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Es duftet nach Brot

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11.07.2021
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Es duftet nach Brot

„Eine Frau kam herein. Was soll ich ihnen darüber sagen? Ich kann nur sagen: sie kam herein.“
Anna Seghers, Transit


„Mach mal Räuberleiter.“ sage ich zu ihr. Sie legt ihre Handflächen ineinander, so wie wir es als Kinder früher immer gemacht haben. Aber damals war ich leichter. Als ich mit dem Fuß auf dieses künstliche Trittbrett trete, verzieht sie das Gesicht vor Schmerz. Ich zwänge mich durch die schmale Luke, lege mich draußen flach hin, reiche ihr meine Arme rein und ziehe sie bäuchlings nach draußen. Lachend liegen wir nebeneinander auf dem betonierten Platz.

Jemand hatte uns versehentlich im Keller in der Umkleide eingeschlossen. Ich vermute, es war der Nachtwächter, als er seinen Rundgang gemacht hat. Wir laufen außen an der hellerleuchteten Produktionshalle entlang bis zum Eingang. Aus den aufgeklappten Fenstern dringt der Geruch von frisch gebackenem Brot zu uns nach draußen.

Aber an allem ist mal wieder nur die wilde Sally schuld. Sogar, wenn sie durch die offene Tür in eine S-Bahn reinstürmte, erwischte sie mit Sicherheit ein Abteil, wo einer hingekotzt hatte, und ich hatte die ganze Fahrt immer den Geruch in der Nase.

Natürlich heißt sie ganz anders, englische Namen waren bei uns im Osten vor der Wende nicht üblich, aber gleich zu Anfang, als ich sie kennenlernte, dachte ich sofort: „Das ist sie." Für mich war sie Sally Bowles aus „Cabaret.“, obwohl sie ihr überhaupt nicht ähnlich sah.

Es soll ja Leute geben, die den Film nicht kennen. Der Film spielt im Berlin Anfang der Dreißigerjahre. Sally Bowles will Schauspielerin sein, singt in Nachtclubs und träumt von der Ufa.

Das war fünfzig Jahre, bevor wir beide uns in der Großbäckerei kennenlernten.

Sie, mit ihren verrückten Ideen, die immer die Rolltreppe in der U-Bahn verkehrt herum hochlief - obwohl ich nur drei oder vier Jahre älter bin, kam ich mir ihr gegenüber schon richtig alt und gesetzt vor - hatte mich überredet, während oben das Band stand, und die Schlosser am Reparieren waren, mit ihr gemeinsam nach unten in die Umkleidekabinen zu gehen.

Zum Glück steht das Band immer noch, als wir zurückkommen, und die Schlosser sind immer noch beim Reparieren. Ansonsten hätte das Ärger einbringen können. Sie hatten uns Beide sowieso schon auf dem Kiecker.

Wir waren in dieser Nachtschicht nur in den Umkleideraum gegangen, weil sie mit mir ihre Rolle üben wollte, die sie für ein Vorsprechen an der „Ernst Busch“ einstudiert hatte.

„Fame, der Weg zum Ruhm“, der damals gerade in die Kinos gekommen war, war ein Film, der jedem klarmachte, dass er unbedingt auf die Bühne muss. Auch Leute, die weder singen noch tanzen noch irgendetwas konnten, entdeckten plötzlich Ambitionen in sich. Bei diesem Film bildeten sich vor dem Kino Kosmos lange Schlangen, und er war wochenlang ausverkauft. Ein Junge hinter mir in der Schlange erzählte, dass er sich den Film schon zum achten Mal ansah. Wie kommt es bloß, dass die jungen Schauspieler aus dem Film keine Filmstars geworden sind, bei dem riesengroßen Erfolg, den der Film hatte?

Sally hatte viermal hintereinander „Fame - der Weg zum Ruhm“ im Kino gesehen, und war so begeistert, dass sie sich sofort bei der Schauspielschule bewarb.

Ich sitze auf der Holzbank im Umkleideraum vor den Spinden aus grauem Blech, und lese aus dem Reclamheft laut vor: „Er sagt, sie trinken den ganzen Tag und auf seine Kosten.“

Sally, die mir gegenübersitzt: „Gegen so billige Verleumdungen verteidige ich mich nicht. Warum sehen sie mich so an?“

Ich: „Es ist dunkel hier.“

Sally: „Die Dunkelheit tut meinen Augen wohl.“

Ich: „Ich habe sie nie bei Licht gesehen. … Ich habe gewusst, dass sie nicht mehr 16 sind, aber ich war dumm genug zu glauben, dass sie aufrichtig sind.

Sally: „Wer sagt, dass ich es nicht bin?“

Solche Probleme wie Blanche in „Endstation Sehnsucht“ von Tennessee Wiliams hatte Sally nicht. Sie war erst neunzehn und außerdem bildschön. Ihre Schauspielerei konnte ich nicht beurteilen, aber vielleicht konnte sie mit ihrer Schönheit punkten.

Wir Beide hatten uns angefreundet, als sie uns Beide zum Broteabnehmen in der Bäckerei einteilten. Wir standen im Lager, am Ende des Bandes, das aus dem Ofen rauskam, nahmen mit Handschuhen die heißen Brote und legten sie auf Wagen.

Eine halbe Stunde musste man knüppeln, dann hatte man eine halbe Stunde frei und der Andere übernahm.

Eigentlich galt das als Strafarbeit, aber ich musste mich zusammenreißen, um mir meine Freude nicht anmerken zulassen, als der Brigadier mich von meinem Arbeitsplatz in unser Abteilung wegholte und in die Bäckerei schickte. Wenn er gemerkt hätte, welchen Gefallen er mir damit tat, hätte er es sich vielleicht wieder anders überlegt.

Endlich entrann ich meinen Arbeitskollegen, wo ich in der Hierarchie die unterste Stellung einnahm und kräftig gemobbt wurde.

Nach einer Weile trudelte auch Sally ein, die neu bei uns war, und wir wechselten uns bei der Arbeit ab. „Wo läufst du immer in der Pause hin?“ fragte sie mich. Ich gehe in den Umkleideraum und lese.“ antwortete ich.

Ich hatte nämlich mitbekommen, dass es nicht gut ankam, wenn man im Pausenraum oder in der Kantine las. Deshalb zog ich mich dazu immer in die Umkleide zurück. „Welches Buch liest du denn?“ Ich gab es ihr, überzeugt, dass es sie nicht interessieren würde.

Ich hatte es am Zeitungskiosk auf dem S-Bahnsteig gekauft, obwohl ich die Schriftstellerin kannte und nichts von ihr hielt. Wir mussten andauernd was von ihr in der Schule lesen, und ihre Sachen hatten mich immer angeödet, obwohl ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich meinen Abschlussaufsatz über ein Buch von ihr geschrieben habe.

Es gab auch ein freies Thema, aber wir alle wussten, wenn man das Thema nahm, wo es um Pflichtlektüre ging, war man auf der sicheren Seite.

So log ich das Blaue vom Himmel runter, denn ich war der Meinung, um eine Eins in Deutsch zu bekommen, reichte es nicht aus, dass meine Hand immer sofort nach oben ging, wenn unser Deutschlehrer fragte, wer Theaterkarten haben will.

Das Verkaufen der Karten lag an unserer Schule in seiner Hand, und er merkte sich genau, wer regelmäßig ins Theater fuhr. So fuhr ich dann drei Jahre lang einmal im Monat mit den Anderen aus dem Lehrlingswohnheim unserer Berufsschule, wo ich eine landwirtschaftliche Ausbildung mit Abitur absolvierte, in die nächste Stadt und langweilte mich bei den Aufführungen immer grässlich und kämpfte nach der großen Pause mit dem Schlaf. So groß war das Kollektiv dort nicht, und so kannte man nach einer Weile schon alle Schauspieler.

Ich kann mich noch an Einen erinnern, der in sämtlichen Aufführungen mitspielte. „Er muss ein Workaholic sein, und das absolute Gedächtnis besitzen.“ dachte ich bei mir.

Und jetzt zog es Sally also auch zum Theater.

Nie habe ich eine Aufführung gesehen, die mir gefiel, aber ich hielt durch wegen meiner Deutschzensur.

Das machte sich auch bei meiner mündlichen Prüfung bezahlt, wo ich mit Antigone, ein Stück von Goethe, geprüft wurde, die ich gründlich gehasst habe, aber trotzdem eine Eins erhielt. Aber scheinbar war es mir nicht gelungen, den Anderen aus der Prüfungskommision erfolgreich weis zu machen, dass ich mit Antigone etwas anfangen konnte. Sie berieten sich, und mein Deutschlehrer sprach ein Machtwort zu meinen Gunsten, obwohl er mir natürlich auch nicht glaubte, dass Antigone mir was war.

Ich frage mich manchmal, ob ein Schriftsteller nicht verbieten sollte, dass seine Sachen in der Schule gelesen werden. Selbst ich, die eine Leseratte war, hasste das Meiste der Schullektüre. Dort gab es nichts, was mit meinem Leben etwas zu tun hatte. In der Dorfbibliothek forschte ich immer nach Büchern von Autoren, deren Namen englisch bzw. amerikanisch klangen. Dort fand ich eher was, womit ich was anfangen konnte. Aber sowas lasen wir in der Schule nicht.

Auch Lateinamerikaner waren nicht zu verachten, dort gab es sehr eindeutige Liebesszenen. Das war das Thema, das uns damals am meisten interessierte.

Meine Aufklärung, meine Mutter hielt sich völlig raus aus diesem Thema, habe ich dem brasilianischen Autor Jorge Amado zu verdanken. Durch seinen Roman "Dona Flor und ihre beiden Ehemänner" wurde ich in die Welt der körperlichen Liebe eingeführt. Der erste Ehemann von ihr ist ein Luftikus, der jede Nacht im Cachacarausch zu Sambarythmen tanzt und fällt plötzlich tot beim Tanzen um. Der zweite Mann ist ihr ein bisschen zu langweilig. Sie fleht die Götter an, ihr ihren ersten Mann zurückzuschicken. Ihr Wunsch wird erhört, und sein Geist besucht sie jede Nacht.

Die Verfasserin des Buches*, das Sally und ich in den Pausen in der Brotfabrik lasen, war eine Staatsschriftstellerin und hielt andauernd mit tragischer Stimme Reden im Fernsehen auf Parteitagen. Mit ihrem schneeweißen Haarknoten machte sie auf Arbeiterin, aber war eine Intellektuelle aus bürgerlichem Hause. Aber ehe ich gar nichts zu lesen hatte, denn am Zeitungskiosk auf dem Bahnsteig, wo ich immer auf die S-Bahn wartete, gab es an diesem Tag nichts anderes an Büchern zu kaufen, versuchte ich es einmal mit diesem Werk von ihr. Ich staunte Bauklötzer, und änderte völlig meine Meinung über sie.

Einmal lernte ich jemand kennen, der aus ihrer Heimatstadt, einer Stadt im Süden Westdeutschlands, war, eine Gegend, in der die Leute merkwürdigerweise zu Apfelwein Most sagen und auch reichlich davon tranken, wie ich erstaunt aus einem Buch der Schriftstellerin, das wir in der Schule lesen mussten, erfuhr. Ich fragte ihn nach ihr. „Bei uns mögen die Leute sie nicht so besonders.“

Er erzählte, dass seine Familie einen Weinberg besitzt, „Natürlich nur so nebenbei.“ Er, ein anziehender Typ, war übrigens ein Mann, der für die Liebe lebte. Er betete seine Freundin an, was ja nicht so oft vorkommt. „Wenn sie ihn verlässt“, dachte ich über den Landsmann der Schriftstellerin, „müssen seine Kumpels einen Kranz kaufen.

Warum verknallt sich nicht mal Einer so in mich?“ fragte ich mich. „Aber dann habe ich ihn auf dem Gewissen, und das muss nicht sein.“

Wider Erwarten zog das Buch mich in seinen Bann, und ich konnte gar nicht erwarten, das meine halbe Stunde Brotabnehmen, eine körperlich schwere Arbeit, die uns aber damals nichts ausmachte, vorbei war, und ich endlich erfuhr, wie es weitergeht.

Die Schriftstellerin hatte bessere Zeiten gesehen. Irgendwann, lange bevor sie eine weißhaarige, weise Frau geworden war, die immer auf Schriftstellerkongressen schlaue Reden hielt, musste sie im Berlin der Zwanziger und Dreißigerjahre, in der Zeit bevor die Nazis an die Macht kamen, mal im Romanischen Café an der Gedächtniskirche, über das ich schon so viel gelesen habe, und das ich auch gerne kennengelernt hätte, oder in ähnlichen Künstlertreffs aus- und eingegangen sein und mit ihren Freunden gefeiert haben, und eine völlig Andere gewesen sein.

Heute denke ich manchmal, dass sie, die verheiratet war und Kinder hatte, vielleicht irgendwie rüber bringen wollte, dass Frauen ihr auch was sein könnten, jedenfalls könnte man auf diesen Gedanken kommen, wenn man liest, wie sie über die schöne Marie schreibt.

Wieder Erwarten wurde Sally auch von dem Buch angefixt, und wir wechselten uns mit Lesen ab, je nachdem wer gerade Pause hatte. Wir waren beide einer Meinung darüber, dass die Schriftstellerin den traurigen Mann, dessen Manuskripte der Ich-Erzähler im Koffer mit sich rumtrug, geliebt haben musste, auch wenn sie es nicht zugab.

Durch Zufall fand ich heraus, wer er ist. Es handelt sich um einen jüdischen Schriftsteller**, der sich 1940 in Paris, dorthin war auch die Schriftstellerin geflüchtet, mit Gift das Leben nahm. Aber auch seine Bücher, die er vorher in Berlin geschrieben hat, sind sehr düster, auch seine Autobiografie.

Vielleicht ahnte er ja schon etwas. Er hatte es nie leichtgehabt, und jetzt, wo er nicht mehr jung war, wollten ihn seine eigenen Landsleute auch noch unbedingt umbringen, und verfolgten ihn sogar bis nach Paris, ohne dass er wusste, was sie gegen ihn hatten.

Ich fand Sallys Bildungshunger, mit dem sie sich auf Bücher stürzte, denn bisher hatte sie wenig gelesen, total rührend. Sie lernte sogar nebenbei noch ungarisch, weil sie sich irgendwann mal in einen Ungarn verliebt hatte.

Ich verstand, dass Sally hier weg wollte. Die hübsche, offene, intelligente Sally wurde hier genauso gehasst wie ich, die es wirklich nicht leicht hatte. Manche bezeichneten sie als verrückt, ich aber fand, dass sie die einzige Normale in unserer Abteilung war.

Ihre Lage erleichterte es auch nicht wirklich, dass sie sich mit mir solidarisierte. Ich stellte wohl das ideale Opfer dar. Eine wohlmeinende Kollegin sagte einmal zu mir: „Du wirkst auf Andere verträumt.“

Als ich mich einmal in der Nachtschicht zu den Anderen in der Kantine an den Tisch setzen wollte, sagte „meine Feindin“, eine Kollegin, die, aus mir unerfindlichen Gründen, tiefe Abneigung gegen mich gefasst hatte: „Hier ist alles schon besetzt.“ was natürlich nicht stimmte. Die Anderen sagten nichts dazu.

Achselzuckend nahm ich meinen Teller und setzte mich einen Tisch weiter. Ich legte gar keinen Wert darauf, mit den Anderen zusammen zu sitzen, und mir ihr langweiliges Gequatsche anzuhören, aber es war so üblich, dass in der Kantine die einzelnen Abteilungen zusammen saßen. Die Schlosser kuckten schon rüber. Sie mussten nicht mitkriegen, dass ich gemobbt wurde. Besonders vor einem schwarzlockigen Schlosser wollte ich gut dastehen.

Plötzlich stand Sally auf und setzte sich mit an meinen Tisch. Das war zwar eine generöse Geste von ihr, aber mir irgendwie peinlich. „Mach dir nichts draus, die sind alle doof hier.“ tröstete sie mich.
Aber eigentlich hatte Sally nicht recht. Es waren nicht alle so. Sie trauten sich bloß nicht, was zu sagen, weil sie Angst hatten, dass es dann gegen sie ging. "Du musst hier weg.", riet mir öfter jemand. Aber ich wohnte im Wohnheim.

Ab da saßen wir immer zusammen, wir beiden Geächteten.
Denn auch Sally hatte ihrerseits „einen Feind“. Er war Meister in der Teigzubereitung, wo sie arbeitete. Er hasste sie, und machte ihr das Leben zur Hölle.

Einmal, nach einer besonders beschissenen Nachtschicht, in er sie wieder heftig schikaniert hatte, fiel sie mir in der U-Bahn weinend um den Hals. Plötzlich wurde mir klar, dass ich sie liebte.

Ich hatte irgendwo mal gelesen, dass jeder Mensch von seiner Veranlagung her bisexuell ist. Das hatte ich damals nicht geglaubt, merkte jetzt aber, dass da was dran war. Seitdem hatte ich nie wieder so eine Empfindung.

Jahre später ist mir mal aufgegangen, dass es nicht die ältere Frau am schwersten hat, sondern dass es das junge Mädchen ist, dass am meisten von der Gesellschaft in die Zange genommen wird.

Eine andere Freundin aus dem Arbeiterwohnheim, sie war auch neunzehn wie Sally, mit der ich in einem Zimmer wohnte, kam eines Tage verfrüht aus der Nachtschicht, mit einem ausgekugelten Arm. Ihr Brigadier, der sie schon monatelang drangsalierte, hatte sie nach einem Wortwechsel gegen eine Palette Drahtkörbe geschubst, und sie war hingefallen.

Sie konnte den Arbeitsplatz wechseln, aber der Meister blieb und ihre Kollegen sagten auch nichts dazu. Betriebsräte und Gewerkschaftsbewegung, sowas gab es nicht im Osten.

Im Gegensatz zu mir, besaß Sally einen Facharbeiter. Warum man für unsere Arbeit einen Facharbeiter brauchte, war mir schleierhaft. Dafür waren weder Kenntnisse noch Fähigkeiten nötig.

Die jungen Arbeiter, mit denen ich mich öfter unterhielt, hatten sage und schreibe nur vierzehn Tage in einer Backstube zugebracht, ansonsten wurden sie als Lehrlinge gleich in der Fabrik eingesetzt. Manchmal flochten sie aus Zwiebackteig einen Zopf, wie sie es gelernt hatten, und schickten ihn durch den Ofen.

Das war aber auch das Einzige, was sie konnten, einen Kuchen zu backen, hätte sie schon überfordert. Aber immerhin bekam Sally, als „Gelernte“ deutlich mehr Geld als ich, ungefähr die Hälfte mehr.

Sally, die, wie ich, im Arbeiterwohnheim wohnte, kannte aus ihrer Heimatstadt eine Freundin, die hier in Berlin eine Wohnung besetzt hatte. Sie war zu ihrem Freund gezogen war, und Sally konnte die Wohnung übernehmen. Das war natürlich illegal. Sie schlug mir vor, mit ihr zusammen dort einzuziehen, aber nach einer Weile erwähnte sie das nicht mehr. Ich war ihr auch nicht böse deswegen. Wahrscheinlich war das mal wieder so ein spontaner Einfall von ihr gewesen.

Sie kündigte bei uns und fand einen anderen Job. Mit der Schauspielschule war es ja leider nichts geworden, aber sie lernte eine Schauspielerin kennen, und nahm bei ihr Unterricht.

Zweimal hatte ich versucht, sie an ihrer neuen Arbeitsstelle zu besuchen, aber sie war gerade nicht da. Dabei fiel mir auf, dass Sally polarisierte. Die eine Besatzung am Empfang des Hotels, wo sie jetzt arbeitete, hasste sie und setzte einen eisigen Gesichtsausdruck auf, als ich ihren Namen nannte, die andere Schicht dagegen liebte sie. Der Mann und die Frau bekamen leuchtende Augen, als ich nach Sally fragte.

Irgendwie hatte Sally sich wohl übernommen. Sie hatte keinen Mietvertrag und die Polizei hatte nach ihr gefragt. Der Mann, mit dem sie eine Beziehung hatte, war verheiratet und hatte ein Kind. Ich hatte sie immer für eine starke Frau gehalten. Da hatte ich sie wohl überschätzt.

„Da ist ein Zettel für dich.“ sagten die Anderen aus dem Arbeiterwohnheim zu mir. „Komme bitte schnell vorbei. Sally“ stand auf dem Papier.

Ich ging zu ihrer Arbeitsstelle und erschrak mich. Was war geschehen. Sally sah wachsbleich aus, hatte blaue Lippen und verklebte Haare. Sie erzählte mir, dass sie vergewaltigt worden war. Jemand war in ihre Wohnung eingedrungen, die wohl nicht ausreichend gesichert war. Danach hatte sie einen Selbstmordversuch mit Schlaftabletten unternommen. Sie kam gerade aus dem Krankenhaus, wo man ihr den Magen auspumpte. „Kannst du mir die Haare kämen?“ Ich kämmte ihre Haare durch und flocht ihr einen Zopf. Merkwürdigerweise war sie noch nie so schön gewesen. Das war unser letztes Gespräch.

Manchmal joggte ich nach der Spätschicht noch an dem dunklen Koloss der Volksbühne entlang und am Kino Babylon, das schon hundert Jahre alt ist, und in dessen Schaukästen, hinter Glas, Fotos von den Filmen hängen, die gerade hier gespielt werden. Herbstblätter umflattern beim Laufen meine Füße. In dem Viertel, nahe bei unserem Arbeiterwohnheim, haben vor 33 die Ostjuden gewohnt. Ich liebte diese Ecke, wo ich um diese späte Stunde, nach Mitternacht, meist niemandem mehr begegne.

Mir geht durch den Kopf, dass Sally, wenn sie auf den Brettern steht, die die Welt bedeuten, bestimmt interessantere Leute trifft, und dann kennt sie mich nicht mehr.

Das mit der Bühnenkarriere wurde zwar nichts, aber das mit dem Nichtmehrkennen kam schneller, als ich dachte. Ich sah sie noch einige Male, aber sie erwiderte meinen Gruß nicht mehr, genauso wie ich befürchtet hatte. Unsere Wege hatten sich getrennt. Bei einem Konzert stand sie mit den Musikern zusammen. Sie war wohl jetzt ein Groupie geworden.
Ich nahm es ihr nicht übel. Wir beide haben uns wohl wechselseitig im Stich gelassen. Vielleicht hätte ich mich damals mehr um sie kümmern müssen, aber ich war selber tief in Schwierigkeiten verstrickt, und sie hatte mich auch hängen lassen bei der Wohnung.


Unsere gemeinsame Zeit in der Brotfabrik liegt schon eine ganze Weile zurück. Aber vor kurzem habe ich mal ihre Tochter in einem Spielfilm gesehen. Ihr ist das gelungen, wovon ihre Mutter immer geträumt hat. Sie sieht Sally sehr ähnlich, aber sie reicht nicht annähernd an sie heran, was Schönheit anbelangt. Der Vater von ihrer Tochter ist ein bekannter Schauspieler, mit dem sie mal eine Weile zusammen war.

PS: Auch die Sally aus dem Roman von Christopher Isherwood, nach dem der Film gedreht wurde, war ziemlich treulos, und ließ ihren schwulen Kumpel einfach im Stich, und löste sich in Luft auf. Es soll sich übrigens um eine wahre Begebenheit handeln.

* Anna Seghers „Transit“


** Ernst Weiß

 

Hey @Frieda Kreuz ,

lang nix mehr gelesen. Das hier hat mir gut gefallen, obwohl ich denke, dass das noch nicht optimal erzählt ist und da noch mehr (im Sinne von Feinschliff) möglich wäre. Lese das locker; ein elaborierter Text mit den ‚richtigen‘ Themen (sorry für so viel Formalismus, aber ist hier ja die Analyse-Stube): ich will das jetzt auch nicht en detail auseinanderdividieren (DDR, Arbeitstext, nicht-hetero, Intellektualismus, Melancholie/Depression). Kurz: thematisch halte ich das alles für lesenswert und in unsere literarische Zeit passend. Das vorab.
Dann denke ich, ist das etwas unstrukturiert und (mir) zu exkurshaft erzählt. Die Sprache ist locker, flüssig, macht Spaß - aber die einzelnen Blöcke und Abläufe wirken auf mich recht durcheinandergewürfelt und nicht so, dass man jetzt besonders gut folgen kann/will. Auch scheint mir die Gewichtung des Erzählten nicht immer ganz ausgewogen. Der Text macht viele Schleifen und verharrt recht viel. Nichtsdestotrotz- wie gesagt - sprachlich und von der Anlage für mich sehr passig.

„Eine Frau kam herein. Was soll ich ihnen darüber sagen? Ich kann

Bin persönlich bei kleinen Formaten nicht so ein Freund von Zitaten. Hier, finde ich, geht es noch. Aber es wirkt schnell sehr aufgeladen, gerade wenn es eine Kurzgeschichte oder kleine Erzählung ist.
künstliche Trittbrett

Vielleicht gibt es hier ein besseres Wort. Ich kann mir die Szene zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht wirklich vorstellen.


Erscheint mir schon ein sehr ungewöhnlicher Name für das Setting zu sein.

weil sie mit mir ihre Rolle üben wollte, die sie für ein Vorsprechen an der „Ernst Busch“ einstudiert hatte.

Finde die Sätze nicht optimal. Das könnte man auch ‚zeigen‘

Fame, der Weg zum Ruhm“, der damals gerade in die Kinos gekommen war, war ein Film, der Jedem klarmachte, dass er unbedingt auf die Bühne muss. Auch Leute, die weder singen, noch tanzen, noch irgendetwas konnten, entdeckten plötzlich Ambitionen in sich. Bei diesem Film bildeten sich vor dem Kino Kosmos lange Schlangen, und er war wochenlang ausverkauft. Ein Junge hinter mir in der Schlange erzählte, dass er sich den Film schon zum achten Mal ansah. Wie kommt es bloß, dass die jungen Schauspieler aus dem Film keine Filmstars geworden sind, bei dem riesengroßen Erfolg, den der Film hatte?

Das müsste für mein Empfinden vorher (viel früher) kommen

Einmal, nach einer besonders beschissenen Nachtschicht, in er sie wieder heftig

In der

Viele Grüße von
Carlo

 
Zuletzt bearbeitet:

Moin, moin @Frieda Kreuz, ich komme erst allmählich wieder zum Kommentieren und habe mich jetzt vielleicht etwas zu detailiert in Deinen Text verbissen. Wenn es Dir zuviel ist, ignoriere es einfach. Auf alle Fälle sind es nur Gedanken und Ideen, mein Leseeindruck halt.
Mich hat das Thema interessiert, also die "Ostwahrnehmung", finde ich immer sehr spannend.

Es duftet nach Brot
Und der Titel hat mich gelockt ... wobei du für meinen Geschmack zu wenig Bezug darauf nimmst.

„Eine Frau kam herein. Was soll ich ihnen darüber sagen? Ich kann nur sagen: sie kam herein.“ Anna Seghers Transit*
Zitate sind ja immer ein wenig Versprechen, ein wenig Vorschau oder Nachtrag, warum sollte ich sie auch sonst vor einen selbstgeschriebenen Text stellen. Hier sehe ich den Sinn noch nicht. Das es im Text unter anderm um eine Meinung zu Anna Seghers als Autorin geht, reicht mir nicht. Die Lösung mit dem Sternchen finde ich für einen literarischen Text unglücklich.

Aber damals war ich leichter. Als ich mit dem Fuß auf dieses künstliche Trittbrett trete, verzieht sie das Gesicht vor Schmerz.
Das Zitat hat mir bei der Einordnung noch nicht geholfen und auch Deine ersten Sätze geben mir weder bei der Verortung noch bei den Protagonisten Hilfe. Im Nachhinein frage ich mich sogar, auf welches Damals sich das bezieht. Hier ist es ja die Umkleide der Großbäckerei, oder?

reiche ihr meine Arme rein
Hört sich etwas Spuki an, nur die Arme? So wie einen Stock?

Lachend liegen wir nebeneinander auf dem betonierten Platz.
Ich mag die Charakterisierung irgendwie, aber eigentlich ist es mir alles noch zu wenig. Generell habe ich den Text als sehr berichtend wahrgenommen.

Aber an allem ist nur Sally schuld. Obwohl ich nur drei oder vier Jahre älter bin, komme mir ihr gegenüber schon richtig alt und gesetzt vor.
Solche Festestellungen sind einige im Text, nur selten habe ich verstanden, was sie mir sagen sollen, hier die Schuldfrage.

Zum Glück steht das Band immer noch als wir zurückkommen, und die Schlosser sind immer noch beim Reparieren. Ansonsten hätte das Ärger bringen können. Sie hatten uns Beide sowieso schon auf dem Kiecker.
Du ziehst den Erzählton meist konsequent durch, so etwas schnotterig, locker. Auf Dauer aber halt auch sehr umgangssprachlich, was aber bei einer Ich-Erzählerin natürlich erlaubt ist.

Wir Beide hatten uns angefreundet, als sie uns Beide zum Broteabnehmen in der Bäckerei einteilten.
Ich würde den Text nochmal auf Dopplungen und unschöne Wiederholungen durchgehen.

Wir standen im Lager, am Ende des Bandes, das aus dem Ofen rauskam, nahmen mit Handschuhen die heißen Brote und legten sie auf Wagen. Eine halbe Stunde musste man knüppeln, dann hatte man eine halbe Stunde frei und der Andere übernahm.
Wie gesagt, recht umgangssprachlich. Hier würde ich zum Beispiel auch den Geruch erwarten. Und ich hatte sofort ein Bild der alten Großbäckerei am Anfang zur Brenzlauer vor Augen, vor allem die Unmengen an Mäusen und Kakerlaken, immer wenn die Bekämpfung zu lange her war. Ich habe wochenlang keine Brötchen essen können ...

als der Brigadier mich von meinem Arbeitsplatz in unser Abteilung wegholte und in die Bäckerei schickte. Wenn er gemerkt hätte, welchen Gefallen er mir damit tat, hätte er es sich vielleicht wieder anders überlegt.
Warum sollte er sowas tun? Seltsames Arbeitsverhältnis, aber natürlich hat da jeder etwas anderes erlebt. Meine Erinnerungen sind eher voll gegenseitigen Helfen, sich Gutes tun, für einander da sein, so kam man eindeutig besser durch das System. Aber wie gesagt, sehr subjektiv.

Endlich entkam ich meinen Arbeitskollegen, wo ich in der Hierachie die unterste Stellung einnahm und kräftig gemobbt wurde.
Warum? Wie äußert sich das? Reines Tell, ich muss es als Leserin schlucken? Es gibt ja immer zwei Seiten, oder?

Ich hatte nämlich mitbekommen, dass es nicht gut ankam, wenn man im Pausenraum oder in der Kantine las.
Auch hier! Warum ist das so, wie äußert sich das? Ich habe immer das Gegenteil erlebt, alle waren neugierig, was ich lese, warum, wie es weitergeht ...

Ich hatte es am Zeitungskiosk auf dem S-Bahnsteig gekauft, obwohl ich die Schriftstellerin kannte und nichts von ihr hielt. Wir mussten andauernd was von ihr in der Schule lesen, und ihre Sachen hatten mich immer angeödet, obwohl ich zu meiner Schande gestehen muss, dass ich meinen Abschlussaufsatz über ein Buch von ihr geschrieben habe.
Sorry, irgendwie liest es sich wirklich seltsam, wenn man der Protagonistin so gar nicht folgen kann. Warum tut sie sowas? Ein Buch kaufen, von jemandem, den sie ablehnt? Es gab ja nun wirklich genug Bücher zu kaufen!

So log ich das Blaue vom Himmel runter, denn ich war der Meinung, um eine Eins in Deutsch zu bekommen, reichte es nicht aus,
Ähm? Also das Schulsystem zu DDR Zeiten war eindeutig und nachgewiesener Maßen rein vom Vermittlungsstandart besser, als alles war danach kam, also verstehe ich die Idee hier nicht.

So fuhr ich dann drei Jahre lang einmal im Monat mit den Anderen aus unserem Lehrlingswohnheim
Es ist ja anscheinend eine Lehrausbildung mit Abitur, da passt für mich das Niveau so gar nicht.

Nie habe ich eine Aufführung gesehen, die mir gefiel, aber ich hielt durch wegen meiner Deutschzensur.
Echt? Dabei waren die Programme doch immer abwechslungsreich, selbst in den Kleinstadttheatern. Nur die Besetzungen natürlich ab und an sehr mittelmäßig, zumindest gemessen an westlichen Verfilmungen mit Topschauspielern.
Ich würde hier eine zeitliche Einordnung wirklich hilfreich finden, gerade DDR Zeiten haben sich ja Jahrzehntemäßig sehr unterschieden.

Das machte sich auch bei meiner mündlichen Prüfung bezahlt, wo ich mit Antigone geprüft wurde, die ich gründlich gehaßt habe, aber trotzdem eine Eins erhielt. Aber scheinbar war es mir nicht gelungen, den Anderen aus der Prüfungskommision erfolgreich weis zu machen, dass ich mit Antigone etwas anfangen konnte. Sie berieten sich, und mein Deutschlehrer sprach ein Machtwort zu meinen Gunsten, obwohl er mir natürlich auch nicht glaubte, dass Antigone mir was war.
Auch so ein Tell, ohne das es eine Begründung gibt. Warum tut der Deutschlehrer das?

Meine Aufklärung, meine Mutter hielt sich völlig raus aus diesem Thema, habe ich dem brasilianischen Autor Jorge Amado zu verdanken.
Auch hier wäre eine zeitliche Einordnung sinnvoll, wie jung ist die Protagonistin? Amado war ja nicht unbedingt Literatur für 14 jährige, aber die Aufklärung erfolgte zumindeat von der sachlichen Ebene her ja spätestens in der 5 Klasse und auch dort waren junge Menschen kommunikativ?

Die Autorin des Buches*, das Sally und ich in den Pausen in der Brotfabrik lasen, war eine Staatsschriftstellerin und hielt andauernd Reden im Fernsehen auf Parteitagen.
Seltsame Umschreibung für Anna Seghers - ich habe ihre Biographie immer als waschechte Kommunistin gelesen, ja, damit passte sie perfekt in einen Staat wie die DDR. Aber sie hat das ja tatsächlich gelebt, auch schon weit vor der Trennung Deutschlands. Und ihre Werke haben das immer sehr glaubhaft ausgesagt.

Mit ihrem schneeweißen Haarknoten machte sie auf Arbeiterin, aber war eine Intellektuelle aus bürgerlichem Hause. Aber ehe ich gar nichts zu lesen hatte, versuchte ich es einmal mit diesem Werk von ihr, und ich staunte Bauklötzer.
Wie gesagt, es gab Unmengen von guter Literatur, auch westliche Schriftsteller als Taschenbuch.

Wider Erwarten zog das Buch mich in seinen Bann, und ich konnte gar nicht erwarten, das meine halbe Stunde Brotabnehmen, ein körperlich schwere Arbeit, vorbei war, und ich endlich weiterlesen konnte.
Der Einschub mit der körperlichen Arbeit ist eigentich auch unnötig, denn Du hattest es vorne schon als Knüppelei beschrieben. Wäre beschrieben/erlebbar vielleicht auch netter, so fragt man sich, was am Brot vom Band nehmen schwer ist.

Heute denke ich manchmal, dass sie, die verheiratet war und Kinder hatte, irgendwie rüber bringen wollte, dass ihr Frauen auch was sind.
Auch hier, zeitliche Einordnung bitte! Es gab überall eine Zeit, in der Sexualität in all ihrer Breite Thema wurde, davor war es meist Tabu.
Ansonsten ist es natürlich auch eine recht dreiste Behauptung, woran will die Prota das fest machen und warum?

Wieder Erwarten wurde Sally auch von dem Buch angefixt
Zeitliche Einordnung?! Seit wann wird das Wort verwendet?

Wie kommt es bloß, dass die jungen Schauspieler aus dem Film keine Filmstars geworden sind, bei dem riesengroßen Erfolg, den der Film hatte?
Welchen Zweck hat die Frage hier? Das Gleiche frage ich mich bei den Unmengen an nicht sinnvollen Absätzen?

Die hübsche, offene, intelligente Sally wurde hier genauso gehasst wie ich, die es wirklich nicht leicht hatte.
Auf wen bezieht sich das "die"? Ich kann einfach ohne erleben hier nicht mitfiebern. Ohne Motivation ist sowas wie mobben und hassen schlecht nachzuvollziehen. Und auch ich bin über den Namen Sally gestolpert, wirklich untypisch für die DDR , könnte man dann gut rausstellen.

Ich stellte wohl das ideale Opfer dar. Eine wohlmeinende Kollegin sagte einmal zu mir: „Du wirkst auf Andere verträumt.“
Das erscheint mir zu schwach?

Plötzlich stand Sally auf und setzte sich mit an meinen Tisch. Das war zwar eine generöse Geste von ihr, aber mir irgendwie peinlich. Ab da saßen wir immer zusammen, wir Beiden Geächteten.
Nach all der Umgangssprache ist "Generöse" nun wieder abgehobener Sprachstil.

Einmal, nach einer besonders beschissenen Nachtschicht, in er sie wieder heftig schikaniert hatte, fiel sie mir in der U-Bahn weinend um den Hals. Plötzlich wurde mir klar, dass ich sie liebte.
Ne, das ist einfach nicht hergeleitet, kommt aus heiterem Himmel!

Das hatte ich damals nicht geglaubt, merkte jetzt aber, dass da was dran war. Seitdem hatte ich nie wieder so eine Empfindung.
Auch wieder so eine Behauptung, die mich nicht näher an sie ranbringt.

Jahre später ist mir mal aufgegangen, dass es nicht die älterere Frau am schwersten hat, sondern dass es das junge Mädchen ist, dass am meisten von der Gesellschaft in die Zange genommen wird.
Hier genauso! Worauf bezieht sich das?

Sie konnte den Arbeitsplatz wechseln, aber der Meister blieb und ihre Kollegen sagten auch nichts dazu. Betriebsräte und Gewerkschaftsbewegung, sowas gab es nicht im Osten.
Also Gewerkschaft gab es natürlich, entspricht einfach dem System. Und Körperverletzungen, Straftaten in dieser Form, vor allem gegen Frauen wurden meines Wissens nach sogar viel härter verfolgt und bestraft als noch vor zwanzig Jahren im jetzt.
Da fehlen Infos um es glaubhaft zu zeigen.

Ich war ihr auch nicht böse deswegen. Wahrscheinlich war das nur mal wieder so ein Einfall von ihr gewesen. Sie kündigte bei uns und fand einen anderen Job. Mit der Schauspielschule war es ja leider nichts geworden.
Reiner Bericht, ganz knapp durchberichtet. Dafür das es Anfangs um die Schauspielschule ging, ist es jetzt nur ein Nebensatz. Schade!

und verzog angewiedert das Gesicht,
ich denke angewidert, oder?

Irgendwie hatte Sally sich wohl übernommen. Sie hatte keinen Mietvertrag und die Polizei hatte nach ihr gefragt. Der Mann, mit dem sie eine Beziehung hatte, war verheiratet und hatte ein Kind. Ich hatte sie immer für eine starke Frau gehalten. Da hatte ich sie wohl überschätzt.
Wo kommen denn jetzt all die Infos her? Und warum ist sie keine starke Frau, wenn sie das alles so lebt? Kein Mietvertrag? Soll das auch zu DDR Zeiten sein?

Danach hatte sie einen Selbstmordversuch mit Schlaftabletten unternommen. Sie kam gerade aus dem Krankenhaus, wo man ihr den Magen auspumpte
Auch hier? Nach einem Selbstmordversuch erfolgt zu DDR Zeiten normalerweise eine Einweisung in die Geschlossene - Suizid wurde sehr ernst genommen, widersprach wahrscheinlich dem Bild der "allseitsentwickelten sozialisten Persönlichkeit" - also einfach so gehen ließ man sie bestimmt nicht.

Ich kämmte ihre Haare durch und flocht ihr einen Zopf. Merkwürdigerweise war sie noch nie so schön gewesen. Das war unser letztes Gespräch.
Das war eine schöne Nähe im Erleben, leider nur so ganz kurz.

Manchmal joggte ich noch nach der Spätschicht. Ich laufe spätabends an der Volksbühne entlang, in der Nähe von unserem Arbeiterwohnheim, in dem Viertel in dem vor 33 die Ostjuden gewohnt hatten, und muss daran denken, dass Sally, wenn sie erst auf den Brettern steht, die die Welt bedeuten, bestimmt Leute trifft, zu denen sie besser passt, und dann kennt sie mich nicht mehr.
Wirrer Zeitenmix, da kannst Du bestimmt ein bisschen aufräumen.

aber sie erwiederte meinen Gruß
erwiderte

Bei einem Konzert stand sie mit den Musikern zusammen. Sie war wohl jetzt ein Groupie geworden.
Ist das die einzig mögliche Schlußfolgerung? Ich vertraue der Erzählerin einfach nicht, da sind zu viele Behauptungen.

Vielleicht hätte ich mich damals mehr um sie kümmern müssen, aber ich war selber tief in Schwierigkeiten verstrickt, und sie hatte mich auch hängen lassen bei der Wohnung.
Verstehe ich auch nicht? Du hast Kümmern gezeigt, die Wohnungssache als gut abgetan und jetzt sieht sie es wieder anders. Unzuverlässige Erzählerin?

Sie sieht Sally sehr ähnlich, aber sie reicht nicht annähernd an sie heran.
geht vielleicht etwas geschmeidiger.

Der Vater von ihrer Tochter ist ein bekannter Schauspieler, mit dem sie mal eine Weile zusammen war.
Tja? Was sagt mir der Schlußsatz? Liebe Frieda, ich bin unzufrieden, denn ich versteh die Aussage der Geschichte nicht! Weder kann ich der Erzäherin recht glauben, noch mitfühlen, da zuviel behauptet wird. Schade!
Aber es ist nur mein Leseeindruck.
Gute Gelingen weiterhin
witch

 

Hallo Carlo Zwei, Hallo Greenwitch,
ich antworte mal Euch Beiden, da sich manches doppelt.

Ihr bemängelt Beide das Zitat am Anfang. Dadurch konnte ich mir ersparen, den Titel des Buches und die Autorin im Text zu nennen. Außerdem ist es der Moment, in dem der Ich-Erzähler in "Transit" Marie zum erstemal sieht, und sich wohl unbewußt in sie verliebt, genauso wie es mir mit Sally ging.

Ich habe, den in der DDR unüblichen Namen Sally gewählt, weil er an Sally Bowles aus "Cabaret", die Buchvorlage stammt von Christopher Isherwood, erinnern soll, die auch in Berlin zum Theater möchte, bloß fünfzig Jahre vor uns.

Mit der Gewerkschaft FDGB lag es in der DDR sehr im Argen. Sie war bloß ein Papiertiger. Ich habe nie von jemandem gehört, der dort Hilfe bekommen hat. Und das mit dem Arm entspricht der Wahrheit.

Anna Seghers gehörte der Staats-und Parteiführung an. Sie spielte als Vorsitzende des Schriftstellerkongresses eine sehr ungünstige Rolle und hat mit Schuld daran, dass viele Bücher nicht erscheinen konnten. Ich habe gerade letztens etwas über den Verfasser von "Der Rummelplatz", ein verbotenes Buch, gelesen, der sich aus Kummer darüber totgesoffen hat.

Nach einem Selbstmordversuch kam man in der DDR nicht gleich in die Geschlossene. Aber ich habe mich auch gewundert, dass Sally sofort wieder zur Arbeit gegangen war. Sie sagte mir, dass lenke sie ab.

Das Buchangebot bei uns war sehr beschränkt. Salinger, Henry Miller, Kafka, Hesse waren Bückware und wurden untereinander rumgereicht. Weil ich etwas Neues zu lesen haben wollte, habe ich mir am Zeitungskiosk die billige Taschenausgabe von "Transit" gekauft.

Natürich riecht es im Backwarenkombinat überall nach Brot. Das hier spielt übrigens im Backwarenkombinat Marzahn, Mitte der Achtziger.

Der Freund von Sally, mit dem sie mal zusammen war, ist übrigens ein bekannter Musiker und kein Schauspieler und ich habe sie mal mit ihm nach einem Konzert gesehen.

Die Erkenntnis, dass man Jemanden liebt, kann oft kann überraschend kommen, besonders wenn es sich dabei um das eigene Geschlecht handelt.

Anna Seghers, in der Rolle des männlichen Ich-Erzählers spricht so zärtlich über Marie, dass man fast den Eindruck gewinnen könnte...

Ich war an einer landwirtschaftlichen Berufschule in Mecklenburg mit Abitur. Ansonsten hätten wir Antigone nicht behandelt. Ich wollte das aber nicht extra erwähnen.
Warum mein Deutschlehrer wollte, das ich eine Eins in Deutsch bekomme? Im günstigsten Fall könnte man ja behaupten, dass er Potential in mir gesehen hat. Das glaube ich aber nicht. Wahrscheinlich war der Grund eher, das ich sein Typ war.

Freundin Sally, die neu in Berlin war, wollte mit Macht in andere Kreise rein. Das habe ich schon befürchtet, als sie noch bei uns gearbeitet hat und ich habe auch befürchtet, dass sie mich dann nicht mehr kennen würde. Jedesmal, wenn ich sie später mal traf, grüßte sie mich nicht, und es war irgendwie peinlich. Sie wollte wohl nicht an die Vergangenheit erinnert werden.

Brote abnehmen ist eine schwere Arbeit, da man sehr schnell sein muss und auch immer in die Hocke gehen muss, um die unteren Paletten auf dem Palettenwagen zu erreichen. Deshalb haben wir uns da auch immer abgewechselt.
Wenn man sich aber erstmal daran gewöhnt hat, geht es. Aber wie gesagt, ich war ja froh, dem Mobbing in meiner Abteilung entkommen zu sein. Der Brigadier war übrigens genauso ein Arsch, wie die meisten Anderen, natürlich nicht alle, besonders eine Kollegin hetzte alle gegen mich auf. Wenn er gemerkt hätte, dass er mir damit einen Gefallen getan hat, hätte er mich wieder zurückbeordert.
Sally, die auch sehr zu leiden hatte, bemerkte einmal treffend: Die sind alle doof.

Gruß Frieda

 
Zuletzt bearbeitet:

@Frieda Kreuz

sei mir nicht böse, aber du hast jetzt ganz viel zu Hintergründen und Biografischem erklärt, bist dabei aber kaum (oder nur sehr basal) auf die eigentlichen Fragen und Anmerkungen eingegangen. Geht mir nur noch mal darum, dran zu erinnern, dass nicht nur inhaltlich, sondern (für mich) gerade in der Leseführung/Dramaturgie des Erzählten noch einige Fragen offen geblieben sind. Aber vielleicht schreibst du dazu ja später noch was.
Keep on trucking!

 

Hallo @Frieda Kreuz,

Dadurch konnte ich mir ersparen, den Titel des Buches und die Autorin im Text zu nennen. Außerdem ist es der Moment, in dem der Ich-Erzähler in "Transit" Marie zum erstemal sieht, und sich wohl unbewußt in sie verliebt,
Ich finde nicht, das dies ein für Leser nachvollziehbares Argument ist.

Und das mit dem Arm entspricht der Wahrheit.
Sorry, aber das ist ein echtes Totschlagargument. Das es ein autobiograpfischer Text ist, macht eine neutrale Besprechung ja fast unmöglich, weil Du sofort in die "So war das aber Ecke springst." (würde mir nicht anders gehen.) Nur, sind wir hier in einem Literaturforum und so lese ich den Text. Ich möchte die Protagonistin verstehen, ihr folgen können und diese Chance hast Du mir (für meinen Lesestil) genommen, indem es extrem viele Behauptungen, Abläufe ohne Hinführungen gibt und der Aufbau der Geschichte dafür nicht strukturiert genug ist.

Sie spielte als Vorsitzende des Schriftstellerkongresses eine sehr ungünstige Rolle und hat mit Schuld daran, dass viele Bücher nicht erscheinen konnten.
Das ist eine politisch, aus heutiger Sicht richtige und logische Erklärung, aber soll das auch Bestandteil Deiner Geschichte sein? Dann binde es ein, lasse es den Leser herauslesen, sich ein eigenes Bild machen.

Natürich riecht es im Backwarenkombinat überall nach Brot. Das hier spielt übrigens im Backwarenkombinat Marzahn, Mitte der Achtziger.
Die Logik hatte ich auch. Nur Du benennst die Geschichte so, nimmst aber keinerlei Bezug auf den Titel. Das hielt ich für ausbaufähig. Wie bereits mehrfach gesagt, ich hielte eine zeitliche Einordnung innerhalb der Geschichte für wichtig.

Die Erkenntnis, dass man Jemanden liebt, kann oft kann überraschend kommen, besonders wenn es sich dabei um das eigene Geschlecht handelt.
Nun, ich denken nicht, das ich die Erklärung brauche, ich möchte es in der Geschichte erleben.

Ich war an einer landwirtschaftlichen Berufschule in Mecklenburg mit Abitur. Ansonsten hätten wir Antigone nicht behandelt.
Na ja, der Abiturlehrplan war im gesamten Land gleich, es lag also weder am Land/Bezirk noch an am Berufszweig.

Aber wie gesagt, ich war ja froh, dem Mobbing in meiner Abteilung entkommen zu sein. Der Brigadier war übrigens genauso ein Arsch, wie die meisten Anderen, natürlich nicht alle, besonders eine Kollegin hetzte alle gegen mich auf.
Sorry, ich möchte Dir wirklich nicht zu nahe treten, aber so als Behauptung funktioniert das in einer Geschichte einfach nicht. Das ist so ein: Die anderen sind alle doof, nur ich habe den Durchblick-Ding. Da geht man als Leser leicht in Opposition, weil es einem aufgezwungen wird, es auch nicht ohne weiteres Glaubhaft wirkt. Zeige es doch, da steckt ja unheimlich viel Konflikt drin, aber den will ich als Leserin selbst erleben und beurteilen.
Es gibt keinen Grund, dieses persönlich zu nehmen, hättest Du es nicht als autobiographisch erklärt, wüsste ich es ja nicht, meine Reaktionen wären aber die selben. Es geht nur um das, was die Geschichte im derzeitigen Format bei mir auslöst. Alles andere ist Deine Sache.

Schönen Abend
witch

 

Hallo Carlo Zwei, Hallo greenwitch,
ich habe nach Euren Vorschlägen noch alles ein bisschen umgestellt.
Schöne Pfingsten Frieda

 

Hallo @Frieda Kreuz!

Ich habe deinen Text mit Interesse gelesen, und ich konnte mich auch stellenweise mit der Prota mitfühlen, obwohl dein Text ja ein Erfahrungsbericht statt einer fiktiven Kurzgeschichte zu sein scheint. Damit ist nichts verkehrt, das passt nur leider nicht ganz zur Thematik dieses Forums. Nicht, dass man hier keine realen Erfahrungen verarbeiten soll, im Gegenteil. Ich gehe nicht mal so weit, dass alles fiktionalisiert werden müsste. Aber allein von der Form unterscheidet sich Prosa halt von einem Bericht. Es wurde schon von @Carlo Zwei und @greenwitch in etwa so erwähnt, aber man würde noch viel mehr ins Seelenleben der Charaktere eintauchen, wenn mehr Show und viel weniger Tell gemacht wird (der Klassiker).
Ich habe deinen Text kurz vor deiner Überarbeitung schon einmal gelesen, da haben auch mich die * irritiert, jetzt hast du es ja aber klar rausgearbeitet.
Allerdings ist er noch nicht fehlerfrei:

und die Schlosser sind immer noch beim Reparieren.
Finde ich plump formuliert, lieber "sind immer noch mit dem Reparieren von Sachen beschäftigt" o.ä.

Sie hatten uns Beide sowieso schon auf dem Kiecker.
Wir Beide hatten uns angefreundet, als sie uns Beide zum Broteabnehmen in der Bäckerei einteilten.
"beide" klein.

Auch Leute, die weder singen, noch tanzen, noch irgendetwas konnten
Alle drei Kommas weg, da ist ja kein Nebensatz, den man abtrennen muss.

Ich: „Ich habe sie nie bei Licht gesehen. … Ich habe gewußt, dass sie nicht mehr 16 sind, aber ich war dumm genug zu glauben, dass sie aufrichtig sind.
"gewusst" nach der neuen Rechtschreibung. Und am Schluss fehlen die Anführungszeichen.

Wir standen im Lager, am Ende des Bandes, das aus dem Ofen rauskam
Endlich entrann ich meinen Arbeitskollegen, wo ich in der Hierachie die unterste Stellung einnahm
Diese Formulierungen empfinde ich auch als zu plump, oder willst du umgangsprachlich klingen? Das passt dann aber nicht zum restlichen Text.

„Wo läufst du immer in der Pause hin?“ fragte sie mich. Ich gehe in den Umkleideraum und lese.“ antwortete ich.
Das Anführungszeichen vor "Ich gehe" fehlt und der Schluss müsste so aussehen: ... und lese", antwortete ich. (Komma nach dem Anführungszeichen.)

Das machte sich auch bei meiner mündlichen Prüfung bezahlt, wo ich mit Antigone, auch ein Theaterstück, geprüft wurde, die ich gründlich gehasst habe, aber trotzdem eine Eins erhielt.
Nach meinem Gefühl lieber "einem Theaterstück". Außerdem würde ich Bandwurmsätze wie diesen lieber in mehrere kleine unterteilen. Das gilt für einige Sätze in deinem Text.

obwohl er mir natürlich auch nicht glaubte, dass Antigone mir was war.
vielleicht irgendwie rüber bringen wollte, dass Frauen ihr auch was sein können.
"Jemandem was sein" heißt wohl "jmd. was bedeuten"? Lese diese Formulierung zum ersten Mal. Ist das regionaler Slang aus Berlin?

deren Namen englisch bzw. amerikanisch klangen.
Solche Abkürzungen passen für mich eher in eine Versicherungspolice statt in einen Prosatext ...

Meine Aufklärung, meine Mutter hielt sich völlig raus aus diesem Thema, habe ich dem brasilianischen Autor Jorge Amado zu verdanken.
Das musste ich zwei mal lesen, um es zu kapieren. Klang erst, als wolltest du eine Auflistung machen, in der die Aufklärung und die Mutter vorkommen ... Vielleicht das "meine Mutter etc." nicht mit Kommas, sondern mit Gedankenstrichen abgrenzen?

und ich staunte Bauklötzer.
Bauklötze.

musste sie im Berlin der Zwanziger und Dreißigerjahre, bevor die Nazis an die Macht kamen, mal im Romanischen Cafe an der Gedächtniskirche oder in ähnlichen Künstlercafes aus- und eingegangen sein
"Zwanziger- (Bindestrich) und Dreißigerjahre", Accent auf Café, und dann wird Café auch noch gedoppelt, liest sich unrund.

Im Gegensatz zu mir, besaß Sally einen Facharbeiter.
Aber immerhin bekam Sally, als „Gelernte“ deutlich mehr Geld als ich
Sally, die, wie ich, im Arbeiterwohnheim wohnte
Alle hier gezeigten Kommas weg.

Ich ging zu ihrer Arbeitsstelle und erschrak mich. Was war geschehen.
Fragezeichen am Schluss.

Manchmal joggte ich nach der Spätschicht noch an dem dunklen Koloss der Volksbühne entlang und am Kino Babylon, in dessen Schaukästen, hinter Glas, Fotos von den Filmen hängen, die hier gerade gespielt werden. Die Herbstblätter rascheln unter meinen Füßen. In dem Viertel, nahe bei unserem Arbeiterwohnheim, haben vor 33 die Ostjuden gewohnt. Ich liebte diese Ecke, wo ich um diese späte Stunde, nach Mitternacht, niemandem begegne.
Hier wechselst du mitten im Satz aus unerfindlichen Gründen teilweise ins Präsens.

An manchen Stellen komme ich auch von der Logik her nicht ganz mit:

Ich hatte es am Zeitungskiosk auf dem S-Bahnsteig gekauft, obwohl ich die Schriftstellerin kannte und nichts von ihr hielt
Warum kauft sie es dann? Ist sie masochistisch veranlagt? :schiel:

Er muss ein Workoholic sein
Workaholic. Und gab es dieses Wort wirklich schon in der DDR der Achtziger?

Ich nahm es ihr nicht übel. Wir beide haben uns wohl wechselseitig im Stich gelassen.
Bei welchen Gelegenheiten? Das wird vorher nicht gezeigt (jedenfalls nicht von Seiten der Prota). Würde die Story aber bestimmt wesentlich interessanter machen!

Ich fand Sallys Bildungshunger total niedlich.
Erklär mir bitte, warum Bildungshunger niedlich sein soll :shy:
Nimmt sie den Ehrgeiz ihrer Freundin nicht ernst? Ist das vielleicht ein Hinweis darauf, warum sich die beiden am Schluss auseinanderleben? :p

Was mir in der Handlung gefehlt hat war ein dramatischer Höhepunkt, der aufzeigt, wie/warum am Ende alles kippt. Nachdem Sally vergewaltigt wurde, dachte ich: Das ist der Turning-Point, aber du hakst diesen Punkt mal so nebenbei ab, und dann spielt er keine Rolle mehr. Dabei ist das doch das Tragischste in der gesamten Handlung! Ich fürchte fast, dass auch das in echt geschehen ist, da du stark autobiografisch schreibst und ich verstehe, wenn du das vielleicht nicht dramaturgisch ausschlachten willst. Aber dann ist die Frage, ob man die Erzählung an dieser Stelle besser fiktionalisiert. Wie gesagt, Prosa ist nicht gleich Tatsachenbericht. Auch sonst gibt es haufenweise "Rohstoff" für spannende Szenen, die du aber nur kurz erwähnst, aber selten durchspielst. Ein Gegenbeispiel fand ich ist die Szene, in der die Prota vom Mittagstisch "vertrieben" wird. So eine szenische Erzählung hätte auch an anderen Stellen super gewirkt.
Trotzdem hat mich deine Geschichte ganz gut abgeholt und sie hat mich auch nicht gelangweilt, Formfehler hin- oder her.
Allerdings würde ich dir empfehlen, dich nochmal mit Kommasetzung zu beschäftigen und alles in kürzere Sätze zu verpacken.

LG,
MD

 

Hallo MorningDew,
vielen Dank für Deine Anmerkungen. Ich werde die Rechtschreibfehler noch verbessern.

Es freut mich, dass Du andere Storys von mir gelesen hast, und deshalb weißt, dass ich sehr autobiografisch schreibe. Übrigens, das Buch, das ich erwähne, ist auch sehr autobiografisch. Viele Schriftsteller schreiben nur über sich selbst, beispielsweise Henry Miller oder auch Marcel Proust. Das sind ja wirklich nicht die Unbekanntesten. Reich Ranicki hat mal gesagt, der gute Schriftsteller, für den ich mich natürlich nicht halte, erfindet nichts, er findet.

Das Buch habe ich aus der Not heraus gekauft, denn es gab nichts anderes und wurde angenehm überrascht. Sehr zu empfehlen, es ist ihr Bestes.

Leider entspricht das mit dem Überfall der Wahrheit. Unsere Freundschaft ging wohl auseinander, weil Sally andere Leute kennengelernt hat, die ihr hier mehr nützen konnten. Ich war ja in derselben Situation wie sie selbst. Ich glaube Frauen verstehen so ein Verhalten. Ich habe bei Frauen schon öfter so etwas erlebt und habe mich nicht mehr darüber gewundert.

Ihr Bildungshunger war richtig süß, ein bisschen wie pseudointellektuell, denn sie hatte bis dahin wenig gelesen. Aber dumm war sie ganz und gar nicht, eher hatte sie mehr Menschenkenntnis, Hellsicht und ein sichereres Urteil als ich.
Gruß Frieda

 

Hi @Frieda Kreuz,

Viele Schriftsteller schreiben nur über sich selbst, beispielsweise Henry Miller oder auch Marcel Proust. Das sind ja wirklich nicht die Unbekanntesten. Reich Ranicki hat mal gesagt, der gute Schriftsteller, für den ich mich natürlich nicht halte, erfindet nichts, er findet.
Ist natürlich ein Punkt. Aber haben die ihre Erlebnisse wirklich eins zu eins aufgezählt wie in einer Reportage? Oder haben sie sie mittels der Kunstfreiheit gestrafft, hier etwas Unwichtiges weggelassen und da eine Situation symbolhaft ausgeschmückt? Unter "autobiografisch" verstehe ich schon einen Text, in dem der Prota nicht gleich der Verfasser, sondern ein fiktiver Avatar ist, dem es ähnlich geht wie dem Autor. Ich meine, das ist das sogar die gängigere Form. Ich lass mich da aber gern belehren, denn ich habe die oben erwähnten Autoren leider nicht gelesen :shy:

Unsere Freundschaft ging wohl auseinander, weil Sally andere Leute kennengelernt hat, die ihr hier mehr nützen konnten. Ich war ja in derselben Situation wie sie selbst. Ich glaube Frauen verstehen so ein Verhalten. Ich habe bei Frauen schon öfter so etwas erlebt und habe mich nicht mehr darüber gewundert.
Ok, da bin ich raus. Mit solch einer Situation habe ich (zum Glück?) keine Erfahrungen. Daher enthalte ich mich eines weiteren Kommentars.

VG
MD

 

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