«
Millionen

»Seine Angst ist plötzlich verflogen, als Heinrich sich bewusst macht,«
– da fände ich »bewusst wird« irgendwie richtiger als »bewusst macht«

Liebe Grüße,
Susi :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo zusammen.

Die Rechtschreibfehler hab ich ausgebügelt.

@JoBlack87

am anfang denkt man, dass der junge psychisch krank ist, halt ein neurotiker mit all den macken, die man zu kennen glaubt.
dann geht er zum arzt und es stellt sich heraus,(jedenfalls für mich) dass er ein schizophrener ist.

Hm, schizophren würde ich eigentlich nicht sagen.
Der Titel ist im Grunde ausschlaggebend. Heinrich hat durch seine Zwangsgedanken, also das ständige geistige Wiederholen von Handlungen, die Übersicht darüber verloren, was Realität und was erfundene Erinnerung ist. Deutlich soll das auch dadurch werden, dass er die Szene mit der Arzthelferin ständig rekapituliert, bis er nicht mehr unterscheiden kann, ob er sich so und so tatsächlich verhalten hat, oder ob seine Phantasie Dinge hinzugedichtet hat.

weist alles auf einen schizophrenen hin. und dann das zerbricht. er nimmt nun eine neue persönlichkeit an.

Vielleicht hätte ich mehr Hinweise geben sollen. Die kursiven Stellen sind kurze Fragmente seiner Vergangenheit, die immer mal wieder kurz aufblitzen (so zum Beispiel auch das Nase brechen).
Ich wollte damit andeuten, dass sein Vater wohl ein ziemliches Arschloch gewesen ist, weshalb Heinrich ihm den Tod der Mutter in die Schuhe schiebt, sich aber aufgrund seiner Ängste immer mehr in Gedanken verläuft, und schlussendlich sogar die Möglichkeit in Betracht zieht, dass er selbst seine Mutter erwürgt hat.
Tatsache ist jedoch, dass seine Mutter von niemandem getötet wurde, was Heinrich aber nicht anerkennen will.

@Häferl

Falls Du tatsächlich versucht hast, Dir da eine Scheibe abzuschneiden, ist Dir das wohl gelungen

Zumindest nicht bewusst, da ich aber fast alle Geschichten von sim gelesen habe, ist es durchaus möglich, dass ich mich ein wenig von seiner Erzählweise habe leiten lassen, ohne es richtig zu merken.

Also meiner Meinung nach wird der Protagonist therapeutisch gezwungen, seine Erinnerungen zu verdrängen, bzw. werden sie ihm ja gar nicht geglaubt. Seine Realität existiert für die anderen nicht, und daher kommt es wohl auch, daß er mit seiner Existenz Probleme hat.

Eigentlich sagt sein Therapeut ihm nur die Wahrheit, verhält sich dabei aber ziemlich plump, so dass es ihm nicht gelingt, Heinrich von der Realität zu überzeugen.
Heinrich hat durch seine Neurosen viele Ängste entwickelt, und glaubt daran, dass sein Vater, oder möglicherweise er selbst die Mutter getötet hätten, und fühlt sich daher in jeder Situation schuldig. Einerseits glaubt er, bestraft werden zu müssen, andererseits hält er die Menschen für böse.

Am Schluß ist er dann plötzlich in einer Situation, in der ihm niemand sagt, was zu tun wäre – ah, jetzt geht mir ein Licht auf: Weil keiner da ist, der ihm sagt, was er zu tun hätte, wie er reagieren soll, beginnt er selbst zu denken und da zu sein!

Genau.
Gerade hat er seine Angst kurzzeitig verloren, weil ihm zu Bewusstsein kommt, dass er für den Rückweg nicht den Bus zu nehmen braucht, und dass daher auch nichts passieren kann, und dann passiert tatsächlich das, was Heinrich immer befürchtet hat.
Er wird überfallen.
Wie er reagieren wird, wollte ich der Phantasie des Lesers überlassen, und habe das Ende daher offen gehalten.

Euch beiden vielen Dank fürs lesen und für eure Kommentare.

Grüße

Cerberus

 

Hallo Cerberus,

ich fand die Geschichte ganz spannend. Ich finde, du hast den Prot gut dargestellt, ich konnte mir ihn fast bildlich vorstellen, wie er versucht allem Ärger aus dem Weg zu gehen. Ich dachte zuerst er tut das, weil er letztendlich die Mutter getötet hat und jetzt Angst davor hat wieder jemanden zu verletzen/umzubringen. Und letztendlich ist er sich ja auch gar nicht sicher, ob er es evtl. gewesen ist. Einen Satz fand ich irgendwie seltsam:

Die Hände brutzelten heiß auf den Wangen, im schnellen Rhythmus, während ein Sexfilm im Videorekorder abgespielt wurde.

Der erste Teil mit den Händen geht ja noch, obwohl ich den auch etwas verquer formuliert finde, beim zweiten Teil würde ich vielleicht eher schreiben: während auf dem Fernseher ein Porno flimmerte. Sexfilm hört sich für mich komisch an und bei dem abgespielt wurde, fragt man sich, wer spielt das ab. Dabei beziehst du dich ja auf den Videorekorder. Naja, ist aber nur meine Meinung.

Leider fand ich auch den letzten Satz und damit das Ende nicht so gelungen. Ich habe verstanden, was du damit sagen willst, aber so richtig gut gefallen hat mir das nicht. Was besseres fällt mir aber auch nicht ein...:(

Also, der Text ist interessant und fesselnd zu lesen!

Grüße
Judith

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo lightdark.

Der von dir zitierte Satz ist in sich völlig zusammenhanglos. Heinrich erinnert sich an "heiße" Ohrfeigen und an einen Sexfilm. Es gelingt ihm nicht, die Vergangenheit zu ordnen.
So zumindest war das von mir gedacht.
Wenn du aber wirklich über den Satz stolperst, und er den Lesefluss stört ... mal schauen, ob ich ihn nochmal umformulieren sollte.

Okay, das Ende ist ... knapp.
Ein typisches Problem bei mir :)
In diesem Fall fand ich es jedoch eigentlich ganz passend. Ich wollte nicht zu dick auftragen, daher diese nüchterne Beschreibung.

Auch dir vielen Dank für deinen Kommentar!

Grüße

Cerberus


EDIT: Achso, wegen dem "Sexfilm": Da Heinrich die Erinnerung aus kindlicher Sicht betrachtet, hielt ich dieses Wort für ganz passend. Allerdings habe ich in einigen anderen Rückblenden eher eine erwachsene Sprache verwendet, was dann auch wieder nicht passt.
In diesem Sinne hab ich tatsächlich nicht aufgepasst.

 

Hallo Cerberus,

Der Bus kommt zu spät, überlegt er, und tritt unsicher von einem Bein aufs andere.
Warum kommt der Bus immer dann zu spät, wenn man selbst auch spät dran ist?
Wortwiederholungen

Warum ist der Bus immer dann unpünktlich, wenn man selbst zeitig knapp dran ist?

Er zündet sich eine Zigarette an, versucht, die wartenden Leute zu übersehen, damit sie ihn vielleicht auch übersehen.

Ich würde das vielleicht streichen, wirkt intensiver in der Aussage.


Aber der frühe Mittag bringt jetzt zu viele Menschen mit sich,
Liest sich holprig. Auch finde ich nicht das entsprechende Bild, mit dem erklärt werden soll, warum die Vorstellung Heinrichs "Nicht zu sein" scheitern soll.
Er wird nervös, saugt eher, anstatt zu rauchen.
Die Formulierung wirkt drollig auf mich ... ein schiefes Bild ...:lol:
Man zieht an der Zigarette um zu rauchen, wenn man daran saugt, raucht man immer noch eine Zigarette. Es sieht gierig aus.;)

Und noch ein Gedanke schleicht sich mit erbitterter Trägheit durch seinen Geist:

Ich überlege die ganze Zeit, ob dieser wichtige Teil nicht knackiger formuliert sein könnte. Schließlich ist es kein unwesentliches Detail, wenn der Protagonist unbewusst die Sühne erwartet.

Die herbstliche Sonne taucht die Szenerie in goldenes Licht.
Ausgelutschte Formulierung, sorry:D

Ob es Feen gibt, die ganz doll pusten müssen? Wenn der Wind nachlässt, sind sie dann erschöpft, oder gar gestorben? Er versucht, sich eine tote Fee vor Augen zu holen. Verfault und mit abgeknicktem Flügel.
Coole Passage,:thumbsup: irgendwie scheint sich der Prot gefühlsmäßig in ein Kind zurückzuverwandeln. Meiner Meinung auch ein Detail, dass noch ausführlicher erzählt werden sollte.


Es ist ein gedanklicher Flash gewesen, und unverhofft explodierten tausend Scheiben in Millionen Splitter. Die Hände brutzelten heiß auf den Wangen, im schnellen Rhythmus, während ein Sexfilm im Videorekorder abgespielt wurde.
Mutter ist tot, Mutter ist tot.
Die Mama ist tot!

Ein Flash ist ja die plötzliche Erinnerung an ein verdrängtes Trauma ...

Auch hier könntest du mMn. mehr ausschmücken und vor allen Dingen, das Erlebnis nicht hinter standartisierten Formulierungen verstecken.

Linke Augenbraue zieht sich hoch, die rechte driftet ins gedankliche Nirvana. Die Lippen finden keine konkrete Stellung und verharren irgendwo zwischen Nachdenklichkeit und Stumpfsinn.

Hier wird dem Leser Heinrichs Wahrnehmung übergestülpt. Der Leser kann nicht mehr unterscheiden, ob der Erzähler noch über die Figur spricht, oder er selbst zur Figur geworden ist.

Seine Angst ist plötzlich verflogen, als Heinrich sich bewusst macht, dass er den Weg zurück zu Fuß antreten kann. Nun muss er ja keinen Termin mehr einhalten
.
Hier habe ich zum inhaltlichen Verständnis ein Problem.

Eben noch war die Angst, die Mutter getötet zu haben im Vordergrund. Welche Angst wird hier gemeint? Platzangst????

Das ist es endlich, denkt Heinrich, und überlegt, wie er reagieren soll.

Soll das heißen, Heinrich überlegt, ob er sich töten lassen soll?:confused:


Die Geschichte stimmt nachdenklich, die Nöte des Protagonisten sind teilweise sehr intensiv geschrieben.
Einige Formulierungen ( s.o )finde ich nicht so gelungen, auch der Titel spricht mich nicht an.
Den Einstieg in die Geschichte finde ich stilistisch sehr gelungen. Man merkt, du hast an deinem Stil gefeilt.

Das Ende ist mMn inhaltlich noch zu überarbeiten.
Gerne gelesen:)
Lieben Gruß
Goldene Dame

 

Eigentlich sagt sein Therapeut ihm nur die Wahrheit, verhält sich dabei aber ziemlich plump, so dass es ihm nicht gelingt, Heinrich von der Realität zu überzeugen.
Heinrich hat durch seine Neurosen viele Ängste entwickelt, und glaubt daran, dass sein Vater, oder möglicherweise er selbst die Mutter getötet hätten, und fühlt sich daher in jeder Situation schuldig. Einerseits glaubt er, bestraft werden zu müssen, andererseits hält er die Menschen für böse.
Jetzt würde mich natürlich interessieren, ob Du einfach nur was falsch verstanden hast in der Psychologie, oder ob Du tatsächlich Anhänger dieser konservativen, sich autoritär über den Patienten stellenden Richtung bist, die die selbe ist, die auch sexuell Mißhandelten nicht glaubt, ihnen einzureden versucht, sie hätten sich ja alles nur eingebildet ...

Ich hoffe mal das Erstere ... :hmm:

 

Muß man einem von eingebildeten Ängsten Geplagten nur richtig Angst einjagen, und schon kann der (wieder) geradeaus denken? :D

Kein Zweifel, die Geschichte ist wirklich spannend geschrieben – spannend im Sinne von Erfahrenwollen, was mit dem Prot noch alles geschehen bzw. als wer er sich letztlich entpuppen wird -, doch so simpel wie in meinem ersten Satz angedeutet könnte man deine Geschichte, Cerberus, auch übersetzen. Und das ist leider zuwenig.

Zuwenig deswegen, weil du zwar im Detail beschreibst, wovor dein Prot Angst hat (praktisch vor allem und jedem), aber nicht das Warum. Weil das im Dunkeln bleibt, kann diese Geschichte nichts weiter sein als ein Portrait eines Sonderlings. Ein Portrait von außen, dem trotz aller Feinheiten an der Tiefe fehlt. Wie erfahren zwar jeden Gedanken und jede Regung des Prots, aber wir erfahren nicht, was ihn dazu treibt, gerade diese Gedanken und diese Regungen zu haben.

Entsprechend sind dann die Verständigungsschwierigkeiten beim Leser. Denn bei einem Menschen, der sich so wirr gibt und benimmt wie dein Prot, ist alles möglich – also auch Schizophrenie. Und wenn alles möglich ist, dann hat die Geschichte ihren Sinn verfehlt; es sei denn, du wolltest uns gerade das vermitteln.

In einer Replik hier hast du gesagt: „Heinrich hat durch seine Neurosen viele Ängste entwickelt“ Dieser Satz ist zwar ein Unding, aber er faßt deine Geschichte trotzdem schön zusammen: Mehr ist darin für mich nicht zu finden - außer vielleicht dem, was ich eingangs gesagt habe.

Dion

 

Hallo.

@Häferl

Jetzt würde mich natürlich interessieren, ob Du einfach nur was falsch verstanden hast in der Psychologie, oder ob Du tatsächlich Anhänger dieser konservativen, sich autoritär über den Patienten stellenden Richtung bist, die die selbe ist, die auch sexuell Mißhandelten nicht glaubt, ihnen einzureden versucht, sie hätten sich ja alles nur eingebildet ...

Weder noch.

@Dion

Muß man einem von eingebildeten Ängsten Geplagten nur richtig Angst einjagen, und schon kann der (wieder) geradeaus denken?

So ist das von mir nicht gemeint gewesen. Vielmehr hat Heinrich sich so sehr in seine Zwangsgedanken hineingesteigert, ohne, dass seine Befürchtungen dabei jemals wahr geworden sind.
Und gerade dann, als er gerade einmal keine / kaum Angst hat, passiert etwas.

Zuwenig deswegen, weil du zwar im Detail beschreibst, wovor dein Prot Angst hat (praktisch vor allem und jedem), aber nicht das Warum. Weil das im Dunkeln bleibt, kann diese Geschichte nichts weiter sein als ein Portrait eines Sonderlings.

Hmmm ... möglicherweise betrachtest du den Text von der falschen Warte aus.
Wichtig war mir, dass Heinrich als eine Person mit gestörtem Erinnerungsvermögen dargestellt wird, da er sich durch seine Zwangsgedanken eine eigene Vergangenheit geschaffen hat, von der er nicht mehr wissen kann, ob sie echt ist, oder, ob er sie selbst erfunden hat.

Denn bei einem Menschen, der sich so wirr gibt und benimmt wie dein Prot, ist alles möglich – also auch Schizophrenie.

Möglich ja, da gebe ich dir Recht.
Allerdings erwähne ich mit keinem Wort, dass er schizophren ist.
Bei einem Menschen, der stark neurotisch ist, sind viele Sachen möglich. Es kann nicht Sinn der Sache sein, sie alle auszuschließen.

In einer Replik hier hast du gesagt: „Heinrich hat durch seine Neurosen viele Ängste entwickelt“ Dieser Satz ist zwar ein Unding, aber er faßt deine Geschichte trotzdem schön zusammen: Mehr ist darin für mich nicht zu finden - außer vielleicht dem, was ich eingangs gesagt habe.

Stimmt, der Satz ist wirklich ein Unding. Habe ich übereilt formuliert.
Ansonsten: Wie gesagt, es war mir bei diesem Text wichtig, einen Menschen zu beschreiben, der sich aufgrund von Zwängen nicht mehr klar an seine Vergangenheit erinnern kann und sich aufgrund dessen in Situation hineindenkt, die möglicherweise niemals statt gefunden haben.

Danke für eure Kommentare!

Grüße

Cerberus

 

Hallo noch mal.

Großes Sorry an Goldene Dame.
Ich hatte deinen Kommentar gestern schon gelesen, und hab jetzt gerade aber direkt bei Häferl zu lesen angefangen.
War keine Absicht.

Also:

Wortwiederholungen

Ich hab den Satz umformuliert.
Eigentlich fand ich die Wiederholung in diesem Fall nicht schlimm, bei nochmaligem Lesen muss ich dir aber eindeutig recht geben. Dreimal "spät" kommt wirklich nicht gut.

Ich würde das vielleicht streichen, wirkt intensiver in der Aussage.

Hmm ... kann man sich drüber streiten. Ich bin selbst kein Fan von Füllwörtern, fnde es hier aber passend.

Ich würde das vielleicht streichen, wirkt intensiver in der Aussage.

Ebenfalls. Das vielleicht betont die reine Möglichkeit des Übersehens.

Liest sich holprig. Auch finde ich nicht das entsprechende Bild, mit dem erklärt werden soll, warum die Vorstellung Heinrichs "Nicht zu sein" scheitern soll.

Okay ... scheint wirklich unglücklich ausgedrückt. Vielleicht füge ich noch einen Ergänzungssatz ein.

Die Formulierung wirkt drollig auf mich ... ein schiefes Bild

Habs geändert in: Er wird nervös, saugt gierig, bis der Filter heiß wird an den Lippen

Ich überlege die ganze Zeit, ob dieser wichtige Teil nicht knackiger formuliert sein könnte. Schließlich ist es kein unwesentliches Detail, wenn der Protagonist unbewusst die Sühne erwartet.

Eine kleine Anspielung auf eines meiner Lieblingsbücher.

Ausgelutschte Formulierung, sorry

Habe ich gewollt kitschig geschrieben. Heinrich hat sein Ziel erreicht und kann erstmal durchatmen. Daher sieht er plötzlich alles etwas klischeehaft.

Ein Flash ist ja die plötzliche Erinnerung an ein verdrängtes Trauma ...

Auch hier könntest du mMn. mehr ausschmücken und vor allen Dingen, das Erlebnis nicht hinter standartisierten Formulierungen verstecken.


Wie ich es in den vorangegangenen Kommentaren geschrieben habe: Der Leser soll lediglich den Eindruck einer kaputten Kindheit bekommen. Ich wollte nicht explizit auf Details hinweisen, weil es aufgrund von Heinrichs schwammiger Erinnerung nicht plausibel wäre.

Hier wird dem Leser Heinrichs Wahrnehmung übergestülpt. Der Leser kann nicht mehr unterscheiden, ob der Erzähler noch über die Figur spricht, oder er selbst zur Figur geworden ist.

Da gebe ich dir nicht Unrecht, aber dann müsste ich auch die Stelle mit den Feen rausstreichen.

Hier habe ich zum inhaltlichen Verständnis ein Problem.

Eben noch war die Angst, die Mutter getötet zu haben im Vordergrund. Welche Angst wird hier gemeint? Platzangst????


Nein, er ist lediglich kurzzeitig erleichtert, weil ihm plötzlich einfällt, dass er nicht wieder in einen Bus steigen muss, da er es nun nicht mehr eilig hat.

Soll das heißen, Heinrich überlegt, ob er sich töten lassen soll?

Wenn du das meinst ...

Wie gesagt, ich will es der Phantasie des Lesers überlassen, was weiter geschehen wird.

Vielen Dank für diesen sehr ausführlichen Kommentar!

Grüße

Cerberus

 

Hi cerberus

Wie ich es in den vorangegangenen Kommentaren geschrieben habe: Der Leser soll lediglich den Eindruck einer kaputten Kindheit bekommen. Ich wollte nicht explizit auf Details hinweisen, weil es aufgrund von Heinrichs schwammiger Erinnerung nicht plausibel wäre.
Ich meine, du solltest den Flashback, wie er ist, genauer erzählen. Mir ist schnuppe, was die Erinnerung ist. Es geht mir um die die Darstellung der Emotionalität.
Das vielleicht betont die reine Möglichkeit des Übersehens.

Ja, so habe ich es auch verstanden. Da du aber den Prot so darstellen willst, dass er sich "verrennt" musst du dem Leser es auch zu spüren geben, dass der Heinrich sich auch "wünscht" unbemerkt zu bleiben. Der auktoriale Erzählstil lässt es zu, aus einer Möglichkeit, eine Tatsache zu machen.
Daher sieht er plötzlich alles etwas klischeehaft.
Eine ausgelutschte Formulierung überliest man als Leser und misst dem keine Bedeutung zu, weil Schablonen eben Schablonen sind.Dein Protagonist soll in keine Schablone gepresst werden. Wenn du seine Wahrnehmung klischeehaft beschreibst, um es ihm leichter zu machen, muss der Erzähler es erzählen:

Etwa so:
Die herbstliche Sonne taucht die Szenerie in goldenes Licht, als wolle sie Heinrichs Seele streicheln, seine Pein fortwischen, Vielleicht weil eine Fee sich seiner erbarmt hat, nun den Zauberstab hebt und alles wird gut flüstert.

Da gebe ich dir nicht Unrecht, aber dann müsste ich auch die Stelle mit den Feen rausstreichen.

Stimmt, aber nicht rausstreichen sondern als auktorialer Erzähler ausführlicher werden, (siehe Beispiel oben)wäre besser.

Nein, er ist lediglich kurzzeitig erleichtert, weil ihm plötzlich einfällt, dass er nicht wieder in einen Bus steigen muss, da er es nun nicht mehr eilig hat.
Es steht aber nicht da und die Fantasie des Lesers bemühst du hier zu sehr.

Vielen Dank für diesen sehr ausführlichen Kommentar!

Gern geschehen :)

GD

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom