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Fairy Tale

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10.03.2005
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Fairy Tale

„Eine Prinzessin.“ Darcun verzog die Lippen. „Das ich nicht lache.“

Plötzlich bewunderte er sie fast, wie sie so dastand, mit erhobenem Kopf und gestrafften Schultern. In ihrem verdreckten Seidenkleid, das einmal sehr schön gewesen sein musste, jetzt aber an vielen Stellen zerrissen war, wirkte sie wie ein Kind. Ihre blasse Haut, ihr weißes Haar und ihr schlanker Körper verliehen ihr eine unangemessene Zerbrechlichkeit. Fast hatte Darcun das Gefühl, sie beschützen zu müssen.
Aber der Schein trog.

„Eine Mörderin“, sagte er. „Eine Mörderin mit dem Gesicht eines Engels.“
Er trat näher an sie heran.
„Und außerordentlich dumm, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf.“

Selene wandte den Kopf. Der Blick ihrer blauen Augen ruhte sekundenlang eisig in seinem, bevor sie fragte: „Bereitet es Euch Freude, mich zu verhöhnen?“
Ihre Worte waren kaum mehr als ein Flüstern, trotzdem klang ihre Stimme fest und beherrscht.

„Mm...“ Darcun ließ den Blick schweifen, als müsse er ernsthaft über die Frage nachdenken. „Vielleicht.“

Jedenfalls sollte er das tun, fügte er in Gedanken hinzu. Sie hatte es verdient. Mehr als das.
„Es war vermessen von Euch, anzunehmen, Ihr könntet mich töten“, sagte er. „Andere haben es vor Euch versucht. Ritter. Krieger. Söldner. Ganze Armeen. Und dann kommt Ihr um die halbe Welt gereist - fast noch ein Kind! - wild entschlossen, Euer eigenes Leben zu opfern um meines zu beenden.“ Er seufzte.

„Ich erwarte keine Gnade“, entgegnete Selene scheinbar unberührt. „Ich habe Euch kämpfen gesehen, Lord Darcun.“
Aus ihrem Mund klang sein Name wie eine Beleidigung.
„Nur Feiglinge suchen sich schwache Gegner. Feiglinge wie Ihr.“

Sein Körper straffte sich, als hätte sie ihm ins Gesicht geschlagen.
Er blickte sie an. In seinen schwarzen Augen loderte mühsam beherrschter Zorn, der sie unwillkürlich ein Stück vor ihm zurückweichen ließ.

„Wie kommt Ihr zu der Annahme, ich wäre ein Feigling?“
Offenbar hatte sie ihn getroffen.
„Ich könnte tausend Gründe nennen“, hörte sie sich plötzlich zu ihrer eigenen Überraschung selbst sagen.

Darcuns Tonfall sank eine Oktave, so dass seine Worte als dumpfes Grollen an ihr Ohr drangen.
„Nennt mir einen einzigen.“

„Eure Männer“, erwiderte Selene ohne zu zögern. „Sie töten Frauen und Kinder. Alte und Kranke. Sie brennen Häuser nieder und zertrampeln mit ihren Pferden die Felder. Sie schänden die jüngsten Mädchen und bestehlen die ärmsten Bauern. Sie vergreifen sich an Unschuldigen, Lord Darcun. Auf Euren Befehl hin, wenn mich nicht alles täuscht!“
Mit jedem Satz war Selene ein Stück näher getreten, bis sie direkt vor ihm stand.
„Ihr seid ein Barbar. Ihr wisst nichts von Anstand, von Tugend, von Ehre. Ihr kennt nur Grausamkeit und Brutalität - und genau aus diesem Grund wird niemand freiwillig vor Euch niederknien, wenn Ihr Euch selbst zum König gekrönt habt. Euer Reich wird nicht mehr sein als eine Wüste aus Asche und...“
„Genug!“, unterbrach sie Darcun.
Der verhaltene Ärger war aus seinem Blick gewichen, und hatte einem vollkommen anderen, undeutbaren Ausdruck Platz gemacht.
„Das also erzählt man Euch?“ Auf seine Lippen stahl sich ein flüchtiges, humorloses Lächeln. „Euer Vater ist ein schlauer Mann.“

Selene runzelte die Stirn. „Was wollt Ihr damit sagen?“

„Dass es Lügen sind“, antwortete Darcun frei heraus. „Geschichten, die man erfindet, um den Hass zu schüren. Um einfache Bauern dazu zu verleiten, die Heugabel mit dem Schwert zu tauschen.“ Und mit einem Achselzucken fügte er hinzu: „Offensichtlich funktioniert es.“

„Ich bin kein einfacher Bauer“, erwiderte Selene.

„Noch viel schlimmer.“ In einer raschen Bewegung ließ er seinen Arm nach vorne schnellen und berührte ihre Hand. Erschreckt wollte Selene zurückweichen, aber Darcun hielt sie mit eisernem Griff fest. Beinahe spöttisch und trotz ihrer heftigen Gegenwehr vollkommen mühelos betrachtete er ihre blassen, zartgliedrigen Finger.
„Eine wohlbehütete Prinzessin, deren Hände ein Leben lang nur Seide und Diamanten berührten... Wie oft muss man ihr wohl eine grausame Lüge erzählen, bis sie bereit ist, mit diesen Händen zu töten?“ Er blickte sie an. „Jeden Tag? Jede Nacht?“
Er spürte ihre kühle, weiche Haut unter seinen Fingern. Sie zitterte.
„Oder reicht schon ein einziges Mal?“

Selene wandte den Kopf, um seinem Blick auszuweichen.
„Ich glaube Euch kein Wort.“

„Natürlich nicht“, antwortete Darcun ruhig. „Ihr glaubt Eurem Vater.“
Er schüttelte verächtlich den Kopf und ließ ihre Hand los.
„Einem Vater, der es in Kauf nimmt, seine einzige Tochter zu einer Mörderin zu machen. Dachte er etwa, Eure Anmut würde mich so betören, dass ich Euch blind vertraue?“

Selene schüttelte den Kopf. „Ich verbiete Euch, so über meinen Vater zu sprechen!“

Darcun lachte kurz auf. „Ihr verbietet mir etwas? Prinzessin, Ihr seid Euch offensichtlich nicht Eurer Lage bewusst!“

„Mein Vater weiß nicht, dass ich hier bin“, fuhr Selene unbeirrt fort. „Er hätte es niemals erlaubt. Er ist ein guter, ein ehrbarer Mann. Aber ich vergaß. Von Güte und Ehre versteht Ihr ja nichts.“

Diesmal erzielten ihre Worte eine vollkommen andere Reaktion. Die Falte, die zwischen Darcuns Augenbrauen erschien, war keine Zornesfalte mehr, sondern verlieh ihm einen neuen, undeutbaren Ausdruck, der Selene erschreckte.

„Es ist schade“, meinte er schließlich tonlos, „dass Ihr nicht besser von mir denkt.“
Und nach einer Weile fügte er noch leiser hinzu: „Wusstet Ihr, dass wir einander versprochen waren?“

Selene antwortete nicht, aber in ihren Augen spiegelten sich verhalten Überraschung und Unglaube. Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die gerade gehörten Worte aus ihren Gedanken vertreiben.

„Bevor die Kriege ausbrachen, waren unsere Väter befreundet“, fuhr Darcun fort. „Ich besitze ein Bild von Euch aus einer Zeit, als Ihr noch nicht wusstet, dass Menschen überhaupt sterben können.“
Er zog seinen Dolch.
„Aber was spielt das jetzt noch für eine Rolle?“

Der Kriegsherr und die Prinzessin blickten sich an.

„Überhaupt keine“, flüsterte Selene.

„Überhaupt keine“, bestätigte Darcun mit der Andeutung eines wehmütigen Lächelns, dass seine Worte Lügen strafte.
„Es tut mir leid, Selene.“
Dann schnitt er ihr mit einem einzigen, gezielten Hieb seines Dolches die Kehle durch.

 

Hi feline!

Also, erstmal hat mir deine Geschichte gut gefallen! Sie lässt sich flüssig lesen, und ich mag deinen Schreibstil sehr.

Was mich überrascht hat, war das ende... Ich dachte zwischendurch schon, dass es wahrscheinlich gut ausgeht. Tat es aber nicht... und gerade das gefällt mir.

Seltsamerweise erinnert mich deine Geschichte an etwas, das ich auch mal im Kopf hatte... sogar der name "selene" kam darin vor... hm... ein komischer zufall... :confused:

Eine wirklich schön traurige Geschichte... :thumbsup:

Liebe Grüße,
Lily

 

Hey feline,

auch mir hat die Geschichte gut gefallen. Textlich ist mir - bis auf einen Fehler am Ende - nichts aufgefallen - da muss es heißen "oder nur ein einziges Mal?"

Ich fand das Ende nicht sonderlich überraschend, sondern eher absehbar. Was soll das Mädchen denn machen, wenn sie keine mächtige Magierin ist oder nicht überraschend ein Ritter in schimmernder Rüstung auftaucht, um sie zu retten?

Was ich an deiner Stelle noch ein bisschen ausbauen würde, wäre der Hintergrund. Warum hat der Vater der Prinzessin all diese Dinge erzählt? Warum opponiert der Bösewicht gegen den Vater, der doch offenbar der rechtmäßige König zu sein scheint? Warum glaubt der Vater, dass das Mädchen den Ritter besiegen kann? Und was ist die Variante des Ritters, die andere Seite der Geschichte?

gruß
vita
:bounce:

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Feline,

deine Geschichte hat mir gut gefallen.
Auch wenn du vieles in der Geschichte im Unklaren lässt (Zeit, Ort, Umgebung), spielen sich gerade solche Sachen im Kopf weiter ab. Nicht zu wenig und auch nicht zu viel Information.

Wäre bestimmt auch geeignet für eine Fortsetzungsgeschichte, wo man vielleicht etwas über die beiden Väter erfährt.

Das Ende hat mich begeistert. Erwartet hatte ich es gar nicht.
Gerade wo man das Gefühl hatte die beiden kommen sich ein wenig näher bzw. werden freundlicher zueinander, muss die Prinzessin sterben.
Gelungen. :thumbsup:

Gruß
Dan

 

Hallo Feline!

Mit dem Lob muss ich mich den anderen anschliessen! Ich mag die Art, wie du die beiden Figuren gegeneinander antreten lässt, wie sich die Prinzessin tapfer behauptet und dennoch stirbt (was unter diesen Umständen ja logisch ist, auch wenn es der Leser anders erhofft hätte). Der Dialog ist sehr spannend gestaltet, ein bisschen wie ein Balanceakt, der Ausgang der Story ist bis am Schluss offen. Ich liebe Spannung! :D

Leider muss ich noch anfügen, dass ich den Titel nicht besonders einfallsreich gefunden habe. Titel sind ja meistens nichtsaussagend, aber "Fairy Tale" ist schon ein bisschen sehr nichtsaussagend, zumal sich diese Geschichte in der Sparte Fantasy/Märchen befindet. Ich nehme an, dass du ihn mit Absicht gewählt hast, damit der Leser ein Happy End erwartet. Vielleicht könntest du ihn ein wenig subtiler gestalten. Aber das schreibt sich so leicht... ;)

Liebe Grüsse
sirwen

 

Danke für die netten Kommentare!
Ich hatte wirklich - auch wenn's idiotisch klingt - furchtbare Angst, meine erste Geschichte hier auf KG.de würde in der Luft zerrissen werden...


@ Lily

Freut mich, dass Dir die Geschichte gefallen hat.
Interessant finde ich die Bemerkung, dass du mal eine ähnliche Idee hattest.... Sogar mit einer Selene... Unheimlich irgendwie. *g*
Andererseits spricht das wohl nicht gerade für die Einzigartigkeit des Plots. ;)


@ vita

Oh, den Rechtschreibfehler muss ich gleich verbessern. Danke! Ist wirklich ein Wunder, was für Details Dir beim Durchlesen auffallen.

Was die offenen Fragen betrifft: Du hast wahrscheinlich Recht.
Ich weiß nur nicht, wie ich alle Antworten in die Kurzgeschichte einbauen soll, ohne dass diese zum Roman wird.


@ Dan

Du hast gerade das Leben eines fremden Menschen ein kleines bisschen lebenswerter gemacht. ;)


@ sirwen

Auch Dir vielen Dank fürs Lesen!

Was den Titel betrifft... Ich wollte die Assoziation eines romantischen, naiven Märchens hervorrufen und dem Leser dann eine Welt präsentieren, die nicht nach diesen verklärten Regeln funktioniert. In der jeder ein bisschen böse ist, und niemand unschuldig, und in der die Prinzessin eines grausamen Todes stirbt.
Ist vielleicht nicht ganz so gelungen, wie ich mir das vorgestellt habe. Hättest Du eine Idee für einen passenderen Titel?

 

Ich hatte wirklich - auch wenn's idiotisch klingt - furchtbare Angst, meine erste Geschichte hier auf KG.de würde in der Luft zerrissen werden...
Das klingt überhaupt nicht idiotisch. Wäre "Bei der ersten Geschichte Angst vor einem Verriss haben" eine Voraussetzung, hier schreiben zu dürfen, gäbe es wohl kaum weniger Mitglieder.
Nur weiter so, jetzt musst du ja keine Angst mehr haben. ;)

 

Hi Feline,

deine Geschichte - besonders das Ende - hat mir gut gefallen. Eine Situationsbeschreibung, die einiges offen lässt.

Was mir ein bisschen aufgefallen ist, dass du in der Perspektive springst, erst erzählst du aus der Sicht von Darcun, dann Selene, dann wieder Darcun, das fand ich beim Lesen etwas ungeschickt. Wenn du das weiter beibahalten möchtest, würde ich dir eine andere Formatierung ans Herz legen: etwa so: Abschnitt Darcun - Leerzeile - Abschnitt Selene, so wie sie jetzt sind, kommen mir die Leerzeilen eh etwas unmotiviert vor... ;)

Der Dialog ist dir in meinen Augen wirklich gut gelungen, ich finde es selber immer etwas schwierig, einen realistischen Dialog zu schreiben.

Den Titel finde ich auch etwas ungeschickt, zumal er auch noch englisch ist. Englische Titel bei deutschen Kurzgeschichten schrecken mich persönlich immer etwas ab, wenn sie nicht für irgendetwas wirklich wichtig sind (z.B. ein Songtitel, oder so). Ein besserer Titel mag mir jetzt aber auch nicht einfallen.

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hi Felsenkatze!

Ich hab's mit einem auktorialen Erzähler versucht... Na ja, scheint wohl daneben gegangen zu sein. *g* (In der nächsten Geschichte werde ich zur guten, alten Ich-Form wechseln... )

Die leeren Zeilen füge ich nachträglich ein, um das Lesen am Monitor zu erleichtern. Mein Originaltext ist zusammenhängend. Vielleicht wirkt deswegen alles ein wenig willkürlich.

Nun gut, und was den Titel angeht... Mag sein, dass er unpassend und freakisch ist, aber ich liebe ihn wie eine Mutter ihr Kind liebt, und ich will ihn behalten. :D

Auf jeden Fall vielen Dank für deine Kritik. Besonders die Anmerkung mit der Erzählperspektive hat mir echt geholfen.

Schöne Grüße, Feline

 

Hi Feline.

Ich fand deine Geschichte gut.

Man spürt an einigen Stellen wirklich die Spannung zwischen den beiden Charakteren.

Aber auch ich muss mich meinen Vorgänger anschließen. Du lässt ziemlich viele Fragen
offen, was nicht immer hilfreich ist. Doch ich darf das nicht zu laut sagen. Schließlich mache ich das leider auch sehr häufig.

Auch der Titel ist irgendwie nicht stimmig. Ich finde ja, dass der Titel das Aushängeschild einer Geschichte ist. Wenn mir der Titel gefällt, dann lese ich auch eine Geschichte. (Also kann man davon ausgehen, dass mir der Titel gefallen hat. Aber ich habe keine solche Geschichte darunter erwartet.)

Dennoch mach weiter so!

Vale

Creusa

 

So, dann möchte ich mal sehen, was eine Dame so schreibt, die sich in der Horror-Rubrik die Zeit vorm Essen vertreibt ... ;)

Hi Feline!

Weißt du, was ich beim Lesen deiner Geschichte dachte? Mensch, ich hätte jetzt richtig Lust, sie auszuarbeiten. Aber du kannst dir ja sicherlich vorstellen, was dabei heraus käme :Pfeif:

So wie sie jetzt ist, hat sie mir absolut super gefallen. Allein der Dialog ist dir dermaßen gelungen, dass ich das Gefühl hatte, ich stünde direkt daneben, lausche ihren Worten. ich habe mal eine Geschichte geschrieben, die nur aus einem Dialog bestand, und ich weiß, wie schwer es ist, sowas realistisch hinzukriegen. Du hast es schafft. Kompliment!

Ein Hintergrund ist hier nicht zwingend notwendig; ich finde, du erklärst auch soviel, dass man es sich denken kann. Natürlich wären ein paar zusätzliche Informationen nicht schlecht, aber nur wegen deines angenehmen Schreibstils.

Fazit: Kurzweiliger Plot, umgesetzt durch einen grandiosen Dialog, der die Charaktere deutlich hervorhebt ohne sie näher zu beschreiben. Ein für mich überraschendes (und in dieser Situation realistisches) Ende. :thumbsup:

Ich hoffe, die nächste erscheint in Horror ... :D

LG! Salem

 

Hi Feline!

Hat mir gefallen, ein guter Dialog.
Ansonsten ist es etwas ... wenig, ich weiß nicht, wie ich das anders sagen soll. Du baust Dramatik auf und dann kommt plötzlich dieses Ende, das keine besondere Überraschung brigt und eher so wirkt, als wäre dir nichts anderes eingefallen.

Details:

Das ich nicht lache.
Dass

bestehlen die ärmsten Bauern.
Nicht gerade lukrativ.

In diesem Sinne
c

 

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