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Farblos
FARBLOS
Auch wenn das gemächliche Schwingen der gelben Lampions vor dem nächtlichen Himmel so berauschend aussehen mag, schenkt es mir doch nicht genug Lebenssinn, um meinen Kummer darin zu ersäufen. Der Trost wäre selbst zu klein, wenn ich ihn zulassen würde. Seit zwei und einer halben Stunde hänge ich nun hier. Die Luft um mich wurde zusehends kühler. Zwischendurch stellte sich die Haut auf ein Frösteln ein, wurde aber dennoch nie vollends dazu bewogen. Anfangs war der Stoff der Hängematte noch grob, gestrafft, wie neu. Aber nun war ihm das Gewicht und die Form meines Körpers zu viel. Unter meinem ungewollten Druck gab sie nach, hängt nun durch.
Aber es ist nicht die schwankende Liege, die mich bedrückt. Auch sind es nicht die angebrannten Kerzen, deren Wachs den gitterförmigen Eisentisch umschlingen. Nicht die Äste des Baumes sind’s, die ohne Eigenmächtigkeit ihre schatten- und intimsphärespendenden Blätter verlieren. Ebenso wenig peinigen mich die Kinderschreie aus der Nachbarsstrasse, die allesamt bald von anderen Kindern geschrieen werden. Aber das sie durchziehende Gefühl der Vergänglichkeit belästigt meine Zufriedenheit. Es plagt sie stichelnd. Der Folterer und der Hoffnungslose.
Ich kann es nicht vergessen. In allem kann es einem unters Auge treten, sofern das Auge es zu sehen gewillt ist.
In meinen alten Jahren sollte ich erkannt haben, warum es mir noch immer nicht egal ist.
Stört es mich, dass ich jeden Morgen ein einziges Ei zu braten habe? Dass die ungenutzte Hälfte meines Bettes kühl bleibt? Dass ich auf dem Stuhl, im Sessel, auf dem Bett, im Garten um mich schauen kann und nichts als entseelte Ecken erblicke? Ist es das was mich betrübt? Dass ich einmal sterbe ohne jemanden zurückzulassen der mich vermisst? Oder dass mein Tod vielleicht das Hindernis war, jemanden kennen zu lernen, der das gerümpfte Leinentuch auf meinem Bett erwärmt hätte. Der mit mir die Treppe zur Wohnung hinauf gemeinsam erklommen hätte. Jagend, kindlich, blinzelnd. Oder manchmal schlendern, versunken, philosophierend.
Ich weiss es nicht. Ich möchte es eigentlich auch nicht wissen. Aber kann nicht damit aufhören, mich darüber zu wundern.