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Erinnerungen an die perfekte Liebe
Erinnerungen an die perfekte Liebe
Es war ein lauer Herbsttag. Die meisten Bäume hatten bereits ihr Kleid verloren und die Blätter welkten auf dem grün grauen Boden. Es raschelte wenn man auf sie trat. Die Krähen hatten sich zusammengeschlossen um einen kahlen Baum einzunehmen, der direkt vor dem Innenhofeingang meiner Fakultät lag. Ich hatte noch Zeit bis das nächste Seminar begann und da ich niemand Bekanntes entdecken konnte, setzte ich mich auf eine alte bröckelige Kieselmauer die am Rande der Wiese lag. Wenn man sich hinsetzte, konnte man die Hände nach hinten stützen und die Füße lang machen um den Plattenbau der Fakultät zu betrachten. Ich drehte mir eine Zigarette und rauchte schweigend während ich den Krähen zusah, wie sie sich um die größten Äste balgten.
Eine Stimme ließ mich auffahren. Sie klang weich und gleichzeitig selbstsicher und eigen. Links vor mir stand ein Mädchen und fragte mich nach einer Zigarette. Ich war etwas verblüfft weil man mich so abrupt aus meinen Gedanken gerissen hatte sagte aber dann, dass ich eine hätte, aber nur zum drehen. Ich wusste, dass einige wenn sie das hörten ablehnten, doch sie setzte sich neben mich als ich den Tabak und die Papers aus meiner Jackentasche zog. Zuerst wollte ich anfangen für sie eine zu drehen, bis sie sagte, dass sie das schon selbst könne. Ich war etwas verwundert und sie lächelte leicht darüber. Während sie den Tabak fein säuberlich auf dem Paper verteilte und sich auch einen Drehfilter raus nahm begann sie zu sprechen.
»Erstes Semester?«
»Nein, schon im dritten. Aber man könnte sagen, dass es das zweite ist. Das erste hab ich nur belegt um eingeschrieben zu sein.« Ich wusste nicht warum ich das vor ihr erwähnte. Aber komischerweise erzählte ich es allen, die mich danach fragten. Ich glaube ich verband damit ein Gefühl der Egalität gegenüber allen, was mich wie ich hoffte anziehender wirken ließ.
»Ich bin im ersten. Ich studiere Kunstgeschichte und im Nebenfach Literatur. Ich hab die ersten Stunden verschlafen und will heute mal in das Einführungsseminar rein sehen. Hast du es schon gemacht?« Während sie auf meine Antwort wartete beendete sie das Drehen der Zigarette und gab mir meinen Tabak zurück. Ich sah sie mir genauer an während ich an meiner Antwort feilte. Sie hatte weiche Wangen, einen kleinen aber vollen Mund und eine leicht angehobene zierliche Nase. Ihr Haar war rotbraun mit etwas mehr rot als braun und fiel in Locken über ihre schmalen Schultern. Alles in allem eine ansprechende Gestalt. Ich bejahte ihre Frage und wir begannen über die Grundvorrausetzungen des Seminars zu reden. Ob es schwer oder leicht sei. Ob man einen Dozenten empfehlen könnte. Wie es bei mir gelaufen war.
Ich weiß nicht wie es dazu gekommen war oder wer den Anfang tat doch das allgemeine Uni-Thema war bald vergessen. Sie erzählte von ihren Wünschen und Träumen so wie ich von den meinigen. Die Zeit verstrich erst langsam, so dass es mir vorkam als würde unser Gespräch eine Ewigkeit ausfüllen. Doch dann zu schnell. Denn ich wusste, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte bis mein Seminar beginnen würde. Als sie begann von ihrer Kindheit zu erzählen. Wie sie auf dem Land in einer kleinen Gemeinde nahe Wiesbaden aufgewachsen war spürte ich ein verloren geglaubtes Gefühl. Eine einzelne Locke, kürzer als die anderen strich im kühlen Wind über ihr Gesicht und haarte vor ihrer linken Wange aus. Ich konnte dem Drang sie weg zu streichen nicht widerstehen. Sie lächelte und bei dem Lächeln küsste ich sie. Vielleicht hatte sie auch mich geküsst. Ich versuchte den Moment wieder aufzurufen. Doch war er in meinem Geist, nachdem er vorbei war, sofort entschwunden. Nachdem sich unsere Lippen gelöst hatten sahen wir uns einen langen Augenblick schweigend an. Ich wusste nichts mehr zu sagen. Ich hörte nur ein Rauschen, wie von Wellen die gegen Hafenmauern schlagen, in meinem Kopf.
Weit entfernt konnte ich einen Ruf hören. Es war ein Frauenname der gerufen wurde, doch konnte ich ihn nicht verstehen. Sie aber verstand ihn und sprang, sich von meinem Blick lösend von der niedrigen Mauer auf um sanft in den Armen eines Jungen zu landen. Der Junge nickte mir kurz zu. Er dachte sich wohl, dass ich ein Kommilitone von ihr war, den er nicht kannte. Ich nickte ebenfalls und stand dann auf. Ich brauchte nicht nachzudenken. Die Pause war vorbei und ich musste in mein Seminar. Als ich den Weg zur Tür entlang ging drehte ich mich noch einmal kurz um. Ich konnte ihre Augen sehen, die hinter seiner Schulter hervorschauten. Dann ging ich weiter ins Gebäude und lauschte schließlich den Ausführungen des Dozenten über einen Schriftsteller, der mich gar nicht interessierte. Ich habe sie nie wieder gesehen.Wieso hatte ich nicht versucht noch etwas zu sagen? Wieso hatte ich sie nicht, als noch Zeit war, nach ihrem Namen gefragt? Wieso habe ich nicht, nachdem ich mich erinnerte was sie von ihrem Seminar erzählt hatte und welchen Dozenten sie hatte, nachgesehen und habe sie aufgesucht? Wieso habe ich es vermieden die nächsten Wochen in der Pause diesen Hof aufzusuchen? Damals war es mir nicht klar.
Aber ich hatte in diesem einen Augenblick mit ihr die perfekte Liebe. In diesem einen Augenblick war sie das perfekte Mädchen und ich der perfekte Junge. In diesem einen Augenblick begegnete ich jemanden, der mir Hoffnung und Glaube gab. Doch was wäre eine Hoffnung oder ein Glaube wert den man sich nicht selbst geben kann? Für mich war dieser nichts wert. Also musste ich gehen. Ich musste es so lassen wie es war. Denn ich war nicht der, der diesen Augenblick hätte ewig währen lassen.
Bis heute weiß ich nicht ihren Namen, doch braucht sie auch keinen.
edit: vorläufige Neufassung; endgültige noch in Arbeit