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Ertappt: Der Strickende

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25.08.2007
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Ertappt: Der Strickende

Alles sollte wie ein Duft sein. Und wenn er nicht war dann mußte er werden. Edel, prickelnd, kostbar. Plötzlich zu Kopfe steigend; sichtbar sogar. Ein Odeur, durch das alles zerflösse, das allem Niedrigen Höhe verliehe, die sich aus der Sehnsucht nach Liebe und Harmonie erquoll. Und die Häuser am Ufer des Flüßchens malen uns Schluchten wo das Geäst trauernden Busches über den Kais zu Stürzen erwuchs, vor denen die Planken der Boote nur anmuten, wie sehr sich der alte Kran in scheinbarer Demut vor all den Qualen verneigt, aus denen die Schönheit all dessen erwuchs. Und die Kronen der Bäume zerstäuben zu duftigen Wolken, pudern die Wunden aus nächtlichen Bränden und beleben bedächtig, was wir mit Hingabe erschufen um Bruchstückchen mit einem Hauch von Geruhsamkeit zu übertünchen. So von Menschen gewollt und erträumt, denn alles ging uns verloren.


Es sollten keine Rückzieher sein, als ich mich zurückzog. Arbeitslos sollte ich sein. Langsam auch wirklich unvermittelbar. Meines sozialen Status wegen und hauptsache man hat einen. – „Schau dir erst einmal alles an!“, sagte die Herrschende Meinung im Frühjahr zu einem und dieses Mal standen die Fernsehkameras an genau der richtigen Stelle um die aufsteigenden Rauchwolken nicht nur wunderschön, so dezidiert, prachtvoll glimmend, so hübsch in den Farben und so mächtig in ihren Erscheinungsformen, pünktlich zu den Neunzehn-Uhr-Nachrichten zu übertragen. – „Zu was bist du ein Mann?“, fragte mich die Herrschende Meinung in ihrem schlechtesten Hochdeutsch und sie sprach mich instinkterweckend auf mein Gewissen hin an. – „Sicherlich auch, um etwas zu verteidigen!“, gab ich ihr abweichend zur Antwort. Worauf sie sich sofort ganz erschrocken zurückzog und ich gratulierte mir sogar, mich ihr, auch trotz aller Machtlosigkeit, so siegreich widersetzt zu haben. Allerdings hatte ich plötzlich keine Meinung mehr zu alldem, also eine Meinung, die ich beherrschte.

„Werdet nun Mann!“, spöttelte sie durch das geöffnete Fenster, durch das ich die frische Frühjahrsluft hereinließ, auch um mich zu erquicken. Einfach von Geburt an sah ich mich von ihr, also der Herrschenden Meinung, derart herausgefordert. Ich spürte sie in mir. Mit pompösem Aufbegehren hatte sie sich nachhaltig dort eingenistet. Außerdem keifte sie mein Vater, als ich damals ziemlich selbstvergessen auf dem geknüpften Teppich bei meiner Mutter saß, während sie handarbeitete und ich zu ihren Füßen spielte. Ich ersann es, mir unter dem Tisch eine Höhle zu bauen. Noch bevor ich begönne, im Kaffeesatz zu lesen, vielleicht sogar kleine Holzperlen auf einem Faden gezogen verängstigt und sie zählend mit den Fingernägeln in einer Runde hin und her zu schieben, gar Rosenkränze zu beten, machte er mir mit seiner Angst vor ihr Beine. Ich glaube, soldatische waren von ihr verlangt - Beine die strammstehen, dabei keine Mine verziehend und ihrer Übermacht striktes Gehorsam abverlangend denn andernfalls würde sie mich töten. So sehr erschrak ich vor ihr todesfürchtig, daß ich plärrte und hilfesuchend auf Muttis rettendem Schoß landete. Die Herrschende Meinung war doch jetzt gar nicht verlangt und marschieren lernte ich von alleine, weil ich es so kann und ich hatte Vati längst forsch darum gebeten, mein Exerzieren zu begutachten und es als sehr gut abzunehmen, wenn ich es im großen Flur unseres Hauses übte. Bald marschierten wir über den Sand und dann in die Kleine Beckerstraße hinein, die wir Hand in Hand den buckeligen Bürgersteig sehr zügig hinauf gegangen sind, bis wir endlich da waren. Lüneburg wäre so schön. Tatsächlich strengte mich dieser Marsch sehr an, den Mutti betrieb, weil sie es nicht abwarten konnte, ihre Familie zu treffen und um nach neuem Garn zu sehen. Endlich saßen wir in den weichen Sesseln des großzügigen Kaffees und man belohnte mich für meinen Mut, zwischen all den Erwachsenen jetzt ganz artig sein zu wollen, mit einem schönen Stück Torte. Bohnenkaffee für einen Fünfjährigen sei viel zu ungesund. Aber ich mochte doch keine Milch. Deshalb servierte man mir eine Tasse heiße Schokolade. Sie hatten sich so viel zu erzählen, von den Neuigkeiten auf den Höfen und in den Familien; auch die von mir. Kaum daß ich sie mit ihren Erzählungen verstehen konnte; nur weniges interessierte mich wirklich und ich war sehr darauf bedacht, Oma Doses Ansprüchen an wohlgefälligen Tischmanieren mit Respekt genüge zuleisten. Sie war sehr streng in ihren Anforderungen. Es reichte ein scharfer Blick, ein Stocken in ihrer Rede und der kurze Hinweis: „Grete!“, womit sie Muti meinte, die doch bitte darauf achten solle, daß ich keine Kakaoflecken in die blütenweiße Tischdecke machte oder in den hübschen, selbstgestrickten Pullover.

Ich nannte sie Dose. Auch weil alle sie jetzt so nannten, nicht etwa, weil mich ihre Korpulenz, ihre Steifheit in ihrem ein wenig aristokratischem Gehabe dazu veranlaßte, sie so zu heißen. Schon gar nicht eines Vergleiches wegen mit einer kantigen Schachtel und einem Schlitz in der Mitte ihres Deckels darin, in der sie manchen Taler für mich hineinstecken möge. Das hätten sie mir verboten. Es lag vielmehr an meiner unbeholfenen Radebrecherei als ich noch ganz klein war und Mutti mit mir unerschütterlich übte, die eine Oma von der anderen nach ihrem Namen, nicht von ihrem Bilde, von ihrer Gestalt her etwa, zu unterscheiden. In ihrem Klang waren sich beide Namen sehr ähnlich; die Oma zuhause hieß Dora und diese hier –ris und ausgerechnet ihr Name wollte mir nicht so recht über die Lippen gehen und ich sprach –se, also Dose anstatt Doris. Mutti hatte es genehmigt und sie gab sehr bald jeden Verbesserungsversuch auf, fand es viel passender, viel origineller und sie verstärkte es, wenn sie mit mir über ihre Mutter sprach und dabei meine Wortschöpfung benutzte. Kaum daß ich es mir vorstellen konnte, daß Mutti auch eine Mutter hat. Ich hielt sie doch längst für erwachsen und sie braucht doch dann gar keine, hatte ich geglaubt. Dumm, für ein schrecklich dummes Kind wurde auch ich manchmal gehalten. Schon wieder sah sich Mutti von den Strengen Blicken Oma Doses genötigt, einzugreifen, schnell mit ihren Armen über meine Schultern zu langen und mir die schiefgehaltene Kuchengabel aus der Hand zu nehmen um den Kuchen auf meinem Teller mundgerecht zu zerkleinern und um meine Nödeleien zwischen ihnen ganz unbeholfen in meinem Sessel sitzend, zu unterbinden. Damit ich bequemer und schneller fertig würde, denn wir müssen gleich weiter ins Handarbeitsgeschäft, in dem wir nach neuen Garnen und Stoffen sehen wollten. Ganz beiläufig erlernte ich in diesem munteren und sehr freundlichen Kreis das Geradesitzen, weil ich es auch so schön können wollte, wie sie alle dort und eines allgemeinen Lobes wegen, das sie mir aussprachen, wenn ich fein artig zwischen ihnen weilte. Zwischendurch aufgestanden und mir zwischen ihnen die Beine vertretend, besah ich, was sie alle so hatten und liebebedürftig, schutzsuchend trat ich dann an Muttis Seite um buhlend einen baldigen Aufbruch zu erheischen. Ihn zu erschmiegen und ihn zu erschmusen, weil ich ihnen den Grund meiner Unruhe besser nicht sagen wollte. Es war sehr bald ein Hinweis auf die Langeweile in Richtung Herrschender Meinung.

„Würdest du ein Mann, mußt du bereit sein, alles hier zu verlassen.“, gab sie mir ein. Ich würde viel Geld verdienen und Verpflichtungen zuhause endlich bezahlen können. Nicht nur für Sachen sondern auch für die Zurückgelassenen. Arbeitslosigkeit hätte ich so sicherlich überwunden. Nachdenklich wickelte ich den Faden um meine Finger und nahm flink neue Maschen auf. Fünfzehn rechte, dann drei linke, bald weitere auf eine Hilfsnadel, für den Zopf, den überkreuzen und nach drei linken bis zum Ende nur noch rechte. Strickmuster sind eigentlich sehr einfach, beherrscht man erst die Technik. Auf die Ebenmäßigkeit des Maschennetzes kommt es hierbei hauptsächlich an und die übt sich ganz automatisch ein, konzentriert man sich ausreichend. Sehr unbeholfen war ich anfänglich beim Stricken linker Maschen. Ganz und gar verlor ich die Nerven, wenn sie mir von der Nadel fielen. Nur einmal habe ich bisher das Vorderteil komplett aufröppeln müssen, wegen eines schwerwiegenden Fehlers, der mir viel zu spät aufgefallen war. Eine halbe Stunde schießwütigenden Kampfes, verschmauchter Atemluft von Schwarzpulver und Leichengeruch, eine halbe Stunde der Aussicht auf selbstverstümmelnder und vernichtender Auseinandersetzung mit Menschen anstatt mit den Maschen auf meiner Nadel habe ich erst einmal ausgedauert. Wie leicht es mir fiel, und wie wohl stimmte mich mein Erfolgserlebnis durch diese Bewußtmachung?

Sonst würdest du ein Mann, bedauerte die Herrschende Meinung gefühlsduselnd. Tatsächlich würde ich mich schämen, würde mich jetzt jemand sehen. Nicht daß ich mich verkrochen hätte, schon gar nicht vor der mannhaften Herausforderung allzeitiger Wehrbereitschaft, wenn sie allerseits so laut nach kriegerischem Kampf schreit. In dieser Hinsicht habe ich mich nur besonders getarnt. Wehe! Dennoch verspüre ich Freude, wie es mir gelingt, was ich mir vorgenommen habe und davon ausgehend, daß es das erste Mal in meinem Leben ist, daß ich einen Pullover stricke, gibt es mir ein großes Stück Selbstbestätigung. Niemand ist hier, der mir etwas zu sagen hat, außer Mutti. Aber die delegiert mich seit langem nicht mehr sondern sie ist sehr höflich und bittet, wenn sie meine Hilfe benötigt. –

Es war so naßkalt draußen und die Dunkelheit brach herein. Die Lichter in den Schaufenstern luden zu sich ein. Dazu, durch die schellenklingelnde Tür des kleinen Geschäftes in der Grapengießerstraße hineinzutreten. Heraus aus den mit Pfützen übersäten Gehwegen, auf die manches Auto schmutzige Fontänen preßte wenn es auf holperigem Kopfstein daran längs unterwegs war und die Fußgänger mußten sehr aufpassen, daß sie nicht unfreiwillig geduscht wurden. Es wäre nicht auszudenken gewesen, wenn unsere Kleider platschnaß und dreckig besudelt worden wären. Mit einem vornehmen Händedruck hatte sie ihre Kundschaft bereits an der Eingangstür begrüßt, so als hätte sie uns erwartet und nach einem kurzen Plausch fragte sie nach den werten Wünschen, die sie gerne erfüllen würde. Sie hatte uns nach hinten gebeten. Dort seien die schönen Stoffe zum Besticken. Ihre üppigen Hüte nahmen die Damen nicht vom Schopf und auch ihre schweren Wintermäntel zogen sie nicht erst aus sondern sie lösten lediglich die Knöpfe von den Knopfleisten, bevor es ihnen plötzlich zu warm würde, wenn während reiflicher Überlegung, kritischer Begutachtung und neuerlicher Verwerfung des eben noch für möglich Gehaltenen plötzlich Hitze in ihnen aufstieg, die ihnen zu schaffen machen könnte und sie in ihrer Entscheidung hemmen. Bald standen wir vor dem rustikalen Tresen bei den üppigen Auslagen und dem bis an die Decke hochragenden Regal, gefüllt mit gestapelten Stoffrollen. Damast hatte Tante Anneliese für eine Tischdecke erwogen, vielleicht auch feineres Leinen, auf gar keinen Fall reine Baumwolle für den großen Tisch im Eßzimmer. Und überhaupt, wir wollten erst einmal sehen. Dann schritt die Dame des Hauses vornehm am Tresen entlang, bückte sich nach der kleinen Trittleiter, die hinter ihm stand, die sie forsch zu sich heranzog und um einiges vor die Regalwand schob um flugs auf ihr die wenigen Stufen hinaufzusteigen und nach einer Stoffrolle zu sehen, die sie fachmännisch hervorzog. Sie beäugte sie, prüfte, ob sie vielleicht dem Geschmack der Kundschaft entspräche, bevor sie den Stoff ganz herauszog und, die Leiter geschwind wieder hinabsteigend, auf den Tisch legte. Dann noch eine, eine weitere. Freudig näherten sich die Damen, hoben die Kante des Stoffes an, und rieben mit ihren fachkundigen Fingern an ihm. Die Verkäuferin faßte die Rolle und wickelte sie weit über den Tresen ab. Dann nahm sie ein hölzernes Ellenmaß und legte Maß an, um den Damen die ihnen vorschwebene Größe auszumessen. Dann war es eine Nuance in der Farbe, ein wenig zu sehr ins Beige, das Muster erschien ihnen zu fein und der Stoff einen Tick zu grob, aber in dem dunklen Eßzimmer wird es vielleicht gar nicht auffallen. Bis man musterlose Laken erwog, die sie betrachteten und die sie lediglich in ihrer ursprünglichen Absicht bekräftigen konnten, einen Damaststoff zu kaufen, den sie in seiner Mitte reich besticken wollten.

Endlich zuhause, dauerte es nicht mehr sehr lange, bis sie wieder in der Stube neben dem kleinen Nähtisch saß auf dem sie das alte Radio stehen hatte, welches meisten angestellt war, wenn sie ihrer Passion nachging. Behende und mit unübertroffener Akorateß handarbeitete sie ihre Meisterwerke. Tischdecken, Pullover, Lochmuster in Bettwäsche. Sie übte sich in Oky, Schiffchen, Hardanger. Sie knüpfte oder sie häkelte feine Spitzen, ganze Tischdecken und Gardinen. Bei der Namensstickerei in ihre Aussteuer nähte sie verschnörkelte Namenszüge in ihre Wäsche, wenn noch keine darin waren. Hierzu besaß sie Kupferblätter, in die ihre Initialen hineingestanzt waren. Sie lagen zuhauf in der einen Schublade, aus dem ein so wohlig dezenter Duft von textilem in unsere Nase strömte, wenn man sie aufzog. Duft vom Nähgarn, Radiergummi und Gummibändern zog mich an, zu sie hin, vor dem laufenden Fernseher, oben auf dem Stubenschrank um einiges vor uns, gebannt hockend und vertraulich an ihren warmen Beinen gelehnt, auf dem warmen Knüpfteppich hockend. Nur manchmal sah ich zu ihr auf, erregt über Bilder aus dem Fernseher und sie fragend, ob sie das verstanden hat. Wie oft mußte sie für mich Nadel und Garn beiseite legen, in all den Jahren meiner Kindheit, nach zerschleißenden Streifzügen durch die Straßen und Gärten unseres Dorfes, nach kindischem Gezänk und kriegerischem Kampf nach denen es galt, abgerissene Knöpfe wieder anzunähen, ebenfalls Reißverschlüsse oder aber an der Nähmaschine nebenan eingerissene Löcher in meiner Hose zu verschließen. Strümpfe zu stopfen zeigte sie mir später. Draußen war der Kampf. Immer wieder war er ausgebrochen und natürlich wollten wir Jungen es so. Auf den Wiesen fand er statt, in den Hagen und Wäldern, in den Scheunen auf den Höfen, den Schuppen und auf ihren Böden. Im Geäst der Bäume. Wenn ich dann nach kampferprobter Toberei mal siegreich mal schluchzend vor Schmach einer Niederlage die Tür zu ihr in die Stube aufriß, mich aufgewühlt vor sie stellte und trostbedürftig einen Platz auf ihrem Schoß erbat dann klang mir das Klimpern der Nadeln ganz nahe in meinen Ohren. Bis ich an ihrem Busen ruhte und ihr gleichmäßiger, starker Herzschlag mein aufgebrachtes Gemüt beruhigte. Nadeln, die plötzlich in meiner Hand waren, als Mutti mal nicht da war. Fäden, in die ich einen Knoten schlang und unbeholfen um meine Hand wickelte. Bis Mutti wieder da war und ich sie fragen konnte, wie das denn geht? Sie zeigte es mir und ich setzte mich manchmal zu ihr und übte fleißig. Dabei erzählte sie mir von Wilhelm Haase, dem alten Melker auf ihrem Hof zuhause, der dort mit seinen Kindern entlegen, unter den Eichen in der kleinen Kate lebte. Das war zu Zeiten großer Not und Entbehrung zwischen den Kriegen. Kaum, daß seine Kinder Schuhe besaßen, lediglich in Holzpantinen waren sie unterwegs, mit denen sie auch im Winter auf langen Fußmärschen durch den Schnee zur Schule marschierten. Für sie hat er es getan, als seine Frau verstorben war. Manche Nacht hindurch strickte er, bis er ein Paar Wollstrümpfe fertig gestrickt hatte, erzählte Mutti. Dazu nahm er den Wollfaden in die Hand, schlug an und brachte die ersten Maschen auf die hölzernen Nadeln. Zählte fünfzig, sechzig Anschlagmaschen, die er gleichmäßig abnahm und auf die Nadeln hob. Dann zwei links, zwei Rechts und erst ab der Fußspitze nahm er ab. Für die Hacken nahm er sogar einen doppelten Faden, damit sie schön fest werden und sich nicht so leicht durchlaufen. Was die herrschende Meinung in die Flucht verschlug und nur manchmal drang sie aus der Ferne durch, als waberndes Gebrummel verschrockener Männerchöre, in denen sich seine Mitglieder verstört fragten, was los wäre, wenn sie das müßten. Wie wohl muß es seinen Kindern geworden sein, weil alle zu ihrem Vater hinsahen? – Gar nicht mal so schlecht, lobte Mutti mich dann. Du mußt es aber noch lange üben und übertreibe es nicht, hatte sie dann gemeint. Schule sei viel wichtiger. Ich hätte es sowieso nicht getan und ich sah auch keine Notwendigkeit solange Mutti alles so schön konnte. Aber der Grundstein war in jener Zeit von ihr gelegt.

Bald waren es Situationen in der reinen Ausweglosigkeit, als wieder einmal nichts mehr ging und ich mich neu zu fangen hatte. Daß es schön sei, wenn ich den Pullover anziehe, der mich wärmt und mir hilft, meine Gesundheit zu erhalten, sagte ich ihr. Und ich freute mich über den gelungenen Tausch, nun nicht als Teil einer gewalttätigen Gruppe vereinnahmt zu sein, in der ich mich selbst verleugnen und in ihr unter Gruppenzwang ziel- sowie wahllos mitziehen müsse. – „Werdet zur Frau!“, gab mir die Herrschende Meinung deshalb strafend auf. „Nein! Das kommt gar nicht in Frage“, wehrte ich mich mit den Worten meines Vaters, der sich schon damals so oft und so aufgebracht gegen manches auflehnte, was ich mir vorgenommen hatte. „Schon mit Rücksicht darauf, daß meine Mutter ebenso kein Mann wird, wenn ich zu stricken beginne; somit blieben wir beide doch ingänze einfach nur Menschen, die so etwas können.“, entgegnete ich der Herrschenden Meinung und herrschte sie so gleichermaßen an. Ich war Turnschuhe kaufen deswegen. Wieder einmal ging nichts. Ich hatte es mir überlegt und verschwendete danach keine weiteren Gedanken daran, mich zu rechtfertigen. Schon gar nicht vor der Herrschenden Meinung. Ich dachte, es sei die Hauptsache, daß sie mich hierbei nicht stört. Denn dann war ihr der Strickende wieder zu fein, für die ihm zumutbare Arbeit. „Sie sind doch eigentlich ein Arbeitsloser?“, zweifelte die herrschende Meinung. „Ja, dann müssen sie doch auch so sein.“, fordert sie mich heraus. – Die hatte vielleicht Probleme, mir zum Trotz. „Sieh´ mal einer an!“, gab ich ihr zur Antwort.

Alles sollte wie ein Duft sein. Und wenn er nicht war dann mußte er werden. Edel, prickelnd, kostbar.

© by joasch 20.12.2007

 

Hallo joasch!

Deine Geschichte zu lesen ist durch die vielen langen und teilweise recht verschachtelten Sätze, aber auch durch so manchen Fehler, umständliche Formulierungen, die tw. zu falschen Bildern führen, und den ziemlich ausschweifenden Stil nicht gerade ein Vergnügen.
Mit dem Stil tust Du jedenfalls Deiner Geschichte nichts Gutes, da man sich derart von Wort zu Wort hanteln muß, daß man dem Erzählten nur schwer folgen kann.

Gelesen habe ich sie trotzdem, weil mich das Thema interessierte; allerdings finde ich zwischen Rundherum und Vorgeschichte nicht sehr viel, was mir tatsächlich etwas über den ertappten Strickenden erzählen würde. Etwa weiß ich nicht, wofür wir so viel über die Namensgebung von Oma Dose hören – es macht den Eindruck, als wolltest Du es einfach irgendwo unterbringen, und hättest Du gerade eine andere Geschichte geschrieben, gäbe es eben dort die Oma Dose. Wilhelm Haase wiederum wäre eine völlig eigenständige Geschichte wert, schade, daß er hier so untergeht.

Was den titelgebenden ertappten Strickenden betrifft, werde ich hier leider nicht zufriedengestellt – vielleicht waren ja meine Erwartungen zu hoch. Du schreibst zwar immer wieder von der »Herrschenden Meinung«, die etwas sagt oder meint, jedoch wird nicht klar, in welcher Form sie das tut – so könnte man auch schlußfolgern, daß Dein Protagonist sich bloß einredet, daß diese herrschende Meinung so denkt. Und wenn die »Herrschende Meinung« schon so oft erwähnt wird, erwarte ich mir doch irgendwie ein Auflehnen des Protagonisten dagegen, aber auch das war nicht zu finden, nur ein Rückzug … Keine Gedanken über die Emanzipation des Mannes, die vielleicht ja doch noch weg von Geschlechterrollen und -kampf, hin zu einem einfachen Menschsein der Menschen führen könnte, bei dem sich kein Mann ertappt fühlen muß, wenn ihn jemand beim Stricken sieht – wenn es sie denn gäbe. Es bleibt ein »Ich bin ja so total anders« des Ich-Erzählers, das durch die Art, wie es verpackt ist, keine gesellschaftliche Aussagekraft erhält. Es ist wie ein riesiges Paket, in dem man unter viel Füllmaterial das Geschenk sucht und ein Paar Socken findet.

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo joasch,

mir gefällt an dieser Geschichte der Blick in eine andere Zeit, einer, in der Dinge noch selbst erledigt wurden, den Produkten dadurch eine gewissen Sinnlichkeit anhaftete, auch wenn diese sicher aus der Beschwernis rührte und ich mir diese Zeit nicht zurückwünsche.
Als Mann, der in seiner Jugend viele Pullover gestrickt hat, ohne dadurch negativ aufzufallen, musste ich den Text bei dieser Überschrift natürlich lesen. Und ich kann mir schon vorstellen, dass in weniger großen Städten zu noch früherer Zeit strickende Jungen und Männer schon auffielen, es sei denn, sie waren in der Not, ihre Kinder allein aufziehen zu müssen. Die Atmosphäre hast du gut eingefangen, gleichwohl empfinde ich die Struktur der Geschichte nicht dienlich, manchmal ist kaum zu unterscheiden, wo Rückblick ist, wo Erzählzeit, was auch daran liegt, dass du in den Tempi nicht korrekt bleibst. Ebenso darf man deine Sätze oft keiner tieferen Prüfung unterziehen. Um auf die Schwächen hinzuweisen, habe ich es auszugsweise doch einmal gemacht.

Ein Odeur, durch das alles zerflösse, das allem Niedrigen Höhe verleihe
Die vorangehende Beschreibung des Odeurs klingt eher nach Sekt oder Champagner, beides nicht für Wohlgeruch bekannt. Der Konjunktiv müsste hier "verliehe" sein, nicht "verleihe".
die sich aus der Sehnsucht nach Liebe und Harmonie erquoll
sich - Sonst liegt etwas zu viel auf der Höhe, die einerseits nur verliehen werden soll (nämlich durch das Odeur), sich aber andererseits selbst erschaffen nämlich aus der Sehnsucht). Übrigens habe ich weder bei Canoo noch im Duden die Möglichkeit der Vorsilbe "er" zu dem Verb "quellen" gefunden, weder in der transitiven noch in der intrasitiven Verwendung. Lange Rede, kurzer Sinn: Der Satz ist noch nicht stimmig.
Und die Häuser am Ufer des Flüßchens malen uns Schluchten wo das Geäst trauernden Busches über den Kais zu Stürzen erwuchs, vor denen die Planken der Boote nur anmuten, wie sehr sich der alte Kran in scheinbarer Demut vor all den Qualen verneigt, aus denen die Schönheit all dessen erwuchs.
Dieser genauso wenig. Das hat auch wenig mit Poesie zu tun.
Häuser mögen wie gemalt am Ufer des Flüsschens liegen und wenn dies Ufer sehr steil und felsig ist, mögen sie auch wie gemalt in den Schluchetn am Ufer des Flüsschens liegen, aber die Schluchten malen, in die sie gebaut wurden? Oder, wie bei dir, Schluchten malen, in denen die Häuser nicht einmal selbst stehen, sondern in denen das Geäst eines einzigen trauernden Busches (in mehreren Schluchten?) nicht über den Kais (mehrre Kais für einen Busch?) hängt, sondern zu Stürzen erwuchs (also der Sinn des Busches ist es, letztendlich zu stürzen?)? Und das auch noch zu Stürzen, vor denen die Planken der Boote anmuten wie was (leitet "anmuten" nicht einen Vergleich ein?)?
Ich fürchte, so gemein meine Fragen auch sein mögen, du hast dich in dem Satz ganz entsetzlich verlaufen. So auch in den folgenden Sätzen das Absatzes.
dabei keine Mine verziehend
Miene

Lieben Gruß
sim

 

Groteske Grüße von joasch

Hallo Sims!

Ich habe mir Zeit nehmen müssen um Deine Kritik an dieser Geschichte zu verarbeiten. Eine Erkältung quält mich und sie ist in der Hauptsache der Grund, weshalb ich jetzt erst dazu komme, Dir zu antworten. Ich habe Dir zu Deinen Kritikpunkten folgendes mitzuteilen:

Die herrschende Meinung verstehe ich als soziologisches Phänomen. Sie tritt lediglich gewissentlich auf und wirkt grundsätzlich nur über das Gewissen auf das Individuum. Sie schleicht sich hier bei dem Strickenden ein und setzt in ihm eine besondere Triebkraft frei. Er strickt also nicht freiwillig, obwohl er sich freiwillig zum stricken hingesetzt hat. Er rebelliert. Tatsächlich wird das Stricken zur politischen Tat, hier eines Mannes. Er fühlt sich rekrutiert, darf man annehmen. Er hat sich groteskerweise mit Stricknadeln bewafffnet. Ich nehme an, er hofft, die Nadeln wirken entwaffnend. Er hält sich aber selbsterklärend strickend wehrbereit. Dieser Sinn, der sich aus der Geschichte ergibt, macht diese Geschichte zu einer Groteske. Sie noch besonders abzuändern, zerstört ihren Sinn und deshalb will ich nur wenige Korrekturen und diese nach äußerst sensibeler Überprüfung vornehmen. Und zwar:

Ein Odeur, durch das alles zerflösse, das allem Niedrigen Höhe verleihe

An dieser Stelle „verleihe“ anstatt "verliehe" zu sagen, beläßt die Satzaussage in der Befehlsform. Ich hatte mich nach Deiner kritischen Anmerkung gefragt, ob ich es so will. Ich meinte schon, daß aus dem Wunschdenken der Menschen heraus der Imperativ in diesem Satzgefüge möglich ist. Er ist aber nicht zwingend. Wer mag ihn schon, womöglich andauernd? Deshalb habe ich eine Korrektur vorgenommen. Sie ändert den Sinn der Satzaussage. Das ist aber an dieser Stelle besser, wie ich jetzt glaube.

die sich aus der Sehnsucht nach Liebe und Harmonie erquoll

Auch dieser Satz ist absichtlich aphorismisch übersteigert. Ich möchte ihm nach Deinem Korrekturvorschlag einmal die von Dir für besser gehaltene Grundform dagegenhalten:

...die aus der Sehnsucht nach Liebe und Harmonie quillt
.

Es wäre eine Lachnummer, diesen Satz so zu schreiben. Es wäre mir viel zu direkt und unverklärt. Der Wunsch des Strickenden ist aber der Wunsch nach Verklärung seiner Lebenswelt, meine ich. Insgesamt möchte ich Dir, Sim, mitteilen, daß der erste Absatz als Aphorismus unverändert bleiben muß. Aus ihm und aus seiner Verklärung heraus entwickelt sich die Groteske. Der Aphorismus ist bildbeschreibend. Folgendes:

Und die Häuser am Ufer des Flüßchens malen uns Schluchten wo das Geäst trauernden Busches über den Kais zu Stürzen erwuchs, vor denen die Planken der Boote nur anmuten, wie sehr sich der alte Kran in scheinbarer Demut vor all den Qualen verneigt, aus denen die Schönheit all dessen erwuchs.

Es sei Dir erklärt, daß es sich um eine Bildbeschreibung einer romantischen Szene in der Stadt Lüneburg, im Stadtteil Stintmarkt handelt. Dort steht auch ein alter Kran, der in dieser Geschichte erwähnt ist. Der Krahn ist eines der Wahrzeichen der Stadt Lüneburg. Soviel hierzu. Deine Kritik verstehe ich aus einer Erfahrung heraus, die Du vielleicht aus den naturräumlichen Begebenheiten selbstverständlich ziehst, in denen Du lebst. Ich verstehe Dich so, daß du in einer Region lebst, in der abwechslungsreiche Hügellandschaften selbstverständlich sind. In sie baut man hinein, vielleicht auch um sie zu befestigen. Ich muß Dir sagen, daß genau diese Landschaft von Norddeutschen vermißt wird und in seiner Landschaftsgestaltung (auch städtebaulich) versucht der norddeutsche Mensch durch Architektur Höhen und Tiefen ins Landschaftsbild hineinzubauen. Häuser dienen ihm hierzu. In Zeilen an einem Flußufer erheben sich Häuser und optisch entsteht eine Schlucht. Sie wurde geschaffen. Deshalb ist meine Beschreibung durchaus natürlich und darf so stehenbleiben, wie ich meine.

Hinzufügungen und Abänderungen in der Erzählung hatte ich nach Deinen Vorschlägen erwogen. Jedoch wäre dann die Groteske zerstört. Es wäre mir schade. Ich habe auch krankheitsbedingt augenblicklich nicht die Power. Und deshalb lasse ich die Geschichte so stehen. Stricken ist über Phasen auch langweilig, wie diese Geschichte sicherlich auch. Tatsächlich finde ich sie aber recht komisch, sodaß ich sie weiterhin geneigten Lesern anbieten mag.

Herzlichen Dank für Deine Kritik und

groteske Grüße von joasch

 

Hallo Häferle!

Herzlichen Dank für Deine Mitteilungen und kritischen Anmerkungen. Ich möchte wie folgt darauf eingehen:

Du schreibst zwar immer wieder von der »Herrschenden Meinung«, die etwas sagt oder meint, jedoch wird nicht klar, in welcher Form sie das tut – so könnte man auch schlußfolgern, daß Dein Protagonist sich bloß einredet, daß diese herrschende Meinung so denkt.

Ja, in der Tat ist das so. Die herrschende Meinung verstehe ich als soziologischen Phänomen. Sie tritt lediglich gewissentlich auf und wirkt grundsätzlich nur über das Gewissen auf das Individuum. Sie schleicht sich hier bei dem Strickenden ein und setzt in ihm eine besondere Triebkraft frei. Er strickt also nicht freiwillig, obwohl er sich freiwillig zum stricken hingesetzt hat. Er rebelliert. Tatsächlich wird das Stricken zur politischen Tat, hier eines Mannes. Er fühlt sich also rekrutiert, darf man annehmen. Er hält sich selbsterklärend strickend wehrbereit. Dieser Sinn, der sich aus der Geschichte ergibt, macht diese Geschichte zu einer Groteske.

... das durch die Art, wie es verpackt ist, keine gesellschaftliche Aussagekraft erhält. Es ist wie ein riesiges Paket, in dem man unter viel Füllmaterial das Geschenk sucht und ein Paar Socken findet.

Du hast das sehr gut erkannt. Und die Strickarbeit dieses Mannes resultiert auch aus einer schweren Lebensentäuschung. Deiner Aussage glaubenschenkend, darf man annehmen, der Strickende erwartete auch viel zu viel. Auch Erläuterungen, die Nebensächlichkeit mit Oma Dose, ist nur Ausweichung. Man darf annehmen, es ist mit der Strickarbeit wie auch mit dieser Geschichte nicht viel geschönt. Sie deutet nur an. Das macht sie aber wahrhaftig.

Zu deinem Vorwurf, dieser Geschichte fehle der Bezug zur Gesellschaftskritik möchte ich dir folgendes sagen: Ich meinte, hier genügt der bösartige Einfall der Herrschenden Meinung, die hier dramaturgisch mit eingebaut ist, scheinbar als handelnde Person, um den Auftritt dieser Geschichte in dieser Rubrik zu rechtfertigen. Sie erscheint schleichend, überfallartig und gemein. Sie agiert wie ein Gewalttäter und sie fordert vom Strickenden Gewaltbereitschaft. Alles was sie meint, war dem Strickenden oder von ihm selbst gehört und gesagt. Du hast auch recht, wenn du meinst, daß strickende Männer in dieser Gesellschaft auf hohe Akzeptanz stoßen. Aber ich glaube, Männer werden strickend nicht sehr ernst genommen. Sims wehrt sich sogar gegen die Aussicht, dieses aus einer Lebensnotlage heraus zu müssen. Es ist also nicht erstrebenswert. Mehr gibt diese Geschichte an gesellschaftskritischem Bezug nicht her. Aber auch nicht weniger. Sie bleibt grotesk.

Übrigens habe ich aus meiner Strickarbeit folgende Erkenntnis gezogen. Stricken ist entgegen der Herrschenden Meinung nicht nur dem weiblichen Gesschlecht zuzutrauen und zuzumuten. Es ist sehr männlich, weil es sehr technisch ist. Es ist wertvoll, so etwas zu können. Die Grundtechnik des Strickens zu beherrschen bedeutet mir, es auch in der Industriegesellschaft anwenden zu können. Bishin zum Maschinenbau für Strickmaschinen. Doch bin ich nicht bereit, mich als Strickender öffentlich zur Schau zu stellen. Es konnte mir nur gelingen, weil ich mich zurückgezogen habe. Dabei emanzipiert sich auch ein Mann. Es ist aber nicht sein Hauptmotiv. Dieses möchte ich generalisieren. Je mehr ich fertig gestrickt hatte, desto selbstverständlicher wurde mir der Umgang mit Nadel und Faden. Der Öffentlichkeit mute ich es allerdings nicht zu, mir dabei zuzuschauen. Nur so konnte es gelingen.

Erkältungsbedingt bin ich augenblicklich zu schwach um auf diese Geschichte noch weiterführend einzugehen. Ich bitte um Dein Verständnis. Ich hoffe, ich habe Dich nicht all zu sehr enttäuscht und sende Dir liebe Grüße

joasch

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo joasch!

Ich freu mich über Deine ausführliche Antwort auf meine Kritik und möchte noch kurz darauf eingehen:

joasch schrieb:
Häferl schrieb:
Du schreibst zwar immer wieder von der »Herrschenden Meinung«, die etwas sagt oder meint, jedoch wird nicht klar, in welcher Form sie das tut – so könnte man auch schlußfolgern, daß Dein Protagonist sich bloß einredet, daß diese herrschende Meinung so denkt.
Ja, in der Tat ist das so. Die herrschende Meinung verstehe ich als soziologischen Phänomen. Sie tritt lediglich gewissentlich auf und wirkt grundsätzlich nur über das Gewissen auf das Individuum. Sie schleicht sich hier bei dem Strickenden ein und setzt in ihm eine besondere Triebkraft frei. Er strickt also nicht freiwillig, obwohl er sich freiwillig zum stricken hingesetzt hat. Er rebelliert. Tatsächlich wird das Stricken zur politischen Tat, hier eines Mannes. Er fühlt sich also rekrutiert, darf man annehmen. Er hält sich selbsterklärend strickend wehrbereit.
Das ist eben das Problem: Ich sehe ihn nicht rebellieren.
Er geht doch vor der angeblich herrschenden Meinung in die Knie, fügt sich ihr, indem er sich zurückzieht und nur versteckt strickt – wo ist da die Rebellion? Wogegen hält er sich strickend wehrbereit?
Er paßt sich entsprechend der (angeblich) herrschenden Meinung an, indem er eben nur versteckt strickt. Rebellion ist aber gerade nicht, sich solch einer Meinung zu fügen.

joasch schrieb:
Häferl schrieb:
Es bleibt ein »Ich bin ja so total anders« des Ich-Erzählers, das durch die Art, wie es verpackt ist, keine gesellschaftliche Aussagekraft erhält. Es ist wie ein riesiges Paket, in dem man unter viel Füllmaterial das Geschenk sucht und ein Paar Socken findet.
Du hast das sehr gut erkannt. Und die Strickarbeit dieses Mannes resultiert auch aus einer schweren Lebensentäuschung. Deiner Aussage glaubenschenkend, darf man annehmen, der Strickende erwartete auch viel zu viel. Auch Erläuterungen, die Nebensächlichkeit mit Oma Dose, ist nur Ausweichung.
Bei dem Abschnitt mit der Oma Dose meinte ich vor allem die lange Sache mit der Namensgebung. Es ist für die Geschichte völlig irrelevant, wie sie heißt und warum, und Du walzt das ziemlich aus. Wichtiger ist doch, daß er sich in der beherrschenden Umgebung (wo ihm wahrscheinlich auch die herrschende Meinung eingeimpft wurde) nicht wohlgefühlt hat und froh war, als er wieder mit seiner Mutter zuhause war.
Ich weiß leider nicht, was Du mit »der Strickende erwarte sich viel zu viel« meinst. Ich finde, er sollte sich vor allem erwarten, daß er so akzeptiert wird, wie er ist. Das erwartet er sich nämlich nicht, sonst würde er sich nicht verstecken.

joasch schrieb:
Zu deinem Vorwurf, dieser Geschichte fehle der Bezug zur Gesellschaftskritik möchte ich dir folgendes sagen: Ich meinte, hier genügt der bösartige Einfall der Herrschenden Meinung, die hier dramaturgisch mit eingebaut ist, scheinbar als handelnde Person, um den Auftritt dieser Geschichte in dieser Rubrik zu rechtfertigen. Sie erscheint schleichend, überfallartig und gemein. Sie agiert wie ein Gewalttäter und sie fordert vom Strickenden Gewaltbereitschaft. Alles was sie meint, war dem Strickenden oder von ihm selbst gehört und gesagt. Du hast auch recht, wenn du meinst, daß strickende Männer in dieser Gesellschaft auf hohe Akzeptanz stoßen. Aber ich glaube, Männer werden strickend nicht sehr ernst genommen.
Vorwurf? Nein, ich werfe nur auf und hoffe, damit etwas anzustoßen. ;)
In welcher Form erscheint sie schleichend, überfallartig und gemein, agiert wie ein Gewalttäter? Wer würde dem Protagonisten etwas tun, wenn er sich z. B. in den Park setzt (natürlich im Sommer :D) und dort strickt? Okay, ein paar Leute werden komisch schauen, weil sie es nicht gewöhnt sind, aber wen interessieren die denn? Es geht doch dann nur darum, daß der Protagonist im Park sitzen und dabei stricken will, und das auch tut. Wer gibt ihm denn am Ende etwas dafür, daß er sich vor der angeblich herrschenden Meinung versteckt hat, statt sein Leben zu leben?
Für mich ist das keine Rebellion sondern Selbstverleugnung, und ich hätte mich gefreut, wenn das am Ende Deiner Geschichte rausgekommen wäre. Wenn er am Ende draufgekommen wäre, daß die aufgezwungene herrschende Meinung eine Fessel ist, die er ablegen sollte.
Mein Papa strickt auch, immer schon. Sämtliche Frauen in seiner Umgebung fragen ihn, wenn sie sich irgendwo nicht auskennen, oder lassen sich von ihm ihre Muster berechnen (er kann das alles ohne vorgefertigter Anleitung), und wenn er auf Urlaub fährt, nimmt er auch sein Strickzeug mit. Er hat damit keine Probleme.

Sims wehrt sich sogar gegen die Aussicht, dieses aus einer Lebensnotlage heraus zu müssen. Es ist also nicht erstrebenswert.
Nicht erstrebenswert daran ist die Notlage, aber wenn man sich in einer Notlage, die man sich ja natürlich nicht wünscht, damit helfen kann, ist es viel wert und es macht dann auch zufrieden und selbstbewußt, daß man sich selbst helfen kann. Dafür ist es egal, ob man ein Mann oder eine Frau ist.

Übrigens habe ich aus meiner Strickarbeit folgende Erkenntnis gezogen. Stricken ist entgegen der Herrschenden Meinung nicht nur dem weiblichen Gesschlecht zuzutrauen und zuzumuten.
Da wollte ich schon über die Erkenntnis applaudieren, aber dann kam der Nachsatz, in dem Du wieder ins Klischee verfällst:
Es ist sehr männlich, weil es sehr technisch ist.
Ich könnte dem jetzt natürlich andere Eigenschaften wie Feinarbeit und geforderter Ausdauer entgegenstellen, die es wiederum als weiblich klassifizieren würden, aber das ist doch genau der Fehler: das Zuordnen irgendwelcher Eigenschaften nach Geschlecht. Du schreibst selbst irgendwo in der Geschichte (ich find es grad nicht), daß er und die Mutter eben einfach Menschen seien, die das können. Und um nichts anderes geht es eigentlich: Jeder soll das machen, was er kann und ihm Spaß macht, ohne sich zu schämen, weil seine Lieblingstätigkeit gerade dem anderen Geschlecht zugeordnet wird, das hieße nämlich, sich für sich selbst zu schämen.

Doch bin ich nicht bereit, mich als Strickender öffentlich zur Schau zu stellen. Es konnte mir nur gelingen, weil ich mich zurückgezogen habe. Dabei emanzipiert sich auch ein Mann. Es ist aber nicht sein Hauptmotiv. Dieses möchte ich generalisieren. Je mehr ich fertig gestrickt hatte, desto selbstverständlicher wurde mir der Umgang mit Nadel und Faden. Der Öffentlichkeit mute ich es allerdings nicht zu, mir dabei zuzuschauen. Nur so konnte es gelingen.
Ich frage mich weiterhin: Was ist dabei gelungen? Nicht die Emanzipation »des Mannes«, sondern ein einzelner werkelt versteckt und ändert nichts an der gesellschaftlichen Meinung.
Vergleich es mal mit den Schwulen: Hätten sie sich, wie es zur Nazizeit notwendig und auch später noch (wegen der herrschenden Meinung) üblich war, weiterhin versteckt, wären sie heute nicht zumindest halbwegs anerkannt, würden nicht als Lebensgemeinschaft diverse Rechte ähnlich einem verheirateten Paar haben. Das konnte nur geschehen, weil sie aus ihrem Versteck herausgekommen sind und sich der Gesellschaft zugemutet haben.
Genauso kann auch die Emanzipation des Mannes nicht stattfinden, wenn es jedem reicht, innerhalb seiner eigenen vier Wände ach so emanzipiert zu sein, aber ein anderer darf davon nichts wissen. – Und es bedarf noch der Emanzipation des Mannes, um endlich wirklich eine Gleichstellung der Geschlechter zu erreichen, damit Menschen als Menschen leben können und nicht von Geburt an aufgrund eines körperlichen Unterschiedes in verschiedene Schubladen gesteckt werden.
Stattdessen ...
„Werdet zur Frau!“, gab mir die Herrschende Meinung deshalb strafend auf.
... lassen sich zig Menschen umoperieren, weil sie glauben, sie hätten den falschen Körper.

Ob einen die herrschende Meinung beherrscht, kommt darauf an, ob man sich von ihr beherrschen läßt. Und deshalb zeigst Du in meinen Augen keinen Rebellen, denn der würde sagen: Es ist ihr zuzumuten.

Für Deine Erkältung wünsche ich Dir eine gute Besserung,

liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl!

Herzlichen Dank für Deine Mitteilung. Allem voran wünsche ich Dir und Deiner Familie ein frohes und gesundes neues Jahr. In vielen Äußerungen in Deiner Kritik erkenne ich übrigens eine Meinungsgleichheit zwischen uns. Deshalb finde ich kaum einen Grund, Deinen Auffassungen zu widersprechen.

Ja, wenn ich diese ganze Geschichte überdenke, habe ich sie sehr phlegmatisch abgehandelt und das nicht ohne Grund. Sie ist konkret und das Handeln des Strickendes ist grotesk. Damit die Erzählung auch eine Groteske bleibt, darf der gesellschaftskritische Ansatz der Erzählung meiner Meinung nach nicht sehr viel konkreter werden. Die Geschichte hat ihre Absicht, einen Leser auf die Problematik, die das Stricken eines Mannes grundsätzlich aufwirft, erfüllt, wie Du mir beweist. Zitat:

Vergleich es mal mit den Schwulen: Hätten sie sich, wie es zur Nazizeit notwendig und auch später noch (wegen der herrschenden Meinung) üblich war, weiterhin versteckt, wären sie heute nicht zumindest halbwegs anerkannt, würden nicht als Lebensgemeinschaft diverse Rechte ähnlich einem verheirateten Paar haben. Das konnte nur geschehen, weil sie aus ihrem Versteck herausgekommen sind und sich der Gesellschaft zugemutet haben.

Homosexualität in diesem Thema anzusprechen, ist typisch. Ich unterstelle, Männer entwickeln sofort homophobische Gefühle, wenn sie die Stricknadeln zur Hand nehmen. Dieses geschieht scheinbar sogar naturgesetzlich so, vielleicht als Resultat einer Bildergläubigkeit, einem Klischee also, von geschlechtsspezifischen Verhalten. Es bleibt unbestritten, daß wir das selbe meinen. Nun ein typischer Einwandt von Dir:

... lassen sich zig Menschen umoperieren, weil sie glauben, sie hätten den falschen Körper.

Meine Gedanken gingen genauso weit, als ich diese Geschichte schrieb. Der Gedanke daran macht mir übrigens spontan Angst; Kastrationsangst ganz genau. Ich glaube, wenn Menschen diese so konkret spüren, werden sie automatisch gefährlich. Wohl deshalb ist die Herrschende Meinung, gleich ganz extrem. Ich habe mir Antworten geben können. Hinsichtlich einer Geschlechtsumwandlung gibt es meiner Meinung nach nur einen ganz kleinen Spielraum, sich für ihn zu entscheiden. Ich meine, wenn eine angeborene organische Zwittrigkeit bei einem Menschen vorliegt, ist ein operativer Eingriff erlaubt. Meiner Meinung nach sogar nur dann. Geistige Verwirrung allein kann niemals einen Grund für solch einen radikalen Eingriff sein. Deshalb braucht man es an dieser Stelle auch nicht weiter zu diskutieren.

Wer würde dem Protagonisten etwas tun, wenn er sich z. B. in den Park setzt

Diese Frage ist sehr gut und es ist schlimm, daß sie sich überhaupt aufstellt. Radikale Menschen gehen aber so weit. Ein Mann, der sich demonstrativ ausgerechnet auch noch in einen Park setzt, allein, ist sehr gefährdet, Opfer eines gewalttätigen Angriffs zu sein. Auch das meine ich. Ich weiß es nicht so genau.

Um Gewalttätigkeit gerade im Zusammenhang mit meiner Geschichte auszuschließen, habe ich sie so phlegmatisch gehalten. Es ist genug. Der Strickende hier, ist kein Anfänger mehr. Und er weiß auch, warum er es so tut.

Deshalb habe ich beschlossen, an dieser Geschichte nichts mehr zu ändern. Sie würde zu konkret und verlöre ihren Anspruch, lediglich eine Groteske zu sein. Mit Deiner Mithilfe ist der gesellschaftskritische Aspekt sogar besonders hervorgehoben. Hierfür gebührt Dir ein Dankeschön. Ich meine, genau das steckt dahinter. Wie ein Gemählde von Spitzweg übrigens beweist, war das immer so. Uns zum Trost: Wichtig ist am Ende nicht der Strickende sondern das Strickwerk. Uns Männern zum Trost: Ich habe es auch für Dich getan und ich habe es auch gleich vielen Frauen vorgezeigt!

Liebe Grüße von joasch

(ps. Meine Erkältung ist gottlob sehr abgeklungen. Aber ich muß mich noch schonen.)

 

Hallo joasch!

Sorry, aber ein paar Dinge will ich da nicht so stehen lassen:

Die Geschichte hat ihre Absicht, einen Leser auf die Problematik, die das Stricken eines Mannes grundsätzlich aufwirft, erfüllt, wie Du mir beweist. Zitat: [...]
Homosexualität in diesem Thema anzusprechen, ist typisch.
Nein, das wollte ich damit nicht sagen. Ich bin nicht durch das Thema Stricken auf die Homosexualität gekommen, sondern wollte damit etwas anführen, wo Männer sich gegen die herrschende Meinung gestellt und dafür gekämpft haben, daß man sie so akzeptiert, wie sie sind.
Ein anderes Beispiel dafür ist mir leider nicht eingefallen – denn alles, wo sich die Rolle der Männer in den letzten Jahrzehnten zu einer annähernden Gleichstellung mit den Frauen entwickelt hat, geschah im Zuge der Emanzipation der Frauen. Hätte ich z. B. das Thema Kindererziehung hernehmen können, hätte ich das getan, aber es waren nicht die Männer, die ihren Anteil daran eingefordert hätten, sondern es waren die Frauen, die gesagt haben »übernehmt euren Teil«, und so sehe ich einzig die schwulen Männer, die als Beispiel für einen männlichen Kampf um Selbstverwirklichung taugen.

Ich unterstelle, Männer entwickeln sofort homophobische Gefühle, wenn sie die Stricknadeln zur Hand nehmen. Dieses geschieht scheinbar sogar naturgesetzlich so, vielleicht als Resultat einer Bildergläubigkeit, einem Klischee also, von geschlechtsspezifischen Verhalten.
Das eine, ein Handwerk, hat doch mit dem anderen, einer sexuellen Neigung, gar nichts zu tun. Ich bin doch auch nicht lesbisch, nur weil ich gern mit Holz arbeite oder Löcher in die Wand bohre.
Homophobe Ängste haben ihren Ursprung in anerzogenen und daher tiefsitzenden Vorurteilen. Die Angst, schwul zu sein oder dafür gehalten zu werden, rührt daher, daß man selbst negativ darüber denkt – das muß kein bewußtes Denken sein, es reicht die eingeimpfte »herrschende Meinung«, die über das Gewissen wirkt.
Diese Ängste entstehen also nicht automatisch bei jedem strickenden Mann, sondern nur bei jenen, die entsprechende Vorurteile verinnerlicht (und noch nicht abgelegt) haben. Wenn einer keine Vorurteile (mehr) hat, braucht er keine Angst haben, weder davor, vielleicht tatsächlich schwul zu sein, noch davor, von irgendjemandem dafür gehalten zu werden.
Es steckt nicht umsonst das Wissen im Gewissen: das Wissen darum, was von einem erwartet wird. Erwartungen kann man erfüllen oder auch nicht.

Geistige Verwirrung allein kann niemals einen Grund für solch einen radikalen Eingriff sein.
Als geistig verwirrt wollte ich die Menschen nicht darstellen, die sich so einem Eingriff unterziehen. Sie sind in meinen Augen Opfer der Schubladengesellschaft, in der sie aufgrund der verinnerlichten Vorurteile nicht zu sich und ihren, dem anderen Geschlecht zugeordneten Eigenschaften stehen können.
Sie gehen damit konform mit den gesellschaftlichen Vorurteilen bezüglich Geschlechterrollen und untermauern diese. – Und genau das macht auch Dein Protagonist, wenn er sich versteckt. Das Verstecken ist nichts anderes als ein Anpassen an die »herrschende Meinung«, an das Klischee, daß Männer nicht stricken. Und ein Bestätigen, weil die Gesellschaft die strickenden Männer ja nicht sieht, wenn sie sich verstecken. Was die Menschen nicht sehen, das gibt es nicht in ihren Augen; sie müssen also etwas erst sehen, um es akzeptieren zu lernen.

Ein Mann, der sich demonstrativ ausgerechnet auch noch in einen Park setzt, allein, ist sehr gefährdet, Opfer eines gewalttätigen Angriffs zu sein. Auch das meine ich. Ich weiß es nicht so genau.
Meinem Papa hat noch nie jemand etwas getan, wenn er z. B. strickend am See gesessen ist.

Der Gedanke daran macht mir übrigens spontan Angst; Kastrationsangst ganz genau. Ich glaube, wenn Menschen diese so konkret spüren, werden sie automatisch gefährlich.
Weil jeder Mensch in seinem Innersten so anerkannt werden möchte, wie er ist. Auch wenn das bewußte Denken der Gehirnwäsche durch die »herrschende Meinung« unterliegt, ist dieses Innerste noch immer da, das sich dagegen wehrt, so brutal behandelt zu werden.
Wohl deshalb ist die Herrschende Meinung, gleich ganz extrem.
Sie wird vielleicht von Betroffenen als extrem empfunden, weil sie sich über ihr Gewissen selbst extrem unterdrücken.
Immerhin gibt es schon einige Jahre (so zweieinhalb bis drei Jahrzehnte) gemeinsamen Werkunterricht für Buben und Mädchen (ich nehme mal an, daß das auch in Deutschland so ist), das ist doch ein deutliches Zeichen der Gesellschaft in eine andere Richtung, oder?

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Häferl!

Voran sei Dir heute mitgeteilt, daß meinem Immunsystem noch manches zuzutrauen ist. Hinsichtlich meiner Erkältung, die ausgerechnet am 1. Weihnachtstag ausgebrochen war, habe ich seit heute das Gefühl, daß sie restlos abgeklungen ist. Na, wunderbar, denn nun habe ich einen freien Kopf und kann Dir gesundheitlich hübsch unbelastet antworten.

Meinem Papa hat noch nie jemand etwas getan, wenn er z. B. strickend am See gesessen ist.

Ich finde diese Mitteilung wunderbar. Ich habe meinen Glauben an die Menschheit auch keineswegs aufgegeben und ich glaube sogar, daß es nur Außenseiter sind, die es überhaupt wagen, einen strickenden Mann körperlich anzugreifen. Ich nenne diese Menschen Beorderliner. Denen etwas, z. B. eine natürliche Beißhemmung, fehlt. In meiner Heimat, dörfliches und kleinstädtisches Milieu in Norddeutschland, entfalten sich solche Menschen innerhalb subkultureller Gruppen, wie Neonazis beispielsweise, Skins vielleicht. Punker erlebe ich zumeist friedfertig. Sie gibt es sehr selten und nur selten nimmt man sie als Gewalttäter war. Menschen also, die sich so maskieren, halte ich für unberechenbar. Unmaskiert bleiben diese Menschen Gewalttäter und sie suchen sich keine strickenden, sondern einfach nur Opfer. Stricken reicht ihnen evtl. als Vorwand und deshalb fangen sie einfach nur an zu pöbeln.

Zu dem Bild, daß Du mit deinem strickenden Papa an einem See zeichnest, zeigt sich Dein Vater herrlich menschlich. Und ich frage mich: strickt er, oder will er nur angeln, in dem er strickend und so auf sich aufmerksam macht? Ich sage Dir, es wäre doch sein Recht. Aber sicherlich strickt er nur. Spaß bei Seite. Du hast mir eine sehr interessante Psychoanalyse meines Strickenden geboten. Mit Deiner Kritik sind die prägnanten psychologischen Hintergründe für das Verhalten des Protagonisten hier sehr gut hervorgehoben. Ich halte Deine Annahmen und Behauptungen für wahr und stimme ihnen zu. Folgendes:

Immerhin gibt es schon einige Jahre (so zweieinhalb bis drei Jahrzehnte) gemeinsamen Werkunterricht für Buben und Mädchen (ich nehme mal an, daß das auch in Deutschland so ist), das ist doch ein deutliches Zeichen der Gesellschaft in eine andere Richtung, oder?

Ja. In meiner Schulzeit war das Lehrfach Handarbeiten auch Jungen angeboten. Ich hatte mich zu entscheiden und ging dann in den Werkunterricht. Es war mir wichtiger. Aber es entspricht auch meiner Lebenserfahrung, daß den Jungen in der Schule die Handarbeit mit Nadel und Faden nicht verweigert wurde sondern auf verlangen wurde es gefördert. Ich tat es sogar, knüpfte einmal einen kleinen Wandteppich und war von meinem Mathelehrer prompt mit Fräulein angeredet. Vielleicht liegt in dieser Erfahrung der Grund meines Verhaltens. Es ist nun mal so. Man fragt sich sogar, wer eigentlich auch schon immer Schneider wurde, wenn nicht auch Männer. Beim Militär müssen Rekruten nähen können um sich selbst zu helfen. In diesem Zusammenhang bleiben allerdings Spitzwegs strickende Soldaten herrliche Lachfiguren. Was meine bereits geäußerte Behauptung bestätigt, daß strickende nicht sehr ernst genommen werden. Ich bleibe dabei, daß ich es für klüger halte, wenn sich strickende Männer in der Öffentlichkeit damit zurückhalten. Ich will auch behaupten, daß dieser Protagonist wirklich einer anderen Generation zuzurechnen ist, die es von Kindheit an gelernt hat, auch diese Tätigkeit ernst zu nehmen und sie anzunehmen. Es bedeutet mir wirklich ein Wandel in der Gesellschaft. Ich bin sicher, die Kinder der Kriegsgenerationen hatten hier mit massiven Vorurteilen zu rechnen, übrigens auch bis hin zur Verfolgung als Homosexueller. Die Bildergläubigkeit Wahnsinniger oder einfach nur gefährlich dummer Menschen ist vielleicht die Ursache hierfür. Dahinter verbirgt sich eine abgrundtiefe Selbst- bzw. Menschenverachtung und es ist dann eine Machtdemonstration dekadenter Menschen, denen das Erscheinungsbild eines Strickenden genügt, ihn zu denunzieren. Dieses zur sadistischen Lustbefriedigung. Die meisten Männer damals und ich meine dieses global, unterließen das Stricken genau aus diesem Grund. Sie hatten nur Angst davor. – Das ist heute glaube ich anders. Mein Protagonist hat es also nicht mehr nötig, sich als Strickender in seiner Männerrolle besonders zu behaupten. Dennoch muß er gehörig auf sich aufpassen, weil es die nicht geläuterten Menschen nach wie vor gibt. Er kann ihnen Vorbild sein, wenn ich darüber nachdenke.

Deine Kritik habe ich verstanden. Du forderst: Solche Männer vor. Und du hast recht. Es ist übrigens eine politische Forderung der Königin Nur, von der ich in der Presse las, daß sie die Entwicklung des Kleinhandwerkes in ihrem Land fördern will. Sie tut gut daran genau so wie der Protagonist hier gut daran tat, zu stricken und sich nicht als Arbeitsloser in den hierfür typischen, unangenehmen Klischees zu verlieren. Alkoholismus, Verwahrlosung, psychische Erkrankung bis hin zum Selbstmord, weil er den Sinn in seinem Leben verloren hat. Es ist großartig, wenn Menschen, die in Arbeitslosigkeit geraten sind, sich vernünftig selbst beschäftigen können. Diese Menschen können Arbeitslosigkeit ganz anders ertragen. Der Protagonist hier ist sicherlich keine Ausnahme. Dieser hier strickt, andere basteln an Autos oder beschäftigen sich anderweitig sinnvoll. Womit gesagt ist, daß mein Protagonist keines Weges ein Held ist, sonder ein normaler Mensch, der sich in seiner Menschenpflicht bewahrt und sich nicht einfach nur gehen läßt. Dieser Protagonist unterwirft sich nicht, sondern er rebelliert innerlich gegen die Herrschende Meinung in ihren vielfältigsten Facetten. Du sagtest es ganz richtig, sie erscheint in dieser Geschichte brutal. Es ist nach meiner Einschätzung die Stimme, vergleichbar mit der eines Zuhälters, eines Mörders, eines Anstifters, der es nicht unterläßt, andere zu terrorisieren. Diese Stimme ist auch einem Dealer zuzutrauen. Er will Macht. Er will, daß andere ihm gehorchen; mehr noch: daß sie ihm gehören. Arbeitslose sind evtl. leichte Beute für solche Menschen. Davor hat dieser Protagonist Angst. Er widersetzt sich, in dem er sich zurückgezogen hat. Aber er hält die Wacht und er tut gut daran. Der Pullover wurde sogar fertig!

Liebenswert finde ich meine Geschichte und ich muß es endlich einmal sagen, weil sie ein kleines Wunder aufzeigt. Der Protagonist meint, er könne nicht stricken. Von kindesbeinen an versucht er es nur. Man darf sagen, sein Werk hat er nicht in erster Linie geschaffen sondern es ist ihm gelungen, weil es ihm erwuchs. Es liegt an der Mutterliebe, die er zeitlebens empfing, glaube ich. Ihr zu Ehren, also seiner Mutter, Frauen schlechthin vielleicht, hat er sich dazu entschlossen, auch zu stricken. Er setzt so Zeichen. Nur so fand er seine Ruhe. Hier fehlt jedweder Zwang, dem ein Lernender allzuleicht ausgeliefert ist, wenn er unbedingt etwas lernen muß. Es ist sehr schön so, weil ihm etwas auf geheimnisvoller Weise erwuchs. Er weiß nicht, warum er so etwas plötzlich konnte und darüber wundert er sich.

Diese Geschichte ist vielleicht auch keine Groteske sondern einfach nur eine Parabel. Eine Geschichte, die sich gegenläufig abspielt zu einer anderen, nicht beschriebenen Handlung. Konkret wären hier Kriegshandlungen zu vermuten. Angst davor und beinahe berufen dazu fühlt sich der Protagonist durch das Fernsehen. In der Tat ist der Strickende in dieser Geschichte etwas anderes als lediglich strickend. Ich bleibe dabei. Er ist in diesem Sinne ein Kriegsdienstverweigerer. Es erklärt sich, weil er strickt, unbestritten um Verläufe in der politischen Entwicklung abzuwarten. Und deshalb bleibt diese Geschichte eine Groteske. Es ist gut, daß hier der Protagonist nicht als Held dargestellt wird, sondern als ein selbstbewußter Mensch, der die Herrschende Meinung, die ihm gewissentlich befiel, am Ende verlachte. Er verkaspert sie, weil er Schwäche demonstriert, die im eigentlichen Sinne männliche Stärke abverlangte. Wie grotesk. Mit dem Gelingen der Strickarbeit hat er seinen Widersacher bezwungen. Kämpfend wäre er nicht zum Stricken gekommen. Auch nicht, um sich als heldenhafter Selbstbezwinger zu beweisen und sich so einer Öffentlichkeit preiszugeben.

Im Übrigen möchte ich Dir mitteilen, daß ich selber als junger Mensch häkeln bis zur Perfektion erlernte. Als ich die Strickarbeit angefangen hatte, stellte ich einen besonderen Unterschied fest. Ich erfuhr Stricken als eine eher grobmotorisch ausgelegte Handarbeit, im Gegensatz zum Häkeln. Deshalb meinte ich, ist es sehr männlich. Häkeln vielleicht auch, fischernetze zum Beispiel. Ja, es ist grotesk, hier eine geschlechtsspezifische Bedingung hervorzuheben, wie Du es mir beweist. Ich, als schreibender Mensch wollte allerdings behaupten, daß es nach wie vor solche Meinungen gibt, die andere beherrschen. Durchaus auch unbewußt, wie du es schreibst.


So, nun ist die Geschichte aber sehr lange und ausführlich diskutiert worden. Mehr habe ich zu ihr in diesem Sinne nicht mehr zu sagen außer vielleicht, daß diese Geschichte eher lyrisch verfaßt wurde, kaum episch. Und hier liegt vielleicht auch der Unterschied der hier Diskutierenden. Ich verstehe mich in meiner Erzählkunst bei dieser Geschichte als expressionistischer Lyriker. Und die sollten sich nach Möglichkeit nicht anders verklären, wie ich meine. Mißverstanden fühle ich mich nicht. Allen Menschen möchte ich vielleicht abschließend sagen: Hierbei paßt aber schön auf euch auf. Recht, Häferl, haßt Du in allem. Stelle Dir vor, daß meine ich auch. Grotesken Dank für Deine ausführliche Kritik von joasch

 

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