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Fünf Finger, rot.
Genau um fünf Uhr morgens an diesem Sommertag, springt mein schwarz-weißer und exakt sechs Komma fünf Kilogramm schwerer Kater auf meine Brust und jammert nach seinem Futter. Mistvieh! Weiß er nicht, dass Schulferien sind? Ich schleppe mich in die Küche und stelle ihn mit Thunfisch zufrieden. Dann öffne ich die Gartentüre, damit er striezeln kann.
Vier Minuten später suche ich die Wärme meiner Bettlaken ein zweites Mal auf und kuschele mich hinein. Keine drei Minuten später höre ich meinen Kater im Garten ein Kampflied anstimmen: Er hat wohl den stummelschwänzigen Nachbarkater entdeckt und droht ihm Katerkloppe an. Und diese ist bereits im ganzen Umfeld berüchtigt.
Ich denke an Tierarzt, Vollnarkose und leere Brieftasche und springe aus meinem warmen Bett, greife die bereitstehende Blumen- und Wasserspritze von meinem Schreibtisch und flitze auf meine Terrasse. Sofort treffen mich die hasserfüllten Blicke meiner beiden Nachbarinnen linker Hand. Auch sie stehen halbnackt und zitternd im Morgengrauen und versuchen durch affige Zischlaute und Händeklatschen meinen Kampfkater zu vertreiben.
„Wann geben Sie ihren Mistbock endlich ins Tierheim?“,
ruft die Eine mir zu.
Ich richte die Wasserspritze auf sie und stelle auf „STRAHL“, Einstellung hart und drücke ab. Sie rennt schimpfend in ihre Wohnung. Ich hasse meinen Kater. Aber die Nachbarin hasse ich noch mehr.
An Schlaf ist für mich jetzt nicht mehr zu denken und so beschließe ich,-nach einer unglaublich frühen Morgenmahlzeit– einen heißen und harten Arbeitstag zu beginnen.
Auf geht’s. Mit der Rolltreppe fahre ich in den dunklen und zugigen Schlund der U-Bahn hinab. Auf der Stufe hinter mir hampelt ein vierjähriger Knabe mit einem schicken Gipsbein und seinem Roller herum. Vor mir ein riesiger Kinderwagen mit innenliegendem Säugling und am Griff klammernden Mutterhänden. Das Kind brüllt „Annae“, die Mutter schreit durch mich hindurch:
“Machst du nix Quatsch mit Gipsbein. Bleibst du stehen. NEIN. NEIN. Ich sagen, bleibst du jetzt endlich stehen. Nimmst du sofort Gips von den Gummi!“
Während das fidele Balg sein Gipsbein auf das schwarze Gummiförderband des Handgriffs der Rolltreppe artistisch ablegt, rauscht mir sein Roller in die Achillessehne. Autsch! Auf einem Bein balancierend, droht der Knabe auf der schmalen Rolltreppenstufe sein Gleichgewicht zu verlieren. Die Mutter kreischt hysterisch. Das Kind schreit
„Annae, Annae,“
was nach meinem bescheidenen Kenntnisstand der türkischen Sprache soviel wie „Mutter“ heißt. Als hätte seine Platte einen Sprung, wiederholt der Knabe seinen Verzweiflungsschrei etliche Male. Bei mir springt jetzt auch was. Ich greife den Rotzigen an seinem rechten Arm, meine Augen kneife ich bedrohlich zusammen und ich zwinge seinen Blick in meinen. Dann sage ich es:
“Wenn Du nicht sofort dein Bein wieder da runter nimmst, dann verhaue ich dir den Hintern. Und dann haste Grund zum Schreien!“
Der Kleine sieht mich respektvoll an und wuchtet sein Bein vom Gummihandlauf der Treppe. Mit eisernem Griff halte ich ihn an seinem Arm und schreiend und rangelnd erreichen wir das Ende der Rolltreppe. Die Mutter dankt mir überschwänglich für die Rettung des Gipsbeines, der Kleine streckt mir zum Abschied die Zunge entgegen. Das greife ich gerne auf und zeige ihm meine Zunge. Wir sind fertig miteinander.
Im Supermarkt bin ich gleich darauf unterwegs, um eine Tüte Milch für meinen notwendigen Morgenkaffee zu kaufen. Mit der Milchtüte unterm Arm in der Kassenschlange wartend, erreicht mich schon wieder Kindergebrüll. Dieses Mal will ein wohl zweijähriges Kind etwas Süßes. Dann reines Kölsch aus Mutters Mund, ein „Kölsch“, dessen ich nie mehr mächtig sein werde:
„Ich hab‘ dir jesach, heute jibbet hier nix. Halt endlich dinge Schnüss, sonst knallt et jleich.“
Im Gegensatz zu anderen Müttern ist diese Frau pädagogisch konsequent. Heißt doch eine eiserne Erziehungsregel „Drohe nie etwas an, was du nicht durchführen kannst!“ Es macht „Klatsch“ und dann schreit es. Mitten ins Gesicht des zweijährigen Mädchens. Ich gehe zu der Frau, die gerade ihr Kind geschlagen hat und es macht „Klatsch“ in das Gesicht der Frau.
Rechte Seite. Fünf Finger. Rot.
Das Kind hört auf zu weinen und lacht. Die Mutter lacht nicht. Sie ist wütend. Ich auch. Wir starren uns an wie Hühner. Dann gehe ich zurück zur Kasse und zahle meine Milch.
Meine erste Patientin heute ist ein Neurodermitis-Baby. Es sieht aus wie eine kleine Echse und ist erst wenige Wochen alt. Die Mutter reicht mir auf ausgestreckten Armen und mit spitzen Fingern ihre Tochter und sagt:
“Machen sie das hier gesund. Ich muss, nein, ich will in vier Wochen wieder in meiner Kanzlei arbeiten. Das hier raubt mir den letzten Nerv.“
Mein Nerv ist allerdings mittlerweile auch schon etwas dünn heute Morgen und ich nehme das Baby in meine Arme und schicke die Mutter sofort in ihre Kanzlei. Das Kind behalte ich erst erst einmal. Ich lasse mir von der Mutter den Tragesack geben und schnalle mir das Kind samt Sack um.
„Kommen Sie in drei Monaten vormittags wieder her. Dann wird Ihre Tochter gesunde Haut haben.“
Die Mutter stellt mir freudig -und vor allem unaufgefordert- einen Scheck über 5000,- Euro aus und sagt:
“Der war eigentlich für mein neues Pferd. Aber so ist das Geld auch gut angelegt.“
Sie küsst mich erleichtert auf meine Wangen und tänzelt aus meiner Praxis. Der Tag fängt doch gar nicht mal so schlecht an. So kann es weitergehen.
Von mir aus.