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Frühstück bei Tina
Das mit Tina und mir hatte ja am 23. Mai vor der Wursttheke bei Edeka angefangen.
Mein Wunsch nach 250 Gramm gemischtem Hackfleisch war gerade in Bearbeitung, als schräg hinter mir eine Frauenstimme sagte: »Nur Rind wär’ da aber gesünder.«
Natürlich hatte ich mich umgedreht.
Natürlich hatte sie mich ein bisschen keck und reichlich charmant angelächelt.
Natürlich hatte ich gefragt: »Ach?«
Doch der Schein trügt an dieser Stelle. Es ergab sich daraus kein erschöpfendes Gespräch, keine ernährungswissenschaftliche Debatte, ja nicht einmal das, was man einen harmlosen Flirt hätte nennen können. Zum Einen lag das daran, dass auf ihre Antwort (»Ja«) von mir nichts geistreiches mehr folgte, zum Anderen war zum Zeitpunkt meiner Suche nach weiteren Worten schon die Frage von hinter der Theke erschollen, ob’s denn sonst noch etwas sein dürfte. Zwei Frauen, die fast zeitgleich mit mir sprachen, da fühlte ich mich dann doch ein wenig überfordert. So hatte ich schnell die Tüte mit dem Hack gegriffen und war in Richtung Milchprodukte abgebogen.
Dort angekommen haderte ich natürlich dann schon ein wenig mit dem Schicksal, dass die Chance mit der kecken Blonden nun wohl vertan war. Frauen mochten keine wortlosen Hackfleischgrabscher und Milchproduktabbieger, da machte ich mir keine Illusionen.
Wie es die Vorsehung jedoch wollte, bückte ich mich gerade bei den Haferflocken, um eine Packung der preisgünstigeren Sorte aus dem untersten Fach des Haferflockenverkaufregals zu pflücken, da sprach Tina zum zweiten Mal zu mir. Zum zweiten Mal stand sie dabei hinter mir und zum zweiten Mal zeigte sie sich um mein kulinarisches Wohlergehen in höchstem Maß besorgt: »Du, das passt jetzt aber nicht so gut zum Hackfleisch.«
Heute könnte ich gar nicht mehr so genau erzählen, wie es dann dazu kam, dass wir uns für den nächsten Abend verabredeten. Irgendwie führte eins, was sie sagte, zum anderen, was sie sagte, und dann stand die Verabredung für acht Uhr und ich ging recht beschwingt zu meinem Fahrrad und fuhr nach Hause.
Sie kam dann am nächsten Abend pünktlich in ihrem roten Kleinwagen angefahren und holte mich ins Kino ab. Karten hatte sie für uns schon fix und fertig reserviert, wir mussten sie nur noch an der Info-Theke abholen. Das fand ich raffiniert und wirklich super, denn so mussten wir nicht ewig an einer der Schlangen vor den Kassen anstehen. Das sagte ich ihr dann auch so, worauf sie mit den Worten, sie sei eben eine richtig Schlaue, ein wenig kokettierte. Popcorn mochte sie und sie fand es auch gar nicht so schlimm, dass ich ihr statt einer Cola light die zuckerhaltige Version zum Kinosessel brachte. »Macht ja nix«, sagte sie, »der Film fängt erst in fünf Minuten an, holst mir halt noch mal eine Neue.« Und das tat ich dann natürlich auch.
Sie hatte einen Horrorfilm gewählt und mich beschleicht noch heute der leise Verdacht, dass da ein Plan dahintersteckte. Jedenfalls, irgendwann erschrak sie sehr von irgendwas im Film und irgendwie versteckte sie dann ihr Gesicht in meinem kobaltblauen Hemd und irgendeiner von uns Beiden - ich glaube, es war sie - fing dann mit dem Küssen an und so war dann der Horrorfilm nicht mehr so richtig interessant.
Kurz vor dem Ende - ich meine hier den Horrorfilm - sah sie mich dann wieder so keck und charmant von der Seite an und fragte:
»Sag mal, wo schläfst du eigentlich heute nacht?«
»Also, bis jetzt hatte ich ja den Plan, zuhause.«
»Und wie ist jetzt dein Plan?«
»Ich weiss nicht. Vielleicht fällt mir ja irgend eine Alternative ein.«
Auch ich guckte an dieser Stelle recht keck und nach besten Kräften auch charmant.
»Okay, du darfst bei mir schlafen. Aber wir schlafen nicht miteinander. Zusammen in einem Bett ist okay. Bisschen knutschen und so ist auch okay. Aber kein richtiger Sex.«
Da sie das irgendwie eher ein bisschen nüchtern und geschäftsmäßig rüberbrachte, beschränkte ich mich auch auf ein »Okay« und fühlte mich irgendwie ein wenig überrumpelt.
Am nächsten Morgen wachte ich davon auf, dass Tina aus der Küche rief: »Schatz, willst du lieber Müsli oder Marmeladenbrötchen?« Das gefiel mir irgendwie. Das klang erwachsen und reif. Das hatte den Geschmack von einer festen Beziehung. Ich fühlte mich in diesem Moment so männlich, wie schon länger nicht mehr.
»Marmeladenbrötchen und 'nen Kaffee, das wär’ perfekt.«
»Das ist aber gar nix für die Gesundheit, Schatz.«
»Ach?«
Und so gab es Müsli und einen grünen Tee und das war beides auch richtig lecker und überhaupt war das mein bestes Frühstück seit vielen Jahren.
Am nächsten Tag gingen wir in den Zoo und am darauf folgenden in ein Museum für irgendwas, das altertümlich war, ich war da nicht so interessiert.
Dann gab es zwei Tage Pause, denn sie hatte einiges zu tun und wollte sich auch mal wieder mit ihren Freundinnen treffen.
»Das muss klar sein, bei uns, von Anfang an. Wegen uns werd’ ich meine Freundinnen nicht vernachlässigen, auf keinen Fall«, hatte sie schon im Zoo verkündet, daher wusste ich ja, woran ich war.
Nach den zwei Tagen Pause stand sie dann am Abend des dritten vor meiner Tür und hatte einen mit abstrakten Blumen verzierten Karton dabei.
»Hol mal die anderen aus dem Auto«, sagte sie und es zeigte sich, dass sie gewillt war, zukünftig öfters einmal eine Nacht bei mir zu verbringen.
»Ich schlepp da nicht jedes Mal mein Zeug hü und hott, das kannst du mir glauben«, sagte sie, während sie meinen Kleiderschrank befüllte. Als ich dann später in der Nacht im Badezimmer stand und mein Blick auf unsere zwei Zahnbürsten fiel, die sich da so zärtlich und harmonisch in meinem Zahnputzbecher aneinander schmiegten, da wurde mir schon richtig warm ums Herz.
Am nächsten Morgen ging ich gleich kurz vor sieben zum Aldi, um Müsli und grünen Tee zu kaufen.
Bis zu diesem Punkt ist sicherlich unschwer zu erkennen, wie gut das alles passte und wie glücklich uns das machte. Es drängt sich an dieser Stelle fast schon die Frage auf, ob irgendwann der Gedanke nach Kindern und Hochzeit im Raum gestanden hatte. Ein paar mal angeschnitten worden war es wohl, aber noch nicht so greifbar und konkret. Und bald darauf war es dann zu spät.
Es war so nebenbei gesagt. Für Tina nicht mehr als eine Randnotiz.
»Die Fische müssen dann auch mal weg.«
Erst war ich mir sicher, ich hatte mich verhört. Ich äußerte meine dahingehende Vermutung mit dem bereits bekannten charmanten Lächeln meinerseits. Unbeeindruckt fuhr sie damit fort, das Sofa an seine neue Position zu schieben.
»Verhört? Nein, wieso? Das ist doch blöde, Fische als Haustiere. Die kommen weg.«
Ich erklärte daraufhin ausführlich die Besonderheiten der Gattung Labidochromis caeruleus und wies explizit darauf hin, dass es sich um sogenannte Maulbrüter handelte. Die Eltern würden, ganz gemäß dem Namen, die Eier zum Ausbrüten mit sich im Maul herumtragen und sogar nach dem Schlüpfen würden die jungen Nachkömmlinge bei jedem Anzeichen von Gefahr ins Maul der Mutter flüchten. Ich argumentierte mit dem ausgeprägten Sozialverhalten und beeindruckte mich selbst mit einer feurigen Rede zur entspannenden und psychologisch stabilisierenden Wirkung eines Aquariums im Wohnraum. Ferner hob ich noch hervor, dass es sich bei meiner Unterwasserlandschaft um eine exakte Nachbildung eines bestimmten Abschnittes der Westküste des afrikanischen Malawisees zwischen Charo und Chizi Point handelte und dass die Gattung Labidochromis in diesem See endemisch war, was so viel bedeutete, als dass sie nur dort in freier Wildbahn anzutreffen war.
Nachdem ich knappe zwanzig Minuten gesprochen hatte, streichelte sie mir kurz über den Kopf und sagte: »Schatz, es tut mir leid. Wir haben leider keinen Platz für so was.«
Und dann war irgendwie eins zum anderen gekommen.
Türen hatten geknallt, Tränen waren geflossen und dann war sie weg, mit ihren drei Pappschachteln mit Blumen drauf und ihrem roten Frauenauto, mit ihrem kecken Blick und ihrem charmanten Lächeln.
Für eine ganze Weile wusste ich nicht recht, ob es mir nun schlechter ging, oder besser. In jedem Fall esse ich seitdem Marmeladenbrötchen im Dutzend und trinke literweise Milchkaffee. Und meine Labidochromis caeruleus haben vor zwei Tagen ihren Nachwuchs aufgefressen.
So was kann schon mal passieren, hab ich gelesen.