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Euphorbia pulcherrima oder Was ein Weihnachtsstern mit Kim Basinger gemeinsam hat
Es läutet, zwanzig Minuten vor der Zeit, die wir auf der Einladung angegeben hatten. Während ich hastig das Maggifix Chilli con Carne unter der Verpackung des Biorindfleischfaschierten verschwinden lasse, rufe ich hektisch „Machst Du auf?“ in Richtung Kindsvater, quittiert lediglich von einem „Der Papa ist noch in der Badewanne“ der Minitussi. Gott sei Dank ist es nur die Nachbarin, die sich für Fischfütter- und Meerschweinchenstreicheldienste am vergangenen langen Wochenende bedankt. „Für Euch, für ein bisschen Weihnachtsstimmung“. Sie überreicht eine Dose Vanillekipferln und einen kleinen Weihnachtsstern. „Aber das war doch selbstverständlich“, sage ich, froh, dass die Meersau offenkundig keinen bleibenden Schaden von dem vermeintlichen Herzinfarkt zurückbehalten hat, den meine Annäherungsversuche hervorgerufen hatten.
Eine Viertelstunde, zwei Schichten Sixty-Seconds-Lack in Radicchio Red und ein Glas Prosecco später bin ich bereit für den Abend.
Wiederum die Glocke ... die ersten Gäste.
Wohnungseinweihungsterrassenpunsch im Dezember- was bringt der kultivierte BoBo neben den ein bis zwei Montessori-Waldorf-Kindern mit, die es in zwei Minuten in ihren Waldviertlern schaffen, das bis auf Wachs-, Leinöl und Optieinmassierorgien jungfräuliche Eichenparkett nachhaltig zu versauen? Natürlich einen schönen Weihnachtsstern, so dunkelrot wie üppig.
„Nein, lasst die Schuhe ruhig an, auf der Terrasse ist es kalt“, rufe ich dem Kinderrudel nach.
Die Variante mit Glitzerstaub auf den roten Blüten war offensichtlich beim Hofer in Aktion, sodass sich alsbald ein dritter, vierter und fünfter Weihnachtstern zu den zweien am Küchenfensterbrett gesellen, während ein weiteres Paar GEA-Lammfellschuhe in Größe 34 und dreimal politisch korrekte Schafwollhüttenpatschen (ich LIEBE Veganer) an fünf- bis achtjährigen Füßen das Parkett martern.
Die Hütte füllt sich, man bewundert die IKEA-Küche trotz der beiden fehlenden Seitenwände und des (angeblich noch) nicht schließbaren Geschirrspülers, nun ja, dafür war sie günstig und vor allem innerhalb von sechs Wochen lieferbar.
Während der Kindesvater die immensen Kosten der Sonderausstattung Wandfarbe „Perlweiss“ bedingt durch die Monopolstellung der von der Genossenschaft beauftragten Handwerker beklagt, gibt die Exkollegin Tipps für Feng-Shui-gemäße Farbgestaltung der Wände: „Im Beziehungsquadranten musst du die Wände unbedingt rot-grün streichen.“ Als Dank für die Einladung drückt sie mir einen Weihnachtsstern in die Hand. Es gelingt mir, sie in eine Diskussion der Kindergruppenmütter über die Ausrichtung von Dachkräutergärten nach den Mondphasen zu verwickeln und ich schenke mir erschöpft noch ein Gläschen ein.
Während der weibliche Teil der Gäste über den Kaloriengehalt von Punsch diskutiert, bleiben die Männer „zum Warmwerden“ erst mal beim kalten Bier und bestaunen den günstigen Blickwinkel (von schräg oben) auf die Zimmerfront des benachbarten Schwesternheims. Die Bude füllt sich, und ebenso mein Fensterbrett, am Ende zähle ich elf Weihnachtsterne neben dem leeren Chillitopf.
Später setze ich mich erschöpft mit dem letzten Glas Prosecco auf die Küchenbank zum Kindsvater und blicke auf den Holland-Blumen-Markt zwölf Stunden vor Beginn des Ersten Adventsonntags, der sich auf meinem Fensterbrett breitgemacht hat. „Nur keine Panik“, sagt er, „Weißt du nicht mehr – länger als neuneinhalb Wochen hat bei dir doch noch keiner durchgehalten.“ Müde schlage ich meinen Kalender auf ... hm, neuneinhalb Wochen ... Mitte Februar, passt genau, der Valentinstag inkl. Usambara-Veilchen kann kommen ...