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Für Melanie

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26.02.2009
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Für Melanie

Für Melanie

Ich kniete vor ihr, wie immer mit einem Strauß Blumen in der Hand. Irgendwas Buntes, jedesmal siebenundzwanzig Blüten, selbst gepflückt.
Ich verschwieg ihr die Dinge, die mich heute so unnachgiebig beschäftigten. Sie durfte nicht wissen, was ich vorhatte. Sie würde Angst bekommen. Ein anderes Thema war mir nicht möglich. Also zupfte ich nur verlegen mit meiner linken Hand zwischen dem Efeu etwas Unkraut aus dem feuchten Boden. Dann hielt ich mein Schweigen nicht mehr aus, legte die Blumen auf den Stein, stand auf und murmelte „ich liebe dich, Melanie.“
Wenn Mutter das gehört hätte, würde sie wieder sagen ich solle endlich loslassen. Und ich würde ihr zum hundertsten Mal entgegnen „aber wie soll das gehen? Ich kann einer Toten nicht die Liebe aufkündigen. Welchen Grund sollte ich da vorschieben? Sorry, aber das Leben geht weiter?“
Ich verließ den Friedhof Richtung Stadtmitte, um endlich das zu tun, von dem ich Melanie nichts sagen konnte.
Schon vor Wochen hatte ich mit den Vorbereitungen begonnen. Neben Schule und Hausarbeit tastete ich mich langsam an die Drogenszene heran. Ich beobachtete dürre nervöse Gestalten an Plätzen wie dem Bahnhof und in einigen dunklen Gassen und machte mir allmählich ein Bild von den Abläufen der untersten Ebene des Drogenhandels. Dort wollte ich einsteigen und mich langsam hocharbeiten. Das schien mir der vernünftigste Weg zu sein.
Der erste Schritt auf diesem Weg, gleich nachdem ich mich für Heute von Melanie verabschiedet hatte, brachte mich in einen 99ct Laden.
Es herrschte Hochbetrieb zwischen den Regalen. Ich drängelte eine Weile suchend durch die Gänge und fragte dann ein Mädchen, sie räumte gerade Päckchen mit Buntstiften ins Regal, hatte etwa mein Alter, blonde Rastalocken und Nasenpiercing, wo hier die Eispickel liegen. Sie musterte mich grinsend.
„Willst deiner Liebsten wohl`n Eistee machen, was?“
„Genau“, brachte ich mit Mühe heraus , obwohl ich ihr am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. Aber sie konnte ja nichts wissen von Melanie und mir und der Unmöglichkeit, je wieder zusammen Eistee trinken zu können.
„Uh, klingt ja nicht begeistert. Lass mich raten, dir fehlt außerdem noch Eistee, Eis und eine Liebste?“
Ich nickte und behielt krampfhaft meine Hände da wo sie waren.
„Hol mich um acht Uhr hier ab, dann zeig ich dir wo du das alles auf einen Schlag findest.“
„Falls meine Geschäfte es zulassen ...“, sagte ich möglichst gelassen und zuckte mit den Schultern.
„Bettina!“, brüllte jemand vom anderen Ende des Ladens.
„Ja doch!“, schrie Bettina zurück.
„Der Blödmann kommt wieder nicht mit der Kasse klar“, sagte sie zu mir, verdrehte die Augen nach oben und machte eine Kehrtwendung.
„Und mein Eispickel?“
„Komm mit!“
Ich lief ihr hinter her. Vor einem Regal stoppte sie abrupt, ich prallte ihr auf den Rücken. Sie drehte sich lächelnd zu mir um und fragte spöttisch:
„Schicke Jacke, C&A oder Quelle?“, und schob ihre Hand in meine Jackentasche.
„So, das mit dem Eispickel wäre schon mal erledigt“, sagte sie augenzwinkernd und lief zur Kasse.
Gemächlich schaute ich mich um, tat so als würde ich etwas suchen. Niemand schien den Vorfall bemerkt zu haben. Gut so. Ich schob langsam meine Hand in die Tasche, zog den Eispickel heraus und ging zur Kasse. Irgendjemandem gehörte das ganze Zeug hier und ich hatte keinen Grund, ihn zu bestehlen.
An der Kasse runzelte Bettina verwundert die Stirn.
„Sei auf jeden Fall um 8 hier“, flüsterte sie mir zu „so einer wie du fehlt mir noch in meiner Sammlung.“
Ich nickte, rang mir ein Grinsen ab und nahm mir vor, diese Gegend in den nächsten Wochen zu meiden.
Ich trat ins Freie, wandte mich nach links, bummelte die Einkaufsstraße entlang bis zu dem Waffengeschäft, und begutachtete durch die leicht getönte Schaufensterscheibe Gewehre und Pistolen. Ein Paradies hinter Glas.
Einige der größeren Gewehre besaßen aufmontierte Zielfernrohre, die Pistolen sahen leicht und handlich aus, sicher gut geeignet für den Nahkampf in Häusern oder engen Gassen. So eine würde ich neben einem Gewehr mit großer Zieloptik gut brauchen können. Nun ja, ich hatte weder das nötige Geld noch das geforderte Alter, um hier etwas kaufen zu können. Aber es werden sich andere Wege auftun. Da war ich mir sicher, und bis dahin musste eben mein Eispickel genügen.
Ich ging weiter an den verschiedensten Schaufenstern entlang, die Sonne verschwand hinter den Häusern, und am Ende der Fußgängerzone bog ich nach rechts Richtung Hauptbahnhof ab.
Es war bereits dunkel als ich dort ankam und die Menschenmassen zur Rushhour hatten sich längst über der Stadt verteilt. Ich bestellte mir am Schnellimbiss bei Katja einen Kaffee Latte, postierte mich am äußersten Stehtisch, und beobachtete wie schon so oft den tunnelartigen Durchgang zu den Toiletten, der nach ungefähr 30 Schritten als Seitenausgang mit Glastüren endete.
Pünktlich erschien die übliche Gruppe von vier dunkel gekleideten Gestalten, entweder gänzlich ohne oder mit langen fettigen Haaren, in gewichtigen „eh, Mann, eh“ Dialogen verstrickt.
Vor dem Durchgang blieben sie stehen, traten von einem Fuß auf den anderen, wippten in den Kniekehlen, wackelten mit den Schultern, Wollmütze ab und Wollmütze wieder auf, vollzogen gegenüberstehend mit den Fäusten und mal dem einen und dann wieder einem anderen abgespreizten Finger irgendwelche Rituale, die sie wahrscheinlich irre cool fanden, aber für mich nur wie schwachsinniges Herumgefuchtel aussah, und krächzten dabei in einem fort „eh Mann eh, yo Mann“. Sie wirkten auf mich wie ein Schwarm Raben auf einer Müllkippe.
Ich bat Katja um einen weiteren großen Milchkaffee. Für mein Vorhaben brauchte ich ordentlich Druck auf der Blase, und kaum hatte ich ihn halb ausgetrunken, betrat ein schlaksiger Mann, in schwarzem Ledermantel und mit Designer Sonnenbrille, ein paar Minuten früher als erwartet die Halle. Seine Haare hingen glatt bis auf die Schultern, überhaupt nicht fettig, einfach nur rabenschwarz. Er schlängelte sich durch einen kleinen Pulk reisender Rentner, die ihre Koffer gen Ausgang wuchteten, ohne so freundlich zu sein ihnen die Tür aufzuhalten, und marschierte mit seiner Zeitung unter dem Arm direkt zu den Toiletten.
Sofort begann das übliche Ritual. Einer nach den anderen löste sich aus dem Rabenschwarm, ging zur Toilette, kam kurz danach wieder raus und begab sich zu seinem Verkaufsplatz irgendwo in der Nähe außerhalb des Bahnhofs. In knapp zwanzig Minuten würden sie ihr Gift an ein paar Stammkunden vertickt haben und das Geld dem schlaksigen Typen bringen, der in der Herrentoilette auf sie wartete. Danach wäre der Spuk vorbei, die Totenvögel würden von hier verschwinden und ins nächste Revier rüber flattern, während der Typ in der Toilette noch auf den Kurier wartete, um das eingesackte Geld gegen neue Drogen einzutauschen und ihnen dann folgte. Mir blieb also nicht viel Zeit. Nur drei bis fünf Minuten, in denen der Ledermantel mit dem Geld allein auf dem Klo saß.
Ich trank den lauwarmen Rest Milchkaffee, sah wie der letzte Kleindealer seine verdreckten Nike Schuhe über die rauen Bodenfliesen Richtung Klo schleifte, sagte so locker wie möglich „dann bis Morgen Kati“, und ging nicht zu den Toiletten, sondern langsam in die entgegengesetzte Richtung. Ich wollte nicht, dass Kati später aussagen könnte, sie hätte mich zu den Toiletten gehen sehen. Sie wusste zwar nicht meinen Namen, war aber bestimmt die einzige hier, mit deren Hilfe die Polizei ein brauchbares Phantombild von mir zeichnen könnte.
In den vergangenen Tagen hatte ich alles genau beobachtet und durchdacht. Der Imbiss befand sich auf der Vorderseite in einem ovalen Pavillon in der Mitte der Bahnhofshalle. An den schmalen Seiten, von der eine auf den Tunnelgang zeigte, hingen Fahrpläne und auf der Rückseite vom Imbiss war ein Zeitungskiosk untergebracht. Die Kameras erfassten nur die Ein- und Ausgänge der Halle und den Bereich vor dem Tunnelgang zu den Toiletten, nicht den Pavillon, nicht das Innere des Tunnels und auch nicht den Seitenausgang an dessen Ende. Die Beleuchtung unter der zwanzig Meter hohen Decke erschien grell, aber nur wenn man hoch schaute, hier unten kam nur noch diffuses Licht an.
Ich ging schnell an dem Kiosk vorbei und schaute währenddessen auf die große Uhr an der Wand gegenüber. Ich hatte mich auf dieser Seite des Pavillons noch nie gezeigt und sorgte so dafür, dass der Zeitungsverkäufer auch jetzt mein Gesicht nicht sah.
Mir wurde ein wenig schwindelig. Plötzlich musste ich mich zwingen zu atmen, die naturgegebene Automatik funktionierte nicht mehr. Um meine Nerven zu beruhigen, umfasste ich den hölzernen Griff des 99ct Eispickels in meiner Jackentasche, fuhr mit dem Daumen über den spitzen Stahl, der vorn aus dem Holz heraus ragte. Wieder etwas sicherer geworden, ging ich weiter auf die Kamera zu, die knapp 10 Meter neben dem Tunneleingang an der Wand hing und mir ihre harmlose Längsseite zeigte. Unter der Kamera blieb ich stehen. Wenn ich von hier aus den Tunnel betreten würde, erfasste mich das Überwachungsauge nur einen kurzen Moment von hinten. Im Tunnel endete dann jegliche Überwachung, aber auch der sichere Teil meines Plans. Von da an musste ich auf eine Anhäufung günstiger Zufälle hoffen. Also möglichst kein Publikumsverkehr, kein vorzeitiges Auftauchen des Drogenkuriers, der Nachschub bringt und Geld abholt, und das der Ledermantel wie immer in einer offenen Kabine auf dem Klodeckel sitzt und seine Abendzeitung liest.
Der letzte der dürren Kleindealer, kaum fähig einen anständigen Schatten in die Welt zu werfen, wozu er nach meiner Meinung sowieso kein Recht hatte, kam um die Ecke und schlurfte zum vorderen Ausgang. Das war mein Einsatzzeichen.
Ich betrat den langen Gang, sah niemanden, und beschleunigte meine Schritte. Die drohende Möglichkeit einer Pistole fiel mir wieder ein und zum ersten Mal dachte ich anders darüber. Ich hoffte nun, dass der Kerl unter seinem langen Ledermantel eine Waffe trägt. Ein toter Dealer, sein Geld und eine Waffe obendrauf, wäre ein dreifacher Erfolg.
Meine Schritte hallten in dem niedrigen Gang. Ich versuchte nicht leise zu gehen, er sollte mich kommen hören. Ich wollte ihn schließlich nicht erschrecken, sondern das Gefühl geben, hier sei alles normal. Ich drückte gegen die Tür, sie quietschte leise, bestimmt konnte er es hören. Sehr gut, damit war sie auf meiner Seite.
Hinten links hingen die Pissbecken an der Wand, gleich vorne rechts befanden sich zwei Handwaschbecken, danach kamen fünf Kabinen. Beruhigt stellte ich fest, dass alle Türen offen standen. In der ersten Kabine sah ich eine aufgeschlagene Zeitung, dahinter schwarze Haare und darunter zwei Jeansbeine, die in gewienerten Motorradstiefeln steckten.
Schnell schaute ich auf das hintere Pissbecken und zog im Gehen schon mal demonstrativ geräuschvoll meinen Reißverschluss auf. Die Zeitung raschelte, wahrscheinlich hatte er sie etwas runtergenommen um mich zu taxieren, und schon stand ich vor dem Becken und ließ es ordentlich laufen. Soweit ich durch mein Geplätscher hören konnte, blieb hinter mir alles ruhig. Warum auch nicht, der Ledermantel hatte mich schon dreimal an verschiedenen Tagen zur gleichen Zeit gesehen und nie war etwas anderes passiert als heute.
Der Strahl wollte nicht versiegen. Bisher lief alles gut, aber wenn der Sendbote frischer Ware nur eine Minute früher wie sonst erscheint, hätte ich ein ernstes Problem.
Ich schüttele hastig ab, schloss den Hosenschlitz und drückte nicht die Spülung, denn sie würde das Geräusch von Schritten im Flur übertönen. Ich drehte mich langsam um, schob meine rechte Hand in die Tasche, griff den Eispickel so, das mein Daumen fest auf das hölzerne Ende drückte und die stählerne Spitze nach unten aus meiner Faust heraus ragte, und ging dicht an den Kabinen vorbei, bis ich wieder die Zeitung mit dem schwarzen glatten Haarschopf dahinter sah.
Alles musste jetzt sehr schnell gehen, mit präzisen und kraftvollen Bewegungen. Ab hier würde alles anders werden wie an den Tagen zuvor und natürlich hatte ich für die nächsten Sekunden nichts proben können. Ich konnte also lediglich darauf hoffen, dass meine Phantasie nicht allzu abwegige Vorstellungen entwickelt hatte.
Ich machte einen letzten Schritt, der mich genau vor seine Kabine brachte. Noch könnte ich abbrechen, einfach vorbeigehen, aber der Schwarzgekleidete las weiterhin ungerührt seine Zeitung. Scheinbar hielt er mich für so harmlos wie ich gehofft hatte. Ich streckte meine linke Hand über den Zeitungsrand, umfasste mit gespreizten Fingern seinen Hinterkopf und drückte ihn blitzschnell soweit runter, bis sein Rücken und vor allem der Nacken waagerecht vor mir lagen. Sein Widerstand kam zu spät. Ich spürte zwar wie er seine Muskeln anspannte, aber in dieser tief gebückten Sitzhaltung konnte er keine wirkungsvolle Gegenwehr leisten.
Ich holte mit dem Eispickel weit aus und rammte den stählernen Teil zwischen meinem Zeige- und Mittelfinger bis zum Anschlag in seinen oberen Nackenansatz. "Für Melanie, du verdammtes Arschloch", flüsterte ich. Er antwortete mit leisem Stöhnen, dann verfiel sein Körper in eine Art epileptischen Anfall. Er zuckte wild, zerwühlte die Zeitung und ich drückte schnell mit beiden Händen auf seine Schultern, damit er in seinen Zuckungen nicht vom Klo sprang.
Es dauerte vielleicht drei oder vier Sekunden, dann erschlaffte sein Körper endlich.
Ich stützte mich mehr von Stress als vor Anstrengung erschöpft auf seinen Rücken, ließ meinen Kopf hängen und fuhr erschrocken zusammen. Hinter mir hätte sich inzwischen eine ganze Polizeistaffel versammeln können, ohne dass ich es bemerkt hätte. Ich sah nach hinten, aber da stand niemand. Ich hielt den Atem an und lauschte nach Schritten. Jemand ging durch den Tunnel, aber in welche Richtung war nicht festzustellen, ebenso wenig ob er auf die Toilette wollte.
Vorsichtig ließ ich den toten Dealer los, er blieb brav in der Haltung hocken, und schloss die Kabinentür. Die Schritte schienen näher zu kommen. Hoffentlich war es nicht der Kurier.
Rasch zog ich meinen Eispickel aus seinen Nacken, nur ein paar Tropfen Blut entwichen aus dem winzigen Loch, packte ihn in einen Gefrierbeutel, den ich in meiner linken Jackentasche mitgebracht hatte, dann griff ich dem Toten fest an seinem Hals, richtete den Oberkörper der Leiche auf, und hielt ihn mit einer Hand an die Rückwand gepresst.
Für einen Augenblick betrachtete ich sein totes Gesicht, die fettige Haut, das Rudel schwarzer Mitesser auf der Nase, die kleinen krebsroten Pickel auf den eingefallenen Wangen, ein offenes Abszess, groß wie ein Centstück, links auf der Unterlippe. Ich empfand Ekel und den Drang die Sache zu Ende zubringen, aber zugleich auch ein aufsteigendes euphorisches Gefühl. Bingo, ich hab es drauf, ich werde nicht zusammenbrechen, dies wird folglich nicht mein letzter Mord sein, nein ich kann und werde weitermachen. Ich werde diese verdammte Dealer-Brut ausrotten, die sich wie ein Krebsgeschwür in der Stadt eingenistet hatte. Ich werde die Stadt von diesen schmarotzenden Geschwüren befreien, sie aus ihren Gedärmen, den Plätzen, Parks und Gassen, herausreißen, und diese Drogenbosse, die mitten unter uns auf wohlbetuchte Herren machen und lokalen Politgrößen mit ihren dreckigen Händen auf die Schultern klopfen, zur Hölle schicken.
Lauter befriedigende Aussichten. Ich grinste der Leiche von einem Ohr zum anderen ins Gesicht, während meine linke Hand sie immer noch gegen die Wand drückte, meine Fingernägel sich tief in das tote, aber noch warme sehnige Fleisch ihres Halses eingruben, meine andere Hand seinen Mantel aufknöpfte, und sich leise quietschend die Tür zum Gang öffnete.
Gleichzeitig, als hätte der Leichnam sich erschrocken, viel mehr erschrocken als ich, wurde er nass zwischen den Beinen. Schmale gelbliche Rinnsale sickerten aus seiner Hose und tropften stinkend vom Klodeckel auf die Fliesen, während ich angestrengt nach den Schritten des Unbekannten lauschte und dabei hoffte, dass er ohne verdächtiges Zögern an meiner Kabine vorbei gehen würde, und ich endlich eine Waffe fände.
Die Schritte zögerten nicht, ich fand einen handlichen Trommelrevolver in einem Halfter unter seiner Achselhöhle, zog ihn heraus und schob ihn mit der Mündung voran in meine rechte Jackentasche.
Draußen setzte Plätschern ein. Ich durchsuchte rasch seine Innentaschen, da war kein Geld, und ließ seinen Oberkörper wieder zwischen seine Schenkel herab. Er rülpste feucht und rüpelhaft, aber das machte mir keine Sorgen, Gestank nach Pisse und lautes Rülpsen war auf einem Männerklo so normal wie Christbäume an Weihnachten.
Ich widmete mich nun den äußeren Taschen. Die Zeitung knisterte unter meinen Schuhen, aber auch zeitungsrascheln geht noch als ein normales Männerklogeräusch durch. Während er apathisch und wie eine schwarzhäutige Kröte auf dem Klodeckel hocken blieb, wurde ich in seiner rechten Manteltasche fündig. Ein dicker Batzen loser Zwanzig- Euroscheine wechselte den Besitzer und beulte nun meine Hosentasche aus.
Draußen wurde ein Reißverschluss zugezogen, gleich darauf Rotz geräuschvoll, beinahe auf grimmige Weise erfolgsorientiert, hochgezogen und kraftvoll ausgespuckt, damit ja keine Schleimfäden am Kinn hängen blieben, dann wieder Schritte an meiner Kabine vorbei.
Die Zeit drängte nun wirklich. Der Kurier war fällig. Ich wurde unruhig. Wenn der Typ da draußen sich wider erwarten die Hände wäscht, sich anschließend sorgfältig die Haare striegelt und dann vor dem Spiegel noch eine paar Pickel ausdrückt, bestand die Gefahr, dass er diesen Raum im Blechsarg verlassen würde. Nach Melanies Tod war ein weiteres unschuldiges Opfer für mich nicht hinnehmbar.
Um den ehemaligen Drogendealer vor mir, nun tot und vollgepisst, tat es mir dagegen nicht leid. Solche Typen sind für mich so erwünscht wie Schuppenflechte in der Sackbehaarung.
Ich zog die Pistole, entsicherte sie, steckte sie wieder ein und hielt sie in der Tasche mit der Mündung nach vorn und dem Finger am Abzug. Dann öffnete ich die Kabinentür, hoffte dass die Kröte auf dem Klodeckel schön ruhig hocken blieb, unterdrückte mein zufriedenes Lächeln und trat, mit dem was ich für ein unschuldiges Gesicht hielt, heraus.

 

Ach ihr Lieben!

Da habt ihr mein Debüt ausgegraben. Was für eine schöne Überraschung! :)

Weniger schön ist, das meine Antworten seit etlichen Tagen auf der Festplatte schmoren, weil ich vergessen, habe sie zu posten. :dozey:
Nun denn.

Lieber Woltochinon!

Vielen Dank für die Wiederbelebung dieses Dinosauriers. Obwohl, so tot ist das Teil gar nicht, habe ich doch vor einiger Zeit damit begonnen, auf der Basis dieser Geschichte einen Kurzroman zu schreiben. Auch eine Auskopplung daraus befindet sich als Kurzgeschichte in diesem Forum.
Daher sind mir deine Anregungen – die mit „Fazit: Guter Anfang, gutes Thema, noch ein wenig Psyche und Ungewissheit ergänzen“ gut zusammengefasst sind – besonders wichtig. Kann ich diese doch hier wie dort verwerten.

Die kleinen Fehler werde ich bei der Überarbeitung berücksichtigen.

„hocharbeiten“ bedeutet eigentlich in der (Drogen-)Hierarchie aufzusteigen. Will er das wirklich?
Ja, aber anders, als man es gemeinhin versteht. Da hab ich, wie so oft, etwas gespielt.
Er will das Morden (und Rauben) zunächst an Kleindealern üben und sich dann an die Bosse ranmachen. Schließlich wird er dafür etwas mehr investieren müssen als 99 ct und die Bosse sind besser bewacht.

Vielen Dank auch für die lobenden Worte.

LG

Asterix


Hallo, Kollege Berg!

Nachdem ich die Hälfte des Textes gelesen hatte, ist mir aufgefallen, dass er schon drei Jahre alt ist.
Na, immerhin hast du das Lesen meiner ersten KG nicht bereut. :D

also ich find's gut! Der Mord, der da passieren wird, gibt dem ganzen Text Struktur. Die Beschreibungen lassen einen richtig schön in den Ablauf reinkippen.
Das freut mich!

Aber die Tote sozusagen wie eine Lebende zu behandeln, der er nicht untreu werden darf, ist MMN überzeichnet.
Ja, ich neige, heute vielleicht nicht mehr so sehr wie damals, zum Grotesken.
Aber, irgendwie gibt immer ein aber, gerade diese Überzeichnung hat mich irgendwann später, als ich etwas von Dante las, zu einem größeren Werk inspiriert. Wie ich Wolto bereits schrieb, ist da was in Arbeit. Und das trägt den Titel „Eine heidnische Komödie“.

schließlich riskiert er seine Existenz (und wird gefasst werden, so unvorsichtig wie er ist) für seinen Rachefeldzug.
Darüber kann man geteilter Meinung sein. Ich meine, er hat eine gute Chance. Dass die Polizei automatisch auf ihn als Täter kommt, ist unwahrscheinlich.
Auch während der Tat hat er genügend Sicherheit. Ich kopiere hier einfach mal meine Antwort an Chris Stone rein:

1. Ein Bahnhof ist zwar ein öffentliches Gebäude, aber man genießt dort dennoch Anonymität. Niemand kümmert sich um den Anderen. Jeder rennt mit gesenktem Kopf zu den Bahnsteigen, liest Fahrpläne usw.

2. Die Imbiss-Kati ist da zwar eine Ausnahme, aber ihr macht der Prota beim Abschied deutlich, dass er nicht zu den Toiletten geht, sondern in die entgegengesetzte Richtung. Wenn also Kati später von der Polizei nach verdächtigen Beobachtungen befragt wird, wird sie nicht an den Prota denken.

3. Jeder der einen Mord begeht baut darauf, dass keiner reinkommt (oder hinzukommt), egal wo der Mord stattfindet. Jeder hofft darauf, dass das Opfer nicht plötzlich eine Waffe zieht. Um nun diese Hoffnungen nicht allzu absurd dastehen zu lassen, habe ich in der neuen Fassung den Zeitpunkt markiert, an dem der Prota seine Tat gefahrlos abbrechen kann. Er muss es schließlich nicht ausgerechnet an dem Tag vollbringen. Wenn er Schritte im Gang hört, oder der Dealer ihn genauer beobachtet, kann er den Mord auch auf einen anderen Tag verschieben. Natürlich gibt es den berühmten „point of no return“. Er setzt ein, wenn er den Kopf des Dealers packt und ihm den Eispickel in den Nacken rammt. Aber von da an bis zum Schließen der Kabinentür, wo er wieder Anonymität herstellt, vergehen maximal zehn Sekunden. Das ist meiner Meinung nach ein annehmbares Risiko.

4. An jedem anderen Ort, und damit meine ich natürlich die Orte, an denen sich der Dealer sonst noch so rumtreibt, wäre der Prota schon allein durch seine Erscheinung eher aufgefallen als im Bahnhof. Die Hinweise darauf sind zugegeben etwas subtil geraten, zum Beispiel, indem er sich über das Äußere und das Gehabe der Kleindealer lustig macht, sollte deutlich werden, dass er ganz anders gekleidet ist und sich auch anders verhält. Auch kann man von ihm nicht verlangen, dass er sich entsprechend verkleidet und benimmt, dazu ist sein Hass auf diese Leute viel zu groß.

Es gibt hier im Forum nicht viele mit Leidenschaft geschriebene Texte.
Boah, das macht mich glücklich! Es gab danach auch keine Figur mehr, in die ich mich derart hineinversetzen konnte. Während der Fortführung dieser Geschichte gab es eine Stelle, an der ich, selbst nach dem dritten Korrekturlesen, noch ganz ergriffen war. Ja, so muss es sein, aber dieses komplette Eintauchen in die Hauptfigur, hat man nur selten. Ich hoffe, das hält an, bis ich mit meinem Roman fertig bin … ja, und ich hoffe auch, dass dieses Feuer auf den Leser überspringt.

Wenn Gewalt als Lösung dient, wie für deinen Protagonisten, verschärft das die Situation. Ich finde es gut, das sichtbar zu machen, auch wenn manche Serien und Thriller sozusagen Pornographie der Gewalt sind.

Ganz genau. Gewalt führt zu Erlösung. So könnte die Prämisse lauten.
Pornographie der Gewalt. Das gefällt mir. Rache, Hass, Verrat und eine Liebe (buchstäblich) über den Tod hinaus. Das ist der Stoff.

Ich finde ihn deutlich überdurchschnittlich für die Rubrik und lese deine Kurzkrimis immer gern!

Ruhig mehr davon!
Jahaha, vielen Dank für die Blumen! Leider haben die einen unangenehmen Beigeruch, so nach Arbeit.
Aber so ist es tatsächlich geplant. Nach einigen Ausflügen in andere Rubriken, werde ich wieder Krimis schreiben. Vielleicht noch vorher eine Humor-Geschichte.

Den kleinen Fehler werde ich bei der Überarbeitung berücksichtigen.

Ein ganz schlimmer Fehler ist mir grad noch aufgefallen: Im Text steht doch tatsächlich „Trommelrevolver“!!! Wie konnte ich jemals Trommelrevolver schreiben? Da wiehert doch der weiße Schimmel!

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix

Das war ja so was von spannend, dein früheres Werk, dass ich beinah den Drang hatte, schneller zu lesen, als ich die Worte verarbeitend erfassen kann. Doch ich zwang mich zu einem konzentrierten Lesefluss, die Bilder des Geschehens abspielend.

Zu Beginn, ein beschauliches Bild, ein Jüngling vor einem Grab kniend. Was mir verborgen blieb, war, weshalb er Melanie jeweils siebenundzwanzig Blüten darbot? Je eine Blume für die Jahre ihres Lebens? Wäre eine Möglichkeit, doch gibt es darauf keinen Hinweis. Vielleicht näherliegend, ihr Todestag.

Neben Schule und Hausarbeit tastete ich mich langsam an die Drogenszene heran.

Hier war ich in Versuchung meine Sichtweise zu korrigieren, ist er gar kein Jüngling? Er könnte ja Lehrer sein. Doch das Mädchen im 99ct-Laden kippte mir diesen Gedanken wieder raus.

„Hol mich um acht Uhr hier ab, dann zeig ich dir wo du das alles auf einen Schlag findest.“

Da führtest du meine Fantasie auf eine falsche Fährte, ich schwelgte schon in romantischer Erwartung, ganz die Rubrik, in der die Geschichte steht, verdrängend ...

„Schicke Jacke, C&A oder Quelle?“, und schob ihre Hand in meine Jackentasche.

... Es war aber auch alles darauf angelegt, wie sie ihm da an die Wäsche ging.

Doch da dreht sich das tagträumende Bild, die Bahnhofszenerie mit düsteren Gestalten gewinnt an bedrohlicher Form. In meine Erinnerung trat der Frankfurter HB in den sechziger Jahren, ich hatte dort damals spätabends eine Telefonkabine aufgesucht, und verliess den Ort fluchtartig, da die herumlungernden Gestalten mir unheimlich erschienen.

Ich holte mit dem Eispickel weit aus und rammte den stählernen Teil zwischen meinem Zeige- und Mittelfinger bis zum Anschlag in seinen oberen Nackenansatz.

Perfid, diese Ausführung …

Gleichzeitig, als hätte der Leichnam sich erschrocken, viel mehr erschrocken als ich, wurde er nass zwischen den Beinen. Schmale gelbliche Rinnsale sickerten aus seiner Hose und tropften stinkend vom Klodeckel auf die Fliesen,

… und dann noch die Detailbeschreibung von entspannter Muskulatur.

Ich zog die Pistole, entsicherte sie, steckte sie wieder ein und hielt sie in der Tasche mit der Mündung nach vorn und dem Finger am Abzug.

Das war nun aber gemein, den Leser im unklaren zu lassen, ob die Rotznase nun weg ist oder der Prot. sich doch an einem unschuldigen Opfer verging.

Die Geschichte hatte mich gefangen genommen und dadurch, dass sie in ihrer Ausgestaltung eben anders ist, als Krimis i. d. R. sind, gut unterhalten. Das nicht perfekte Vorgehen des Prot. gab dem eine Note von Nonchalance, was mir trotz der Unerbittlichkeit der Tat, den Text insgesamt sympathisch aufscheinen liess. Natürlich nur zum Lesen, nicht als Vorbild für Nachahmungstäter. :D

Wenn der Prot. ja ohnehin am Eliminieren ist, könntest du ihm da noch einen Opferauftrag erteilen:

„Genau“, brachte ich mit Mühe heraus , obwohl ich ihr am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte.

Das freischwebende Komma könnte er durch Eliminierung des Leerschlags mit dem Wort verbinden, dies geht ganz ohne Eispickel. ;)

Schöne Grüsse

Anakreon

 

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