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Erwachsenwerden
Erwachsenwerden
Ich möchte nicht mehr zu Hause sein. Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich mit Konni auf einer einsamen Insel leben. Konni. Er hat immer ein offenes Ohr für mich. Hört mir zu, wenn ich bedrückt bin. Urteilt nie. Strahlt mich jederzeit mit seinem breiten Lächeln, das fast das komplette Gesicht füllt, an. Schade, dass er der Einzige ist, der mich versteht.
Meine Mutter schrie mich vorhin mal wieder an.
"Dir geht es hier so gut. Siehst du eigentlich nicht, was dein Vater und ich für dich tun? Auf was wir deinetwegen verzichten? Es ist doch nicht zu viel verlangt, wenn du mir ein wenig beim Spülen hilfst."
"Aber ich kann jetzt nicht", sagte ich ängstlich.
Das Gesicht meiner Mutter veränderte sich. Das tat es immer, wenn ich ihr widersprach. Die Hilflosigkeit überkam sie wie ein Platzregen.
"Na gut junger Mann. Warte nur bis dein Vater nach Hause kommt."
Jedes einzelne Wort traf mich wie ein Giftpfeil, dessen Wirkung schnell einsetzte. Ich wandte mich von ihr ab und stürmte die Treppe hinauf. In meinem Zimmer angekommen, kroch ich sofort unter meine Bettdecke. Konni hatte ich in der rechten Hand. Ich drückte ihn fest an mich und wimmerte.
"Konni, sag mir, was ich tun soll. Alles was ich mache, ist falsch. Ich hatte vorhin keine Zeit Mama beim Spülen zu helfen, weil ich doch versprochen habe, heute mit dir zu kuscheln."
Konni lachte mich verständnisvoll an.
"Ich wünschte Mama und Papa wären so wie du. Aber das sind sie nicht. Du bist mein bester Freund und daran wird sich nichts ändern."
Langsam aber sicher beruhigte ich mich wieder. Die Angst vor der richtenden Hand meines Vaters verzog sich wie ein Traum nach dem Erwachen. Ich setzte mich mit dem Gedanken auseinander, wie ich mit ihm über das vorhin Geschehene reden konnte. Entschuldigen wollte ich mich nicht. Ich wollte ihm meine Reaktion verständlich machen. Mit dieser Entschlossenheit schlief ich ein.
Ein lauter Schrei riss mich aus dem Schlaf. Es war mein Vater. Er schrie sehr häufig. So auch, als ihn vor kurzem mein Lehrer anrief und erzählte, dass ich zum wiederholten Male die Hausaufgaben vergessen hatte. Augenblicklich meldete sich die Angst zurück ohne zu fragen, ob sie eintreten durfte. An das, was ich mir vor dem Einschlafen vorgenommen habe, erinnerte ich mich nicht mehr. Ich wusste nicht mal mehr, dass ich mir etwas vorgenommen hatte.
Die Treppenstufen knarrten. Mein Herzschlag glich einem Trommelwirbel. Ich warf die Bettdecke über mich und versuchte ganz still zu sein. Konni wurde zwischen meinen Händen und meinem Brustkorb eingequetscht. Er musste mir jetzt beistehen.
Die Türklinke gab einen komischen Laut von sich. Mein Vater trat ins Zimmer. Leise näherte er sich meinem Bett, das spürte ich. Meine Augen waren geschlossen und ich versuchte regelmäßig zu atmen. Keine Ahnung, ob mir das gelang.
"Mark, steh bitte auf. Wir müssen etwas bereden".
Ich rührte mich nicht.
"Wenn du nicht von dir aus aufstehst, werde ich dich dazu zwingen".
Mir lief es eiskalt den Rücken herunter und ich klammerte mich noch ein wenig fester an Konni. Diese Bewegung nahm mein Vater natürlich wahr und riss die Bettdecke von mir. Ich sah in seine hasserfüllten Augen.
"Was hat Mama mir gerade erzählt? Du hast dich geweigert, ihr beim Spülen zu helfen? Stimmt das?"
"Ja, aaaaber..."
Klatsch. Der erste Schlag landete in meinem Gesicht. Meine linke Wange schmerzte und wurde feuerrot.
"Du widersprichst deiner Mutter nicht mehr. Hast du mich verstanden?"
Traurig senkte ich meinen Kopf nach unten und nickte.
"HAST DU MICH VERSTANDEN?", schrie er erbost.
"Ja Papa, hab ich".
"Gut. Wenn ich noch mal Ähnliches von deiner Mutter zu hören bekomme, bleibt es nicht bei einer zärtlichen Berührung. Ach, und noch was. Was soll eigentlich dieser alberne Bär in deinen Armen. Bist du nicht schon zu alt dafür? Gib ihn mir"
Mein Blut gefror in den Adern. Niemals würde ich Konni hergeben. Niemals.
"Nein, er gehört mir".
Klatsch. Klatsch.
"Gib ihn mir!"
"Niemals"
Klatsch. Klatsch. Klatsch. Klatsch.
Tränen kullerten über meine Wangen. Nicht wegen den Schmerzen, die ich kaum wahrnahm. Mir war klar, dass ich Konni nie mehr wieder sehen werde. Mein Vater riss ihn mir aus der Hand und schaute mich düster an.
"Kuscheltiere sind etwas für Kleinkinder. Du musst langsam erwachsen werden"
Ich brachte kein Wort heraus. Mir war eiskalt. Vater riss Konni den Kopf ab.
Mein Bett verwandelte sich in kürzester Zeit in ein Meer voller Tränen, in dem ich zu ertrinken drohte.