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Frau Holle
„Lass uns darüber reden", sagte Marina, näherte sich dem Sessel von hinten, auf dem er saß, lehnte ihren Oberkörper an die Lehne und legte ihre beiden Hände auf seine Stirn.
„Was wird geschehen?", fragte sie gegen sein Schweigen. Er runzelte seine Stirn.
„Ralf", rief sie fordernd aus. Der Mann strich ihr sanft über ihre Hände und legte müde seinen Kopf zur Seite. Marina kam um die Lehne herum, setzte sich seitwärts auf die Armstütze und bettete seinen Kopf auf ihre Schulter. Langsam fuhr sie mit ihren Finger durch sein Haar.
„Ich werde von der Schule verwiesen werden und wahrscheinlich auch nie mehr als Lehrer arbeiten. Es wird einen Gerichtsprozess geben."
„In dem ich für dich aussagen werde", unterbrach das Mädchen Ralfs Ausführungen.
„Das wird nicht helfen, Rina."
„Es muss! Sie werden unsere wahre Liebe erkennen", in Marinas Stimme lag Überzeugung. Ralf lächelte leicht, das war sein Mädchen, in ihrer Liebe zu ihm unerschütterlich!
„Ich wünschte, sie würden dich kennen, dann wüssten sie, wie ernst unsere Beziehung ist. Aber sie werden dir es absprechen, dass du unbeeinflusst deinen Lehrer lieben kannst. Sie werden nur die Fakten sehen. Ich bin dein Lehrer, du bist meine Schülerin. Sie werden sehen, dass deine Noten sich erheblich verbessert haben."
„Das ist doch gut", wandte Marina ein, dachte einen kurzen Augenblick nach und erkannte: „Du meinst, sie werden denken, dass du da deine Hände im Spiel hast?" Ralf nickte schwach. „Natürlich hast du etwas mit meinen Noten zu tun, Ralf. Du lernst mit mir Mathe, und auch sonst möchte ich mehr lernen, seitdem ich mit dir zusammen bin" und leise fügte sie an: „Außerdem mag ich es, wenn du stolz auf mich bist." Ralf richtete sich auf und umarmte das Mädchen fest.
„Ausgerechnet die Holle", fluchte Marina kleinlaut. Marina und Ralf führten eine schwierige Beziehung. Sie mussten stets achtsam sein, nicht gesehen zu werden. Manchmal trafen sie sich im Kino oder im Theater, aber wenn es die Zeit erlaubte, fuhren sie über hundert Kilometer in eine Kleinstadt, in der sie sich unbeobachtet fühlten. Hier kannte sie niemand, und sie genossen es, Hand in Hand durch die Parkanlagen oder durch die Einkaufsstraßen zu gehen. So wie es an diesem Samstag geschehen war. Sie hatten vergnügt vor einem Holzschnitzereiengeschäft gestanden, und Ralf hatte Marina von hinten umarmt. Sie hatten da gestanden und Späße über die Waldgeisterfiguren gemacht, als plötzlich im Spiegel der Schaufensterscheibe die Gestalt der Deutschlehrerin, Frau Wintermacher, der die Schüler passenderweise den Spitznamen Frau Holle gegeben hatten, aufgetaucht war. Erschrocken hatten sich beide umgedreht und in die vereisten Gesichter der Lehrerin und ihrem halb kahlköpfigen Ehemann geblickt.
„Guten Tag, Frau Wintermacher", hatte Ralf noch aus sich herauswürgen können, worauf die Frau sich bei ihrem Mann einhakte, dabei war ihr noch frostiger gewordener Blick keinen Millimeter von dem verruchten Pärchen gewichen, hatte einen kurzen Moment, der für die Ertappten eine Ewigkeit dargestellt hatte, regungslos verweilt, bevor sie mit ihrem Begleiter schweigend davonmarschiert war. Damit war der heitere Samstag vorüber, so dass Ralf mit seiner Schülerin zurückgefahren war. Diesmal hatte er sie ohne Vorsichtsmaßnahmen mit in seine kleine Wohnung genommen, und nun saßen sie hier gemeinsam auf dem verschlissenen Ledersessel, sein Kopf an ihre Schulter gelehnt.
„Sie konnte mich sowieso nie leiden", ergänzte Marina.
„Mich auch nicht", bekannte der Mann, und er lachte leicht verbittert und erzählte: „Frau Wintermacher hat dafür ein Talent."
„Was meinst du?", wollte das Mädchen wissen.
„Nun, du warst noch nicht auf dieser Schule, und auch ich hatte gerade erst angefangen, dort zu unterrichten. Gleich an meinem zweiten Tag gab es eine große Aufregung. Frau Wintermacher hatte Herrn Krahl, er war damals Französischlehrer, mit einer Schülerin auf der Schülerinnentoilette in eindeutiger Position erwischt."
„Wahnsinn, wie kann man nur so dämlich sein?", fragte Marina nicht wirklich ernsthaft. „Was ist mit ihm geschehen?"
„Nun, er versuchte es anfangs zu leugnen, aber das war ein lausiger Versuch. Er wurde zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt." Marina schwieg betroffen, bis sie dann kaum hörbar vor sich hinmurmelte:
„Aber das ist doch bei uns beiden etwas ganz anderes!" Plötzlich rutschte sie von der Lehne, stellte sich vor ihn, nahm seine beiden Ohren in ihre Hände, zwang ihn, sie anzusehen und sprach fest:
„Ralf, egal was passieren wird, ich werde bei dir bleiben und zu dir stehen." Dann ließ sie ihn los, griff nach ihrem Mantel, hängte sich ihre schwarze Handtasche um und verließ die Wohnung. Ralf schaute ihr nach, und er schaute gedankenversunken auf die längst geschlossene Tür:
‚Die Liebe zwischen einem Lehrer und einer Schülerin ist verpönt. Der Lehrer hat damit die Fürsorgepflicht verletzt. er hat die soziale Abhängigkeit einer Schülerin missbraucht.'
Er schüttelte hilflos seinen Kopf. Das hier war doch etwas anderes, Rina sagte es doch auch. Natürlich, er ist ein Mann, die Schülerinnen sind für einen männlichen Lehrer nicht unsichtbar.
„Die Hormone spielen dann verrückt", hatte er damals einen Kollegen über den Missgriff des Herrn Krahls erklären hören.
„Hormone?", dachte Ralf. Vielleicht waren es seine Hormone, denn die Siebzehnjährige konnte schon damals mit ihrer Attraktivität bestimmt viele Männerherzen erobern. Vielleicht war es am Anfang das Aussehen. Ralf erinnerte sich, wie sie vor anderthalb Jahren zusammenkamen. Damals war sie Mitte fünfzehn und oft sehr gedankenverloren. Das ist für dieses Alter nicht selten.
„Was ist wirklich wichtig im Leben?", hatte sie ihn damals gefragt, als sie sich zufällig im Stadtpark trafen.
„Es ist wichtig, dass du ein gutes Abitur meisterst und dann studieren gehst, weil du das Zeug dafür hast", hatte er ihr damals platonisch erwidert und einen strafenden Blick von ihr geerntet.
„Es muss wichtig sein, für andere Menschen dazusein. Es muss wichtig sein, Lächeln zu pflanzen, damit man Lächeln erntet", hatte sie besser gewusst, und auf seine Frage, welches Ziel sie für ihre Zukunft hätte, hatte die Fünfzehnjährige damals geantwortet:
„Nach dem Abitur werde ich Altenpflegerin werden, denn damit bin ich für die Menschen da."
Nein, es waren nicht seine Hormone. Er hatte in seiner Rina die Sonne im Herzen gesehen.
„Du bist doch nicht zufällig hier", hatte Ralf sie gefragt, als er sie ein zweites Mal im Park getroffen hatte.
„Nein", hatte Marina geantwortet. „Weder jetzt noch das erste Mal. Ich möchte Sie kennen lernen."
„Du möchtest mich kennen lernen? Ich bin Herr Salzer, dein Mathematiklehrer."
„Ich möchte in ihre Seele sehen, Herr Salzer, mein Mathematiklehrer", hatte sie ruhig entgegnet.
„Das geht nicht", Ralf erinnerte sich, er war damals geschockt und angezogen zugleich. Er hatte zwar gesagt, dass es nicht ginge, hatte aber da schon die Nähe zu ihr gedanklich gesucht.
„Es geht, was Sie und ich wollen, und es ist nichts abscheuliches dahinter, wenn zwei Menschen mehr voneinander erfahren."
Ja, Ralf hatte sich in das Mädchen verliebt, es war geschehen, zu schnell und ohne wirkliche Gegenwehr. Und nur die lange gemeinsame Zeit hatten seine Schuldgefühle langsam abgebaut. Es waren große Schuldgefühle gewesen, besonders nachdem er das erste Mal mit ihr geschlafen hatte. Sie war noch nicht einmal sechzehn Jahre alt gewesen.
„Das war schön und richtig", hatte sie ihm damals danach zugeflüstert. „Du bist ein Mann, und ich bin eine Frau, und wir gehören zusammen."
„Diese Kinder wissen noch nicht, was sie wollen. Sie entdecken die Welt. Es ist unrecht, sich an ihnen zu vergreifen", "das werden sie sagen. Aber was wissen sie über Rina? Sie wissen gar nichts über sie." Ralf schlief ein.
„Ralf ist ein herzensguter Mann", dachte Marina, als sie nervös im Bus auf und ab ging. „Es ist unrecht, wenn er ins Gefängnis muss." Der Bus fuhr durch den peitschenden Regen. Es war bereits dunkel, und die Scheibenwischer hatten eine große Aufgabe zu erfüllen. Das Mädchen erinnerte sich, wie sie eines Tages auf der gegenüberliegenden Straßenseite beobachtete, dass ein Kleinwagen hoffnungslos im Schnee gesteckt hatte. Die Frau hatte am Steuer die Reifen rotieren lassen, und ihr männlicher Begleiter hatte versucht, mit aller Kraft den Wagen anzuschieben. Marina hatte dann ihren Mathematiklehrer gesehen, wie er seine Tasche auf den Bürgersteig stellte und dem Mann beim Schieben half. Dabei hatten beide im tiefen braunen Schnee ihre Hosen versaut. Das war eigentlich eine lustige Szenerie gewesen, doch Marina musste sich selbst zugestehen, dass sie von dem Augenblick an von diesem selbstlosen Mann beeindruckt war. Sie hatte ihm diese Beobachtung nie erzählt, sie wollte nicht, dass er es wusste, dass er wusste, woher ihre Flamme für ihn in ihrem Herzen herkam. Sie liebt ihn, da war sie sich sehr sicher. Sie waren nun neunzehn Monate zusammen. Neunzehn Monate lang Versteckspiel! Neunzehn Monate Liebe und Angst! Eine Angst davor, entdeckt zu werden. Ralf würde sehr viele Probleme bekommen, wenn sie entdeckt werden würden, das hatte sie immer gewusst. Viel, viel mehr Ärger, als sie selbst von ihren Eltern kriegen würde. Sie glaubte an die Liebe, und sie glaubte daran, dass es für die Liebe immer einen Weg gäbe, dass man für sie kämpfen müsse. Und deswegen fuhr sie mit diesem Bus, der endlich das Ziel erreichte. Gartenallee! Von nun an waren es nur noch wenige Minuten, bis sie vor einem kleinen Haus stand. Und auf dem Schild der Klingel, die sie drückte, stand ‚Helga und Manfred Wintermacher'.
Der Kahlköpfige öffnete die Tür und schaute wenig betroffen das Mädchen fragend an.
„Ist Frau Wintermacher da?" Der Mann bewegte sich wortlos zur Seite und ließ das Mädchen passieren. Eine breite Diele führte direkt in ein rustikal eingerichtetes Wohnzimmer, an dessen Fensterseite ein altertümlich wirkendes Pult stand, vor dem die Lehrerin saß. Sie stand auf, dabei fiel ihr schulterlanges, braunes Haar, dass sie sonst eigentlich niemals offen trug, auf die Schultern, blickte Marina mit eiserner Miene an und lud sie mit einer Handbewegung ein, auf der Couch Platz zu nehmen. Obwohl das Mädchen eigentlich viel zu aufgeregt war, um sich zum Ruhig-Sitzen zu zwingen, folgte sie der Einladung, denn sie sah in ihr etwas Güte. Die Frau setzte sich in den beistehenden Sessel und schwieg.
„Frau Wintermacher", stammelte Marina einen Anfang. „Es ist nicht so, wie Sie denken."
„Was denke ich, Fräulein Ternäben?", fragte Frau Wintermacher fordernd.
Marina erkannte die typische Art, wie ihre Lehrerin mit ihr sprach. Es war die selbe Art, mit der damals Ralf ihre Annäherungsversuche quittiert hatte. Es war das Gespräch vom Lehrer zum Schüler.
„Sie denken, Herr Salzer und ich haben eine Affäre, und das ist falsch." Frau Wintermacher faltete die Hände und schwieg. Dann begegnete Marina ihrem Blick ebenso eisern und fuhr fort:
„Wir haben keine Affäre, sondern wir haben eine Beziehung!"
„Mein liebes Kind", begann die Deutschlehrerin, und es lag ungewöhnlicher Sanftmut in ihrer Stimme. „Es darf nicht sein, dass ein Lehrer seine Position missbraucht, um..."
„Er hat sie nicht missbraucht", unterbrach Marina hektisch.
„Fräulein Ternäben, haben sie ihre Manieren vergessen? Ich möchte Sie bitten, mich ausreden zu lassen, besonders dann wenn sie möchten, dass ich ihren Worten zuhöre!" Die Maßreglung traf die Schülerin wie ein Peitschenhieb.
„ ... um die noch nicht erfahrene Gefühlswelt von Schülern für seine privaten Sehnsüchte auszunutzen. Das sind Regeln, die alle Schüler in diesem Land, einschließlich dich, schützen", fuhr Frau Wintermacher fort.
„Ich liebe Herrn Salzer, und er mich", erklärte Marina kleinlaut. Sie wusste nicht, wann sie jemals Frau Holle lächeln gesehen hatte, aber diesmal tat sie es. Sie lächelte gutmütig ihre Schülerin an.
„Ich weiß, was Lieben bedeutet, und ich weiß, wie es in Ihnen aussieht. Sie werden es vielleicht in diesem Augenblick nicht einsehen, aber ihre Zukunft liegt nun in meiner Verantwortung." Mit diesen Worten blickte Frau Wintermacher in Richtung Pult, und, obwohl Marina aus dieser Distanz die kleinen Buchstaben nicht entziffern konnte, wusste sie genau, dass dort der Bericht über die Begegnung in der Einkaufsstraße lag.
„Was Sie da tun, ist nicht richtig, ich bin mit Herrn Salzer nun schon anderthalb Jahre zusammen", Frau Wintermacher schüttelte fassungslos den Kopf, als sie das hörte, doch Marina fuhr unbeirrt fort. „Unsere Gefühle zueinander sind echt."
„Fräulein Ternäben, Sie schlittern in eine Katastrophe. Herr Salzer ist mehr als doppelt so alt wie Sie. Eines Tages werden Sie einen jungen Mann kennen lernen und mit ihm eine Familie gründen."
„Sie glauben, ich bin ein Kind, das nicht weiß, was es will, oder, Frau Wintermacher?", fragte Marina gereizt.
„Ich glaube, dass Herr Salzer in Ihnen Gefühle ausgelöst hat, die Sie noch nicht zu steuern vermögen. Im Vergleich ist Ihre Lebenserfahrung zu der Erfahrung des Herrn Salzers die eines Kindes; in der Tat!" Marina stand auf, ihr Gesichtsausdruck war gequält.
„Fräulein Ternäben, bitte glauben Sie mir, sie werden es später verstehen." Die Lehrerin stand ebenfalls auf und begleitete das Mädchen zur Tür. Bevor Marina auf die Straße trat, drehte sie sich um und schaute Frau Wintermacher an, als sie zum Abschied sprach: „Ich weiß, sie tun es aus Ihrer Überzeugung heraus, das Richtige zu tun. Ich weiß, dass sie um mich besorgt sind, und deswegen bin ich Ihnen nicht böse." Marinas Augen weiteten sich ein wenig, als sie mit ihrer Frage fortfuhr: „Aber was ist, wenn Sie sich irren, und unsere Liebe ist doch echt?"
Die Nacht war kurz. Lieber wäre Ralf nicht zur Schule gegangen. Er hätte sich gerne krankschreiben lassen. Aber Weglaufen half nichts, wohin sollte er denn laufen? Also begegnete er diesem Tag aufrecht. Er war in der Nacht aufgewacht und hatte fortwährend nachgedacht. Er hatte für sich selbst eine Entscheidung getroffen. Er würde seine Liebe ehrlich bekennen und die Konsequenzen dafür tragen. Er würde ins Gefängnis gehen, und Marina würde auf ihn warten. Wenn sie auf ihn wirklich vier Jahre warten würde, wovon Ralf überzeugt war, dann wäre ihre Liebe zueinander bestätigt, und die Welt würde erkennen, dass sie Unrechtes getan hatte. Wenn Marina ihn aber vergessen würde in dieser Zeit, dann hätte er seine Strafe zurecht bekommen, nämlich für seine Dummheit.
„Herr Salzer", rief eine harte Frauenstimme, als er gerade den Schuleingang erreichte. „Darf ich sie mal kurz sprechen?" Ralf drehte sich um und ging auf Frau Wintermacher zu.
„Guten Morgen!"
„Guten Morgen, Herr Salzer. Lassen Sie uns beide doch einen Schulhofspaziergang machen." Sie gingen gemeinsam und schwiegen eine halbe Minute, bis die Lehrerin ihn fragte:
„Sagen Sie, Herr Salzer, was ist zwischen Ihnen und Fräulein Ternäben?" Ralf fing an zu stottern, und er war darüber selbst überrascht."
„Frau Wintermacher, es ist eine sehr ernste Beziehung."
„Sie war damals fünfzehn", fauchte sie, und dass Frau Holle einmal die Beherrschung verlieren könnte, war noch nie geschehen. Sie fasste sich aber schnell und fragte kurz:
„Ihre Eltern?" Ralf schüttelte nur den Kopf.
„Fräulein Ternäben ist schon sehr weit für ihr Alter, oder Herr Salzer?"
„Ja, das ist sie. Sie ist bereits eine feste Persönlichkeit."
„Herr Salzer, ich kann dieses Verhältnis nicht stillschweigend dulden. Das wissen Sie!" Der Mann nickte schwach und bedrückt.
„Herr Salzer", es lag sehr viel Energie in ihrer Stimme, „Fräulein Ternäben wird in elf Monaten achtzehn Jahre alt sein. Sie werden sie dann heiraten. Wenn diese Liebe wirklich so ernst ist, möchte ich nicht dazwischenstehen, aber diese Liebe fordert diesen Preis." Ralf schaute Frau Wintermacher strahlend an.
„Sie werden sehen, diese Liebe ist echt!"
„Natürlich werde ich es sehen, Herr Salzer", fuhr die Lehrerin streng fort. „Natürlich werde ich es, denn ich werde einer der Trauzeugen sein."
„Ich habe ein Geschenk für Sie, Frau Salzer", sagt Frau Wintermacher mild, während sie in das glückliche Gesicht der Frischvermählten blickt. Elf Monate lang mussten Ralf und Marina ihre Liebe zueinander der Außenwelt verheimlichen. Elf Monate lang hatte sie eine mahnende aber schweigende Deutschlehrerin im Unterricht. Aber sie lernte, sie zu mögen, denn sie hatte erkannt, dass hinter ihrer steinharten Fassade ein weicher Mensch steckt. Marina hakt sich bei ihr ein. Sie muss noch einmal kurz lachen, denn sie hat noch das Bild im Kopf, Frau Wintermacher gratulierte nämlich vor wenigen Minuten Ralf, und der hatte sie einfach in den Arm genommen. Darauf war die Frau gar nicht vorbereitet, so dass sie dabei stolperte, und beinahe wären beide umgefallen.
„Das hier", sagt die Lehrerin, und sie hält der jungen Frau einen Umschlag entgegen. Ohne ihn zu öffnen, denn Marina weiß nur zu genau, was der Inhalt ist, nimmt sie ihn entgegen und wirft ihre Arme um Frau Holles Hals und sieht so die unsichtbare Träne nicht, die auf der Wange der Frau herunterkullert.