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Frauen und Vulkane
Frauen und Vulkane
Pech in der Liebe, Glück im Spiel. Ich habe beides ausgekostet. Melanie hat mich verlassen, mit Sack und Pack, und ich habe das Land verlassen, mit einer Reisetasche und einer mageren Kreditkarte. Eine Million offener Fragen ist zuhause zurückgeblieben, nachdem sie aufgehört hat zu schreien. Die große Freiheit und das Abenteuer rufen, wenigstens für sieben Tage.
Jetzt zappelt das Rückflugticket schon ungeduldig in meiner Jackentasche, aber ich kann noch nicht weg. Einmal muss ich es versuchen: Eine Corvette, der Highway und ich. Und nach gestern Nacht kann ich es mir leisten. Las Vegas hat die Grenzen meiner Möglichkeiten ausradiert. Und ich hatte gedacht, ich spiele mich um Kopf und Kragen.
Mein Fuß stupst das Gaspedal nur an und die Lady heult auf. Gib Ihr die Sporen, Cowboy. In genau vierundzwanzig Stunden sitze ich wieder auf einem Fensterplatz in der Economy Class und esse abgepackte Malzeiten. Bis dahin aber, werde ich soviel Spaß haben, wie nur irgend möglich.
Nachdem ich den Strip hinter mir gelassen habe und die Vororte von der Landschaft verschluckt werden, weht mir der heiße Wüstenwind um die Ohren. Irgendwie reizt es mich, das Verdeck zu schließen, aber man lebt ja nur einmal und was ist schon ein Knirschen zwischen den Zähnen. Berge und Dünen soweit das Auge reicht. Seltsame geometrische Formen in beige und braun.
In einem Nest namens Scottys Junction halte ich an. Es gibt nur eine Tankstelle, aber das Monster hat Hunger und es ist die einzige, die ich seit Meilen gesehen habe. Mir gönne ich einen Kaffee. Dann geht es weiter. Der endlose Highway durch das Nichts beginnt mich zu langweilen. Bei der erst besten Gelegenheit biege ich links ab. Die Landschaft wäre sicherlich überwältigend, wenn sie nicht derart einschläfernd wäre. Die Fahrt wäre sicher schneller, wenn nicht so viele Lastwagen unterwegs wären. Ich hätte sicher mehr Spaß, wenn ich nicht allein wäre. Aber das ist mein großes Abenteuer, also werde ich es verdammt noch mal genießen.
Aus meinem Tran taucht vor mir Zorros Burg auf. Zinnen, Türme, weißer Stein. ‚Scotty's Castle, Death Valley', begrüßt mich ein Schild. Klingt irgendwie verschroben, aber ein Teller Chili und drei Tequilla versöhnen mich mit der Welt, während ich meine Glieder strecke.
Weiter geht's. Irgendwie muss ich jetzt wohl zurück, denn der Wagen gehört mir nicht für immer. Ich frage einen Jungen auf der anderen Straßenseite, wie ich nach Las Vegas komme, aber er zuckt nur die Schultern und verschwindet um eine Ecke. Im Wagen krame ich nach einer Landkarte, aber ich habe kein Glück. Stattdessen erinnere ich mich wieder an die strahlenden Augen der Mietwagen-Tante, die mir ein Display im Auto erklärt hat, während ich von ihr und dem kurzen Rock abgelenkt war. Wie ein Ertrinkender, der nach einem Glas Wasser schreit, habe ich seit unserer Trennung versucht, mich von Melanie abzulenken, von Frauen überhaupt. Offenbar nicht sehr erfolgreich, denn ich denke ja schon wieder an sie.
Mit ein wenig Rumgetippe erweckte ich das Display zu Leben. ‚Las Vegas' buchstabiere ich mit einem Drehknauf und eine Melodie erklingt. ‚Welcome to Pandora. We will enjoy a pleasant trip.' Schöne Stimme, sehr sexy. Schade, dass sie nur in dem Kasten steckt. Da! Ich tue es schon wieder. Nix da, jetzt fahren wir ins Hotel und ich rolle noch mal die Würfel bis es kracht.
‚Turn left', bittet die Stimme. Ich tue es. Und auch sonst folge ich jedem gehauchten Wort. Nur wir zwei, sweet baby. Es geht tief bergab und die Corvette müht sich redlich, sauber um die steilen Kurven zu kommen und ein bisschen mache ich mir Sorgen, aber die Aussicht ist einfach unbeschreiblich. Die Sonne geht unter und die Asphaltbahn führt uns direkt in die rote Scheibe hinein, als sie diesmal ‚turn right' in mein Ohr säuselt. Es wird langsam kalt, seit die Sonne untergegangen ist. Die Scheinwerfer schalten sich automatisch ein und ich schließe das Verdeck. Meine Stirn fühlt sich heiß an nach all der Sonne, aber das ist nichts, was eine erfolgreiche Nacht im Casino nicht richten wird.
Die Meilen verschlucken wir zwei nur so aber noch ist von Las Vegas nichts zu sehen. Nicht einmal ein Wegweiser. "Sag mal, kennst du dich denn auch wirklich hier aus?", necke ich das Display mit der Samtstimme. ‚Keep going', antwortet die Stimme mir. "Na, jetzt werd nicht frech", gebe ich zurück. ‚Just keep going', jetzt ist die Stimme nicht mehr samtig. Ich sehe irritiert zur Seite. Das Display zeigt keine Landkarte mehr, nur noch eine mattschwarze Fläche. "Wo willst du mit mir hin?" Ich bin nicht mehr zum Scherzen aufgelegt. Irgendwas stimmt hier nicht. ‚Do not fight me', drückt die Stimme zwischen den nicht vorhandenen Zähnen heraus. OK, es reicht. So redet niemand mit mir.
Ich stell den Kasten jetzt ab und fahre alleine weiter. Wird schon gehen. Aber solange ich auch auf die Knöpfe drücke, nichts tut sich. ‚Turn right', die Stimme ist jetzt bestimmt und ruhig. Nix da, Baby. Nicht in dem Ton, Fräulein. Von einer Frau lasse ich mir nichts sagen. Solltest du mir besser glauben.
Der Aberwitz der Situation dringt langsam zu mir durch, als ich das Steuer nach links drehe und die Anweisung missachte. Sofort blockieren die Hinterreifen und in schönster Chicago-Manier dreht mein Wagen sich im Wüstenstaub um 180 Grad. ‚Will you turn right now', aber es ist keine Frage. Ich nehme den Fuß vom Gas. Dann bleibe ich eben hier. Ich kann warten. Aber auch da habe ich offenbar die Rechnung ohne das Auto gemacht. Bedächtig tuckert es die Straße entlang, die kaum mehr ist, als ein Feldweg.
Das Gefühl, vor dem ich weggelaufen bin, kommt langsam zurück. Es kriecht mein Rückenmark hinauf und erzählt meinem Hirn, dass genau diese Machtlosigkeit unausweichlich ist, wenn man sich mit der falschen Frau einlässt. Die Schemen der Berge um mich herum nicken höhnisch, während die Corvette nun steil bergauf durch Schlaglöcher holpert, für die sie sicher nicht gemacht ist.
Ich hab die Nase voll. Vielleicht habe ich einen Sonnenstich. Vielleicht war der Tequila ein Fehler. Aber ich werde mich doch nicht von einem Auto rumkommandieren lassen. Ich greife nach dem Türgriff, aber die Tür öffnet sich nicht. Wieder und wieder ziehe ich, aber nichts tut sich. Kindersicherung? Oder muss der Wagen erst anhalten? Ich schlage meinen Fuß mit voller Kraft auf das Bremspedal, aber das wippt nur nach unten wie ein gebrochener Flügel. Der Schrei kommt wohl von mir. Ich sollte damit aufhören, es tut in meinen Ohren weh. Aber in mir schreit es weiter.
"Hey, Blechdose! Für wen hältst du dich?" Das Display bleibt schwarz. "Ich bin nicht Knight Rider!" Mir ist, als höre ich leises Lachen. Also habe ich doch einen Sonnenstich. Ich wünsche, ich hätte Wasser mitgenommen. Wenigstens eine einzige Flasche. "Halt an. Jetzt." ‚Stop fighting', die Stimme ist ruhig, überhaupt nicht aufgeregt.
Die Lichter gehen aus und wir rumpeln in völliger Dunkelheit weiter. Ich rieche etwas Seltsames. Es erinnert mich an, ach, ich weiß nicht, Chemieunterricht. Ist auch egal. Vor meinen Augen tanzen bunte Schatten, es geht noch mal steil bergab und irgendwann steht das Auto still. In meinem Dämmerzustand höre ich die Stimme wieder raunen. ‚Als könntest du uns entrinnen. Als wüssten wir uns nicht zu wehren. Du wirst uns nicht entkommen.' Meine Glieder zittern und ich bin mir jetzt sicher, dass ich nicht OK bin. Die Tanknadel liegt solide auf dem unteren Ende der Skala und die Lichter werden nach und nach schwächer. Ich muss lange geschlafen haben, denn als ich die Augen öffne, steht die Sonne hoch am Himmel. Mein Mund fühlt sich pelzig an, meine Glieder schwer.
Meine Armbanduhr zeigt drei Uhr und das kann wohl nur nachmittags bedeuten. Mein Flieger ist weg, aber das lässt mich seltsam kalt. Erst mal muss ich raus aus der Wüste. Ich bin zwar noch benommen, aber ich drehe den Zündschlüssel. Nichts regt sich, so als wäre die Batterie leer. Das fehlt mir gerade noch. Ich klettere aus dem Wagen und die Hitze schlägt mir erbarmungslos entgegen. Ich stehe am Fuße eines steilen Abhangs. Um mich herum ragen düstere Kraterwände auf, an deren unteren Ende sich Geröll und Schotter türmt. Schon beim ersten Schritt nach oben rutscht alles mit mir wieder herunter. Der Gestank nach faulen Eiern hat zugenommen und irgendwie weiß ich, dass dies mein Ende ist. Als ich hinter mir ihre Stimme höre, kann ich nur noch müde lächeln. Das wird dauern, aber wahrscheinlich muss es sein. ‚So, baby, let's talk.'