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Es regnet immer noch

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04.11.2004
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Es regnet immer noch

Es war Nacht geworden. Es regnete. Ihr Herz zog sich zusammen bei dem Gedanken, jetzt wieder zurück nach Hause zu müssen. Es war ein so schöner Abend gewesen. Er durfte nicht einfach so enden.
Sie waren nur wenige Schritte vom Eingang entfernt. In der Wohnstube brannte Licht. Dort saß die Mutter über einer Näharbeit. Die Mutter mit ihren traurigen Augen und ihrer leisen, kaum hörbaren Stimme. Der Vater las die Zeitung vermutlich schon zum zwanzigsten Mal. Er trug noch immer seine Uniform, obwohl der Krieg schon lange vorbei war. Ihre ahnungslosen Eltern, die wahrscheinlich bereits ungeduldig auf die Uhr blickten.
Sie sah ihrer Begleiterin in die Augen. Diese Augen - wunderschön, rehbraun. Große, freundliche, rehbraune Augen. Eine kleine, zierliche Nase. Volle, rote Lippen mit unbeschreiblicher Anziehungskraft. Sie hatte noch nie so empfunden. Sie brannte, begehrte, während die Schuld sie zur gleichen Zeit innerlich zerfraß. Sie war ein anständiges Mädchen. Der Gedanke an die Eltern erstickte sie. Sie erstickte den Gedanken. Volle, rote Lippen erstickten den Gedanken.
Sie versank, ertrank im süßen Kuss der Freundin. Sie spürte den Regen auf ihrer brennenden Haut, ließ ihn wehrlos jeden Zweifel von ihrer Seele spülen. Sie fühlte sich frei, genoss diese nie gekannte Freiheit. Für einen Augenblick nur war es, als hätten die Ketten, welche ihr die Nabelschnur ersetzten, niemals existiert. Sie trank, trank bis zur Erschöpfung, kostete alles aus - bis eine dunkle Ahnung sie in die Wirklichkeit zurückholte.
Sie öffnete langsam die Augen, spürte den Regen, sah das vom Schein des Kamins erleuchtete Fenster. Die gebrochene Mutter, der hölzerne Vater. Sie fühlte ihre Blicke, die sich ihr wie ein Messer in den Rücken bohrten. Sie hatten alles gesehen.

 

Hallo Saffron!

Ein bisserl zu kurz ist mir Deine Geschichte. Das Thema an sich gäbe noch viel mehr her, und die Reaktion der Eltern auch. Oder die Vorgeschichte.
Wie ist es ihr gegangen, als sie ihre Freundin kennen und lieben gelernt hat? Hatte sie da kein schlechtes Gewissen aufgrund ihrer Erziehung? Du beschreibst die Eltern in wenigen Bildern als konservativ, aber was ihre Erziehung der Protagonistin für innerliche Probleme macht, beschreibst Du nicht. - Und wie steht die Freundin dazu? Leider erfahre ich über sie gar nichts außer Äußerlichkeiten. Ist sie in der Lage, der Protagonistin in der Situation zu helfen, geht es ihr vielleicht selbst nicht anders, oder ist ihre Beziehung so oberflächlich, daß sie darüber gar nicht reden?
Mit "Sie hatten alles gesehen" deutest Du zwar an, daß es ein Nachspiel gibt, erzählst es aber nicht. Ich kann mir nun wahlweise ausmalen, ob die Protagonistin sich von den Eltern vielleicht einschüchtern läßt, die ihr den Kontakt verbieten, oder ob sie sich vielleicht wehrt gegen die Ansichten ihres Vaters, vielleicht kann sie die Mutter auf ihre Seite bringen, vielleicht gibt es einen Riesenkrach und die Freundin klopft plötzlich an der Tür und holt sie da raus - alles möglich.
So ist mir Deine Geschichte zu offen. Sie ist ein kurzer Moment, in dem Probleme angedeutet aber nicht gezeigt werden, ein Denkanstoß, um sich eine eigene Geschichte auszudenken, und das ist mir zu wenig.
Vielleicht magst Du ja noch eine richtige Geschichte draus machen?

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Häferl,

danke für die Kritik. Das Problem der Kurzgeschichte liegt immer in der Definition. Eine Kurzgeschichte besitzt nämlich ein offenes Ende und viele Dinge werden nur angedeutet, damit dem Leser die Möglichkeit zum Reflektieren bleibt. Die Geschichte war genauso beabsichtigt, weshalb ich es nicht für klug halte, die Folgen des Kusses weiter auszuführen.

Gruß, Saffron.

 

Häferl,

ich finde gar nichts Schlimmes daran, ein Problem nur einmal anzudeuten. Man muss ja nicht jedes Problem eigens durch individuelle Geschichten von individuellen Charakteren kaputt beschreiben.

Ich selbst hätte sicher absätzelang geschwafelt, wobei du hier eine interessante Länge präsentierst, die ich als relativ angemessen erachte.

Alles in allem gut.

Was ich mich allerdings noch frage ist, ob man aus

Große, freundliche, rehbraune Augen, eine kleine, zierliche Nase, volle, rote Lippen mit unbeschreiblicher Anziehungskraft.

vielleicht "Große, freundliche, rehbraune Augen. Eine kleine, zierliche Nase. Volle rote Lippen mit unbeschreiblicher Anziehungskraft." machen könnte.

 

Anubis737,

danke für den Hinweis. Den Satz habe ich der Übersicht halber geändert, weil ich dir recht geben muss.

Gruß, Saffron.

 

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