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Erster Schultag

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12.06.2002
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Erster Schultag

Eilig verlässt Maria die Wohnung und wirft einen nervösen Blick auf die Uhr. So ein Mist auch, dass sie sich mal wieder am Telefon festgequatscht hatte – zu Fuß schafft sie es jetzt sicher nicht mehr rechtzeitig. Sie läuft schnell zur Bushaltestelle, erwischt den Bus gerade noch in der letzten Sekunde, lässt sich auf einen der Sitze fallen und atmet erleichtert aus – Vicky wird also doch nicht lange alleine auf dem Schulhof stehen müssen. Bei dem Gedanken an ihre kleine Schwester lächelt Maria... das war also Vickys erster „richtiger“ Schultag nach der Einschulung, wie sich die Kleine jetzt wohl fühlt? „Ganz sicher nicht so, wie ich an meinem ersten Schultag hier...“, denkt Maria und verliert sich in den Erinnerungen an ihre eigene Grundschulzeit.
Genau wie ihre Schwester war auch sie selbst auf der Nordmarkt-Grundschule, doch einen entscheidenden Unterschied hatte es da gegeben: als Maria zum ersten Mal in die Schule kam, war sie gerade mal zwei Wochen vorher aus Russland hergekommen und verstand kein Wort der deutschen Sprache. Das Gefühl war schon ziemlich krass... schaudernd erinnert sich Maria daran, wie sie zum ersten Mal den Klassenraum betreten hatte und die Lehrerin Frau Kramer mit einem unverständlichen Wortschwall auf sie eingeredet hatte. Obwohl Frau Kramer versucht hatte langsam zu sprechen, hatte Maria überhaupt keinen Durchblick, was sie ihr eigentlich sagen wollte. Nur ein Wort war ihr bekannt vorgekommen – „Sowjetunion“ – aber der Zusammenhang war ihr schleierhaft. Was wollte die Lehrerin damit sagen? Die Sowjetunion gab es doch schon seit Jahren nicht mehr... Doch dann war eine Mitschülerin in der Pause auf sie zugegangen und hatte auf Russisch gesagt: „Hallo Maria, ich bin Katja. Sei nicht traurig, mir ging es vor einem Jahr auch nicht besser – ich konnte auch kein Deutsch, jetzt geht es aber halbwegs.“ Das hatte Frau Kramer also wohl gemeint – dass noch jemand aus ihrer Klasse aus der ehemaligen Sowjetunion kommt.
In der ersten Zeit hatte Katja für Maria oft Dolmetscherin gespielt und die beiden waren schnell Freundinnen geworden. Es war zuerst nicht einfach, aber Maria hatte nach einigen Monaten die deutsche Sprache soweit gelernt, dass sie sich selbst mit den anderen Mitschülern und den Lehrern verständigen konnte, und die Tür zu Deutschland und so auch zu neuen Freundschaften war für sie geöffnet.
Plötzlich wird Maria aus ihren Gedanken gerissen. Der Bus hält an der Ecke Münsterstraße und Mallinckrodtstraße, Maria steigt aus und geht die letzten Meter zu Fuß. Wie oft war sie genau diesen Weg zusammen mit Katja und Anita, mit der sie sich etwas später angefreundet hatte, gegangen? Traurig denkt Maria daran, wie sich ihr Weg von dem Katjas nach der vierten Klasse getrennt hatte... Sie waren auf verschiedene Schulen gegangen und auch wenn sie sich manchmal noch nach der Schule getroffen hatten und ab und zu miteinander telefonierten, war es nicht mehr dasselbe wie vorher und irgendwann war ihr Kontakt im Sand verlaufen. Zwar ist Maria mit Anita in die gleiche Klasse gekommen und versteht sich supergut mit ihr, aber doch wüsste sie nur zu gerne, was aus ihrer alten Grundschulfreundin geworden ist... Soll sie Katja einfach mal wieder anrufen? „Genau, das tue ich, wenn ich nach Hause komme“, denkt sie „vielleicht hat sie mich ja noch nicht ganz vergessen.“
Maria biegt um die Ecke und sieht eine kleine, vertraute Gestalt auf sich zulaufen. „Hallo Vicky, wie war dein erster Schultag?“

 

Hallo Jurate

Deine Geschichte ist toll und flüssig erzählt. Die Idee, die Erlebnisse während des ersten, schwierigen Schultags in einer neuen Umgebung während einer Busfahrt, um die kleine Schwester von ihrem ersten Schultag abzuholen, Revue passieren zu lassen finde ich gut.

Ein Wort, finde ich, passt nicht:

...schaudernd erinnert sich Maria daran,...
Das Wort ist irgendwie zu heftig. Meiner Meinung hört sich "deutlich" oder "noch genau" besser an.

Was mich aber wirklich enttäuscht hat, war das Ende der Geschichte.
Am Anfang lässt Du Maria erzählen, wie schlimm ihr erster Schultag war, dass sie nur ein einziges Wort verstanden hat, dass sie am ersten Tag ihre beste, damalige Schulfreundin getroffen hat, aber die Erlebnisse von Vicky lässt Du einfach offen. Ich mag zwar offene Geschichten, bei denen der Leser nachdenken oder sich etwas vorstellen muss, aber Deine ist mir ein bisschen zu offen.
Dabei könnte man da, wo Du die Geschichte beendet hast, noch viel ausführen. Zum Beispiel die Problematik eines Ausländerkindes in einer deutschen Schule, Hänseleien, Freundschaften, Vergleich mit Marias erstem Schultag, etc.

Zum Lesen ist Deine Geschichte allemal schön; sie endet nur ein bisschen abrupt und unerwartet.

Bis bald
Morticinus

 

Hmmm... stimmt, ein paar Sätze könnte man wirklich noch ergänzen, aber ich kann mich einfach nicht entscheiden was besser passen würde:
1. der Schwester geht es auch nicht besonders gut in der Schule oder
2. genauer Kontrast zu dem, wie Maria ihren ersten Tag erlebt hat - nette Lehrer, neue Freunde... (Vicky hat ja den Vorteil, dass sie die Sprache schon im Kindergarten gelernt hat und nicht so ganz verloren dasteht)

Würde mich über Tipps dazu freuen! ;)

 

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