Frauensache
Langsam stieg sie die letzten Stufen zu ihrer Wohnung hinauf. Sie stellte träge ihre Handtasche zu Boden um die Haustürschlüssel aus ihrer Manteltasche zu holen. Sie war geschafft. Geschafft vom Geräusch ihrer hohen Stöckelschuhe auf dem harten Parkettboden, auf dem sie jeden Tag laufen musste. Geschafft vom nervendem Freiton, der immer wenn sie einem Mann anrufen musste, augenblicklich noch ätzender wurde. Geschafft vom ständigen Druckgefühl, das sie wegen ihres zu kleinen Kostüms im Bauchbereich hatte. Geschafft vom täglichen „Machen Sie davon noch 20 Kopien!“, „Ordnen Sie diese Akten bis spätestens 15 Uhr!“ und „Bringen Sie mir einen Kaffee, Entkoffeinierter aber!“. Hatte sie das verdient?
Sie betrat die warme Wohnung, streifte den Mantel ab und lies sich auf das bequeme Sofa plumpsen. Regen peitschte gegen das Fenster. Kein gutes Wetter um auszugehen. Aber das hatte sie sowieso schon lange nicht mehr getan. Das wollte sie auch gar nicht mehr. Nach den letzten Enttäuschungen hatte sie sich geschworen, niemals wieder so einen Fehler zu machen. So wie es auf der Arbeit jeden Tag war, war es auch in ihrem privaten Leben gewesen. Regelmäßige Demütigungen waren zur Gewohnheit geworden. Im Büro arbeitete sie erst seit fünf Monaten. Sie hatte die Arbeit gewechselt, als das andere Geschlecht zu weit gegangen war; sexuelle Belästigung war da nicht das größte Übel gewesen. Ihr neuer Wirkungskreis war jedoch nicht besser, wie sie sich nach nur einer Woche eingestehen musste. Das gleiche Spiel wie beim letzten Mal.
Doch hatte sie sich etwas geschworen. Sie hatte sich geschworen an der Gattung Mann, Rache zu nehmen. Das tat sie auch, wie sie lächelnd bemerkte. Ja, da war doch etwas gewesen. Das hatte sie nur den ganzen Tag über verdrängt. Lächelnd stand sie auf. Sie ging in die Küche und holte ein Weinglas heraus. Ein guter Tropfen konnte nicht schaden. Langsam ging sie in ihr Schlafzimmer und öffnete ihren Kleiderschrank. Sie sah die gepflegten Lackschuhe auf dem Schrankboden stehen. Daneben säuberlich zusammengelegt, ein blaues Hemd. Es gehörte Thomas. Zudem eine schicke, schwarze Anzughose und eine grüne Krawatte. Auch diese gehörten Thomas. Er war ein Kollege von der Arbeit, ein ziemlich ungehobelter Kollege. Sie grinste.
Hektisch schnappte sie sich die Klamotten, und trat mitsamt mit dem Wein aus der Wohnungstür. Ohne das Licht im Treppenhaus anzuschalten, ging sie nach unten. Gesehen zu werden, das wollte sie nicht. Sie öffnete im Erdgeschoss die Tür zum Heizungskeller und betrat den kleinen Vorraum. Dieser Teil des großen, achtstöckigen Wohnhauses benutzte keiner. Sie ging durch eine weitere Tür, spürte dann die Anwesenheit der anderen Person. Spürte den schweren Nebel, der im Raum schwebte. Hörte den langsamen Atem der Gestalt, die vor ihr lag. Sah den leichten Umriss des Mannes, der bis auf seine Unterhose, völlig nackt ihr ausgeliefert war. Roch den beißenden Geruch vom abgestandenen Schweiß ihres Opfers. Sie entzündete das Licht. Ängstliche Augen blickten in ihr Gesicht. Er war schon der Dritte. Sacht schloss sie die Tür hinter sich und widmete sich, mit einem irren Grinsen auf dem Gesicht, ihrer bevorstehenden Tat.