Servus Carlo!
Meine Mutter trinkt zu viel
Ich habe mich in
@kiroly s Kommentar gut wiedergefunden, auch wenn das ein wenig billig ist, einfach eine andere Einschätzung zu unterschreiben.

Aber als Feedback hilft es dir vllt. weiter.
Zum Titel: Ich finde auch, du verrätst hier zu viel, gleich zu Beginn. Würde ich unbedingt ändern, wenn es nach mir ginge! Das ist so ein wenig, als wenn der Titel der Story „Alkoholismus“ wäre.
Weil die liegt dort auf ’m Boden, pennt vielleicht und da drum ’ne Pfütze wie Apfelsaft.
Nee, würde ich kicken! Apfelsaft klingt ein bisschen nach Autor, finde ich, und bringt eine unnötige Komik in die Szene
Als das weg is’, zieh ich ihr die Hose aus und ’nen frischen Jogger drüber.
Da bin ich drüber gestolpert. So einfach geht das nicht - gerade bei einem Erwachsenen. Allein die Hose auszubekommen ist ein Act, gerade, wenn die Person dicht ist und vielleicht auch nicht mitmacht oder sich sogar ein wenig dagegen wehrt. Ich hätte das als Leser ein bisschen mehr beschrieben gehabt gerne, wie macht er das, wie zieht er ihr die Hose aus, wie bringt er die Jogginghose wieder an? Es ist ja auch eine sau seltsame Situation, auch, wenn dein Prot das oft gemacht hat: Man zieht seiner ohnmächtigen, besoffenen Mutter die Hose aus. Sie liegt im Schlüpfer vor einem, voller Pisse, man zieht sie wieder an.
’s riecht nach Schnaps und ungewaschen.
Ich würde das ausschreiben: Es stinkt nach Geschlecht, nach Fotze, oder genauer: nach Fisch. Ich würde da nichts beschönigen, man muss ja keinen Voyeurismus daraus machen, machst du auch nicht natürlich, aber das ist eine harte Situation, selbst wenn dein Prot abgebrüht ist und für ihn das normal ist - OBERFLÄCHLICH! -

ist das absolut unnormal, und er wird das auch spüren, an sowas gewöhnt man sich nie zu 100%, sage ich als Behauptung, das macht einen immer irgendwo fertig, selbst, wenn man es oberflächlich nicht mehr in der akuten Situation spürt.
Wie ’ne Tote is’ die, denk ich – und ’s is’ ja nich’ ma’ weit hergeholt bei dem Konsum
Würde ich direkter sagen lassen, dass er das denkt, weiß man als Leser
Ich bring sie ins Bett und deck sie zu, geb ihr ’nen Kuss sogar.
sogar würde ich streichen - warum sogar? Das ist eine Rechtfertigung, eine Haltung, die der Prot äußert, weil er weiß, dass er es an eine Leserschaft oder einen anderen kommuniziert. Aber er gibt ihr einen Kuss, weil er ihr einen Kuss geben will - er braucht das für mich nicht zu rechtfertigen, es ist ja das ganze Dilemma, in dem er sich befindet, er liebt sie, sie ist eine Mum, aber sie macht ihn auch kaputt. Ich würde ihn einfach den Kuss geben lassen, der Leser kann seine Schlussfolgerungen selbst ziehen
Sie is’ immer noch meine Mutter.
"immer noch" würde ich kicken - wieder die Haltung ist hier drin, die Rechtfertigung. Natürlich ist sie immer noch seine Mutter! Liest man das autistisch, ergibt der Satz wenig Sinn, sie wird immer seine Mutter sein; aber natürlich verstehe ich und man, was dein Prot damit sagen will: Ich verzeihe ihr. Ich halte zu meiner Mutter.
Aber das sieht der Leser sowieso. Das ist das Interessante, dass man als Leser das aus dem Text mitnehmen, v.a. selbst herausfinden kann. Deswegen: streichen! Ansonsten verrätst du zu früh zu plakativ zu viel, my opinion
s’ reicht, denk ich, ich geh zu Frieda.
Du könntest hier auf der Mikrospannungsebene der Szene noch mehr Spannung reinbringen für den Leser, indem du den markierten Teil streichst. Es reicht ihm! Als Leser denkt man: Okay, haut er komplett ab? Bringt er sie um? Was passiert? Wenn du das im nächsten Halbsatz bereits auflöst, ah, er geht wohl zu seiner Freundin, sitzt man nicht mehr so auf heißen Kohlen. Wäre das gestrichen - man würde noch gebannter weiterlesen
Frieda is’ meine Freundin. Ihre Eltern sind toll. Die sind richtig nett. Manchmal denk ich, wenn das mit Frieda irgendwann mal vorbeigeht, weiß ich nich’, wen ich mehr vermissen werde. Die oder ihre Eltern. [Ihr Eltern l]aden mich immer ein, bin immer willkommen.
Würde ich etwas kürzen - wäre es mein Text!

Aber your choice!
Und das war genau an dem Tag, wo die sich wieder halb tot gesoffen hat.
Könnte man auch etwas von Füllwörtern befreien. Fände ich nicht weniger authentisch.
Ganz ehrlich, ’s is’ nich’, dass ich sie nich’ liebe. Sie is’ meine Mutter.
Ich würde das mit der Liebe außen vor lassen. Man versteht es im Subtext, wenn du es streichen würdest, und es käme stärker. Ganz ehrlich. Sie is meine Mutter. ABER ... Liebt er sie wirklich? Das ist wieder die eigene Deutung und Einordnung des Prots, die er für den Leser anfertigt, und dem Leser wird etwas die eigene Deutungsmöglichkeit genommen: Liebt er seine Mutter oder liebt er sie nicht? Ich denke, dein Prot weiß das selbst nicht mal. Das ist verdammt schwierig, in seiner Situation. Was ist eigentlich Liebe? Er wird sie genauso gut hassen. Ob er sie liebt, ich weiß nicht. Lass das den Leser selbst rausfinden. Meine Meinung.
Nee, aber ich will ’s einfach nich’ mehr. Die muss sehen, wie sie zurechtkommt. Wenn ich wegen der die Ausbildung nich’ schaff, dann komm ich da nie weg und weg muss ich.
Das "nee" kam mir ein wenig lapidar rüber - so als ob man denkt: Will ich ein Eis oder nicht? Nee, ich muss auf die Figur achten. Ohne fände ich den Teil stärker
"und weg muss ich" könnte ich mir als eigenständigen Satz vorstellen: Und weg muss ich.
Oder: Satz kicken. Im Endeffekt auch eine Redundanz, weil die Sätze zuvor genau das aussagen: Er muss weg!
Weil ich ’s nich’ wusste. Weil ich ’s mich nie gefragt hab.
Würde den ersten Satz streichen. Im Endeffekt eine Redundanz: Er weiß es natürlich nicht, wenn er es sich nie gefragt hat! Fände auf den letzten Satz beschränkt die Szene stärker
„Ja, weil sie eben säuft“, hab ich gesagt, aber wusste schon, dass das ’ne dumme Antwort is’.
Ich würde die eigene Einschätzung hier wieder kicken - lass das den Leser selbst herausfinden bzw. denken! Man denkt sich das natürlich selbst beim Lesen, wenn der Prot das sagt: Das ist aber eine dumme Antwort!
Und da sagt die ernsthaft: „Wegen dir.“
Ernsthaft würde ich raushauen, wieder eine eigene Einordnung des Prot - entrüstet ist man als Leser sowieso, auch ohne dem ernsthaft, bei dieser Aussage
Dann is’ sie eingeschnappt. Immer dasselbe. Fühlt sich ungerecht behandelt. Wie so ’ne Fünfjährige.
Das fände ich noch geshowed gut - wie sieht das aus? So ist es die Einschätzung des Prots
An ‘nem anderen Tag bei ’ner Zise fragt Friedas Vater, was eigentlich mit meinem Vater is’. „Is’ weg“, sag ich. „Warum?“, fragt der. „Weil er eben ’n Arschloch is’. Fertig.“ Und dann sag ich auch nix weiter. Die war aber nich’ ohne, die Frage. Hab ich dann später gemerkt, als ich meine Mutter ins Bett bring. „Sag ma’“, sag ich und die pennt schon halb. „Warum is’ der Vadder weggegangen?“ Und da sagt die ernsthaft: „Na wegen dir.“
Den Teil mit dem Vater würde ich rauskürzen. Würde mich komplett auf die Mutter beschränken
Trotzdem denk ich oft an die Mutter, denk an den Abend vor zwei Wochen, frag mich, ob sie heute Abend wieder in ihrer Pisse liegt.
Hier würde ich was anfügen: Es geht ja nicht nur darum, dass sie in ihrer Pisse liegt. Es geht darum, dass das Beängstigende für den Prot ist, dass sie an ihrer Kotze erstickt. Oder ihr was Schlimmeres passiert. Sie völlig abfuckt. Nur in der Pisse liegen - ja ist scheiße, aber dass sie sich wo den Kopf aufschlägt oder so fände ich einen plausiblen, beängstigenden Gedanken bei deinem Prot. Er hat sich ja ihr Leben lang wohl um sie gekümmert, war immer in dieser Rolle. Wenn sie eine Alkoholikerin ist, wovon ich äusserst stark ausgehe, hat sie sich in ihrem Leben im Suff schon desöfteren verletzt. Ist ja ein Symptom von Alkoholismus, dass du dich im Suff verletzt. Dann aus der Rolle auszubrechen, sich einfach nicht mehr zu kümmern, ist unglaublich schwer. Die meisten schaffen das nie, v.a. nicht beim ersten Anlauf und einfach so, ohne Therapeut und krassem eigenem Lebenswandel. Dein Prot kehrt ja auch zurück. Da ist die Misere schön gezeigt. Die eigene Mutter in der Pisse da sitzen sehen im inneren Auge, während man in der heilen Welt sitzt. Das führt zu krassen Gewissensbissen. Man gibt sich selbst die Schuld: Was gibt mir das Recht, hier zu sitzen, während meine Mutter sich in die Hose pisst und auf der Couch einschläft? Dann ist da noch die Hoffnung, die nie stirbt, dass es noch anders wird, dass sie einen Entzug macht, nüchtern wird und alles gut wird. Vielleicht hat sie früher mal weniger getrunken und das schürt zusätzlich die Hoffnung bei deinem Prot. Also ich finde die Stelle sehr gut und sehr zentral, und man kann ruhig etwas tiefer und schmerzhafter bohren in dem Augenblick, man muss da ja jetzt nicht mega tief gehen und das überaus lang ausbauen, aber dass man als Leser diese Komponenten mitbekommt und sieht fände ich gut. Aber: Dein Text! Das hier soll nur als Inspiration und Feedback dienen.
Und trotzdem brauch ich sie auch. Wenn ich will, kann ich mich zu der legen.
Ich brauch sie auch - das ist mir zu holzhammermäßig, zu klar gesagt. Der zweite Satz zeigt das viel schöner: Wenn es ihm dreckig geht, kann er sich zu ihr legen. So würde ich das schreiben. "Trotzdem ist nicht alles scheiße mit ihr. Wenn es mir dreckig geht, kann ich mich zu ihr legen."
Theortisch kannst du hier auch noch mal richtig viel aus dem Text rausholen. Fertige die guten Seiten der Mutter nicht in drei nacherzählten Sätzen deines Prots ab, sondern zeige das: Der Prot streitet sich mit seiner Freundin, vllt, weil er zu seiner Mutter zurück gehen will, er ist fertig vom Streit und zuhause ist die Mutter, nicht besoffen oder nur mässig, und sie kümmert sich um ihn, tröstet ihn und er darf sich zu ihr ins Bett legen. Das würde die Misere und (Co-)Abhängigkeit des Prots schön „zeigen“.
Ja, Carlo, ich finde den Text gut, das Thema spannend, aber mir sind noch zu viele Redundanzen drin gerade. Dass du die Apostrophe gekickt hast, hat dem Text visuell gut getan. Ich vermisse sie nicht. Ich würde die "Selbsteinschätzungen" der Aussagen und Beobachtungen des Prots zurückfahren und streichen (siehe oben die zitierten Anmerkungen), und dem Leser die Freiheit gewähren, selbst zu entscheiden und einzuordnen, was er sieht und hört. (Im Endeffekt ist das die Zusammenfassung meiner Streichvorschläge.) Das würde den Text noch stärker machen. Schön, wieder etwas von dir gelesen zu haben. Macht immer Bock.
Beste Grüße
zigga