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Fernsicht bei Föhn
„Wir leben im Paradies“, sagte meine Oma. Sie bezog sich damit auf die Landschaft, wenn zum Sonnenuntergang am Horizont das Gebirge und am Himmel die Wolken rot leuchteten, oder auf das Weltgeschehen, wenn die Tagesschau zum Beispiel die Unruhen in Burma zeigte. In beiden Fällen erschien es mir nicht ganz richtig.
Was die Landschaft anging, wohnten einige meiner neuen Klassenkameraden in höheren Lagen. Bei uns war es vom Wetter abhängig, ob man das Gebirge überhaupt sah, die Schneeflächen der höheren Gipfel verschwammen meist im Dunst. Weiter oben zu wohnen, das hatte etwas Größeres an sich, es war mehr das Eigentliche, näher am Kern. Ohne dass man weitere Anstrengungen aufbringen musste, schwang etwas Tatkräftiges mit, eine Art Herausforderung, ein Vorsprung, der nicht aufzuholen war.
Zu uns ins Dorf kam man jedenfalls nicht, um Ferien zu machen. Ich konnte es mir wirklich nicht vorstellen, dass man aus dem Ausland anreiste, um hier von einem der Bauernhöfe aus auf die flachen Weiden zu schauen, das war dann doch zu gewöhnlich. Wir wohnen da, wo andere Urlaub machen, sagte meine Oma zwar, und das war ja beinahe richtig, eine halbe Stunde Fahrt war es vielleicht, eine Viertelstunde, bis man dahin kam, nur fehlte eben gerade noch ein Schritt, ein entscheidender, wenn man ehrlich war.
Hinterm Haus begann die Weide. Wenn man bis über den Bach ging, kam links der Wald und ein ganzes Stück weiter unten die Bundesstraße. Bis dahin erstreckte sich die Wiese breit, frei, leicht abschüssig, so dass man weit über sie hinwegsehen konnte. Die Autos auf der Straße unten waren von unserem Haus aus gesehen ganz klein.
Man konnte über den Zaun steigen, mit dem Hund über die Wiese gehen, über den Bach, dann in den Wald und hinten über die Höfe wieder zurück. Das war schon was, das konnte nah dran sein, wenn die Sonne tief stand, die Wärme einen einhüllte, wenn man dann noch auf der Holzbrücke stand und der Bach genug Wasser führte, so dass er über die Kiesel einen Schwall bildete, dann waren das Momente, in denen fehlte nicht viel. Die Wiese wirkte von unserem Haus aus betrachtet dennoch flach, das konnte man nicht anders sagen, und die Berge am Horizont, so klar man sie an Föhntagen sehen konnte, blieben selbst dann noch weit entfernt. Ja, das war es wohl, selbst wenn man die Berge sah, selbst wenn man auf dem Balkon stehen, mehrere Viertausender benennen und sogar annehmen konnte, dass eine der weißlichen Spitzen dort weit hinten der Gipfel des Mont Blanc war, so war es alles in allem bei uns in der unmittelbaren Umgebung einfach zu flach.
Auf das Weltgeschehen bezogen hatte ich solche Einwände nicht. Wenn man es so betrachtete, fehlte nicht unmittelbar etwas, es gab hier keine Unruhen, Hungersnöte oder Putsche, das war richtig. Es war eher so, dass die Bezeichnung Paradies für den begrenzten Raum zu groß gefasst erschien. Er reichte nicht aus, um abzusichern, dass uns solche Ereignisse nichts anhaben konnten.
„Ich wundere mich, dass sie ihn noch nicht umgebracht haben“, sagte meine Oma sogar selbst, wenn Gorbatschow in der Tagesschau kam. Sie sagte nie viel mehr als das, nie etwas über die Folgen, die das haben würde, aber ich war sicher, dass es dann Krieg gab, wenn es geschah. Und dann hingen wir drin und es war nichts mehr mit dem Paradies, weil dann die Atombomben abgeworfen würden. Da brachte es auch nichts, dass hier bei uns – nämlich weil, sagte meine Oma, die Schweiz zu nah war--, keine Bomben fallen würden. Sie würden nicht die Gefahr eingehen, versehentlich die Schweiz zu treffen. Das war zwar schon gut, dass immerhin die Schweiz so nah war, und ich hatte mir das auch schon selbst überlegt, dass der Krieg dann vielleicht nicht ganz bis hierher käme oder dass man, wenn man schnell genug war, es wenigstens über die Grenze schaffte. Aber was dann?
Ich liebte es, darüber zu staunen, dass ein Krieg, der die ganze Welt zerstören würde, vor solchen Grenzen halt machte, und es beruhigte mich trotz allem, darüber nachzudenken, was es bedeutete, dass es selbst in diesem Fall noch Regeln gab, die nur eingehalten wurden, weil es sie eben gab, die man nicht brach, weil man auch im Krieg irgendwo anständig bleiben wollte, einfach nur deswegen, nicht weil es einen Unterschied machte. Das konnte schon helfen, sich das zu überlegen. Das hieß ja, dass es selbst dann noch etwas gab, was irgendwie eine Rolle spielte. Nur, wenn man ehrlich war, brachte das trotzdem alles nichts, weil dann, wenn Gorbatschow umgebracht wurde und die Atombomben explodierten, sowieso alles kaputt ging, und was nicht kaputt ging, das war verseucht, so dass man nicht mehr leben konnte. Und ein Paradies auf Zeit, das war ja wohl keins.
Wir sahen immer die Tagesschau, meine Oma und ich und der Opa Rudolf. Manchmal verpasste er den Anfang, weil er in der Küche nach dem Essen aufräumte. Durch die geschlossene Schiebetür hörten wir die Teller klappern. Dabei kamen die wichtigsten Meldungen immer am Anfang. Ich war jedes Mal gespannt, wenn der Zeiger auf der Uhr im Fernsehen die Sekunden abzählte, ich wartete unruhig auf die Erleichterung, die sich gleich einstellen würde, wenn glücklicherweise nicht zuerst Gorbatschow kam, den sie gerade umgebracht hatten, sondern beispielsweise die Eröffnung der Olympischen Spiele in Seoul.
Beruhigend war ja auch, dass die Ordnung in der Küche wichtiger war, als die Gefahr, in der Gorbatschow und wir mit ihm unablässig schwebten, denn das konnte eigentlich nicht sein, dass der Opa Rudolf es riskierte, den Ausbruch des Dritten Weltkriegs zu verpassen, nur weil die Spülmaschine noch nicht fertig eingeräumt war. Jedes Mal war ich aufgeregt, bevor die Tagesschau losging, ich spürte die Ungeduld als Kribbeln im Leib, während im Fernsehen diese Uhr zu sehen war, mit den Punkten, die um sie herumliefen, um die Sekunden anzuzeigen, und die Gefahr wuchs. Nur war es am Ende doch unwahrscheinlich, dass es gerade heute geschah.
„Wir leben im Paradies“, sagte meine Oma, und wenn sie damit den Garten meinte, fand ich das am ehesten zutreffend. Nicht weil es wirklich mehr stimmte, sondern weil offensichtlich war, dass sie es nicht so meinte. Weil da am wenigsten etwas fehlte, was man unbedingt noch hätte dazusagen müssen. Sie meinte in dem Fall wirklich nur den Garten, und das passte dann schon irgendwie. Das klang dann mehr so, als würde sie sagen: Schau, es ist doch einfach schön hier, das hatte nicht dieses Umfassende, dieses Besitzergreifende, Übergriffige, wie ich vielleicht gesagt hätte, wenn ich solche Worte damals hätte finden können.
Jetzt im Spätsommer waren die Johannisbeersträucher abgeerntet. Es war die Zeit der Brombeeren. Sie waren dick und saftig, man bekam schwarze Flecken an den Fingern und an den Handflächen beim Pflücken. Auch die Wespen mochten die Brombeeren, aber vor Wespen hatte ich damals schon keine richtige Angst mehr. Sowieso gingen sie am liebsten an die Brombeeren ganz oben, die die meiste Sonne abkriegten und die schon zu weich zum Essen waren, eben weil ich nicht gut drankam. Ich hätte mich schon kräftig in die Sträucher reindrücken müssen, wenn ich da oben hätte drankommen wollen, und das lohnte sich nicht, vor allem nicht bei den vielen Dornen. Meine Oma und der Opa Rudolf gingen im Grunde nur ein einziges Mal raus zum Pflücken, an dem Tag, an dem wir zusammen die Hecke abernteten. Bis dahin hatte ich sie für mich.
Ein bisschen musste ich aufpassen, nicht zu tief hineinzugreifen, im Innern der Sträucher saßen die Spinnen in ihren Netzen. Schlimm war das nicht, ich musste gar nicht tief reingreifen, ich konnte einfach von außen her pflücken. Die Hecke ging über die ganze Breite des Hauses.
Da war die Hauswand, dann hinter dem Nussbaum die Brombeerhecke, dann der Zaun und dahinter die Kuhweide.
Die Brombeeren waren riesig. „Lass ein paar dran. Dein Opa Rudolf kann sonst keine Marmelade kochen.“ Meine Oma lachte und winkte vom Schlafzimmerfenster aus. Sie hatte das hellblaue Nachthemd an, die dünnen weißblonden Haare standen ihr um den Kopf. Ich winkte zurück. Sie meinte das nicht ernst, sie wollte mir zeigen, dass sie mich sah und sich daran freute, wie mir die Brombeeren schmeckten. Wir wussten das beide. Ich pflückte nur die gut erreichbaren, alleine diese ging schon nicht zu Ende.
Im Garten am unteren Rand, nicht die Seite zur Kuhweide hin, sondern die zur Streuobstwiese, stand eine Baumgruppe. So groß war der Garten, dass sogar ein Wäldchen darin Platz hatte. Die Brombeeren, die Johannisbeerbüsche, das Wäldchen. Walnussbäume und Haselnusssträucher, Zwetschgenbäume, Mirabellen. Zwei Apfelbäumchen, die lustig aussahen, klein wie sie waren, aber kaum trugen. Das lag an den Wühlmäusen, sagte meine Oma, die an den Wurzeln knabberten. Kein anderer Garten war so groß.
Und ein Gemüsebeet gab es, das lag neben dem Wäldchen. Nach Tschernobyl, sagte die Oma, hatten mein Onkel Michael und der Opa Rudolf die ganze Oberfläche abgetragen und schubkarrenweise an der Rückseite des Wäldchens abgeladen. „Sie sind sofort rausgegangen, gleich am Morgen, bevor das Gift in den Boden ziehen konnte, das war wichtig, dass sie es gleich gemacht haben. Was die geschuftet haben, meine Männer, alle Achtung.“ Die abgetragene Erde häufte sich hinter dem Wäldchen. Der entstandene Wall war ungefähr so hoch wie ich.
Ich war mir nie völlig sicher, ob meine Oma wirklich den ganzen Garten meinte, wenn sie sagte, dass Michael und Rudolf die oberste Erdschicht abgetragen hatten, oder doch nur das Gemüsebeet. Es erschien mir zunehmend unmöglich, an einem Tag, einem Morgen sogar, zwischen Bäumen und Sträuchern hindurch zu zweit das alles zu schaffen, wie oft musste man dafür mit dem Spaten in die Grasnarbe stechen und die Wurzeln durchtrennen, ich wusste, welche Kraft das kostete. Später kam mir die Vermutung, dass meine Oma das absichtlich ungenau ausdrückte, weil sie die Vorstellung pflegen wollte, der Garten sei auf diese Weise restlos von der Radioaktivität gesäubert worden, das ganze Grundstück eine Oase, obwohl die beiden Männer in Wirklichkeit nur das Beet bearbeitet hatten. Denn im Grunde reichte es ja aus, dass das Gemüse nicht in der Strahlung Wurzeln schlug. Ich konnte das jedenfalls nachvollziehen, dass sie sich so ausdrückte. Es war ja nicht gelogen. Sie hätte mir gesagt, wie es war, wenn ich nachgefragt hätte.
Die Wühlmäuse machten mir keine Sorgen, auch weil die beiden Apfelbäumchen wohl nicht an ihnen zugrunde gingen. Ich kannte bisher keine Wühlmäuse und fand es nur schade, dass man nie eine sah, weil sie unter der Erde lebten. Nur die Löcher sah man.
Mehr störten mich die Schnecken. Wenn das Gras noch kurz war und es regnete nicht, dann kamen sie zum Glück am Tag nicht heraus, sondern erst wenn es dunkel und kühler wurde, aber dann ging ich sowieso nicht mehr durch den Garten. Nur an schattigen und feuchten Stellen war es immer besser, aufzupassen. „Die Nachbarn legen Schneckenkorn aus“, sagte meine Oma, „deswegen kommen die so gerne zu uns. Bei uns suchen sie Zuflucht. Was soll man machen.“ Am Ende war sie stolz darauf, dass die Schnecken kamen, weil es zeigte, dass es im Garten kein Gift gab.
Dulden konnte man sie trotzdem nicht. Wenn die Schnecken abends hervorkrochen, ging Opa in Gummistiefeln raus. Ohne Pause hörten wir die Gartenschere klacken, mit der er sie zerschnitt. Die Schnecken wurden dadurch nicht weniger, aber es war unbedingt nötig, jeden Abend mit der Schere durch den Garten zu gehen, egal welches Wetter war, zur Not noch mit der Taschenlampe im Dunkeln. Denn sie wurden nicht weniger, das bemerkten wir alle, aber sonst wurden sie noch mehr.
Im vorangegangenen Jahr, das war noch bei meinen Eltern, bin ich mit dem Fahrrad über eine Schnecke gefahren, die ich im Dämmerlicht für einen dieser leuchtend orangen Radiergummis gehalten habe. Ich bin sogar absichtlich drübergefahren, weil mich das leuchtende Ding angelockt hat, ganz grundlos eigentlich, der leuchtende Radiergummi, der da lag, und dann habe ich auch schon gesehen, wie die Innereien herausgedrückt worden sind, wie Blasen, wie blasiger Schleim, aber irgendwie auch fester. Warum hab ich das nur gemacht, dachte ich, denn ich habe wirklich absichtlich einen ganz kleinen Schlenker gemacht, das Vorderrad ein bisschen rübergezogen, um diesen Radiergummi, der da auf dem Weg lag, zu erwischen, sonst wäre ich eigentlich vorbeigefahren. Warum hab ich das nur gemacht, dachte ich, sogar fast noch bevor die Haut aufplatzte unter dem Druck des Reifens, unter dem Gewicht des Fahrrads, auf dem ich saß. Da hielt nichts mehr zusammen, das war alles dieser Brei, was da herauskam, ich hab das genau gesehen, obwohl das nur ein Moment war. Nur war es danach nicht vorbei, ich musste die ganze Zeit dran denken. Das fühlte sich an, als wäre ich damit in Kontakt gekommen, als hätte ich diese schleimigen Blasen angefasst, und ich bekam das nicht wieder ab.
Natürlich schaute ich nicht zu, wenn Opa Rudolf die Schnecken im Garten zerschnitt, aber ich musste es mir immer vorstellen, wie das Zeug da herausquoll, weil ich so genau wusste, wie es aussah. Wie sich das Tier zusammenzog und wie das überhaupt nichts half, weil es schon völlig offen war. Dieses Formlose unter der Hülle, das war das Widerliche. Magen, Darm, eine Art Herz, wenn Schnecken so etwas hatten; dass diese Brühe etwas war, etwas Bestimmtes sein sollte, was jetzt aber keinen Sinn mehr hatte, sondern nur einfach herausquoll, und dass das Tier das nicht bei sich halten konnte, das ekelte mich.
„Die sind morgen weg“, sagte Opa Rudolf über die zerschnittenen Schnecken, „die fressen die Vögel.“ Ich glaubte das nicht ganz, wir hatten Vögel im Garten, aber so viele wiederum auch nicht. Trotzdem beruhigte es mich, dass er das sagte. Die Vögel fraßen bestimmt von den zerschnittenen Schnecken, und das war schließlich das Gute, dass ich nicht wusste, wie viel oder wie schnell sie fraßen, es konnte immer noch sein, dass die Vögel morgens früh, bevor ich aufstand und es sehen konnte, die meisten aufpickten.
Opa Rudolf und meine Oma merkten, dass es mir unbehaglich war, wenn die Schnecken zerschnitten wurden. „Das ist das Humanste“, sagten sie, „das geht schnell, viel zu schnell, als dass es wehtun könnte.“ Ich fand das schon auch wichtig, dass es nicht weh tat, aber wichtiger war, dass die Schnecken weg waren am nächsten Tag und man nichts von ihnen sah.
Wirklich war dann auch meist nichts zu sehen. Mit der Zeit erkannte ich die schwarzen eingetrockneten Teile, die trotzdem manchmal am Gras hingen, als die übriggebliebenen Schneckenhälften, aber das war nicht schlimm, weil sie klein geschrumpelt waren und ohne Schleim.
Es war wichtig, dass Opa Rudolf die Schnecken zerschnitt, denn ich bekam jetzt Onkel Michaels altes Zimmer. Dort standen von früher Kleiderschränke, ein Schreibtisch und ein richtiges Bett. Omas Arbeitszimmer war für die Ferien gut, das kleine Sofa reichte für mich, wenn man die Armlehnen herunterklappte. Jetzt waren es aber nicht mehr die Ferien, jetzt wohnte ich hier, da sollte ich auch ein ordentliches Zimmer haben. Und Onkel Michaels Zimmer lag im Untergeschoss, das Fenster endete ebenerdig. Soweit durfte es nicht kommen, dass ich das Fenster öffnete, und dann krochen die Schnecken über den Rahmen.
Sonst mochte ich das Zimmer. Ich mochte Onkel Michaels Sachen um mich herum, die Möbel, die Gitarre an der Wand. Wenn ich den Arm, so weit ich konnte, aus dem Fenster streckte, konnte ich die Hand aufs Gras legen, das hinter den Kiesplatten begann. Von den Geräuschen der Autos auf der Bundesstraße unten ließ ich mich mitnehmen, irgendwo weit weg. Die Straße selbst sah man hinter Walnussbaum und Brombeerhecke von hier unten nicht.
„Wir leben im Paradies“, sagte meine Oma, als wir nebeneinander auf der Terrasse im Liegestuhl lagen. Ich legte meine Hand in ihre und sie erzählte mir etwas über die Sterne und über die Geborgenheit, die ich bei ihr und beim Opa Rudolf jetzt gefunden hatte. Man sah viel mehr Sterne, als in der Stadt, viel mehr sogar, als anderswo im Dorf, weil hinter unserem Haus nichts mehr kam außer der Weide und der Streuobstwiese. Das Licht im Wohnzimmer war aus, die Schiebetür zur Küche geschlossen, so dass es um uns herum ganz dunkel war und die Sterne am Himmel standen, dicht wie eine Decke, immer mehr wurden es, je länger man hinsah. Meine Oma nannte mir die Sternbilder, brachte mir bei, was eine Supernova war und ein Schwarzes Loch. Wir machten uns zusammen Gedanken darüber, was es bedeutete, dass die Sterne, die wir sahen, vielleicht schon längst tot waren, und ob das nicht hieße, dass sie nie vergingen, dass sie immer erreichbar blieben, wenn man sich nur weit genug entfernt dachte.
Nur war es eben trotz allem nicht das Paradies. Das stimmte nicht, wenn meine Oma das sagte. Vielleicht hätte ich damals doch gleich widersprechen sollen. Vielleicht wäre es dann nicht so gekommen, Jahre später, als ich aufhörte, ein Kind zu sein, dass ich ihr so deutlich sagen musste, ich könne es nicht mehr hören. Oder es wäre trotzdem so weit gekommen, ich weiß es nicht, aber ich hätte zumindest nicht schreien müssen. Und das würde ich mir wünschen, im Nachhinein, dass ich wenigstens nicht hätte schreien müssen. Sie konnte für das alles ja nichts.