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Erlösung?
Die kalten, trostlosen Pflastersteine blickten ihn an...sein Kopf war gesenkt...wie jeden Morgen um diese Uhrzeit. Seine Stirn war mit Schweißperlen bedeckt und seine Schritte schienen kraftlos. Aus dem, mit dunklen Wolken verhängten Himmel drangen die ersten Regentropfen, welche durch seinen dünnen Pullover hindurch drangen und seine Haut erfassten. Nicht mehr weit war es....bis zur Schule, dem Platz an welchem er nicht gerne verweilte. Die letzten Schulkinder fuhren mit dem Fahrrad an ihm vorbei, manche drehten sich um und lachten. Der Weg über den Schulhof war jeden Morgen gleich schwer für ihn...jeden Morgen das selbe...Gelächter und Beschimpfungen. Es störte ihn nicht mehr, er fraß alles in sich hinein, den ganzen Frust, welchen er Tag für Tag hier an diesem Ort erlebte.
Auch im Klassenraum nahmen die Spöttereien kein Ende. "Assi"..."geh` nach Hause, du Penner", tönte es aus der anderen Ecke des Raumes. Er zeigte keine Reaktion, starrte schier leblos geradeaus, nahm es einfach nicht wahr. Die Schulstunden schlichen vor sich hin, schienen kein Ende zu nehmen. Geistig anwesend war er nicht, sein Blick schweifte abermalig ab. Selbst in den Pausen blieb er im Klassenraum und starrte weiter vor sich hin. Er wollte nicht auf Konfrontationskurs mit den anderen gehen.
Gegen zwei Uhr hatte er es dann endlich geschafft, jedenfalls für diesen Tag blieb er von weiterem Hohn und Spott verschont.
Auf Zuhause konnte er sich nicht freuen, der Weg war lang...den Bus nehmen? Das wollte er nicht, da ihm die Erniedrigungen in der Schule wahrlich genügten, zudem hatte er kein Geld für solch eine Investition.
So blieb ihm nur der beschwerliche Weg zu Fuß übrig, welcher ihn durch die finstersten Gegenden der Stadt führte.
Daheim bot sich ihm das gleiche Bild...wie jeden Tag. In der kleinen Wohnung bedeckte der Müll den Großteil des Fußbodens, seine kleinen Geschwister lärmten und seine Mutter lag wie so oft betrunken auf der Couch im Wohnzimmer. Mit gesenktem Blick verschwand er in seinem Zimmer. Kein Fernseher, kein Computer, keine Bücher, undichte Fenster, von den Wänden herabfallender Putz und eine nicht funktionsfähige Heizung, ein Großteil seines Zimmers stand leer.
Oft starrte er von seinem Fenster aus, mit einem verträumten Blick, vorbei an den Hochhäusern und Fabrikhallen, in den Himmel. Wie in Stagnation versetzt, verbrachte er ganze Stunden dort, fing nicht selten an zu weinen.
Das Knallen der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.."Los Junge, hol` deiner Mutter noch was` zu Trinken aus dem Keller...", lallte seine Mutter in einem recht unverständlichen Ton. Er zeigte keine Reaktion, drehte nur kurz seinen Kopf und blickte seine Mutter an, wendete sich dann jedoch wieder dem Himmel zu. "Verdammt, hol` deiner armen Mutter...", sie unterbrach..."Ach, es hat doch eh` keinen Sinn mehr bei dir...du bist wie dein Vater"...die Tür fiel zu. Sein Blick verließ den dunklen, bedeckten Himmel und wanderte in Richtung Eisenbahnbrücke...die Geräusche der Züge hörte er den ganzen Tag, besonders nachts, wenn alles ruhig war und fast jeder schlief. Oft lag er wach in seinem Bett und horchte diesen Lauten. Es fing an zu regnen, das plätschernde Geräusch riss ihn abermals aus seinen Gedanken. Tränen bedeckten sein Gesicht.
Kurze Zeit später befand er sich wieder auf der Straße. Es war dunkel. Finstere Wolken verhängten den Abendhimmel, der Regen fiel unaufhaltsam immer Stärker aus dem unheimlichen Himmelszelt. Er schien zielstrebig, näherte sich Schritt für Schritt den Fabrikhallen und der großen Brücke unter welcher die Züge fuhren, dessen Geräusche er täglich vernahm.
Langsam schritt er die Brücke hinauf. Das grelle Licht der Autofahrer blendete ihn, sein Blick senkte sich.
Er war oben angelangt, der eisige Wind strich ihm durch seine Haare, es war wahrlich kalt an diesem Abend. Er drehte sich um, schaute noch einmal zurück, in Richtung Heimat. Seine Hände umfassten das kalte, nasse Brückengeländer...langsam steig er hinüber und stellte sich an den Rand der Brücke. Seine beinahe leblosen Augen starrten ununterbrochen in die Tiefe, auf die schweren, dunklen Gleise. Sein Blick fiel erneut zurück, er war angespannt, verzweifelt. Der Regen schien kein Ende zu nehmen, er fror und seine Kleidung war völlig durchnässt. Seine zittrigen Hände verließen das Geländer...er blickte wieder nach unten, in ein schwarzes Loch; er schloss seine Augen...und eine letzte Träne verließ sein Auge und fiel in die schier unendliche Dunkelheit.
Fin
© B.Kühl 2004